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Nagolder TagblattDer Gesellschafter"

nur für die unmitelbar beteiligte Wirtschaft, sondern für Deutschlands weltwirtschaftliche Stellung und damit für die Dolksgesamtheit von entscheidender Bedeutung. Eine Ent« Wicklung, die der allgemeinen wirtschaftlichen Lage und der Wettbewerbsfähigkeit der durch Kapitalknappheit, hohe Zin­sen und andere Verpflichtungen in drückender Weise vor­belasteten Industrie nicht genügend Rechnung trägt, schädigt letzten Endes die Arbeiterschaft ebenso wie die Unter­nehmungen. Der Abwendung dieser Gefahr dient die Hal­tung der Unternehmungen in der gegenwärtigen Aus­einandersetzung. Nach dieser Richtung muß daher auch von der deutschen Oeffentlichkeit der Wirtschaftskampf in der westlichen Eisenindustrie mit dem großen Ernst und dem Berantwortungsbewußtsein gewertet werden, wie dies von der deutschen Industrie im Interesse des Volksganzen ge­schieht.

Bereinigung -er deutschen Arbeitgeberverbände und Reichsverband der deutschen Industrie stellen sich infolge­dessen in voller Erkenntnis der Tragweite des jetzigen Kon- fliktes für die ganze deutsche Wirtschaft geschlossen hinterdienordwestlicheGruppedesVereins deutscher Eisen- und Stahlindustrieller. Beide Organisationen haben beschlossen, die Arbeit­geber der nordwestlichen Gruppe mit allen geeig­neten Mitteln zu unterstützen.

Dieselbe Haltung nehmen Bereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände und Reichsverband der deutschen In­dustrie gegenüber dem Wirtschaftskampf in der Werft­in - u st r i e, wo seit 1. Oktober gestreikt wird, ein. Beide Organisationen schließen sich namens der gesamten deutschen Industrie der Erklärung an, die der Gesamtverbond deut­scher Metallindustrieller für die Arbeitgeber der Werst- mdustrie abgegeben hat.

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Mussolinis Bevölkerungspolitik. Zurück aufs Land!

Rom, 23. Nov. In einem halbamtlichen Artikel des .Popolo -Jtalia" wird ausgeführk: Es sei vergebliche Mühe, gegen die Wohnungsnot in den Städten anzukämpfen, so­lange man jedem nach der Stadt Ziehenden ein natürliches Recht auf eine Wohnung zuspreche. Den Behörden, den faszistischen Parkeivorständen, den Zeitungen und Schulen wird aufgekragen, für die Rückwanderung aus den Städten aufs Land zu wirken, die Behörden haben nötigenfalls Zwangsmittel anzuwenden, um die Rück­wanderung durchzuführen und den Zua nach der Stadt zu verhindern. Das Baugewerbe werde deshalb keinen Scha­den leiden, denn es gebe auf dem Lnd eine Million iin>- brauchbar gewordener Wohnungen, die ausgebessert oder ne« aufgebauk werden müssen. Ruf keinen Fall werde das Miekerschutzgeseh über den 3». Zuni 1930 hinaus verlängert werden.

Stuttgart. 23. Nov. Zum Zusammentritt des Landtags. Auf der Tagesordnung der am nächsten Dienstag stattfindenden Sitzung des württ. Landtags steten nicht weniger als 20 Kleine, außerdem 3 Große Anfragen, darunter eine solche der Kommunisten betr. dem Panzer­kreuzerbau. An Gesetzentwürfen enthält die Tagesordnung einen Nachtragsetat, das Berggesetz, die Vereinigung von Weilimdorf mit Feuerbach, das Gesetz über die geschützten Tage und das Beamtengesetz. Bevor der Landtag Zusammen­tritt, halten die Aeltesten eine Sitzung ab, außerdem finden Fraktionssitzungen statt.

Der erste Advent. Nach einer Bekanntmachung des Polizeipräsidiums sind am 1. Advent (2. Dezember 1928) öffentliche Vorstellungen und Lustbarkeiten, insbesondere öffentliche Kabarett- und Theatervorstellungen, sowie Sport­wettkämpfe in Stuttgart verboten.

Zur Frage der Listenverbindung. Nachdem schon früher Zentrum und Ehristl. Volksdienst eine Listenverbindung für die Gemeinderatswahl in Stuttgart abgelehnt hatten, hat die demokratische Partei bei der Deutschen Volkspartei und der Volksrechtspartei wegen einer Listenverbindung angefragt. Eine Verbindung mit der Bürgerpartei hat die Demokratie abgelehnt.

