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Nagolder Tagblalt „Der Gesellschafter*
Freitag, 1. Juni 1828
Württemberg
Stuttgart, 31. Mat.
Rechkscegierung? Die foz. Schwab. Tagwacht schreibt, es sei nicht ausgeschlossen, daß in Württemberg eine Recht sregierung gebildet werde, indem die Deutsche Volkspartet und der Christliche Volksdienst der Rechtskoalition beitreten. Als Staatspräsident kommen die früheren Staatsminister Dr. v. Pistorius und Dr. Köhler- Tübingen in Frage. Das Zentrum werde sich am Freitag entscheiden.
Dahl der Beisitzer des württ. Oberversicherungsamis. Nach Z 1 der Wahlordnung für die Wahl der Beisitzer der Oberversicherungsämter sind für den Bezirk des Württ. Oberversicherungsamts für die bis Ende 1932 laufende Wahlzeit zu wählen aus dem Kreis der Arbeitgeber und der Versicherten je 160 Beisitzer und je 80 Stellvertreter. Die vorschlagsberechtigten wirtschaftlichen Vereinigungen und Verbände solcher Vereinigungen werden aufgesordert, bis spätestens 10. Juli 1928 bei dem Wahlleiter des Württ. Oberversicherungsamts Vorschlagslisten einzureichen.
Krankheiksstatistik- In der 20. Iahreswoche vom 13. bis 19. Mai wurden in Württemberg folgende Fälle von gemeingefährlichen und sonstigen übertragbaren Krankheiten amtlich gemeldet: Diphtherie 15 (tödlich 2), Genickstarre 1 (—), Klndbetkfieber 1 (1), Körnerkrankheit — (2), Lungen- und Kehlkopftuberkulose 12 (28), Scharlach 5 (—> Tpyhus 4 (-).
70. Geburtstag. Professor a. D. Christoph Kirfchmer konnte in geistiger und körperlicher Frische seinen 70. Geburtstag feiern. Er wirkte 37 Jahre am Stuttgarter Karls- Gymnasium als Lehrer und ist der Herausgeber der bekannten Herzog-Plankschen lateinischen Lehrbücher.
Süddeutsche Tagung für Musikerziehung. Im Konzert- saal der Musikhochschule wurde gestern die Süddeutsche Tagung für Musikerziehung feierlich eröffnet. Professor Ke mp ff sprach als Vorstand der Musikhochschule, Präsident Dr. Sigel für das Kuratorium der Hochschule Begrüßungsworte. Die Wünsche des württ. Kultministeriums überbrachte Ministerialrat Dr. Frey, die der Stadt Stuttgart Oberbürgermeister Dr. L a u t e n s ch l a g e r. Es folgten dann mehrere Vorträge, so von Professor Dr. Moser- Berlin über die Bedeutung der Musik als Erziehungsfaktor im Geistesleben, von Dr. Paul Friedrich Scherber über Musikerziehung, von Dr. Josef W e n z-Godesburg über Iugendmusik und das Kinderlieb.
Aus dem Lande
Heilbronn. 31. Mai. Tantiemenrückstände des Stadttheaters. Nach einer Meldung der „B. Z. am Mittag" soll das Stadttheater Heilbronn mit 40000 Mark Tantieme an Autoren und Verlags im Rückstand sein. Wie nun verlautet, wurden die Theaterbücher seitens des Autorenoerbands überprüft, wobei sich herausstellte, daß tatsächlich zu wenig Tantiemen abgeführt wurden. Die Summe der Rückstände steht noch nicht sest, doch scheint der oben angegebene Betrag bei weitem zu hoch gegriffen. Die Direktion Steng-Krauß ist für die Angelegenheit verantwortlich.
Vöckingen OA. Heilbronn, 31. Mai. Eisenbahnerlos. Auf dem hiesigen Verschiebebahnhof wurden dem Eisenbahnbediensteten Schäfer beide Beine unterhalb des Knies abgefahren.
Hausen OA. Brackenheim, 31. Mai. Tot aufgefunden. Der 80 I. a. Kastrierer Sammet von Dürrenzimmern ist gestern abend in der Nähe von Hausen tot aufgefunden worden. Vermutlich ist er einem Herzschlag erlegen.
