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Nagolder TagblattDer Gesellschafter

Freitag, 22. Juni 1928

Die große Aussprache im württ. Landtag

Im Landtag wurde am Mittwoch nachmittag bei voll­besetzten Tribünen die Aussprache über die Re­gierungserklärung fortgesetzt. Der Abg. Strobel (B.B.) führte aus, dem Abgeordneten Keil sei der Wahler- fvlg seiner Partei so in den Kopf gestiegen, daß er einer klaren Ueberlegung nicht mehr fähig sei. Das Zentrum hatte nur die Wahl zwischen zwei gleich großen Parteien, der Rechten und der Sozialdemokratie und da konnte ihm die Wahl wirklich nicht schwer werden. Der Abg. Scheef (Dem.) erklärte, die Wahl habe ergeben, daß das Volk von der seitherigen Koalition nicht mehr regiert sein wolle. Die richtige Regierung für Württemberg wäre jetzt die Große Koalition. Bei ihr wären auch alle Belange des Zentrums wie in der Vergangenheit gut gewahrt. Desgleichen die Interessen der Landwirtschaft. Die Regierung müsse sich «ine BertrauensgnMdlage schaffen und handle verfassungs­widrig, wenn sie es nicht tue. Auf keinen Fall habe der Kultminister Bazille das Vertrauen des Landtages.

Der Aba. Bock (Ztr.) bezeichnete den Vorwurf, daß die neue Regierungsbildung den Bolkswillen mißachte, als un­haltbar. Die Sozialdemokratie habe im letzten Reichstag, in dem sie nicht an der Regierung teilnahm, doch wohl auch den Bolkswillen mißachtet. Jetzt wolle sie in Württemberg plötzlich mittun, aber das Zentrum brauche nicht nach ihrer Pfeife zu tanzen. Schärfste Verurteilung verdiene, daß bei der Wahl eines katholischen Staatspräsidenten Sozialdemo­kraten und Demokraten die Instinkte der evangelischen Be­völkerung aufgepeitscht und so ein S p i e l m i t de n kon­fessionellen Gegensätzen getrieben haben. Das Zentrum habe das Amt des Staatspräsidenten nicht ge­sucht. es habe seit 1913 ununterbrochen in Reich und Land die Verantwortung getragen, während sich die Sozialdemo­kratie oft von der Regierung weg in die Büsche schlug. Der -esu^>e schwäbische Menschenverstand sollte es jedem ein- g^»en. daß es eine politisch« Selbstentleibung bedeutet, wenn wir die Hoheitsrechte, die uns noch geblieben sind, aufgeben.

Die Aussprache wurde am Donnerstag vormittag

Tot aufgesunden. Betriebsunfall. In der Neckarstraßc wurde ein 55 Jahre alter Mann tot aufgefunden. Wie fest­gestellt wurde, hatte er einen Herzschlag erlitten. Bei der Schachtarbeiten an der Neckaroerlegung zog sich abends ein 20 Jahre alter Erdarbeiter eine Knieverletzung zu. Ein ihm zu Hilft kommender 46 Jahre alter Mitarbeiter stürzte in den Schacht hinab und erlitt eine erhebliche Kopfverletzung.

Cannstatt, 21. Juni. Teilaussperrung beim Neckarkanal. Die Arbeiten am Neckarkanal erfahren gegenwärtig teilweise eine Verzögerung, da die Zimmer­leute infolge Aussperrung seit letzten Freitag nicht arbeiten. Wie die Cannstatter Zeitung erfährt, sind zwischen der Unternehmerin, der Süddeutschen Held und Franke AG. und ihren Zimmerleuten infolge der Arbeitszeit Differenzen entstanden. Als Gegenmaßnahme hat darauf der Verband der Zimmerleute über die Held und Franke AG. ebenfalls die Sperre verhängt. Es ist zu befürchten, daß bei längerer Dauer auch andere Arbeitsgruppen in Mitleidenschaft ge­zogen werden.

