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Ragolder Tagdlatt »Der Eejelljchaster

Montag, k. Mai 1928.

Hochschulen und Hochschulstudium im Finanzausschuß

Stuttgart. 5. Mai. Der Finanzausschuß des Landtags setzte die Beratung des Haushalts des Kulkministeriums fort. Ein Redner des Christi. Bolksdienstes erklärte, auch in Schul- und Bildungsfragen dürfe man keine Wünsche Vor­bringen, die bei den Tatsachen des Lebens nicht zu verwirk­lichen seien. Die Finanzlage spreche ernstlich mit. Wo das 8. Schuljahr zurückgestellt wurde, sollte es bis 1932 eingeführt werden. Die Aektorenwahl sei eine verfehlte Sache. Erst .Antrag Heymann (Soz.), die Beipflichtungen von Gemein­den an Kirchenkassen abzulöfen, würde gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, Demokraten, Deutschen Dolksparkei und Kommunisten mit Stimmengleichheit abgelehnt.

Bei Kap. 37 (Universität) warnt ein soz. Redner vor dem Universitätsstudium wegen der Ueberfüllung der Hochschulen. Ein Zentrumsredner will nicht, daß durch falsche Schlüsse die Lebensfreude und Zukunftshoffnung der studierenden Jugend beeinträchtigt werde. Es gebe auch noch Studienfächer, bei denen keine Ueberfüllung vorhanden sei. Auf dem Arbeitsmarkt sei das Ueberangebot zu groß, die Wirtschaft könne die jungen Leute nicht aufnehmen.

Ein Redner der Bürgerpartei ist der Ansicht, daß die Ueberfüllung der Hochschulen allmählich zurückgehe. Sie war eine Folge der aufgeblähten Wirtschaft. Studienbei­hilfen seien abzulehnen. Redner begrüßt den Ausbau der Landesuniversität. Ein demokratischer Redner ist der An­sicht, daß wir in Deutschland an einer Ueberschätzung der akademischen Bildung leiden. Studienbeihilfen an tüchtige

Bedürftige seien zu begrüßen. Ein Mitglied der Deutschen Volkspartei erklärt, daß von einer gut eingerichteten Uni­versität auch die Gewinnung guter Dozenten abhängt.

Kultminister Bazille gab zu, daß eine allgemeine Ueberschätzung des Wissens bei uns vorhanden ist. M a n dürfe aber dann nicht das akademische Stu­dium für Beamte verlangen, die bisher ohne akademisches Studium ihre Aufgaben er­füllen konnten. Als besonders dringlich wird der Ausbau der Neuen Aula und der Chirurgischen Klinik von der Negierung angesehen, der Bau einer Sternwarte in Tübingen mußte fallen gelassen werden zugunsten der Stuttgarter Gemäldegalerie, deren Neueinrich­tung sehr dringlich ist. Die Fragen des Neubaus der Tech- Nischen Hochschule sollen in einer größeren Sitzung am näch­sten Dienstag eingehend besprochen werden unter Zuziehung aller beteiligten Instanzen. Dem im Ausschuß geäußerten Wunsche, hervorragend begabte Personen zu fördern, kommt das Kultniinisterium entgegen durch eine Verordnung vom 15. April 1929 bekr. Zulassung von Personen auf die Hochschulen auch ohne Reifezeugnis. Die Mehrzahl der deutschen Studierenden kommt aus dem Nr i k t e l st a n d.

Zu Titel 6 wurde gegen eine Stimme folgender Antrag angenommen:Gegen eine Ueberschreitung der hier ange­forderten Mittel für Beihilfen an bedürftige Studierende bis zur Höhe von 10 000 Mark keine Einwendungen zu er­heben."

sich 280 Krankenbetten einschließlich der für die kranken Schwestern bestimmten. Im Krankenasyl Bethanien in Winkerbach wurden 124 chronisch kranke Frauen von 26 Schwestern verpflegt. Im Marthahaus Stuttgart. Sophien- straße 1 B und 1 C. befindet sich die von 10 Schwestern os- leitete und im vorigen Jahr von 360 Schülerinnen besuchte Industrieschule für Hand-, Maschinen- und Kleider- nähen, ferner ein Mädchenheim für stellesuchende Haus- angestellte, ein Frauenheim und ein Schülerinnenheim für Besucherinnen Stuttgarter Lehranstalten. Die Liebesarbeik des Stuttgarter Diakonissenhauses erstreckt sich bis In das ferne China, wo in Peking das im Besitze des Deutschen Reiches stehende deutsche Hospital von 7 Schwestern und 2 Hilfsschwestern bedient wird. Infolge größerer Bau- arbeiten hak die Anstalt eine beträchtliche Schuldenlast und bedarf deshalb tatkräftiger Unterstützung durch freiwillige Liebesgaben. Ebenso ist bei dem stets wachsenden Bedürf- nis an persönlich und beruflich gutgeschulten Schwestern der Eintritt einer größeren Zahl von Töchtern, die zum Dienst der helfenden Liebe willig und tüchtig sind- dringend er­wünscht.

