Freitag, 19. Oktober 1928
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Mit den illustrierten Unterhaltungsbeilagen „Feierstunden" u. „Unsere Heimat"
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vezugspreise: Monatlich einschließlich Trägerlohn 1.80; Einzelnummer 10 L. — Erscheint an jedem Werktage. — Verbreitetste Zeitung im O.-A.-Bezirk Nagold. — Schriftleitung, Druck und Verlag von G. W. Zaiser (Karl Zaster) Nagold
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Nr. 247
Gegründet 1827
Samstag, den 20. Oktober 1928
Fernsprecher Nr. 29
102. Jahrgang
Tagerspiegel
Der englische Schahkanzler Churchill und der Dawes- agent Parker Gilbert sind aus London in Paris eingetroffen und hatten eine Unterredung mit Poincare über Ent- schädigungsfragen.
Der Generalstreik in Lodz (Polen) geht weiter. Die Ar- beiterv.ctreter haben die Angebote der Arbeitgeber abgelehnt. Die Streiks in petrikau und Lzenstochau sind zu- iammengebrochen.
Politische Wochenschau
Was sie über die Fahrt „Graf Zeppelin's" sagen / Politik und „Graf Zeppelin" / Eine schwäbische Leistung / Wie klingt auf einmal die Sprache in England! / Also sprach Macdonald am 14. Oktober im Reichstag / „Da er den Bissen genommen, fuhr der Satan in ihn" / Reichsreform- Programm oder literarisches Material / Um die Konkordate Unsere Handelsbilanz wird günstiger / 89V Millionen Abmangel Steuererhöhung.
An der Spitze der Weltereignisse dieser Woche steht die gelungene Ozeanfahrt des „Gras Zeppelin". Ihrer nationalen und wirtschaftlichen Bedeutung entspricht vielleicht am besten das Glückwunschschreiben des amerikanischen Botschafters Schurmann an Dr. Ecken er, wenn es dort heißt: „Sie siegten glänzend über widrige Elemente. Dies lieferte den praktischen Beweis für die Richtigkeit Ihrer mir kürzlich in der Berliner Botschaft erläuterren Theorie von der Ueberlegenheit des Luftschiffs überdas Flugzeug im Sturm. Sie haben überzeugend die Möglichkeit eines transatlantischen Handelsflugverkehrs bewiesen. Dies ist ein neuer Sieg deutscher Wissenschaft, Mutes und Ausdauer."
Auch politisch kann und wird Zeppelins Ozeanfahrt nicht ohne Nutzen sein. Die Hochachtung, die Deutschland durch solche Leistungen in den Lüften und durch seine staunenswerten Fortschritte auf den: Gebiet der Technik sich bei andern Völker, namentlich bei dem reichsten Volk unseres Planeten verschafft hat, muß naturgemäß ihre wohltätige Wirkung auch auf die internationalen Beziehungen ausüben. Es liegt nur an uns, daß wir derartige unwägbare und doch schwerwiegende Errungenschaften alsbald auch politisch ausnützen. Man muß auch in der Politik das Eisen schmieden, solange es noch heiß ist.
Für uns Schwaben haben alle diese deutschen Großtaten noch eine besondere Bedeutung. Dr. Köhl, Graf Zeppelin, Dr. Dürr und wie alle diese Männer der Tat und der Technik heißen mögen, sie sind Fleisch von unserem Fleisch. Der Luftschiffbau in Friedrichshafen ist speziell eine schwäbische L e i st v n g. Gewiß, haben die andern deutschen Stämme in Wissenschaft und Kunst und Technik Großes und Größtes geleistet, aber wir Schwaben können uns neben ihnen sehen lassen. Doch ob Schwabe oder Preuße, gleichviel, es ist wieder eine deutsche Tat im Dienste der friedlichen Zusammenarbeit der Völker und zu Nutz und Frommen der ganzen Menschheit.
