Seite 6 — Nr. 271
Nagolder Tagblatt «Der Gesellschafter"
Samstag, 17. November 1828
Heiderösleins Geburtstag
Eine Schubertskizze von Fran,z Mahlke.
„Franzl! — Franzl!"
„I hör' schon!"
„Daß D'net verschläfst!" gemahnt der strenge Herr Vater, wohlbestellter Schullehrer in der Pfarre zu den vierzehn Nothelfern zu Lichtenthal. Er rief es über die Stiege zur Schlafkammer hinauf und ging dann knurrend über die Schwelle in den Hofgarten. Aber Franz Schubert, der Schuladjunkt, hatte in der Giebelstube schon die Feder nach den himmlischen Weisen seines Herzens tanken lassen, als der Herr Vater noch schnarchend in der wackeligen Bettstatt lag.
Die Sonne hob gerade ihren goldenen Rücken aus dem Walde, wuchs und stelzte mit tausend glühenden Beinen in den Tag. Sie blickte in das Kammerfenster des Schulgehilfen und heimlichen Kompositeurs. Jeden Morgen sah sie ihn dort, über Notenblätter geneigt, emsig schreiben. Manchmal summte er leise dazu. Die Lieder flogen wie Tauben ins Land, und in manchen Herzen fanden sie gar treue Nesthut, auch die Melodie vom Heideröslein, die Franz Schubert an einem schönen Morgen aufflattern, ließ.
Er stieß einen Flügel des Kammerfensters auf und legte die verschränkten Hände in sein braunes Eelock. Der Duft tausatter Wiesen wogte herein. Da erhob die Lichten- thaler Morgenglocke die Stimme. Franz Schubert faltete die Hände und senkte die Stirn. Als der letzte Klang in dem blühenden Apfelbaum am Schulhause ertrank, nahm der Kompositeur das tintefeuchte Notenblatt und ging die knarrende Stiege hinunter in die Schulstube. Da saß schwatzend das Jungvolk von Lichtenthal. Franz Schuberts sanfte Augen wurden, einen Augenblick streng hinter der blanken Brille. Die mausgrauen Rockschöße wippten.
„Zenzi, Du hast nix z' lachen!"
Er setzte sich ans Spinett. Das Heideröslein erblühte in seiner herzallerliebsten Süße.
„Schaut, wie seine dicken Finger! über die Tasten laufen. Schaut, wie flinke Mäuserl laufen sie."
Ein Gelächter wie ein Sturzbach fegte die Melodie fort. Der Schuladjunkt stieß den Schemel hinter sich. Die Augen, die eben, noch wie brauner Samt leuchteten, sprühten. Blitze. Er trudelte sich über die ersten Bänke, und die kleine fleischige Hand fuhr sausend gegen den Kopf der Therese Jnnozentia Erillhuber: „So fühle auch, wie die Mäuserl beißen können."
Jnnozentia heulte auf und hielt sich das linke Ohr. Franz Schubert lief mit rotem Kopf zur Tür hinaus.
Am Nachmittag kam der Sattlermeister Grillhuber in das Schulhaus und beschwerte sich tüchtig über den Schulgehilfen, der seiner Tochter eine so kräftige Ohrfeige gegeben habe, daß sie total taub in jenem Ohr sei und furchtbar an, Backen- und Kopfschmerzen leide. Der Doktor van Swieten der Jüngere habe den Befund ausgenommen: es sei eine leichte Gehirnerschütterung. Ob das Trommelfell oder ein anderer Teil verletzt sei, könne er nicht feftstellen. Es sei nur zu wünschen, daß nicht noch Schlimmeres folge.
Der Kantor hatte den Ankläger aufmerksam angehört, strich das schüttere Haar im Nacken und sagte nach einer Weile, er werde gemäß dem Bibelspruch Matthäus 2 „Auge um Auge, Zahn um Zahn" dem Sohn verabreichen, was
dieser dem Mädchen appliziert habe. Das befriedigte den erregten Sattlermeister. Sein Gesicht erhellte sich zusehends. Seinem Herzen war wohlgetan, und erhobenen Hauptes wie ein Sieger verließ er das Schulhaus.