Schädigung der Geschäftsinhaber aus der Königstraße. Die Firmen auf der Königstraße fühlen sich durch die neue Verkehrsordnung, derzufolge in der Zeit von 11 Uhr vorm, bis 8 Uhr abends keine Fahrzeuge in der Königstraße auf­gestellt werden dürfen, benachteiligt. Etwa 60 Firmen haben sine Eingabe an das Polizeipräsidium gerichtet, worin sie darlegen, daß sich das Parkverbot als eine außer­ordentliche Schädigung erwiesen habe, weil das kaufende Publikum es jetzt vielfach vorziehe, seine Einkäufe in den Straßen vorzunehmen, in denen das Auto unmittelbar vor dem betreffenden Hause warten kann.

Beleidigung durch die Presse. Die, kommunistische «Süd­deutsche Arbeiterzeitung" hakte u. a. behauptet, die Therese Neumann in Konnersreuth sei Mutter eines sechsjährigen Kinds. Therese Neumann und Pfarrer Naber in Konners­reuth strengten eine Beleidigungsklage an, und in der Ver­handlung vor dem Schöffengericht Stuttgart mußten die bei­den Schriftleiter Janus und Hammer zu geben, daß jene Behauptung der Wahrheit nicht entspreche. Sie muß­ten sich verpflichten, an das Wohlfahrtsamt Stuttgart eins Buße von 200 Mark zu zahlen und die der Klägerin ent­standenen Kosten zu tragen.

Blaubeuren, 23. Nov. Zigeuner-Jagd. In der Zeit der Ulmer Roßmärkte sind Zigeuner im Blaubsurer, Ulmer, Ehinger und Laupheimer Bezirk keine Seltenheit. Auch in Weidach, Gde. Herrlingen, trieben sie ihr Unwesen. In jedem Haus, das sie betreten, fehlt irgend ein Wert­gegenstand. Eine Zigeunerin bettelte Kleidungsstücke. Bis die Wohnungsinhaberin das Gewünschte herbeiholte, hatte sie schon den Geldbeutel mit Inhalt an sich genommen. In den nahegelegenen Waldungen wurden vier Mitglieder 2 Männer und 2 Frauen aufgegriffen und in sicheren Gewahrsam gebracht.

Aus Stadt und Land

Nagold, 24. November 1928.

Es ist eine schicksalshafte Verknüpfung unse­rer irdischen Beschränkung, daß menschliches Den­ken sich immer wieder selber die Grenzen setzen mutz, über die es hinausstrebt.

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Gefallenen-Gedenkfeier.

Auch an dieser Stelle möchten wir nochmals auf die morgen nachmittag 2 Uhr auf dem Friedhof stattfindende Gefallenen- Gedenkfeier Hinweisen und zugleich bemerken, daß dabei der Arbeiter Gesangverein .Frohsinn" seine Mitwirkung zugesagt hat. Wir möchten es als Pflicht eines jeden bezeichnen, diese Stunde von allem anderen sich loszusagen und sie in Gesenken an unsere gefallenen Helden und Andacht auf dem Friedhof zu verhringen. Bei dieser Gelegenheit soll aber auch auf unsere Sonderausgabe anläßlich des Totensonntags und des Gefal- lenen-Gedenktages, auf unseren Leitartikel in dieser Nummer und die übrigen Stimmungsbilder und Skizzen aufmerksam gemacht sein. In der Zeit von mittags 1212.15 wird ein allgemeines Trauergeläute stattfinden.

^ Sie konnten zusammen nicht kommen

Die Bestrebungen der bürgerlichen Parteien mit einer Ein­heitsfront in den Wahlkampf für den Gemeinderat zu ziehen, sind nicht in Erfüllung gegangen. Wie wir hören, haben gestern abend auf Einladung des Gewerbevereins Besprechungen statt­gefunden, die jedoch zu keinem Ziele führten. So werden nun die bürgerlichen Parteien mit zwei Listen aufwarten und zwar '

_ Samstag» 24. November 1928

einmal die Bürgerpartei, Bauernbund, Deutsche Volkspartei Demokraten und der Gewerbeverein, zum andern National­sozialisten, Volksrechtpartei und Ehristl. Volksdienst.

Schubertfeiern Schubertfeier«.