Wenn nur etwas von dieser neuen Wertschätzung, die Deutschland im Rat der Völker aus ureigener Kraft sich erkämpft hat, sich auch irgendwie wirksam auf die zwischenstaatlichen Verhandlungen abfärben würde, denen wir heute mit größtem Interesse entgegensetzen. Wir meinen die Erörterung der Fragen über Räumung und Entschädigungen, auch über die Abr ü st u n g. Aber wir fürchten, daß ein Poincare und Briand umgekehrt wieder behaupten werden, aus dem Zeppelin-Erfolg ersehe man, wie gefährlich und unabgerüstet die Deutschen seien. Wenn freilich die Stimmen, die man kürzlich aus England hörte, entscheidenden Wert hätten, so würden uns die allerbesten Aussichten winken. Da ist die Wahlrede von Lloyd George, die er am 12. Oktober inParmouth gehalten hat. Jeder Satz ein wuchtiger Keulenschlag gegen die Politik der gegenwärtigen englischen Regierung, jeder Tatz eine Anerkennung Deutschlands. Chamberlain sei ^öiglich eine Figur, die von andern geleitet werde, Cushendun vollends ein bloßes Grammophon, aus dem Londons Staatsmänner sprächen. Die gegenwärtige Außenpolitik Englands stelle eine Gefahr für den Frieden Europas und der Welt dar, das englisch-französische Abkommen der unheilvollste Vorgang seit dem Kriege, der Versailler Vertrag eine Erpressung, Englands Verhalten in der Räu- "rungsfrage ein Wortbruch, eine Politik gegen Italien ein Minn, eine Vereinbarung gegen Amerika geradezu ein Wahnsinn.
So spricht ein Lloyd George, dem England den Sieg des Weltkriegs verdankt! Nun dürfen allerdings Wahlredner, vollends von Männern, die eine absterbende Partei (Lloyd George ist Liberaler) vertreten, nicht in allen Worten ernst genommen werden. Aber immerhin muß den Worten eines ehemals führenden Staatsmanns heute noch Gehör geschenkt werden, vollends wenn sie sich fast in demselben Geleise bewegen wie die Aeußerungen eines ebenfalls hervorragenden Staatsmanns und Parteiführers. Macdonald hat om 14. Oktober im vollbesetzten Plenarsaal des Reichstags
in Berlin einen Vortrag über die Probleine des Friedens gehalten. „Sie sind entwaffnet", rief der Redner den Deutschen zu, „nicht nur infolge des .Kriegs, sondern auf Grund eines Dokuments, das den anderen die gl ei me Verpflichtung auferlegt. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß es die Ehre Großbritanniens erfordert, ein solches Dokument nicht nur dem Wuchstaben, sondern auch dem Geist nach zu erfüll«»."
Na, wir wollen uns dieser Worte erinnern, wenn Macdonald, der Führer der großen englischen Arbeiterpartei — die übrigens, wie er auch in Berlin erklärt hat, streng national eingestellt ist — wieder Englands Ministerpräsident werden sollte. Hoffentlich wird ein anderes Wort nicht an ihm wahr werden: „Da er den Bissen genommen hatte, fuhr der Satan in ihn."
Was unsere deutsche Heimat angeht, jo ist es merkwürdig rasch wieder über das R e i ch s r e f v r m - Programm des Lutherbunds still geworden. Namentlich scheint die vorgeschlagene Lösung der Kernfrage über das Verhältnis von Reich und Preußen wenig Anklang zu finden. Wäre ja viel gewonnen, wenn dieser „Dualismus", der unzählig viel Streit und Widerwärtigkeiten in den Berliner Ministerien verursacht, endlich einmal aus der Welt geschafft würde. Dr. Luther will nun aus Preußen ein „Reichsland" machen, ein dem Reich innia einoerleibtes Gemeinwesen, das den
Staatspräsidenten, den Ministerpräsidenten und die Ministerien völlig mit den obersten Reichsinstanzen teilt. Bereits aber hat die Preußenregierung glatt abgelehnt. Aber auch Bayern will nichts von den Reformvorschlägen wissen, allerdings aus anderen Gründen. Mit diesen beiden Ablehnungen, ganz abgesehen von dem Widerspruch, den der Plan fast in der gesamten Presse erfahren hat, dürste das Programm bereits erledigt sein und als „literarisches Material" auf später gelegene Zeiten zurückgestellt werden.