Vater Schubert entsann sich indessen noch eines anderen Bibelspruches, der die weise Mahnung ausdrückt, daß man nicht im Zorn strafen scklle. Er nahm seinen Schnabelstock vom Haken und ging in die Heide. Es war ein sonnüberschütteter Sommertag. Die Lerchen jubilierten und träufelten Freude in sein Herz. Da griff im Schreiten auf einem schmalen Rain die Dornenhand eines Wildrosen,busches nach seinem Rockschoß. Er löste den Zweig ab, blieb ein Weilchen stehen und sah dem Heiderosenstrauch tief in das blühende Herz hinein. Die Sonne schwebt wie eine Ampel über dem Walde, als er heimging, und sein Herz war voll tiefen Friedens.
Franz stand mit hängendem Kopf vor dem Vater, ein Notenblatt in der Hand. Vater Schubert hatte die Hände auf dem Rücken und ging mit zusammengebissenen Lippen in der dämmrigen Stube hin und her.
„Hast Dir wohl net überlegt, was D' damit anricht'st?" fragte er de Sohn.
Franz erinnerte den Vater an die eigenen Erfahrungen mit dem faulen und aufsässigen Kinde.
„Was hast denn da?"
Franz reichte ihm das Notenblatt.
„Spiel's vor!"
Und durch die arme, dämmerdunkle Schullehrerstube wehte der käufliche Atem Gottes. Das unvergängliche Heideröslein erblühte in feinere Morgenschöne.
Als der letzte Akkord des Spinetts verfchwebt war, sagte der Vater: „Nein, Franzl, i kann Dir keine hauen. Da würde selbst der liebe Heiland erzürnt sein."
Der Lieder- und der Walzerkönig
Eine Schubert-Anekdote von Ferdinand Burger.
In ein besuchtes Kaffeehaus des alten Wien trat ein schüchterner junger Mann, der durch seine abgetragene und äußerst einfache Kleidung unter all den wohlhäbigen, ja eleganten Gästen einigermaßen auffiel. Er bestellte verlegen ein Glas Zuckerwasser und zog schließlich unter seiner Jacke eine Geige hervor.
Der Wirt, der ihn schon längst beobachtete, kam auf den Jüngling zu und fragte, ob er etwa spielen wolle. Der Geiger bejahte, und der Wirt hatte, wenn es seine Gäste nicht störe, gegen das „Gewinsel" nichts dagegen.
Schon nach den ersten, Takten aber verstummten Gelärm und Getriebe. Alles lauschte den mächtigen Tönen, die der Virtuose mit bestrickender Gewalt seinem Instrument entlockte. Als das Spiel zu Ende war, ließ sich ein beifälliges Gemurmel hören. Da sich schon viele Gäste erhoben, um den Musikus zu sehen, stieg der Geiger auf einen Stuhl und spielte mit Schneid und Begeisterung:
„Es gibt nur a Kaiserstadt, es gibt nur « Wien!" und variierte das Thema so schön, und geschickt, daß lebhafter Beifall erklang. Während der Künstler so angefeuert
frisch drauflos spielte, hatte sich ihm ein kleiner, rundlicher bebrillter Herr genähert, den die Musik lebhaft interessierte' Er nahm an dem Tische des Geigers Platz und wartete
Nach Beendigung des Spiels ging der eigenartige Musikant sammeln und erhielt reiche Spenden. Am Hono- ratiorentisch warf ihm der Richter einen blanken Taler aus den Teller und rief: „Kein, Mensch soll sagen, die Kunst in Wien leide Hunger. Er geigt einem ja das Herz aus dem Leibe. Kann Er auch Tänze spielen?"
„Ich denke, für Tanzmusik habe ich das beste Talent'" war die beglückte Antwort. Inzwischen hatten sich die Spenden so gehäuft, daß der Geiger kaum das Kleingeld unterbringen konnte. Nun sprang er begeistert auf den Sessel, von diesem auf den Tisch, und improvisierte einige entzückende „Ländler", denen der kleine dicke Herr mit großer Teilnahme lauschte.
„Von wem waren denn diese prächtigen Stücke"" fragte er den Geigenspieler, „ich kenne doch sonst die Art und Weise aller bekannten Komponisten hier, aber das schlägt ganz aus der Art."
„Das war nur eine Improvisation!" lächelte der junge Mann. „Man wollte Tänze hören,, mir fielen keine ein und so spielte ich eben, was mir in den Sinn kam."