Der Musikoerein schreibt uns: Wir freuten uns über den Bericht des letzten Mittwochs, auch über die große Zahl von aufmerksamen und dankbaren Zuhörern. Die Weise ,Am Brunnen vor dem Tore" hat als Volkslied und namentlich als Chor ihre endgültige Gestalt von unsrem Silcher erhalten Da wir mit unfern Schubertabenden noch keineswegs fertig sind können wir dem Wunsche, sie zu Gehör zu bringen, immer nock Nachkommen.Heilig" und .Wie schön bist Du" werden er­klingen, sobald nur wieder einen Männerchor haben. Vor allem ckber wird das LiedAm Brunnen vor dem Tore" demnächst m ursprünglicher Gestalt wiedergegeben werden. Am Donnerstag den K.Dezember wird Hermann Achenbach hier die .Winterreise" singen.

UnsereFeierstunden"

führen uns diesmal mit dem Titelblatt nach Bautzen gehen mit uns nach Südtirol, nach Taormina in der Nähe des heute viel von sich hören machenden Aetna, nach Kon­stanz, Barmen, auf die Automobilausstellung Berlin, nach Stuttgart, auf einen Friedhof im Dorfe Ophin usw. Auch dieFeierstunden" gedenken des Totensonntags und geben uns im textlichen Teil eine schöne SkizzeAm Grabe der Mutter" u. a. m.

Altensteig, 23. Nov. Gemeinderatssitzung am 21. Nov. Zur Beschaffung eines betriebssicheren Anlaßapparates für die Feueralarmsirene wurden Angebote eingeholt. Die beste Gewähr für die Betriebssicherheit bietet nach dem Gutachten des Betriebsleiters Brändle der von der Firma Emil Löffel­hardt elektrotechnische Großhandlung Stuttgart angebotene Selbstanlasser um etwa 190 welcher dann auch zur An­schaffung genehmigt wird. Der Holzhauerlohnakkordver­trag für das Wirtschaftsjahr 1929, welcher gegenüber den bis­herigen Löhnen eine Aufbesserung von l l°/g vorsieht, wird ge­nehmigt. Nachdem Forstwart Bäuerle wegen Krankheit seinen Dienst nock nicht wieder aufnehmen kann, wird die Stell­vertretung durch Forstpraktikant Keck verlängert. Der Letztere erhält neben seiner Belohnung eine monatlicke Dienstaufwands- enrschädigung von 15 Ab I. Dezember 1928 wird dem

Forstmeister Mutschler eine Entschädigung von zus. 350 bewilligt, wovon 150 ^ auf die Verwendung eines Zimmers als Kanzlei und 200 für Reinigung, Beleuchtung und Heizung des Dienstzimmers entfallen. Außerdem wird der Mietzins für die Forstmeisterwohnuna festgesetzt. Für das Jahr 1929 wer­den die bisherigen Beisitzer beim Amtsgericht als Mietemr gungsamt, sowie zu den Verhandlungen über die Klagen auf Aufhebung eines Mietsverhältniffes, wieder dem Amtsgericht gegenüber vorgeschlagen. Kenntnis genommen wird von der vom Oberamt erteilten EAaubnis zur beiderseitigen Nagold­korrektion zwischen Hirscksteg und Kaufhausbrücke und von der Genehmigung der Kraftfahrlinie Altensteig-Berneck- Aichhalden-Oberweiler-Simmersfeld-Bergorte(Aichelberg)- Wildbad durch das Innenministerium. Unternehmer der Kraft­fahrlinie ist Friedrich Harr, Landwirt in Simmcrsfeld. Der Vorsitzende teilt mit, daß er aus Anlaß des geglückten Amerika­fluges des LuftschiffsGraf Zeppelin" dem Luftschiffbau Friedrichshafen die Glückwünsche der Stadtgemeinde ausge­sprochen habe, wofür ein Dankschreiben mit Photographie ein- gegangen sei.

Calw, 23. Noo. Autounfall. Donnerstag mittag ereignete sich an der Kurve nach Stammheim ein noch gut adgelauiener Autounfall. Ein kleiner, offener Zweisitzer, mit einem Reifenden besetzt, wollte, von Stammheim kommend, nach Calw fahren, wobei er die Kurve zu schnell nahm, so daß sich ein Rad vom Wagen löste und der Wagen sich überschlug. Der Reisende kam unter den Wagen zu liegen: es zeigte sich aber, daß er nicht verletzt war. Das Auto mußte adgeschleppt werden.

Freudenstabt, 23. Noo. Tödlich verunglückt. Gestern abend verunglückte in Mitteltal die acht Jahre alte Gertrud Schmelzte Tochter des Sägers Schmelzte, tödlich, indem dieselbe von einem, L a st kr a'ftw a gen üb ersah ren wurde. Wie bis jetzt seftge- stellt ist, dürfte den Führer des Kraftwagens keine Schuld treffen.