Aus Stadt und Land

Nagold, den 6. Mai 1929.

Der Eeistesgrad, der nötig ist, um uns zu gefallen, ist zugleich ein ganz genauer Gradmesser für den Geist, den wir selbst besitzen. Helvetius.

Stuttgart, 5. Mai. Die 6. Vollversammlung d^e s Württ. Gemeindetags (Verband kleinerer Städte und Landgemeinden), die gestern im Sieglalaal in Stuttgart stattfand, hat folgende Entschließung an­genommen: 1. Der Landtag wird dringend ersucht, in der neuen Gemeindeordnung in der dritten Lesung folgende Anträge zu berücksichtigen: Wenn den beteiligten Gemein­den gegen die Zwangseingemeindung nicht der Rechtsschutz zugestanden werden will, dann hat an Stelle der Regierungsverfügung die Gesetzgebung zu treten. Die Stellung des Ortsvorstehers ist so zu sichern, daß ihm die objektive Führung der Gemeindever­waltung ermöglicht wird. Die Pflicht zur Zustellung der Entwürfe der Haushaltungsvoranschläge an die Kollegialmik- gueder ist davon abhängig zu machen, daß sie vom Kol­legium beschlossen oder die Zustellung von einzelnen Mit­gliedern gefordert wird. Bei Aufhebung von Teilgemein­den ist zwischen Teilgemeinden mit ungleichen Verhältnissen Auf Antrag ein Lastenausgleich durchzuführen.

2. Dringend geboten ist, die kommunalen Amtskörper- > ch? stsbezirke zur Hebung der Leistungsfähigkeit rnd Erzielung eines internen Lastenausgieichs wesentlich zu vergrößern. Die Aufteilung der Ober­amtsbezirke lehnt der Gemeindetag ab.

3. Die kleineren Städte und Landgemeinden müssen endlich eine Erleichterung von den persönlichen Schullasten erfahren. Der Gemeindetag fordert die Anpassung der Berechnungsgrundlagen an die bestehenden Verhältnisse und die Herabsetzung des Anteilsatzes.

Die Ev. Diakomfsenanstalt Stuttgart begeht am Himmel­fahrtsfest das Jubiläum des 75jährigen Bestehens.

Hochwasser des Neckars. Infolge der starken Gewitter­regen führt der Neckar Hochwasser. Die Kanalarbeiten muß­ten eingestellt werden. Bei der Wilhelmsbrücke ist der Bau­damm gebrochen.

Aus dem Lande

hellbraun, S. Mai. Der alte Turners.mann Gustav Bantel gestorben. Mit Gustav Bautet ist eine Persönlichkeit aus dem Leben geschieden, die in Heil­bronn als Original in gutem Sinn angesprochen werden durfte. Mit jungen Jahren siedelte er sich in Frankreich an, wo er 1870 von einem französischen Kriegsgericht wegen angeblicher Spionage zum Tod verurteilt wurde. Durch Fluchl kam er mit Frau und Kind in die Heimat zurück, wo er bis vor etwa 6 Jahren sein Handwerk als Uhrmacher ausübte. Seinen Sarg, den er sich selbst zusammenzimmerte, nahm er mit ins Erholungsheim, wo er die letzten Tage vollbrachte. Als Nestor der Turnsache beteiligte er sich 1S23 als ältester aktiver Turner auf dem deutschen Turn­fest in München. Nun starb er, beinahe 90jährig.

Neckarfulm, 5. Mai. Humorvoller Zwischen­fall am 1. Mai. Zum erstenmal waren am 1. Mai die NSU-Werke nicht geschlossen. Die allerdings wenig zahl­reichen christlich-organisierten Arbeitswilligen mußten die Spalier biDende Mehrheit vor dem Tor passieren. Ein Un­organisierter wird mit dem Ruf:Ein Schwarzer" emp­fangen, worauf dieser seelenruhig seine Mütze lüftet und auf seine Haare weist, die rot waren.