Vaihingen a. E.. 31. Mai. D i e K atz e i n d er O r g el. Den Teilnehmern einer Hochzeit fiel es kürzlich auf, daß die Orgel der betreffenden Kirche nicht in gewohnter Weise gespielt werden konnte, auch der Organist soll mit seiner Leistung gar nicht zufrieden gewesen sein. Er suchte deshalb tags darauf nach dem Febler, und siehe da, als er die Orgel öffnete, sprang die seit einigen Taaen vermißte Katze des Mesners aus ihr heraus Kein Wunder, daß die Orgel pfiff, als wollte sie eher Katzen- als Kirchenmusik machen.
Böblingen. 31. Mai. Reiche Stiftung. Ein Sohn der Stadt hat im Einverständnis mit seinen Anverwandten und in Erinnerung an seine hier verstorbene Schwester der Evang. Kirchenpflege eine Stiftung von 60 000 gemacht zur Erbauung eines Gemeindehauses mit der Bedingung, daß der Bau im Jahr 1929 erstellt werde.
Sirchhelm u. T.. 31. Mai. Bodenfunde. Bei Grabarbeiten im „Ranner" wurde ein Männergrab ausgeboben und der Inhalt geborgen. Es handelt sich um einen Kirch- heimer Bauern aus der Zeit des 5. bis 7. Jahrhunderts nach Chr. Bon den üblichen Beigaben fanden sich auf der rechten Seite ein Langschwert, 84 Ztm. lang, auf der linken Seite ein Kurzschwert, unter dem Wehrgehäng noch ein Messer.
Waldhausen OA Geislingen, 31. Mai. 9 0. Geburtstag. Am 1. Juni feiert Oekonomierat Nikolaus Bantleon, der frühere Reichs- und Landtagsabgeordnete, den 90. Geburtstag.
Alm. 31. Mai. Den Verletzungen erlegen. Der Unfall des Ulmer Personenautos, das am Pfingstmontag auf der Staatsstraße Landsberg—Augsburg bei dem Versuch, zwei Motorradfahrer zu überholen, an einen Straßenbaum geriet und sich überschlug, hat sich als wesentlich schwerer herausgestellt, als ursprünglich angenommen wurde. Von den vier Insassen, die aus dem Wagen geschleudert und ins Krankenhaus nach Augsburg gebracht wurden, erlitt nur Frau Dr. Heil weniger schwere Verletzungen, während ihre Mutter, die 75 I. a. Frau Studienprofessor Jsa- bella Roos aus Augsburg, die sich außer mehreren Beinbrüchen auch einen Schädelbruch zugezogen hatte, noch in der darauffolgenden Nacht gestorben ist. Der Zustand von Dr. Heil und Professor Roos ist ebenfalls sehr ernst. Dr Heil ist 43, Professor Roos 75 I. a., letzterer war lange Jahre am Realgymnasium in Augsburg tätig.
Heidenheim. 31. Mai. Arbeitsjubiläum. Der Maschinenformer Wintergerst kann auf eine 40jährige Arbeitszeit bei der Fa. I. M. Voith zurückblicken.
Brenz OA. Heidenheim, 31. Mai. Hohes Alter. Die Margarete Meyer hier konnte gestern ihren 91. Ge- burtstag feiern.
Atzmemmingen, OA. Neresheim, 30. Mai. Anfälle. Am Pfingstsonntag wurden zwei Kinder und ein älterer Mann in der Gemeinde durch rücksichtsloses Fahren angefahren und teils leicht, teils schwer verletzt. Der 81 3. a. Joseph Kohnle wurde auf breiter Straße von einer binler- herfahrenden Radlerin erfaßt und so schwer verletzt, daß er gestern früh diesen Verletzungen erlegen ist.
Rledlingen a. D.. 31. Mai. Jungviehprämi- lerung und Pferdemusterung. Am 10. Mai wurde hier die Jungviehprämiierung der Viehzuchtgenossenschaft Riedlingen abgehalten. Der Veranstaltung wurden 250 Tiere zugeführt. Die Beschickung ist die stärkste gewesen seit Bestehen der Zuchtgenossenschaft. Die Qualität war, wie dies auch von Tierzuchtinspektor Schmucker erwähnt wurde, recht gut. Besonders ausgefallen sind die prächtigen Zuchtergebnisse der verschiedenen im Bezirk ausgestellten Genossenschaftsfarren. Vor allem haben die vargeführten Familien ein sehr schönes Ergebnis gezeigt. In gleicher Weise zeigte auch die Pferdemusterung, die dieser Tage im Bezirk bei 150 Stück vorgenommen wurde, sehr schönes Zuchtmaterial. Am 11. Juli findet hier die Pferdenrämi- ierung durch die Zentralstelle für die Landwirtschaft statt.