Aus dem Lande

Lndwigsburg. 21. Juni. Verleihung der Ret- tungsmedaille. Der Staatspräsident hat dem Polizei­oberwachtmeister Franz Niggel beim staatlichen Polizei- anU Ludwigsburg die Rettungsmedaille verliehen.

hall. 22. Juni. Zum 60. Geburtstag von Dia­konissenpfarrer Weißer. Dieser Tage feiert der Leiter der Diakonissenanstalt in Schwäb. Hall, Pfarre« Gottlob Weißer, seinen 60. Geburtstag. Er wurde, nach­dem er vier Jahre als Pfarrer in Dürrenzimmern OA. Kim- zelsau tätig gewesen war, im Jahr 1899 zur Uebernahme der Leitung des genannten, damals in schwerer Krise be­findlichen Liebeswerks berufen. Er war der rechte Mann am rechten Platz und wenn heute die Haller Diakonissen- anstalt zu einem ansehnlichen Zweig am Baum der Inneren Mission herangewachsen ist, so ist dies nicht zum wenigsten der kraftvollen Persönlichkeit und der nun bald 3ysährigen, umsichtigen und hingebenden Tätigkeit ihres Leiters zr danken.

zu Ende geführt. Mißtrauensanträge lagen vor ge» gen die ganze Regierung seitens der Kommunisten, der Sozialdemokraten und der Demokraten, außer­dem noch ein besonderer soz. Mißtrauensantrag gegen den Kultminister. Der Abg. Rath (D.V.) erklärte, daß feine Partei nicht aus persönlichen, sondern aus sachlichen Grün­den einen Wechsel in der Person des Kultministers wünsche, aber eine Linkskoalition nicht erstrebe und den Staatsnot­wendigkeiten weitgehendst Rechnung trage. Der Abg. Kling (Ehr. V.) entwickelte das Programm seiner Partei und betonte dabei, daß auch für das Glatteis der politischen Betätigung christliche Grundsätze maßgebend sein müssen. Cr erklärte das Einverständnis mit den Grundzügen der Regierungserklärung, verlangte die Vorlegung eines Schankstättengesetzes zur Bekämpfung des Älkoholismus, eine strengere Durchführung der Polizeistunde und auch die Durchführung des 8. Slbuljahres. Durch sachliche Arbeit werde seine Partei der Regierung Gelegenheit geben, iht Programm einzulösen und sie werde sich nicht als Mittel da. zu benützen lassen, um die Regierung zu stürzen, verbitte sich aber die Anrempeleien in der Presse des Bauernbundes. Kultminister Bazille hätte erwartet, daß ein Mißtrauens­antrag gegen ihn mit unwiderlegbaren Tatsachen beleg» würde. Ein solche Beweisführung sei aber nicht möglich. Der bürgerliche Stimmenrückgang sei im Reich wie in Würt- temberg auf die Aufwertungsgesetzgebung zurückzuführen. d,e zu einer schweren seelischen Verwirrung des deutschen Volkes geführt habe. Die württembergische Regierung sei stets aufwertungsfreundlich gewesen. Auf eine persönliche Bemerkung des Abg. Heymann erwiderte Kultminister Dr. Bazille, daß Beamte kein Recht haben, Dinge den Abgeordneten in der Absicht mitzuteilen, daß diese Dinge dann gegen den Vorgesetzten Minister verwertet werden. Damit war die Aussprache beendigt.

Donnerstag nachmittag um 4 Uhr tritt das Haus wieder zusammen, um über die Mißtrauensanträge sowie über die Amnestieanträge abzustimmen.

Aalen, 21. Juni. Gewerbeförderung. Präsiden! o. Iehle vom Württ. Landesgewerbeamt war mit Beglei­tung hier, um Einsicht zu nehmen in die hiesigen Fach- und Berufsschulen, die Gewerbe-, Handels- und Frauenarbeits­schule. Präsident v. Iehle sprach seine Befriedigung aus über das in den Schulen und Betrieben Gesehene und Ge­hörte, bat um Zusammenarbeit mit seinem Amt und empfahl die fleißige Benützung der Einrichtungen des Landesgewerbe amts.

Lustnau OA. Tübingen, 21. Juni. Einer, der sich ins Unglück stürzen will. Der seit einigen Wochen vermißte 15jährige Malerlehrling Erwin Stiegler hatte sich nach Frankreich begeben, um in die Fremdenlegion ein­zutreten, wurde jedoch wegen seiner Jugend zurückgewiesen. Bei einem abermaligen Versuch, über die Grenze zu ge­langen, wurde er gefaßt, nun nach Tübingen verbracht und dem Jugendamt übergeben.