Oer Kuß

^>ine humoristische Schubert-Novelle

Von Mathäus Geister IlrheberrechtsschutzVerlag Deutsche Glocke", Ulm.

(5. Fortsetzung.)

Allein niemand hörte im Augenblick darauf. Als sich aber Begeisterung und Heiterkeit gelegt hatten, fragte der Musikgraf, der den Zuruf durch den Lärm gehört hatte, was es denn mit dem Los für eine Bewandtnis habe. Nun wurde die Verlegenheit erst recht groß, und es gab viele hübsche rote Mädchenköpfe. Endlich erzählte Schwind die Geschichte mit dem verlosten Kutz, die allgemeine Heiterkeit erregte.

Und Mademoiselle Pepi hat also das Los gezogen?" fragte der Graf.

Pepi aber wehrte sich und sagte, sie hätte ein weißes erwischt. Nur wie Schubert gerade so glücklich und froh neben ihr gestanden sei, habe die allgemeine Begeisterung sie so gepackt, daß sie ihm hätte einen Kutz geben muffen. Und wenn es ihm nicht paffe, so könne er ihn ja wieder zurückgeben. Es gehe jetzt schon in einem Aufwaschen.

Nun war die Neugier, wer das Herzlos gezogen habe, erst recht groß. Aber die Sängerinnen zuckten die Schultern und hatten heiße Wangen. Schubert wurde den ganzen Abend mit dem Kuß, den er noch zu bekommen habe, ge­neckt. Er trug es gelaffen und heiter und fragte nur ein­mal Schwind, den er in eine Nische zog, vorsichtig, ob keine Alte und Häßliche bei der Gesellschaft gewesen wäre. Lachend versicherte ihm der Maler, daß alle hübsch, jung und ohne Ausnahme küffenswert seien.

Nimm dich in acht, Franzl!" warnte er mit komischem Ernst und erhobenem Finger.Wo du gehst und stehst, bist du vor dem Küssen nicht sicher."

Nie war es im Hause Katharina von Lasznys so heiler und ausgelassen zugegangen wie an diesem Abend, als sich nach dem Konzert die Flügeltüren des Saales öffneten, um zu Erfrischungen an den reich besetzten Tischen und zum Tanz bei den Walzerklängen des Orchesters einzuladen. Sogar des Grafen Esterhazy stolzes Herz taute auf. Er sprach freundlich mit Schubert und lud ihn für den Som­mer auf sein ungarisches Gut Zelesz ein, damit seine Tochter ihre Musikstunden fortsetzen könne. Die Komtesse aber, die Schubert gegenüber sonst freundlich und zutraulich war, blieb den ganzen Abend still und verträumt und wünschte nach Hause zu fahren, als der Tanz begann.

Komtesse Karoline war ein stilles Mädchen, das ihre Gefühle hinter einer schönen Gleichmäßigkeit äußeren Be­nehmens verbarg, die ihr umso besser stand, als sie von großer, doch eigenartiger Schönheit war, die jeden, der sie zum erstenmal sah, überraschte, sie aber auch in den Ruf des Stolzes brachte. Eigentümlich war ihr Verhältnis zu Schubert. Als er sie zu unterrichten begann, war sie gerade in den Jahren, die die Kindheit im Mädchen beschließen, wo eine Periode innerer Unruhe und Gärung beginnt, in der aus dem Unbewußten jugendliche, ach, so süße, wunder­volle Gefühle ausflackern, die sich zu törichten Wünschen und verliebten Schwärmereien formen. Was lag näher, als daß sie Schubert, der eben seinen Ruf als des Gottes trun­kener Musiker begonnen hatte und nun ihr Lehrer wurde, mit ihrer älteren Schwester schwärmerisch verehrte und je­den seiner Wünsche achtete, als wäre er Gottes Gebot. Und da Talent mit Fleiß und Liebe sich zu einer fest umschlosse­nen Trinität einten, machte die Komtesse erstaunliche Fort­schritte im Spiel, was wiederum Schuberts Freude und Ver­gnügen an seiner Schülerin und ihrem Können, das ihm Ehre machte, steigerte.

