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Nagolder Tagblatt »Der Gesellschafter-

Dienstag, 29. Mai 1928

Rokkweil, 28. Mai. Gedenktafeln- Auf Antrag des Geschichts- upd Altertumsvereins genehmigte der Ge­meinderat die Mittel zur Anbringung von Gedenktafeln an den Geburtshäusern zweier berühmter Rottweiler, des Bischofs v. Linsenmann und des Iesuikengenerals Mernz.

Schwenningen. 28. Mai. Verhängnisvolle Ver­wechslung. Ein hiesiger Bürger trank aus einer Flasche, In der Meinung, sie enthalte Wasser, Salmiakgeist und zog sich schwere innerliche Verbrennungen zu.

Spalchingen. 28. Mai. Einweihung der Heu­bergbahn. Die Heubergbahn, die am Fuß des west­lichen, von der Dreifaltigkeitskirche gekrönten Teils des steil abfallenden Heubergs von Spaichingen über Wehingen nach Reichenberg führt, wurde am Freitag feierlich ein­geweiht. Um All Uhr traf ein Sonderzug aus Stuttgart «in, dem Finanzminister Dr. Dehlinger, Staatsrat Rau, Landtagspräsident Körner als Gäste der Reichs- bohndirektion entstiegen. Letztere war durch Präsident Dr. Eigel, Vizepräsident Hon old und eine größere Zahl von Reichsbahnbeamten vertreten. Am Bahnsteig empfin­gen unter den Klängen einer Musikkapelle der Oberamts­oorstand, Oberregierungsrat Binder, und Stadtschultheiß Dr. Winker die auswärtigen Gäste.

Aalen, 26. Mai. Tödlicher Autounfall. Gestern abend wollte der Kaufmann Heeb, der auf einer Geschäfts­tour war, mit der 22jährigen Rosa Weingart von Rodams­dörfle mit seinem Auto von Rodamsdörfle nach Abtsgmünd fahren. Kaum einige hundert Meter unterhalb des Ortes fuhr das Auto auf ein Geländer auf, wodurch sich das Auto, überschlug. Die Insassen wurden herausgeschleudert. Das- Mädchen war sofort tot, der Autolenker schwer verletzt. Erst einige Stunden später wurde der Schwerverletzte gefunden und mit dem Sanitätsauto ins Krankenhaus nach Skalen verbracht.

Aus Stadt «ad Land

Nagold. 29. Mai 1928

Es ist überhaupt eine sehr gewisse Sache im Leben, daß das Glück am meisten ungerufen kommt, je mehr man es gleichsam zurückstößt.

Wilhelm Freiherr von Humboldt.

Dienstnachrichten

Die Reichsbahndirektion hat den Reichsbahnobersekre­tär Lutz in Alpirsbach nach Höfen (Enz) versetzt.

Pfarramtsverweser Walter Hagen aus Horb a. N. hat seine 2. theologische Dienstprüfung bestanden.

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Das Pfingstfest

hat wirklich seiner Bezeichnung, dasliebliche Fest", in jeder Hinsicht Ehre gemacht. Ganz unbeirrt ist es ge­kommen, mit kalendarischer Sicherheit, ohne nach uns zu fragen, die wir vielleicht noch gar nicht so intensiv daran dachten, denn einmal nimmt der Beruf heute nicht nur das Denken, sondern auch das feinste Fühlen in Anspruch, wei­ter haben auch die Wahlen uns ungemein lebhaft berührt und schließlich war das Wetter seit langen Tagen so grauenerregend und alles andere, um schließlich maienschaft- pfingstliche Stimmung zaubern zu können. Und nun wie kam es? Wohl schöner, wie wir es uns träumen lassen konnten. Sonnenschein vom frühen Morgen bis zum Abend. So konnte sich das Pfingstfest in seiner Sonder­heit auswirken als Reisepfingsten. An solchen Tagen, wen packt da nicht das Reisefieber und nur wenige lassen sich auch nicht davon abhalten, wenn sie in langen Schlan­gen auf dem Bahnhof vor dem Fahrkartenschalter stehend ihre Fahrkarten erschwingen, oder mit den Rädern den Staub der in langen Reihen sich jagenden Autos schlucken müssen oder sonst anderes Unschöne und Ungute zu ver­kneifen haben. Die Nagolder blieben keineswegs zu

Hause, so liefen die Fahrten des Schwarzwald­vereins u. die Rheinlandfahrt der Fa. Benz u. Koch vom Stapel. Von beiden werden wir noch berichten können. Der C. V. j. M. ging in einer stattlichen Zahl zu einer Bezirks-Konferenz nach Zwerenberg, wo in Ver­eine der Oberämter aus Nagold, Calw und Freudenstadt zu ersprießlicher Arbeit hingeeilt waren. Der Musikverein Concordia" holte sich in Eöttelfingen auf dem Eau- musikfest des Zollern-Schalksburg Musikverbandes und der 100jährigen Gründungsfeier der dortigen Kapelle in der Mittelstufe mit einer Lustspiel-Ouvertüre einen la Preis. Nun, und wer zu Hause blieb, aus Mangel an dem lieben Geld, oder zu bequem war oder den sonst irgend etwas daheimbannte, der konnte ja schließlich in Erinne­rungen an vergangene Pfingsten schwelgen.