Leukkirch. 31. Mai. Als Leiche gekündet. Der 45jährise Bäcker Joseph Buder hier wurde tot aus dem Repsenweiher gezogen. Die Leiche wurde von Badenden aufgefunden. Der Bedauernswerte war seit Montag abgängig und in letzter Zeit stellenlos.
Friedrichshafen, 30. Mai. Offiziers-Zusammenkunft. Die diesjährige Bodensee-Offiziers-Versammlung findet am 10. im Kurgartenhokel in Friedrichshafen statt, i Veranstalter der Zusammenkunft ist der Württ. Offiziersbund. Bekanntlich wird sie jedes Jahr in einem anderen s Uferstaak abgehalten, letztes Jahr fand sie in Konstanz und vor zwei Jahren im Strandhotel Lochau statt- !
Am Samstag, den 2. Juni treffen am Stadtbahnhof die r ehemal. Angehörigen der württ. Luftschiffer hier ein, um ihrer alten Garnisonstadt einen Besuch abzustatten. !
Aus Stadt und Laub
Nagold» 1. Juni 1928
Nichts ist besser verkauft, als was man einem echten Freunde, der's bedürftig ist, schenkt.
Chinesisches Sprichwort
Sitzung des Bezirksrats Nagold am 24. Mai 1928
Den wichtigsten Verhandlungsgegenstand bildete ein Gesuch des Eemeinderats Wildberg um Unterstützung der Stadtgemeinde in ihrer finanziellen Notlage. Es ist allmählich landbekannt, in welche traurige Finanzwirtschaft Wildberg (nicht ganz ohne eigene Schuld) durch die Beteiligung am Ausbau des Schlosses zu einem Sanatorium, aber auch durch die sog. Hohenbuchauer Episode (Schloß Hohenbuchau bei Wiesbaden), hineingetaumelt ist. Wenn nun die Stadtgemeinde auch wieder Eigentümerin des Sanatoriums geworden und zu hoffen ist, daß der in Selbstverwaltung übernommene Betrieb, für dessen ärztliche Leitung eine anerkannt tüchtige und erfahrene Kraft in der Person des Geheimrats Dr. v. N o o r d e n - Homburg gewonnen wurde, in absehbarer Zeit gesundet, so ist es doch unmöglich, die zerrütteten Eemeindefinanzen ohne fremde Hilfe in Ordnung zu bringen. Der Gemeinderat ist zwar gewillt, bei Sanierung der Eemeindefinanzwirtschaft durch einen außerordentlichen Holzhieb selbst nach Kräften ber- zuträgen, daneben aber hat er schon vor Monaten das Finanzministerium gebeten, ein größeres langfristiges ttiederverzinsliches Darlehen aus Staatsmitteln zu gewähren, damit wenigstens die zu drückendsten Bedingungen ausgenommenen Darlehen abgelöst werden können. Das Finanzministerium glaubt aber, daß zunächst die Amtskörperschaft Nagold, welche den Wildberger Verhältnissen näher stehe und am ehesten die eine Dauerwirkung versprechende Form der zu gewährenden Hilfe finden könne, dazu berufen sei, die Stadtgemeinde in ihrer Notlage zu unterstützen, und daß eine Hilfe des Staats nur insoweit in Frage komme, als hiezu die Amtskörperfchast nicht in der Lage sei. So mußte sich der Bezirksrat nun mit der allmählich zu einer Bezirkssorge herausgewachsenen Wildberger Lage beschäftigen: sein nach eingehender Aussprache und unter Vorbehalt der Zustimmung durch die Amtsversammlung gefaßter Beschluß, der St.-Gemeinde Wildberg aus Mitteln der Amtskörperschaft einen Zinszuschuß von 2000 -A zunächst für das Rechnungsjahr 1928 in Aussicht zu stellen, war bestimmt durch die Tatsache, daß die Amtskörperschaft Nagold infolge des Krankenhausumbaues und durch Aufwertung ihrer Markanleihen selbst eine Schuldenlast von insgesamt 500 000 -A zu tragen hat und daß sie (ohne Straßenunterhaltungslasten) z. Zt. zu einer Jahresumlage von 230 000 -4t genötigt ist, also zu einer Belastung der Gemeindekassen, die in Anbetracht der gedrückten Lage der im Bezirk Nagold weit überwiegenden landwirtschaftlichen Bevölkerung nun mit größter Mühe ausgebracht werden kann, ja sogar