Sie sah damals in ihm den großen Genius, der einst Beethovens Erbe antreten würde, des Gewaltigen, des ungekrönten Herrschers über Wien. So mischte sich Ehr­furcht und Scheu in ihre mädchenhafte Schwärmerei, die vielleicht mehr dem Genius, der aus Schubert sprach, als dem Menschen, in dem er Wohnung wie in etwas Frem­dem genommen hatte, galt. Allein so säuberlich läßt sich keine Scheidewand zwischen Mensch und Genie errichten; es blieb von ihrer stillen Schwärmerei noch immer genug für den Menschen Schubert übrig. Wenn er auf ihre Bitte nach dem Unterricht, den er gerade bei ihr mit fast pe­dantischer Gewissenhaftigkeit erteilte, ans dem Flügel des Musikzimmers phantasierte, seine braunen Augen wie in unendliche Fernen sahen und sein Gesicht im Widerschein der Schaffensfreude leuchtete, wobei um den-vollen Mund ein glückhaftes Lächeln spielte, dann fühlte sie, wie eine un­sichtbare Brücke von ihm zu ihr geschlagen war und wie sie dem Mann, der aus der Schichte des niederen Volkes kam, die ihrer Familie von alters her die Dienerschaft als schul­digen Tribut lieferte, viel näher stand, als sie sich gestehen mochte.

Doch diese Erkenntnis war ganz jung, und ihr Geburts­tag jene Stunde in Döbling, als sie mit lächelndem Mund die weiße schlanke Hand in die Urne getaucht und das ver­hängnisvolle Los mit den von Schwinds flüchtigem Stift hingeworfenen Köpfen gezogen hatte. Der Gedanke, daß nun gerade sie, die Komtesse, vom Schicksal ausersehen sei, ihrem Musiklehrer, und ob er gleich ein Genie und wie sie

sich bald eingestand, als sie ihn prüfend betrachtete, kein unschöner Mann war, einen Kuß zu geben, kam ihr so un­geheuerlich vor, daß sie darüber nicht einmal lachen konnte. Und je länger sie überlegte, und je klarer sie über ihr selt­sames inneres Verhältnis zu Schubert wurde, desto un­möglicher und aussichtsloser schien ihr, auch nur an die Ueberlegung eines derartigen Beginnens zu denken.

Damit schien ihr das Abenteuer abgetan zu sein. Sie war wie stets von einer Freundlichkeit, die alles, was sie tat, in eine Atmosphäre von Güte und Behaglichkeit hüllte und ihm das Kühle und Ferne nahm, was einfache Leute sonst in vonehmen Häusern empfinden. Und Schubert liebte seine Schülerin darum und schenkte ihr manches neue Lied, manch kleines Album, das er für sie eigens schrieb.

So wäre ohne jenen Abend bei Frau von Laszny wohl alles beim alten geblieben. Als nach dem Ständchen der ungeheure Jubel losbrach, die Schubertianer ihrem Lieb­ling immer wieder zuriefen, ihm die Hände drückten und ihn umarmten, als Pepi gar den Glücklichen und Ahnungs­losen unter dem Beifall der begeisterten Menge auf den Mund küßte, da waren mit einem Male in des Komteßchens Herzen alle guten Vorsätze wie weggeschwemmt. War es der Widerspruch gegen die andere, die nahm, was ihr nicht zukam? War es der Rausch der Begeisterung, der auch sie überwältigte? Heiß flammte die niedergehalteue Liebe auf. Nun wußte sie, daß sie nur einen lieben würA einen, dem sie nie angehören konnte, doch einen, dem s« Treue über Jugend und Grab hinaus halten würde. Ja» sie war nun sogar fest entschlossen, dem Rus des Schicksals» das durch ein Los über sie geworfen war, zu folgen. So war es ihr auch willkommen, daß der Vater Schubert M den Sommer nach Zelesz einlud. Ja, als die Zeit der 4^ reise kam und von Schuberts Mitkommen keine Rede mehr war, erinnerte sie ihn an sein Versprechen, indem sie d» Wunsch äußerte, ihre Studien den langen Sommer hin­durch nicht unterbrechen zu müssen.

So fuhr Schubert, der in dieser Zeit wieder in gr « Geldverlegenheit war und der Einladung gern foMe, E dem Haushalt des Grafen nach Ungarn. Zwei Wochen war der Zug unterwegs, bis man die Raab erreichte uiu> vt» ferne Schloß Zelesz sah. Es war nicht übermäßig groß, doch - schien es, da es auf einem kleinen Hügel stand und ebene Umgegend überragte, stattlich«, als es wa r. Er« großer schöner Park umgab es, mit nach franzofischem Muster zugeschnittenen Taxusbäumen und Wertzdornhecken, uralten mächtigen Platanen, in deren Schatten S^m^r Efeu üppig wucherte, und kleinen Teichen, in denen halb­wilde Enten und zahme Schwäne schwammen.

, Fortsetzung folgt.