Beerdigung Moser

Kaum waren 4 Wochen verstrichen, daß die auf so tragische Weise ums Leben gekommene Gattin des Bäcker­meisters Moser, hier, zur letzten Ruhe gebettet wurde, als nun am vergangenen Samstag ihr Ehegatte Fried­rich Moser beerdigt wurde. Der Verstorbene, der ein Mann mit festen Grundsätzen war und als Bürger von echtem Schrot und Korn galt, hoffte selbst noch in den letzten Wochen sich von den erschütterten Kräften zu er­holen, ist jedoch unerwartet kurz vor seinem 75. Geburts­tag verschieden. Eine große Trauergemeinde stand um das offene Grab, an dem Herr Stadtpfarrer Presse! über Psalm 121,1 trostreiche Worte für-die Hinterbliebenen sprach. Mil.- u. V e t e r a n e n - V e r e i n, der einen treuen Kameraden verloren hatte, ließ durch Vorstand Walz einen Kranz niederlegen, während der Ver. Lieder- u. Sängerkranz die ernste Feier einleitete und beschloß.

Hotelier Paul Luz -f

Eine traurige Kunde durcheilte heute unsere Stadt: Paul Luz, z.Post", ist gestorben. Wohl nach längerem Kranksein ist er doch allzu schnell und plötzlich aus dem Kreise der Seinen gerissen worden. Gestern abend um 1611 Uhr schied er durch einen Schlaganfall aus diesem Leben.

Ein Konzert des Lieder- und Sängerkranz soll am nächsten Sonntag, den 3. Juni stattfinden und in erster Linie dem Meister des Liedes, Franz Schubert, gelten, dessen 100. Todestag in den November ds. Js. fällt. Zur Einleitung wird sein Vorläufer Mozart zu Wort kommen mit der Ouvertüre zurZauberflöte", einer Arie und dem MännerchorO Schutzgeist alles Schönen" aus demselben Werk, sowie mit dem BundesliedBrüder reicht die Hand zum Bunde". Dem Gedächtnis Schuberts gilt der Vortrag seiner unvollendeten Symphonie, mehrerer Lieder für Sologesang:Der Wanderer",Aufenthalt", Mein",Ständchen", und von Männerchören:Die Nacht,Der Lindenbaum", Widerspruch" undNachtgesang im Walde" die beiden letzteren mit Klavierbegleitung. Der Solist des Vereins, Herr Präzeptor Wieland, hat sich für die Sologesänge zur Verfügung gestellt, für die instrumentalen Darbietungen am Flügel Frl. Ienne und Herr Hauptlehrer Nicht, letzterer auch für die Begleitung der Sologesänge und Männerchöre.

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Schwäbische Jugendherbergen. In der gegenwärtigen Wanderzeit sei von den Fortschritten, die das Jugendher­bergswerk im Gau Schwaben wie in ganz Deutschland macht, hervorgehoben die Herstellung der Jugendherberge Freudenstadt und Jagstfeld, bei denen der Gau Schwaben für die von der Stadt bzw. der Gemeinde her­gestellten Räume die Einrichtung lieferte, ferner die Er­weiterung und Verbesserung der Jugendherberge Urach durch die Stadt und der Bau zweier Eigenheime, von denen die eine in Schwäb. Gmünd nahezu fertig gestellt, die andere in Reutlingen erst in Angriff angenommen ist. In die Reihe der Großstädte mit guter Jugendherberge wird nun auch Stuttgart treten,' zur Ergänzung der bisherigen Unterkünfte richtet die Stadt in der Hauffstraße eine Ju­gendherberge mit 100 Betten ein und fügt einen Aufbau

für die Jugendbünde hinzu. Auch hier leistet der Gau Schwaben die Einrichtung. Am 23. Juni 1928 wird der Gau Schwaben seine Mitgliederversammlung nachmittags 3 Uhr im Festsaal des Eberhard-Ludwigs-Eymnasiums in Stuttgart halten und um 8 Uhr im Großen Saale des Sieglehauses einen Werbeabend folgen lassen, zu dessen Darbietungen ein Vortrag Harald Eormsens von Königs­feld gehört.