ZHUngen OA. Neresheim, 21. Juni. Brieftauben­besuch. Abends traf der Sohn des Kaspar Herdeg hier in seinem Haus eine Brieftaube an. Er wurde auf sie auf­merksam, weil sie ganz zutraulich auf ihn zukam und sich ohne weiteres von ihm in die Hand nehmen ließ. Am linken Fuß steht auf Gummiband: Saxonia Dresden Nr. 4547. Auf einem Nägel jst zu lesen: Dresden Nr. 23 Hans Sachs. Straße 54 Neelmejer.

Rotkwest. 21. 3uni. Meineid. Das Schwurgericht hak den Uhrmacher Theodor Brunnenkrauk in Schwenningen un­ter Ausschluß der Oeffentlichkeit wegen Meineids zu 7 Mo­naten und 15 Tagen Gefängnis verurteilt.

Oberndorf a. N.. 21. 3uni. Unfälle. Zu dem Bericht über den Unfall des 16 3. a. 3akob Skoll aus Dobel bei Dornhan kann noch berichtet werden, daß dem Stoll noch am Sonntag abend im Oberndorfer Krankenhaus die rechte Hand hinter dem Handgelenk abgenommen werden mutzte Stoll soll, wie bekannt wurde, mit einer alten Pistole, die ' nur mit Pulver und Papierpfropfen geladen war. hantiert > haben, dabei ging der Schutz los und zerriß ihm die Hand, j

Großaspach OA. Backnang, 21. Juni. Beisetzung des früheren Abgeordneten Schultheiß Müller. Dienstag nachmittag wurde Schultheiß und frü­herer Landtagsabgeordneter August Müller auf dem Friedhof seiner Gemeinde an dem Tag, an welchem er vor 23 Jahren als neugewählter Ortsvorsteher in sein Amt ein­gesetzt wurde, zur letzten Rübe beigesetzt. Zahlreiche Kranz- niederlegungen zeugten von den Verdiei sten, dem Anseher und der Beliebtheit des Verstorbenen.

Donzdorf OA. Geislingen, 21. Juni. Verlegung der Gräflichen Domänedirektion. Wie der Hohenstaufen" aus sicherer Quelle erfährt, soll die Gräfl. Rechbergsche Domänedirektion vom Ramsberg nach Donz- darf verlegt worden.

Tübingen, 21. Juni. Schwurgericht. Der 20 I. a. led. Dienstknecht Eugen Berthold von Genkingen, wegen Diebstahls, Unterschlagung und Betrugs zurzeit im Zellen­gefängnis Heilbronn, wurde vom Schwurgericht wegen versuchten schweren Raubs und versuchten Totschlags unter Einbeziehung einer früheren Strafe zu acht Jahren sechs Monaten Zuchthaus und acht Jahren Ehrverlust verurteilt. Er hatte in Genkingen auf den 16 I. a. Mechanikerlehrling Dongus nachts einige Schüsse abgegeben, ohne ihn zu treffen.

Pforzheim, 21. Juni. Notlandung. Ein Böblinger Flugschüler mußte auf dem Sonnenberg eine Notlandung in einem Getreidefeld vornehmen. Das Leichtflugzeug, das sich mit dem Vorderteil in den weichen Ackerboden eingebohrl hatte, wurde dabei etwas beschädigt und nachmittags von einem Böblinger Auto abgeholt. Der Flieger selbst hat kei­nen Schaden erlitten.

Aus Stadt und Land

Nagold, 22. Juni 1928

Die wahre Größe ist ungezwungen, vertraulich leutselig. Sie läßt sich nahe kommen und mit sich um­gehen; sie verliert nichts, wenn man sie in der Nähe steht; je mehr man sie kennen lernt, desto mehr be­wundert man sie. Jean de La Bruyere.

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Dienstnachrichten

Auf Grund der am 4. Juni und den folgenden Tagen abgehaltenen 2. Volksschuldienstprüfung sind 67 Lxhrer und Lehrerinnen zur ständigen Anstellung an evangelischen Volksschulen für befähigt erklärt worden, u. a.; Beck Walter von Obertal O.A. Freudenstadt, Brenner Johannes von Kuppingen O.A. Herrenberg, Brösamle Karl von Hildrizhausen O.A. Herrenberg, Dürr Adolf von Walddorf O.A. Nagold, Höhn Albrecht von Fried- richstal O.A. Freudenstadt, Hornberger, Gottlob von Horb, Maulbetsch Eotthilf von Pfalzgrasenweiler O.A. Freudenstadt, Blank Martha von Vreitenholz O.A. Herrenberg, Trost Kornelie von Bieselberg O.A. Neuen bürg.