„Auf dem Gebiet fahren Sie fort!" meinte der freundlich Herr gewichtig. „Sie sind ein Walzerspieler, wie ich ihn noch nie gehört habe, und Sie werden auf diesem Gebiet so Vortreffliches leisten wie keiner vor Ihnen." —
Der Virtuose, so vielfältig ermuntert und ermutigt, schien wirklich ernhaft gewillt, -seine Zukunft auf dieser Grundlage aufzubauen. Er erschien bald nicht mehr allein sondern brachte drei Musiker mit, von denen besonders der Violaspieler starken Eindruck machte. Sein schönes Gesicht umwallte üppig-schwarzes Lockenhaar, und das impulsivste Feuer seines Spiels riß alles mit sich fort.
So erlangt denn bald die kleine Künstlerkapelle in Wien einen Ruf, und der Name des jungen Dirigenten Josef Lanner war in aller Munde. Als sie wieder einmal eines Nachts so gegen zwölf Uhr ihr Konzert beendet hatten, gesellte sich der kleine dicke Herr mit der Brille zu ihnen, der einst Lanner den guten Rat gegeben hatte. Der überglückliche Dirigent begrüßte seinen Gönner und Berater enthusiastisch und rief: „Freund, ich möchte Sie umarmen und küssen für all Ihre herzliche Teilnahme." — „Tu es, Bruder!" versetzte der andere. „Auf immerwährende Freundschaft!" Sie schlangen die Arme ineinander und wechselten den Bruderkuß. Lanner, der in großer Aufregung war, rief lachend: „Zum Teufel, nun sag Bruder, wer bist Du, wie ist Dein Name?"
„Wer ich bin? Ein vielgeplagtes Schulmeisterlein, Franz Schubert benamset." — „Was? schrien alle aufspringend. „Franz Schubert? Der Komponist-der herrlichen Lieder?"
„Wie beneide ich Sie um Ihr herrliches Talent!" fiel der Violaspieler lebhaft ein. „So lange man singt, wird der Name Franz Schubert genannt werden." — „— und so lange man, tanzt, wird Josef Lanner genannt!" wehrte lachend der Gefeierte ab.
„Und hier ist noch einer, Bruder Franzl", versetzte Lanner, „unser Violaspieler Er wird mit der Zeit ein gefährlicher Nebenbuhler werden. Der quecksilberne Johann Strauß! Aber das tut nichts, wir werden immer gute Freunde bleiben!"
des Mädchens: „Vorüber, ach, vorüber geh' wilder Knochenmann! Ich bin noch jung, geh' lieber und rühre mich nichr an!" Solche Töne des Todesschreckens, der Ergebung und Verklärung erklingen aus ungezählten Stellen Schubertscher Instrumentalmusik. Besonders sind es die herzzerreißend traurigen Ländler und ländlerartigen Weisen der Seitenthemen in der H-Moll-Symphonie und den, letzten großen Kammermusikwerken, die allesamt zu singen scheinen: „Sollst sanft in meinen Armen schlafen". Nichts wirkt schwermütiger, als eine traurige Tanzweise, die ja eigentlich zur Lust geschaffen ist. „Todeswiegenlieder" möchte ich diese „unter Tränen verklärt lächelnden" Melodien nennen, die für den Meister so ungemein bezeichnend sind. Das Erschütterndste vielleicht, das Schubert geschrieben hat, ist das Scherzo des Streichquintetts in C-Dur aus seinem Todesjahre. Das ausgelassene Getriebe einer Grinzinger Heurigenschänke und im Trio plötzlich die kühle, entrückte Ruhe des Kirchhofs, in der alles Leid der Welt schweigen muß. Der Wurm in Schuberts Herzen, den er „in der Still' mit heißem Stich sich regen fühlte", war die untrügliche Ahnung seines allzu frühen Endes.
Wie Schuberts
volkstümlichste Lieder entstanden
Von Anna Schwabacher-Bleichröder.
Volkstümlich wurden sie fast alle — die mehr als sechshundert Lieder, die uns aus Schuberts kurzem Erdenwallen geblieben sind. Als köstlichen Besitz pries sie Grillparzer, der Freund des Tondichters, mit dem er sich gut verstand.
Hier kann natürlich aus dieser Fülle nur das Entstehen einiger Lieder geschildert werden. Da ist zunächst jenes als Lied kaum noch anzusprechende Tongebilde„E r l- könig" zu nennen, auf das vorzüglich Liszts Ausspruch paßt: „... aus dem kleinsten Lied Schuberts wird oft eine Miniaturoper, voll tragischer und dramatischer Passion." Und nun erfahren wir, daß dieser Sang, der von den vielen Kompositionen des Eoetheschen „Erlkönig" (z. V. Loewe, Zelter) am meisten sich Ewigkeitswert erwarb, in wenigen Minuten geschaffen ward.