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Zustellung der Steuerbescheide an die beiden Ehegatten.

Nach 8 95 Abs. 2 der RAO. haften Ehegatten, die zusammen 'zu einer Steuer veranlagt sind, als Gesamtschuldner. Nach 8 22 des Einkommensteuergesetzes ist dem Einkommen des Ehemanns das Einkommen der Ehefrau hinzuzurechnen, sie sind insofern zusammen zu veranlagen. Weiter folgt aus 8 22 Abs. 2, daß die Ehefrau, trotzdem sie kein Einkommen hat, für die auf ihren Ehemann als Steuerschuldner im Sinne des Z 79 Abs. 1 der Reichsabgabeordnung sestzu- setzende Einkommensteuer als Gesamtsch-uldnerin hastet. Es widerspricht daher nicht dem Gesetz, wenn auch der Ehefrau der Steuerbescheid zugestellt wird.

Zehn Geboke für Naturfreunde. 1- Schädige nicht dir Natur, die dich durch ihre Schönheit erfreut. 2. Störe ihren Frieden nicht durch Lärmen oder Radaumusik. 3. Papiers Glasscherben, Eierschalen, Blechdosen usw. sind nicht auf Wiesen, im Walde oder am Rastplatz wegzuwerfen. 4. Reiß nicht unnötig Pflanzen aus- 5. Brich keine blühenden Zweige ab, auch andere Menschen wollen sich am Blüten- schmuck erfreuen. (Wer Blüten und Fruchtzweiae von Obstbäumen abbricht, wird gesetzlich bestraft). 6. Benutze nicht jeden Felsen oder Baum als Stammbuch oder Vi­sitenkarte, um dich deinen Mitmenschen als Nakurschänder vorzustellen. 7. Bon Blumen, deren Pflücken erlaubt, nimm nur soviel als sich ziemt- Bedenke, daß auch andere sich ihrer Schönheit freuen wollen. 8. Lege keine Sammlung von Pflanzen, Insekten oder anderen Naturkörpern aus Spielerei an, nur ernstlich wissenschaftlich tätige Menschen haben hierzu Berechtigung. Bogeleier darfst du überhaupt nicht nehmen. 9. Das Töten oder Quälen von Tieren aller Art aus Mutwillen ist grausam. 10. Nur Kinder und unver­ständige Erwachsene begehen solche Angehörigkeiten. Er­mahne sie zum Schuh und zur Schonung der Natur!

Jagd und Fischerei im Juni. Das Verfärben des Hoch-, Dam- und Rehwilds geht seinem Ende entgegen, kommt jedoch beim Gams erst recht in Gang. Alle vier Wildarten fetzen noch. Geweihe des Rot- und Schaufeln des Dam­hirsches stehen noch in der Entwicklung, trotzdem endet für diese Hirsche in Hohenzollern bereits die Schonzeit. Die Mehrzahl der Rehböcke trägt ihr gefegtes Gehörn, nur schwache, kümmernde und mit Engerlingen behaftete so schreibtDer deutsche Jäger" zeigen noch den Bast. In allen deutschen Staaten, mit Ausnahme des Freistaates Sachsen, ist der rote Bock jetzt frei, wird jedoch von der zweiten Hälfte des Monats ab bereits heimlich und beginnt außer aus großen, an Schlägen reichen Waldungen ins Getreide abzuwandern. Wald- und Feldhühner, sowie Fa­sane, brüten noch oder haben schon Kücken, die jedoch zu­meist in diesem Monat auszufallen pflegen. In Oldenburg unterstehen Birk- und Fasanenhähne noch dem Abschuß. Junge Enten erlangen ihr erstes Iugendkleid, alte Erpel treten in die Mauser. Für Wildtauben und das auf Mö­sern brütende Federwild beginnt dort, wo sie, wie in Würt­temberg und Bayern, überhaupt eine kurz bemessene Schon­zeit genießen, nunmehr die Schußzeit, die aber der gerade um diesen Zeitpunkt fälligen zweiten Bruten wegen mit möglichster Vorsicht und Beschränkung ausgenützt werden sollte. Für Ruhe im Revier ist auch jetzt tunlichst zu sor­gen, den Krähen und Elstern und mit gleicher Hartnäckig­keit streunenden Hunden und Katzen nachzugehen. Revier­bummler und Schwämmesucher sind zu überwachen. Aesche, Forelle, Regenbogenforelle und Bachsaibling haben beste Fangzeit, Karpfen, Barbe, Waller und Blei laichen. Barsch, Schied und Aitel können gefangen werden. In kleinen Ge­wässern geht der Huchen an die Fliege. Beim Krebsfang ist auf die Junge tragenden Weibchen Rücksicht zu nehmen.