im Rechnungsjahr 1929 voraussichtlich sich noch erhöhen wird. Aus diesen Gründen kann die Hilfe seitens der Amtskörperschaft nur eine sehr bescheidene sein und muß unbedingt an die Voraussetzung gebunden werden, daß die Stadtgemeinde Wildberg ihrerseits unter Anspannung aller ihrer Kräfte, insbesondere unter weitgehender Heranziehung ihrer Vermögenssubstanz und unter äußerster Sparsamkeit an ihrer eigenen wirtschaftlichen Gesundung stetig mitarbeitet, daß aber nicht zuletzt der Staat ebenfalls angemessene, seiner Leistungsfähigkeit entsprechende Hilfe leistet. — Die Vorarbeiten wegen des Baues der Kleinenztalstraße (einer etwa 20 Km. langen Nachbarschaftsstraße zwischen Simmersfeld — Rehmühle — Kleinenzhof — Calmbach) sind nun soweit gediehen, daß dem Abschluß des Hiewegen zwischen den beteiligten Körperschaften aufzustellenden Vertrages nichts mehr im Wege liegt. Der Gemeinderat Simmersfeld kann zwar mit dem Beschluß der Amtsversammlung, daß bei dem in Aussicht gestellten Baukostenbeitrag der Amtskörperschaft die von der Forftdirektion der Gemeinde Simmesfeld zugesicherten 5000 -4l berücksichtigt werden, nicht einig gehen, verlangt vielmehr erneut vollständige Freilassung dieses Betrags aus der dem amtskörperschaftuchen Beitrag zu Grund zu legenden Berechnung und zwar mit Rücksicht darauf, daß diese 5000 -4l nur wegen der
Die verlorene Krone
von Henriette von Meerheimb Roman
(Margarete Gräfin von Bünau) g^s dem
Jahre 1866
27. Fortsetzung (Nachdruck verboten)
„Sehr liebenswürdig ist der Empfang gerade nicht," flüsterte der Oberst Königseck zu, während sie die Treppe Hinaufstiegen. „Aber freilich, wir find ja hier in Feindesland, und mit jungen Damen und ihren patriotischen Launen darf man nicht rechten. Auf Wiedersehen bei Tisch! Schmecken wird uns das „ungegönnte" Brot des alten Waldstein immerhin."
Mit gemischten Gefühlen stand Königseck in seinem Zimmer, das nach dem Garten hinausging. Eine drückende Hitze herrschte in dem hinter den geschlossenen Läden nur dämmerigen Raum. Oder war nur sein Blut so heiß in dem Gedanken, mit Gisela unter einem Dach zu sein, ohne sie sehen zu dürfen? Er biß die Lippen zusammen vor Schmerz und Zorn. Ihre feindselige Haltung türmte die Scheidewand zwischen ihnen immer höher auf.
Trotz dieser peinlichen Erwägungen empfand er doch auch wieder eine gewisse Erleichterung, daß Gisela dem lebhaften Treiben, welches sich bald in dem Palais Waldslein entwickelte, vollkommen fernblieb.
Das Essen vereinigte alle in dem großen Speisesaal. Auch Offiziere anderer Truppengattungen, die in Prag lägen, kamen aus ihren wenigen Standquartieren herauf.
Bald sprach sich das herum und es kamen täglich mehr Gäste. Das Palais Waldstein war ja eine historische Merkwürdigkeit, die jeder gefehen haben wollte, ehe er Prag wieder verließ.
Die Diener zeigten bereitwillig das g«rze Schloß, ausgenommen wurden nur die Wohnzimmer der jungen Gräfin, die wie eine freiwillig Gefangene ihre Räume nur in aller Morgenfrühe und spät abends zu verlassen schien, um einen kurzen Spaziergang durch den Garten zu machen.
Wenigstens glaubte Königseck sie öfters zu dieser Zeit
im Garten aus der Ferne gesehen zu haben. Er trat aber dann immer sofort von seinem Veobachtungsposten am Fenster zurück.
Die ersten Tage vergingen ohne Störung. Trotz der drückenden Hitze fuhren die Offiziere abends nach der Sophieninsel hinüber, wo Konzert war und sich auch häufig gefangene oder rekonvaleszente österreichische Offiziere ein- sanden, mit denen bald ein freundlich harmloser Verkehr sich entwickelte.