Schuberts Freund und Biograph Spaun war Zeuge dieser Inspiration und erzählt: „An einem Nachmittag ging ich mit Mayrhofer zu Schubert, der damals bei seinem Vater am Himmelspfortgrunde wohnte. Wir fanden Schubert ganz glühend, den „Erlkönig" aus dem Buche laut lesend. Er ging mehrmals mit dem Buche auf und ab, plötzlich setzte er sich, und in der kürzesten Zeit, so schnell man nur schreiben kann, stand die herrliche Ballade auf dem Papier. Wir liefen damit, da Schubert kein Klavier besaß, in das Konvikt, und dort wurde der Erlkönig noch am selben Abend gesungen und mit Begeisterung ausgenommen. Der alte Hoforganist Ruzicka spielte ihn dann selbst ohne Gesang in allen Teilen aufmerksam und mit Teilnahme durch und war tief bewegt über die Komposition. Als einige eine mehrmals wiederkehrends Dissonanz anfechten wollten, erklärte Ruzicka, sie auf dem Klavier anklingend, wie sie hier notwendig dem Text entspreche, wie sie vielmehr schön sei und wie glücklich sie sich löse."
Damit ist die wunderbar dramatische Stelle: „Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an", worin das Grauen des Knaben meisterhaft zum Ausdruck gelangt, gem'eint. .
Auch der „Wanderer" war schnell, wie Schubert überhaupt schuf, entstanden, und ebenso schnell von ihm über Neuem, ihm unaufhaltsam Zuströmendem wieder vergeben worden. Michael Vogl, der bedeutende Wiener Opernsänger und Schubertliederinterpret, hatte den „Wanderer" für sich aus seiner Urfassung in eine etwas tiefere Stimmlckge transponiert und sang ihn ihm Schubertkreis. „Schaut's", meinte Schubert, „das Lied ist nit uneben, von wem ist denn das?"
Und wie entstand „Die Forelle"?
Schubert war mit den Brüdern Josef und Anselm Hüttenbrenner sehr befreundet und wollte sich einmal jo recht dankbar für die treuen Dienste zeigen, die ihm Joses als Sekretär und Kopist geleistet hatte. So sandte er an Josef Hüttenbrenner dies entzückende kleine Tondrama von Leid und Freud und dem kurzen, froh dahinplätschernden Erdendasein der Forelle, Am 21. Februar 1818 um Mitternacht hatte es der Meister bei Anselm Hüttenbrenner aufs Papier geworfen und in der Eile beglückten Schaffens sogar das' Tintenfaß statt der Streusandbüchse darüber geschüttet.
Die Müllerlieder, in denen alle Romantrk deutschen Volkstums pulst, enstanden so: Schubert weilte zu Besuch bei seinem Freund Randhartinger. Dieser — spater Hofkapellmeister — war als Privatsekretär beim Grafen Szechenyi angestellt. Randhartinger wurde aus seiner Wohnstube. in der er Schubert empfangen hatte, zu fernem Diensthernn berufen und Schubert blieb allein. Unwillkür- lich trat er an des Freundes Schreibtisch. Dort lag offen 'ein Eedichtband. Schubert blickte hinein, las, vertiefte sich, steckte endlich, gedankenvoll, das Buch ein und eilte fort. Randhartinger kam zurück, vermißte den Freund, dann das Buch, ging andern Tags zu Schubert. Der endschuldigte sich und zeigte freudeglühend dem kunstverständigen Freunde die fertigen ersten Müllerlieder. Sie waren über Nacht entstanden. Einige weitere Nummern dieses Liederzyklus wurden geschaffen, während Schubert bald danach krank im Spital lag.