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Der Jugendtag am 24. Juni in Horb.

Fußballspiele und andere Wettkämpfe sind für unsere heutige Sportbewegung unentbehrlich. Sie lenken die Auf­merksamkeit rein äußerlich auf eine Schauseite, die jedoch nicht einzig und allein den Eesamtinhalt der sportlichen Bestrebungen ausmacht. Was hinter dieser Kulisse lebt und webt, was an stiller Arbeit in den Vereinen und Verbänden zur Erreichung des angestrebten Zieles geleistet wird, alles was unserer guten Sache überhaupt an körperlicher und auch sittlicher Schulung innewohnt, das ist das wahre Wesen und Streben der heutigen Sportbewegung. Dies wieder ein­mal eindringlich zu unterstreichen und dem Fernstehenden zu beweisen, ist Zweck und Absicht des Jugendsporttages. Er ist von der Deutschen Sportbehörde für Leichtathletik und vom Deutschen Futzballverband in allen deutschen Gauen auf einen gemeinsamen Tag, den 24. Juni, anberaumt und soll einen Querschnitt durch das sportliche Leben der hierin zusammengeschlossenen Vereine zeigen. Nicht zuletzt soll dieser Tag zugleich aber auch ein Fest unserer Jugend sein, der Jugend, die dauert, solange lebensprühende Kraft und tatenfroher Mut nach Betätigung drängt. Kommenden

Die verlorene Krone

von HenriettevonMeerheimb Roman (Margarete Gräfin von Bünau) dem

Jahre 1866

41. Fortsetzung (Nachdruck verboten.)

Aber du gibst doch alles um seinetwillen auf amilie, Heimat, Freunde! Da kann er doch auch ein pfer bringen!"

Mathilde ich gebe freiwillig nichts auf. Ich werde verstoßen das ist ein Unterschied." .

Na ja, ich sehe schon, wer im Hause Königseck re­gieren wird," meinte Mathilde weise.Du läßt dich gewiß bald arg tyrannisieren, aber ich komme und schaue nach dem Rechten, Schatzerl!"

Das tu nur!" Um Giselas Mund glitt ein zärtlich glückliches Lächeln

Hergott die Stiefmama!"

Die Erzherzogin Albrecht trat soeben in die offene

Tür.

Mathilde hatte die brennende Zigarette schnell aus dem Mund genommen und versteckte sie gedankenlos in den Falten ihres weitgebauschten, luftigen Kleides.

Eine Helle Flamme züngelte auf. Die Erzherzogin Albrecht stieß einen entsetzten Schrei aus und flüchtete mit abwehrend ausgestreckten Händen in die entfernteste Ecke.

Die anderen anwesenden Damen kreischten. Gisela wollte sich auf die in dieser einen Sekunde bereits lichter­loh brennende Gestalt werfen, um der Unglücklichen die Kleider abzureißen, aber Mathilde floh vor ihr zurück. Fort fort ich brenne!" Ein entsetzter Angstschrei brach von ihren Lippen.

Wie eine lodernde Feuersäule, besinnungslos, halb wahnsinnig vor Angst und Schmerz, stürzte sie vorwärts.

Wasser Decken" schrie Gisela und lief der Un­seligen nach.

Der Erzherzog Albrecht stand mit dem Rücken gegen die halboffene Tür seines Rauchzimmers. Er hob lauschend den Kops. Laute Angstschreie gellten zu ihm herein. Im

selben Augenblick sah er auch schon die brennende Gestalt seines Kindes vor sich.

Vor Schrecken gelähmt, blieb er regungslos stehen, während König Ludwig sofort die Decke vom Tisch riß. Tassen, Gläser, Leuchter klirrten zu Boden. Schnell ent­schlossen warf er den dicken Stoff auf die Brennende und preßte sie fest an sich.

Die Flammen züngelten auf, der Rauch schoß in die Höhe und hüllte beide in eine dichte Wolke ein.

Inzwischen hatten die anderen ihre Besinnung wieder­gewonnen. Indische Eebetsteppiche,die am Boden lagen, wurden aufgerafft und über die unglückliche Erzherzogin geworfen. Lakaien schleppten Eimer und Kannen herbei und gossen Wasserströme in die erlöschenden Flammen.