Ae verlorene Krone

von HenriettevonMeerheimb Roman (Margarete Gräfin von Bünau) dem

Jahre 1866

25. Fortsetzung (Nachdruck verboten)

Es war daher fast eine Erlösung, als endlich von Hannover ausgebrochen werden konnte.

Rur die Hofdamen, der Kammerherr von Stockhaufen und Rammingen begleiteten die königliche Familie nach der bei Nordstemmen gelegenen Marienburg.

Der alte Heubner mußte zu seinem zornigen Schmerz im letzten Augenblick Zurückbleiben. Die vielen seelischen Erregungen der letzten Zeit, der nagende Kummer waren zu heftig gewesen. Er brach darunter zusammen. In die­sem Zustand wäre er für die Königin nur eine Last, keine Hilfe gewesen. Das sah er selbst ein.

Wie ein Verhängnis erschien ihm seine Krankheit zu diesem unglücklichen Zeitpunkt, denn nun konnte er die Augen nicht offen halten, um die Prinzeß Frederike vor Rammingens Leidenschaft zu schützen. Die Königin blieb gewiß ganz arglos und ließ die beiden ruhig allein in der ländlichen Umgebung reiten und wandern, wohin sie woll­ten. Um sich selbst zu beruhigen, rief Heubner sich immer wieder die ehrenhafte, königstreue Gesinnung des jungen Offiziers, seine Anhänglichkeit an den unglücklichen blinden König zurück, aber die Prinzeß Frederike war sehr schön und Rammingens Blut war heiß. War es da nicht besser, vorzubeugen und König Georg auf die Gefahr auf­merksam zu machen?

Freilich gab es dann noch einen Mitwisser mehr, denn der König mußte sich ja jeden Brief vorlesen lassen, und ein Geheimnis, um das viele wissen, bleibt nicht ver­schwiegen.

Rach vielen schlaflosen Nächten und unruhigen Tagen, in denen seine verdrossene Laune wie ein Alp über seiner ganzen Familie lag, entschloß er sich endlich, dem Grafen Hallermund einen Wink zu geben. Der Minister mochte politisch kurzsichtig gewesen sein, und ahnungslos durch seine verkehrten Ratschläge zu dem Sturz des Welfenhauses betgetragen haben, aber ein feiner, kluger Kopf, ein treu- ergebener Diener seines Herrn war er trotz alledem. Frei­lich blieb es ein Wagestück, bei dem scharf ausgeprägten Stolz des Königs ihm eine Andeutung über die Gefahr, in der die Prinzessin schwebe, zu machen. Wahrscheinlich

würde Georg V. eine solche gerade in seiner jetzigen Lage als eine unverzeihliche Beleidigung empfinden.

Aber ungeachtet all dieser Bedenken schrieb Heubner seinen Brief, der ihm manchen Stoßseufzer und Schweiß­tropfen erpreßte. Ein Meisterstück zart verhüllter Andeu­tungen wurde nicht daraus. Umschweife und politische Feinheiten waren nicht Heubners Sache. Er war auch sel­ber keineswegs damit zufrieden und deshalb doppelt er­freut, als des Ministers Antwort überraschend bald ein­traf.

Hallermund schien richtig alles verstanden zu haben, was der alte Oberstallmeister ihm auseinandergesetzt hatte.