Balingen. 5. Mai. Kesselerplosion. Am Don­nerstag abend verursachten in der Kesselfeuerung der Möbe'»- fabrik Münze in F r o m m e r n die Feuergase eine gewaltige Explosion. Der 23jährige Arbeiter Bertsch erlitt starke Brandwunden am ganzen Körper. Er ist am andern Mor­gen im hiesigen Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen. Einem andern Arbeiter wurde durch die Explosion ein Gegen­stand an den Kopf geschleudert. Er erlitt dadurch eine schwere Gehirnerschütterung.

Gaildorf. 5. Mai. Die GaildorferStadtschult- heißenwahl für gültig erklärt. Die Beschwerde des Obersekretärs Gottüeb Bürk ist von der letzten Instanz, dem Verwaltungsgerichtshof, abgewiesen und die Stadt­schultheißenwahl in Gaildorf, bei der Obersekretär Herr­mann von Backnang zum Stadtvorstand in Gaildorf ge­wählt wurde, für gültig erklärt worden.

Ebingen. 5. Mai. Ein Auto fährt in einen Sängerchor. Der Sängerbund brachte am Freitag abend ein Ständchen in der Schillerstrahe. Ein Lastkraft­wagen von Meßstetren fuhr in den Chor hinein, wobei ein Sänger schwer und drei leicht verletzt wurden. Die Schuld liegt auf beiden Seiten. Der Sängerchor hatte das Stünd­chen nicht polizeilich angemeldet und auch nicht für Beleuch­tung gesorgt, der Wagenführer hatte es unterlassen, Signale zu geben.

75 Jahre Diakonissenanstalt

ep. Die im Jahre 1854 gegründete Evangelische Diakonissenanstalt in Stuttgart feiert am 9. Mai d. I. das Fest ihres 75jährigen Bestehens. Ans Kleinen Anfängen heraus ein erster Stuttgarter Diako­nissenverein von Prälat A. Kapff gegründet, hak mit vier Schwestern im sog. Hofkrankenhaus begonnen hat sie sich zu einem der größten christlichen Liebeswerke unseres Lan­des und nach ihrer Schwesternzahl zu dem drittgrößten Diakonissenhause der Welt entwickelt. Ihre 1435 Schwestern arbeiten in 14 Eigenbetrieben und 268 Außenstationen, darunter 46 Krankenhäuser, 6 Bürqerspi- küler, 190 Gemeinden, 8 Krippen, 5 Fürsorgeheime und 28 > sonstige Arbeitsgebiete. Die Zahl der im letzten Iabr in Stadt und Land versorgten Pfleglinge beträgt über 120 000 in etwa 1 700 000 Pflegetagen, 40 000 Nachtwachen und mehr als 1 Million Pflegebesuchen. In ihren eigenen Krankenhäusern Wilhelm- und Paulinenbospital banden

Dienstnachrichten.

Bei der in den Monaten Februar und Mürz 1929 abge­haltenen Baumeisterprüfung sind u. a. die nachgenannten Be­werber zu Baumeistern ernannt worden: Finkbeiner Wil­helm von Besenfeld OA. Freuvenstadt, Raus Wilhelm van Freudenstadt, Stein le Eduard von Altensteig-S>adt OA. Nagold, Weber Ernst von Städelgrund OA. Freudenstadt.