Viel Staub hat eine weitere Zeitungsmeldung aufgewirbelt, nämlich die Mitteilung von einem angeblich nahe bevorstehenden Abschluß eines preußischen Konkordat s d. h. eine Vereinbarung zwischen dem Papst und dem preußischen Staat über allerlei kirchlich-staatliche Fragen, als da sind Abgrenzung von Bistümern, Neuschaffung dreier Bistümer, Vorbildung von deutschen Geistlichen in Rom, Mitwirkung der Kirche bei Besetzung von philosophischen Lehrkräften oder Ernennung von Religionslehrern usw. Ist dem so, dann dürfte es wieder genug Aufregung und Kampf absetzen. Bis heute steht es so, daß die Kommunisten und die Vö-kischen grundsätzlich alle Konkordate ablehnen, während alle anderen Parteien (Sozialdemokraten, Demokraten, Deutschnationale und Deutsche Volkspartei) ihre Stellungnahme von der Gestaltung des Abkommens abhängig machen. Bekanntlich hat seinerzeit Außenminister Dr. Streümann Reichstag sich für ein Reichst on-
Tleuyorf, 19. Okt. Die Norgünge bei der Landung des „Grafen Zeppelin" in Lakehurst, die bei einigen Fahrgästen — nicht bei Dr. Ecken er und seiner Mannschaft — so große Entrüstung erregten, daß z. B. der preußische Innenminister Erzesinski sich zu einer sehr unklugen und gefährlichen Ansprache in Lakehmrst Hinreißen ließ, erscheinen nach den neueren Berichten in wesentlich anderem Licht, als die ersten Funk- und Zeitungsmeldungen sie darstellten. Bei dem Eintreffen des Luftschiffs gerieten die Massen, die so lange auf dem Flugplatz der Ankunft geharrt hatten, außer Rand und Band und sie zerbrachen die Polizeikette. Es war begreiflich, daß die Polizei in dem Chaos keine zarten Rücksichten mehr nahm, und wenn dabei einer oder der andere der Fahrgäste, als sie durch die Menschenknäuel zur Zollstelle geführt wurden, versehentlich auch einen Puff davontrug, so hätte er dies in Anbetracht der Umstände eben mehr von der „heiteren" Seite nehmen, jedenfalls aber übertriebene Beschwerden vermeiden müssen.
Es wird jetzt als sicher festgestellt, daß die tatsächlich entstandene Verstimmung namentlich auch auf amerikanischer Seite in der Hauptsache auf die Ueberempfindlich- keit einiger Fahrgäste zurückzuführen ist. Und in amerikanischen Kreisen sagt man, daß bei einer derartigen Gelegenheit Unvorhergesehenes eintreten kann, das man eben hinnehmen muß. Wer das nicht wolle oder könne, bliebe besser zu Hause.
Zu der Tatsache, daß einige Fahrgäste es besonders übelnahmen, daß sie „wie Schmuggler" durch die Zollrevision hätten gehen müssen, erklärt der deutsche Generalkonsul in Neuyork, v. Lew inski, es sei ganz in der Ordnung gewesen, daß man den Zeppelin als Verkehrsluftschiff angesehen habe, das wie ein Ozeandampfer zu behandeln sei, damit kein Vorgang geschaffen werde, der später unbequem werden könnte. — Der Vorgang ist auch für andere Länder und für die Zukunft des Luftverkehrswesens bedeutsam.
Eine weitere Quelle der Verstimmung brachten eine Tafelordnung und sonstige Einladungen, die nicht an alle ergangen sind. Grzesinski erhielt bei dem Festessen in Neuyork weit unten seinen Platz, was ihn stark verschnupfte. Auch erhielten manche Fahrgäste keine Theaterkarten, was neue Aufregung schuf. Die Fahrgäste scheinen an der f a l s ch e n V o r st e llu n g zu leiden, daß sie wegen gleichen Heldentums gleiche Ehren wie Eckener und seine Mannschaft beanspruchen könnten. Der Amerikaner hat aber ein richtigeres und feineres Empfinden für wirkliches Verdienst, und es wäre in Amerika undenkbar gewesen, daß z. B. der Mitfahren^e Levin in derselben Weise gefeiert worden wäre wie der wagemutige Pilot Chamberlin, wie es seinerzeit in Kottbus und Berlin geschah. Deshalb hat man bei den Festlichkeiten in Neuyork die Aufmerksamkeiten auf die Luftschiffbesatzung beschränkt. Mehr Augenmaß bei gewissen Fahrgästen hätte die richtige Einstellung gefördert, und sie hätten sich nicht als „gekränkt" zu fühlen gebraucht. Die fatale Rede Grzesinsiks in Lakehmrst wurde von der Neuyorker Presse völlig übersehen, erst die deutschen Berichte darüber wurden abgedruckt.