Mein werter Freund und sehr liebe Exzellenz," schrieb Graf Hallermund in seiner verbindlichen Art,Ihr lie­benswürdiges Schreiben kam unversehrt in meine Hände und ist von mir im richtigen Sinn gelesen und gedeutet worden. Ihre darin ausgesprochenen Befürchtungen be­stätigen meine eigenen Wahrnehmungen, die ich bereits sehr bald nach Rammingens Eintreffen in Herrenhausen machte. Viel Kunst gehörte nicht dazu, ihn zu durchschauen, die Leidenschaft sprang ihm ja förmlich aus den Augen, sobald er einer gewissen hohen Person ansichtig wurde. Damals lächelte ich darüber wie über eine ungefährliche Schwärmerei. Jetzt liegt die Sache anders. Durch den beklagenswerten Sturz unseres Königshauses haben sich die Verhältnisse verschoben und Rammingen könnte verblen­det genug sein, Hoffnungen zu hegen, die sich nie erfüllen dürfen. Auch der Stolz der Prinzessin ist kein genügender Schutz. Die Jugend ist romantisch. Außerdem gleicht der Charakter der Prinzeß dem ihres Vaters Zug für Zug. Alles oder nichts, so heißt es auch bei ihr. Ich halte sie für fähig, aus ihrer Verbitterung heraus solchen be­klagenswerten Schritt zu tun, wie es eine derartige Ver- binoung wäre. Da man aber so zarte Angelegenheiten vor­sichtig behandeln muß, so habe ich mich wohl gehütet, eine Warnung auszusprechen, sondern nur durch die Erzher­zogin Mathilde, die fast täglich unser East ist, die Bitte um den Besuch der Prinzessin Frederike aussprechen lassen. Der König sehnt sich selbst nach seiner Familie vor allem nach seiner Lieblingstochter, er war also den Bitten der jungen Erzherzogin schnell zugänglich. Mit meinem Schreiben zu­gleich geht ein Brief an Ihre Majestät ab, der ihr den Wunsch des Königs, die Prinzeß Frederike mit ihrer Hof­dame nach Hietzing bei Wien zu senden, übermittelt. Sie sehen, diese Sache war leicht gefingert. Möchte ich mit unseren anderen Plänen gleichfalls Glück haben! Seine Majestät ist fest entschlossen, sich nicht tatenlos in sein Ge­schick zu fügen. Darum geht er auch nicht nach England, weil das einem Aufgeben von Hannover gleichsähe. Wir

arbeiten einen Protest aus, der allen Souveränen Europas zugehen wird, in dem der König erklärt, daß er nach wie vor gegen die Annexion von Hannover Einspruch erhebe und sich im Kriegszustand gegen Preußen befinde. Wer von den Offizieren nicht den Abschied erbittet, dem wird der König aus seinem Privatvermögen einen Teil des Gehalts zahlen. Wie wir dies auf die Dauer ermöglichen sollen, ist freilich ein Rätsel es kann daher auch nur bei den nachweislich ganz armen Offizieren geschehen und darf nicht die Höhe von fünfhundert Talern überschreiten.

Unser Leben hier hat sich, seitdem wir das viel zu enge Quartier in Wien verlassen haben und in die Villa Vraun- schweig in Hietzing übergesiedelt sind, leidlich angenehm gestaltet. Die Villa ist ein kleines Juwel von Geschmack und Kunstsinn, der Park, der sie umgibt, stößt an die Gärten von Schönbrunn. Durch eine unscheinbare Türe in der Straßen­mauer, über welche die inneren Gebäude fast gar nicht hervorragen, tritt man in eine lange, nach dem Garten hin offene Halle mit pompejanischer Wandmalerei. Am Ende dieses langen Ganges liegt ein großer Saal, der sein Licht durch die breiten, nach der Veranda des Gartens sich öffnenden Glastüren erhält,- die Aussicht auf die kunstvoll angelegten, sorgfältig gehaltenen Blumenparterres erfreut mich täglich. Sie wissen, ich liebe es auch im Freien, überall die pflegende, beschneidende Hand des Gärtners zu spüren. Dieser Saal ist ganz in chinesischem Geschmack ge­halten. Die Wände bedecken kostbare Seidentapeten, an der die Gesichter der darauf gestickten Figuren durch bemalte Porzellanplatten gebildet werden. An dem Sims der Decke hin läuft eine Reihe hellklingender Glöckchen, am Boden liegen bunte Strohmatten. An den Wänden sitzen feierliche, lebensgroße Pagoden, die Kopf und Hände be­wegen. Sie sollten den Kronprinzen und die Erzherzogin Mathilde beobachten, wenn die hier im Saal mit den Glöckchen klingen und alle Pagoden in wackelnde Bewegung setzen! Ja, die Jugend die glückliche Jugend trauert nicht lange! In diesen schönen, warmen Tagen benützen wir diesen Raum fast ausschließlich. Der König hat schon mehrere kleine Feste gegeben, an denen die kaiserlichen Herrschaften teilnahmen. Erzherzog und Erzherzogin Al- brecht, die Eltern der Erzherzogin Mathilde, Prinz Solms kommen häufig das sind Lichtblicke in unserem Dasern. denn das Schicksal aller verbannter deposfierter Höfe macht sich auch schon bei uns bemerkbar, daß nämlich Neid, MG- gunst, Jntriguenspiel dort üppiger wuchern, wie in der Umgebung wirklich regierender Herrscher. Jeder neidet dem anderen die Gunst des Königs, jeder möchte dertreuepe Höfling des Unglücks" sein und als solcher besonders be­vorzugt werden. (Fortsetzung folgt)