Beunruhigend wirkten aber bald die sich täglich mehrenden Cholerafälle, die unter den in den engen Straßen Prags einquartierten preußischen Truppen rasch Zunahmen. Die schlechtgereinigten Gassen der Altstadt mit den verwahrlosten Wohnungen bildeten eine wahre Brutstätte für die entsetzliche Krankheit, bei der die Aerzte noch völlig im Dunkeln tappten, wodurch und wie sich die Ansteckung eigentlich übertrug. Die ganze Stadt roch übel. Kein Wind wehte — eine glühende Hitze herrschte.
Auch im Palais Waldstein klagte alles über benommenen Kopf und Magenverstimmung.
„Das Wasser aus dem Brunnen riecht abscheulich," meinte Oberst von Balusäck. „Ich mag es kaum zum Waschen verwenden und habe den Leuten schon streng verboten, davon zu trinken. Sie wissen doch, daß unser Schreiber erkrankt ist, Königseck?"
„Jawohl, Herr Oberst. Ich war heute früh bei dem Manne. Er sieht schlecht aus. Die Gesichtsfarbe ist bläulich. Die Oberlippe zuckt krampfhaft. Alle Cholerakranke haben dies fatale Lächeln."
„Herr des Himmels — Königseck! Er wird doch nicht die Cholera haben? Es ist jedenfalls nur eine Kolok?"
„Das hoffte der Doktor. Aber mir gefällt die Geschichte gar nicht."
Das Gesicht des Obersten verfärbte sich. Er war ein mutiger, unerschrockener Soldat, aber vor dem greulichen Gespenst der Cholera, das schattenhaft wie ein Phantom des Todes hinter den preußischen Truppen Herzog, graute ihm.
„Auf alle Fälle muß die Gräfin Gisela sofort das Palais verlassen," meinte Königseck ablenkend, denn mit Entsetzen wurde ihm klar, in welcher Gefahr die immer noch so heH Geliebte hier schwebte.
„Ach, lassen Sie die junge Dame nur für sich selber
sorgen! Die Hauptsache sind unsere Soldaten. Am besten wäre, wir räumten sofort das Palais und quartieren uns anderswo ein."
Der Oberst zog heftig an der Klingelschnur.
„Merne Ordonnanz soll kommen!" rief er dem Diener zu, der mit seltsam verstörtem Gesicht in der Tür erschien.
„Die Ordannanz des Herrn Obersten ist vor einer halben Stunde bewußtlos auf der Treppe zusammengestürzt. Jetzt hat der Mann furchtbare Krämpfe," berichtete der Diener mit zitterndem Unterkiefer. „Die Preußen haben uns die Cholera mitgebracht."
„Dummkopf — in euren krummen Gassen haben wir sie uns geholt!" stieß der Oberst zornig hervor. „Mensch, ! stehen Sie nicht da und schlottern wie ein altes Weib! Schaffen Sie Eis — einen Lazarettgehilfen! — Kommen Sie, Königseck, wir wollen selber sehen, ob die Kranken alles haben, was sie brauchen."
„Es ist bereits für alles Nötige gesorgt worden, Herr Oberst." Der Diener suchte gewaltsam seiner zitternden Stimme Festigkeit zu geben. „Die gnädige Gräfin ordnete selbst alles an."
„Die Gräfin Gisela ist bei den Kranken gewesen? Königsecks Gesicht wurde totenblaß. „Großer Gott, wenn sie sich ansteckt! Sie muß fort — jetzt in dieser Stunde! Ich will sie sofort sprechen und wenn es nicht anders geht, sie mit Gewalt wegschaffen."
Er ging zur Tür. Der Oberst folgte ihm. Er war über den plötzlichen Ausbruch der unheimlichen Krankhen zu erschrocken, um sich über Königseck sonderbares Benehmen zu wundern.
Der Diener ging voran, aber nur bis zur Tür am Ende eines langen Ganges. „Die Gräfin hat sofort befohlen, daß die Kranken abgesondert liegen," flüsterte er-
„Sehr verständige von ihr. Sie brauchen uns nicht erg anzumelden." ,
Der Oberst klopfte nicht an, sondern drückte die Klm nieder. Gefolgt von Königseck trat er ins Zimmer.
Eine schlanke Mädchengestalt, eine große, weiße Schurz über das blaßgraue, duftige Musselinkleid gebunv , beugte sich gerade über ein Bett und legte dem Krank > der, in den Kissen ausgerichtet, sein verzerrtes Gesicht " sich öffnenden Tür zuwandte, einen Umschlag auf die Skr (Fortsetzung folgt)