Ei« Maieusonntag

Das alte Sprichwort hat, wie ja wohl immer zutreffend, diesmal besonders ausdrucksvoll Recht behalten: Auf Regen folgt Sonnenschein! Nach sehr starken und kühlen Gewitter­regen, die ihr köstliches Naß befruchtend über die Erde verteil­ten, strahlte vom Samstag ab die Sonne in hellstem Licht und besonders der Sonntag dünkte uns als ein herrlicher Som- mertax. Ueberall keimt und sproßt es und man glaubt, bald zusehen zu können, wie die braunen Hüllen der Knospen schwellen, wachsen und von einer urmächtigen Kraft gesprengt werden, um uns das wunderbare Geheimnis des werdenden Lebens zu offenbaren. DaS sind Tage, an denen die Menschheit von der Wanderlust gepackt wird, an denen es sie hinauszieht in Got­tes wunderbare Welt. So waren es auch Turn- und Sport­verein, die zu Gauveranstaltungen ausgerückt waren und in einem besonderen Bericht davon zu erzählen wissen. Ein Er­eignis außergewöhnlicher Art rief manchen früher denn sonst in die Stadtmauern zurück, hatte doch der Ver. Lieder- und Sänperkranz um die ->. Nachmiltagsstunde zu einem Kirchen­konzert, indessen Mittelpunkt die .Deutsche Messe" von Schubert stand, eingeladen. Von einem schlechten Besuch kann man nicht ohne weiteres sprechen, aber zu bedauern war es, daß das Gotteshaus nicht voll besetzt war und daß Nagold selbst gegenüber den auswär­tigen Besuchern verhältnismäßig sehr schlecht vertreten war. Man sollte doch, auch in Anbetracht des lächerlich billigen Eintritts­preises Zeii natürlich vorausgesetzt, etwas mehr Ver­ständnis von Menschen verlangen, die sich gebildete, christliche und geistig-selbständige deutsche Staatsbürger nennen. Ein solch erhebendes Ereignis dürfte nichts Alltägliches sein und, abgesehen von einem Dank gegen die Veranstalter, durch seine Mächtigkeit der Schönheit uns stärken und stützen im Alltags­trubel. Ueber das Konzert selbst lasten wir dem Berichterstatter das Wort. Am Abend fand sich die Sängerfamilie zu einem gemütlichen Zusammensein in dem Traubenfaal ein. Gelang und Tanz unter den Klängen des Leitz'schen Lautsprechers waren nunmehr Parole! Der Fremdenbetrieb war nicht groß und auch die sonst in endlosen Ketten durchfahrenden Autos und Krafträder blieben sicherlich mehr auf den Straßen, die in blühende Täler, wie ins Remstal oder Kinzigtal führen. Wir vergönnen ihnen diese Seitensprünge und uns die weniger verpestete Luft von Herzen gerne. Nun wollen wir für Himmelfahrt und den nächsten Sonntag auf recht schönes Wetter hoffen, auf daß neben den geplanten allmöglichen Unternehmen auch die Ausflüge des Schwarzwaldvereins und der Museums­gesellschaft von Glück und reger Anteilnahme begünstigt find.

Lamea bet de« Atseu«e»m km Schtvamwald

L» .TckMrs Hetmatlahreu* mm Hermann Kurz

Für Zettmrgsdruck bearbeitet

Nch eberre chts jchatz Verlag der Deutschen Glocke Ulm a. D.

XXXV.

Nun leuchtet Ihnen einer ins Gesicht, und jetzt war das Erschrecken an mir, wie ich meinen Herrn Vetter erkenne. Ei du frommer Gott, wie waren Sie dahin gekommen? Sie rührten sich nicht; wir trugen Sie in mein Haus und weckten den Herrn Vetter Physikus, der an Ihnen geschmiert und ge­rieben und gebluteaelt hat nach Herzenslust! Den« jetzt sah man erst, daß Ihr linker Arm tüchtig verstaucht war. Endlich machten Eie die Augen starr auf und sahen mich an; dann fielen Sie zurück und fingen nichts für un- »nti herzianiglich zu schnarchen an, was ein sehr gutes chen war und dem Physikus höchlich gefiel. Dieser las hat ohne Unterbrechung bis soeben fortgedauert, und wir habe« jetzt drei Uhr nachmittags. Also guten Morgen, lieber, werter Herr Vetter! Was macht Ihr Arm? >»d wie find Sie um Gottes willen, sagen Hie mir nur" »Herr,- rief ein junger Mensch und machte die Tür hnlb auf, »eben kommt die Nachricht, daß der Zigeuner »blich gefiorbeu ist. Eie haben ihn fast bis zur Stadt gebracht. "

»Der arme Schelm!" rief der Bürgermeister.Es ist doch gar zuviel Jammer in der Welt. Heute früh wurde beim Echafhäusle ein Zigeuner gefunden, der von seinen Mordgesellen nächtlich gottlos zugerichtet worden ist. Der Herr Gevatter Syndikus und der Herr Vetter Physikus haben alle Hände voll zu tun bekommen. Der jammervolle Meusch muß eine Katzennatnr gehabt haben; er ist fast »ock lebend ins Aondenkaus aebrackt worden."

'Ich Unglückseliger, daß Ich ihm nicht Hilfe senden konnte!" rief Heinrich und schlug die Hände zusammen.

»Sie?" rief der Bürgermeister.

»Ja, ich! Ich war dabei!"