König Ludwig ließ Mathilde sanft zur Erde gleiten. Sein Gesicht war von Rauch und Nutz geschwärzt, seine Hände verbrannt.

Niemand wagte im ersten Moment, die sich am Boden krümmende Gestalt, von den Kleider- und Deckensetzen ver­kohlt herunterhingen, anzurühren. Ludwig war der erste, der sich herunterbeugte und mit Giselas Hilfe die Ver­brannte auf die Chaiselongue legte. Die Lakaien gossen noch immer Wasserströme über Möbel und Parkett aus, obgleich nichts mehr brannte.

Einen Arzt schnell einen Arzt!" schrie Gisela.

Das Gesicht des Erzherzogs Albrecht war aschgrau. Die Damen rangen weinend die Hände. Die Herren standen mit entsetzten, ratlosen Gesichtern herum. Leise verschwand einer nach dem anderen. Niemand hielt sie zurück.

Die Erzherzogin Albrecht lag im Sessel. Ihre Hof­dame reichte ihr ein mit Aeteressenz getränktes Taschen­tuch.Das schreckliche Kind!" stöhnte sie.Natürlich ist allein ihr Ungehorsam schuld. So hören Sie doch auf zu gießen!" Sie zog heftig ihren Fuß fort, als ein kalter Wasserstrahl sie traf.

Gisela beugte sich schluchzend über das Ruhebett. Mit zitternder Hand strich sie über Mathildes Haar. Ganze Strähnen versengter Locken blieben zwischen ihren Fingern. Das Eesichtchen war so vom Rauch geschwärzt, daß man nicht erkennen konnte, ob das auch verbrannt war.

Wr müssen sie in ihr Zimmer bringen," sagte Gisela

zu König Ludwig.Dort können wir erst sehen, wie schwer sie veletzt ist."

Der König schob vorsichtig seine Arme unter den zarten Körper, über dem immer noch der zerrissene, versengte Tep­pich lag. Die Erzherzogin Mathilde wimmerte schwach.

Mit einemmale machte sie die Augen auf. Sie sah in das schöne, traurige Gesicht des Königs, in seinen blauen Augen standen große Tränen des Mitleids, während Gisela eine ihrer schlaff herunterhängenden Hände mit Küssen be­deckte.

So so möchte ich sterben!" hauchte die Erz­herzogin ganz leise. Sie wollte weitersprechen, aber ein ent­setzter Blick trat in ihre weitgeäffneten Augen. Die Worte erstarken in einem furchtbaren Schmerzensschrei, der den Hörern das Blut in den Adern stocken ileß. Schrei folgte

auf Schrei-Schreie, wie nur Menschen, die gefoltert

werden, sie ausstoßen können.

Der König trug die Unglückliche, mehr lausend, wie gehend, in ihr Schlafzimmer und legte sie mit Giselas und der Kammerfrau Hilfe aufs Bett. Erst als die Aerzte ein traten, um Verbände anzulegen, ging er hinaus.

Mit größter Vorsicht wurden die Kleiderfetzen von dem verbrannten Körper entfernt. Gisela kämpfte bei dem An blick, der sich jetzt bot, mit einer Anwandlung von Schwäche. Den ganzen Unterkörper der unglücklichen Erzherzogin oe­deckten furchtbare Wunden, an vielen Stellen war das Fleisch bis auf die Knochen heruntergebrannt. Keine Mor­phiumeinspritzung half bei diesen übermenschlichen Qualen, in den die Unglückliche sich auf ihrem Bette wand.

Gisela kniete neben ihr.

Verlaß mich nicht!" stöhnte Mathilde.

Nein nein, keine Sekunde mehr weiche ich " deinem Bett." ..

Hörst du, Papa Gisela bleibt bei mir!" jannnene die Arme.

Ja ja. mein armes Kind alles, was du w>un, soll geschehen!" versprach der Erzherzog, der d«e Z"9 aufeinanderbiß, um ruhig zu bleiben. Aber er hie" Jammer nicht mehr aus. Er ging vor die Tür und pr v die Stirn an das harte Holz. Ein Weinkrampf schüttelt sonst stets steif aufgerichtete Gestalt.

(Fortsetzung folgt)