Von diesen Müllerliedern sprach des Textdichter Ot- fried Müllers, Sohn dies Wort: „Sie schließen bei aller Schlichtheit des Ausdrucks die ergreifende und verklärende Gewalt einer Liebestragödie in sich". Wie wahr erweist sich dieses Wort für das Lied: „Ich schnitt es gern in alle Rinden ein". Wie durchzittert vom Hangen und Bangen der Liebe ist das vom „Neugierigen" mit der Endfrage: „Sag, Bächlein, liebt sie mich?" und der wehmütige „Morgengruß — so muß ich wieder gehen?", während die Seligkeit erwiderter Liebe das Lied durchbraust „Bächlein, laß Dein Rauschen sein... die geliebte Müllerin ist mein".
lieber die Entstehung des reizenden Ständchens „Horch, horch auf die Lerche imAetherblau" (nach Shakespeare) hören wir: „Schubert befand sich eines Sonntags im Sommer 1826 mit Bekannten von Pötzleins- dorf aus auf dem Heimweg nach der Stadt, als er beim Wandern durch Währing Freund Tieze im Easthausgarten zum „Biersack" an einem Tische sitzend sah. Die Gesellschaft beschloß daher ebenfalls Rast zu machen. Tieze hatte ein
Buch vor sich liegen, in dem Schubert alsbald zu blättern begann. Plötzlich hielt er inne'und, auf ein Gedicht zeigend, äußerte er: „Mir fällt da eine schöne Melodie ein, hätte ich nur Notenpapier bei mir". Dopler zog nun auf der Rückseite eines Speisezettels die entsprechenden Linien und, inmitten eines durch Harfenisten, Kegelschieber und hin und her eilende Kellner verursachten, echten Sonntagstumultes schrieb Schubert das reizende Liedchen auf".
Ebenso rasch entstand das Grillparzersche Ständchen: „Zögernd leise in des'Dunkels nächtger Still e". Schubert entsprach mit dieser Komposition einem Wunsch seiner Gefährtinnen, der Schwestern Fröhlich. „Nachdem ihm Fräulein Fröhlich eines Tages das Gedicht (Grillparzers) überreicht, zog sich unser Musiker", so schreibt der Biograph, „in eine Fensternische zurück, las die Verse ein paarmal durch und sagte dann lächelnd: „Ich hab's schon, es ist schon fertig und wird recht gut werden"." Wenige Stunden danach war die Komposition fertig.
Die ganze Schwermut, die namentlich während der letzten zwei Lebensjahre des kränkelnden Meisters, dessen goldenen Frohsinn durchbrach, ist in der Liederserie „W i n t e r r e i s e" niedergelegt. Dieser Zyklus scheint nach einem zu Freunden geäußerten Wort darüber des Meisters liebstes Kind gewesen zu sein. Er entstand im Jahre 1826, und wir finden darüber in Spauns Aufzeichnungen folgenden Vermerk: „Schubert war durch einige Zeit düster gestimmt und schien ergriffen. Auf meine Frage, was in ihm vorgehe, sagte er zu mir: „Ihr werdet bald hören und begreifen". Eines Tages sagte er zu mir „Komm heut zu Schober (guter Freund Schuberts), ich werde Euch einen Zyklus schauerlicher Lieder Vorsingen, ich bin begierig, zu sehen, was Ihr dazu sagt, sie haben mich mehr ergriffen, als dies je bei anderen Liedern der Fall war". Und Schubert sang dem Freundeskreis mit bewegter Stimme die ganze „Winterreise". Alle waren von, der düsteren Färbung dieser Lieder erschüttert und schwiegen zunächst. Schober urteilte endlich, ihm habe nur ein Lied darunter gefallen: „Der Lindenbaum". Und da tat Sch«- bert einen sehr bedeutungs- und ahnungsvollen Ausspruch: „Mir gefallen diese Lieder mehr als alle anderen, und sie werden Euch auch noch gefallen".
Freilich ist es etwas ganz Eigenes um diese Lieder -- eine Vollendung, eine Offenbahrung — alles Erdenweh klingt darin: „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ick wieder aus"; hier wiederholt sich, nur schauerlicher, das Wanderermotiv vom „Fremdling überall", das dem Genre beschiedene Erdenlos. — .
Dann „Der Wegweiser" und „Der fE i ermann" und „Frühlingstraum", der bunte Bl ^ men, wie sie im Mai blühen, vorgaukelt. Beim Erw ch verwandeln sie sich in Eisblumen am Fenster, dre av noch den Lenz ahnen lassen. ^ ^
Das war es ja, was Schubert uns in fernen . hinterließ: Lenz, ewigen Lenz. Auch ihm war es ^ den, gleich Heine aus seinen großen Schmerzen dre -
Lieder zu machen mit dem Trillern der Lerche rm h
blau, mit dem Schluchzen der Nachtigall, die den schmerz kennt. Gleich Lerche und Nachtigall, gleich g und schöner Müllerin, Wald und Wiese, Siebes Liebesfreud bleibt Schubert so lebendig und unst m seinen Liedern!