Allgemein verurteilt man in Amerika, daß die B e - richterstattung von Bord des Luftschiffs an die drei „Monopoloerlage" verkauft und die Fahrgäste, sowie die Besatzung verpflichtet wurden, bis acht Tage nach der
Landung keine Berichte zu machen. Es wird Dr. Eckener geraten, etwaige ähnliche Verträge für die Heimreise zu brechen, denn Gutes werde nicht erzielt.
Eckener bei Coolidge
Washington, IS. Okt. Dr. Eckener und seine Begleiter sind beute moraen aus Philadelphia in Walbinaton einae-
von Lakehurst
troffen und festlich empfangen worden. Um 9 Uhr begaben sie sich ins Weihe Haus zu einem Frühstück, zu dem Präsident Coolidge sie geladen hatte. Nach dem Frühstück machte Dr. Eckener Besuche im Handelsamt, um für die Unterstützung der Fahrt und die herzliche Aufnahme zu danken. Darauf fuhr er zum Ehrenfriedhof Arlington, um am „Grab des unbekannten Soldaten" einen Kranz niederzulegen. Wis verlautet, stattet Dr. Eckener auch dem amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Hoover auf dessen wiederholte herzliche Einladung einen Besuch ab.
Am Donnerstag gab die Stadt Philadelphia der Zeppelin-Besatzung ein Festessen, zu dem über 1400 Gäste geladen waren.
Die ferner zu bauenden Zeppelinluftschisfe sollen etwa 150 000 Kubikmeter Traggas haben („Graf Zeppelin" hat 105 000), auch soll die Zahl der Motoren (5) vermehrt werden, um eine größere Geschwindigkeit zu erreichen. Man spricht davon, daß für den ständigen Zeppelin-Ozeaiwer- kehr ein europäisches, ein nord- und ein südamerikanisches Konsortium gebildet werden müssen, die aber in bestimmten Rabmen Zusammenarbeiten.
Die neu zu errichtende Werft soll, wie bereits gemeldet wurde, in die Gegend von Basel kommen.
Für die Rückreise nach Deutschland haben sich bereits viele angesehene Amerikaner, zum Test unter Beifügung von Schecks über 3000 Dollar — so hach ist der Fahrpreis — gemldet, es sind aber nur 8—10 Plätze frei. Um möglichst vielen die Luftfahrt über das Meer zu er- möglichen, soll, laut einer Berliner Meldung, eine zweite Amerikafahrt im November oder Anfang Dezember diests Jahres stattfinden.
Die Abnützung des Luftschiffs, das am 3. oder 4. November in Friedrichshafen zurückerwartet wird, betrögt nach einer Mitteilung des Oberinqenieurs Dr. Dürr bei einer Ozeansahrt normal etwa 0,8 v. H.
Nordpolfahrt des „Graf Zeppelin"?
Die Stockholmer Zeitung „Dagens Nyheter" meldet aus Berlin: Die Gesellschaft zur Erforschung d-r arktischen Gegenden hatte kürzlich eine Sitzung unter der Leitung von Professor Frithjof Nansen. Es wurde beschlossen, daß im nächsten Sommer eine große wissenschaftliche Expedition unternommen werden solle, und zwar init dem von der deutschen Regierung zur Verfügung gestellten ,iG r a f Zeppell n". Dr. Eckener werde das Luftschiff selbst führen und habe den Wunsch geäußert, daß Hapa- randa der Ausgangspunkt der Expedition werden solle. Er ist der Ansicht, daß die Fahrt von Haparanda zum Nordpol in 20 Stunden durchgeführt werden könne. Die Expedition soll in den Monaten AprilbisIuni unternommen werden. Diese Monate sind am günstigsten, da in diesem Zeitraum kein Nebel vorkommt. Die größte Schwierigkeit für die Verwirklichung des Plans liegt in der Beschaffung der großen G e l d s u m m e. die zur V e r s i ch e r u n g des Luftschiffs erforderlich ist. Die wissenschaftliche Leitung der Expedition übernimmt Professor Frithiof Nansen, dem zwölf Gelelstte zur Seite stehen werden. Im ganzen soll das Luftschiff 50 Mann Besatzung initnehmen. Als Abschluß der Polarexpedition ist ein Flug über Sibirien nach Alaska beabsichtigt. Man will untersuchen, inwieweit diese Gegenden mit ihren beständigeren Witterungsoerhält- nissen sich besser als der Atlantische Ozean dazu eignen, als Mittelglied für die Verbindung zwischen Europa und Amerika zu dienen.
Zerbrochenes Porzellan
Die Gekränkten