Der Alte trat mit Entsetzen zurück, nahm ihn aber gleich wieder bei der Hand und sagte:Nein, Sie find kein Uebel- täter."

Das bin ich nicht. Und dennoch muffen Sie sich be­denken, ob Sie mich in Ihrem ehrenwerten Hause dulden wollen; denn ich komme geradeswegs vom Hannikel und seinem Gelichter her."

Herr, vergib ihm die Sünden seiner Jugend!" rief der Bürgermeister, die Hände zusammenlegend.

Er nahm ihn am Arme, zog ihn durch die Werkstatt ins Haus und setzte Küche und Keller in Bewegung. Bald drang köstlicher Speisengeruch ins Zimmer; ihm folgte ein Mädchen mit Schüsseln, blank von außen, dampfend von innen, und zuletzt kam Gleichen, welche die Aufsicht in der Küche geführt hatte. Sie trug ein Kind auf dem Arme, eins unter dem Herzen und reichte dem East mit jungfräu­lichem Erröten die Hand. Er sprang auf und vergaß Essen und Trinken über der Begrüßung des hübschen, mädchen­haften Weibchens. Der Bürgermeister aber trieb sie luftig scheltend hinaus; er dachte an das eine, was not war, und wünschte ungestört mit ihm reden zu können. Dann sprach er das Tischgebet für ihn und nötigte den gemüterschütter­ten, frostdurchschauerten, zerschlagenen, hungerverzehrten Landstreicher zu dem zwischenzeitigen Mahle nieder. Kein kräftigeres war ihm jemals gekocht worden; er gewann mit jedem Bisten an Gesundheit und Lebensröte, und der Reutlinger Wein, den ihm sein Wirt, wiewohl etwas vor­sichtig, dazu einschenkte, übertraf an wundertätiger Kraft die berühmtesten Flaschen mit Siegel und Umschrift; er flößte ihm eine Fülle von neuen Hoffnungen ein und gab den Dingen, die vor seinen Augen lagen, eine mutigere und freundlichere Farbe.

Heinrich ließ endlich Messer und Gabel finken, nahm noch einen herzhaften Schluck aus dem zinnernen Becher.

worin ein Löwe, auf drei Bergen stehend, eingegraben war, lehnte sich dann, angenehm ermattet, in den Eroß- vatcrstuhl zurück, schloß die Augen ein wenig, erhob sie vertrauensvoll zu dem ehrwürdigen Angesicht des guten Greises und begann nun eine lange Beichte, worin er das Fräulein nach Kräften, sich selbst aber nicht im mindesten schonte.

Der Bürgermeister, dessen Leben zwischen einfachen Sorgen und harmlosen Freuden abgelaufen war, schlug die Hände mehr als einmal zusammen.Was sind doch die Menschen!" rief er endlich aus, als Heinrich geendigt hatte. Wenn ich's ehrlich sagen soll, aber Sie muffen mir's nicht übel nehmen, so dauert mich eigentlich keins von allen als das arme Papier, das ihr miteinander über den Schwarzwald spazieren getragen habt; das Hütte im Ka- inett seiner Durchlaucht gute Ruh' haben können.

Er stieß mit ihm an und beide lachten herzlich mitein­ander, bis zuletzt Heinrich mit einem Seufzer sagte:Wenn ich nur wüßte, wie es jetzt mit mir werden soll. Herzog kann ich nicht mehr zurück, ich sehe noch immer seine Pistole vor mir."

Daß ihm's Gott verzeihe!" rief der Bürgermeister eifrig.Da haben zwei Schutzengel vor der Mündung ge­standen. der seine und der Ihre. Jedenfalls aber bleiben Sie fürs erste bei uns, und das soll Ihnen gerade so be­kommen, wie einem kalten Magen eine warme Suppe be­kommt."

Und so geschah es auch. Der Abend wurde in traulicher Geselligkeil zugebracht. Gleichen erschien mit ihrem Manne, der den East als alten Bekannten begrüßte. Und als nach Untergang der Sonne auch der Syndikus, von seiner Magd mit der Laterne begleitet, sich herzufand, da war es dem heimatlosen Pilger, als ob in diesem anhei­melnden Kreise die Zeit stillstehen würde.

Er suchte zeitig sein Lager auf und hatte seit langer Zeit zum erstenmal wieder das Gefühl, das der friedliche Bürger jeden Abend genießt, wenn er seine Decke über sich sieht. (Fortsetzung folgt.)