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Seite 2 - Nr. 101

Nagolder TagblattDer Gesellschafter'

kam der Rat mit einem auch angenommenen Antrag zuvor, nach dem eine völlige Revision des Abkommens über den Achtstundentag in der Industrie nahezu un­möglich ist. Bisher haben acht industriell weniger wlch- tige Staaten das Arbeitsabkommen unterzeichnet, 47 Völker- dundsstaaten sind ihm noch nicht beigetreten.

Das Wahlergebnis in Frankreich

Pari», 30. April. Die gestrigen Stichwahlen hatten folgendes Ergebnis:

Royalisten 3, Rechtsrepublikaner und Katholische Demo­kraten (Marin) 76, Linksrepublikaner 60, Rechtsradikale (Loucheür) 40, Radikale 102, Sozialrepublikaner 41, Sozia­listen 86, Kommunisten 14, Sozialistische Kommunisten 2, Re- gionalisten 3. , ^

Mit den Ergebnissen der 187 Wahlen, die im ersten Wahl­gang zustande kamen, ergibt dies folgendes Gesamtergebnis:

Royalisten 15. Rechtsrepublikaner (Marin und Katholische Demokraten) 145, Linksrepublikaner 106, Rechtsradikale lLoucheur) 55. Radikale 123. Sozialrepublikaner 47, Sozia­listen 101, Komunisten 14. Sozialistische Kommunisten 2, Re­gionallsten 3.

Die Gewinn- und Vertu st Ziffern stellten sich wie folgt: ^ ^

Royalisten Verlust 2. Rechtsrepublikaner (Marm) Ge­winn 41, Linksrepublikaner Gewinn 10, Rechtsradikale Gewinn 12, Radikale Verlust 20, Sozialrepublikaner Verlust 2. Sozialisten weder Gewinn noch Verlust, Kommunisten Verlust 11.

Das Wahlergebnis in den Kolonien steht noch aus.

Englisches Ultimatum an Aegypten

Kairo. 30. April. Reuter erfährt, die britische Regierung habe dem ägyptischen Ministerpräsidenten Nahas Pascha eine Rote vergeben lassen, in der die Zurückziehung des ägyptischen Gesetzentwurfs über die öffentlichen Versamm­lungen binnen drei Tagen verlangt wird Andernfalls werde die britische Regierung Maßnahmen treffen, die sie hinsichtlich ihrer .Verpflichtung des Schutzes der In­teressen der Ausländer" für notwendig erachte.

Zur Lage in China

London» 30. April. .Times' meldet aus Schanghai vom N. April: In Schantung haben die Kämpfe so gut wie auf- -ehört. Tschiangkaischek begab sich gestern zu einer Kon­ferenz mit Fengjuhsiang nach Lanfeng. Die Nordkruppen sind jetzt bei Tstnanfu und Taianfu anscheinend derart verstärkt worden, daß die Aussichten der Nationalisten auf weiteres Vorrücken lehr verringert sind. Die Nationalisten haben zweifellos im ersten Teil des Feldzugs schwere Verluste ge­habt

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Stuttgart, 30. April. ZurFragederErrichtung einer Handelshochschule in Württemberg. Seitens eines wirtschaftlichen Verbandes ist in, wie die Württ. Wirtschaftszeitschrift berichtet, unter Anknüpfung an frühere Bestrebungen an die Handelskammer Stuttgart die Anregung ergangen, sich für die Errichtung einer Handels- hochsAile in Stuttgart, und zwar unter Anlehnung an die technische Hochschule ein zusetzen. Die Erhebungen sowohl als auch die Erörterungen im Ausschuß haben zu dem Er­gebnis geführt, daß an sich, die Bestrebungen nach Errich­tung einer eigenen württembergischen Handelshochschule zu begrüßen wäre, daß aber der Verwirklichung im gegenwär­tigen Zeitpunkt außerordentliche Schwierigkeiten entgegen­stehen, die in erster Linie finanzieller Art sind. Der Württ. Industrie- und Handelstag hat Veranlassung genommen, dem Württ. Wirtschaftsministerium von dieser Stellung­nahme Kenntnis zu geben und damit die Bitte verbunden, im Sinne dieser Stellungnahme auf den weiteren Ausbau der Lehreinrichtungen für Betriebswirtschaftslehre in Würt­temberg hinzuwirken.

Todesfall. Nach kurzer Krankheit starb am Samstag un­erwartet Landesökonomierat Schoffer im Alter von 63 Jahren. Der Verstorbene leitete seit 1895 die württ. Lehr-

und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsverg und war seit 1923 Vorstand des Württ. Weinbauoereins. Den Weltkrieg machte er als Rittmeister einer Kolonne mit. In allen Kreisen der württ. Landwirtschaft, besonders im Weinbau genoß Direktor Schoffer seiner hervorragenden Kenntnisse wegen hohen Ansehen.

Prämiierung von Obstanlagen. Zur Förderung des Obstbaus veranstaltet die Württ. Landwirtschaftskammer alljährlich eine Prämiierung von Obstanlagen. Sie findet in diesem Jahr im Jagst- und Neckarkreis statt. Alle Obst­züchter der genannten Kreise können sich um die Prämiie­rung ihrer Obstanlage bewerben. Anmeldungen müssen bis spätestens 20. Mai bei der Landwirtschaftskammer einge- reicht werden.

Alles fährt 4. Klasse. In immer steigendem Maße wird die 4. Klasse der Eisenbahn von den Reisenden benutzt. Im Fernverkehr fuhren 1913 bereits 59,45 v. H. aller Reisenden mit der 4. Klasse, 1925 waren es 80,5 v. H., 1926 wurden es 81,7 v. H. und 1927 gar 83,5 v. H. Geht man bis auf das Jahr 1890 zurück, so findet man, daß damals nur ein Viertel aller Fahrgäste die 4. Klasse benutzte. Der Zustrom zur 4. Klasse ist in der Hauptsache aus die Verarmung des Mittel­standes zurückzuführen.

Bietigheim, 30. April. Der Fremdenlegion e n k- ronnen. Der 22 I. a- Eisendreher Eugen Sontheimer, der im Oktober 1926 in me Fremdenlegion verschleppt wurde, flüchtete am 29. März d- I. während eines Ab­schubs an die Marokkofronk und ist zunächst mit einem norwegischen und von Vigo in Spanien ab mit einem deut­schen Schiff in die Heimat zurückgekehrk. Noch weitere fünf Söhne hiesiger Familien schmachten in französischen Legionsdiensten.

Vad Mergentheim, 30. April. Unwetterschäden. Am Sonntag nachmittag ging ein schweres Unwetter über dem Taubertal nieder. Die Dächer des hiesigen Schlosses, der Stadtkirche, der St. Wolfgang-Kapelle und vieler Privat­häuser wurden stark beschädigt. Der herrliche Schloßgarten wurde übel zugerichtet. Der Sturm hat viele alte Bäume vollständig entwurzelt. Der ganze Park ist mit umgestürzten Baumstämmen und abgerissenen Zweigen bedeckt.

Tübingen, 30. April. Grundsteinlegung Ehrendoktor. Aus Anlaß der heutigen Grundstein­legung zum Neubau der Universitätsaula wurde Minister Bolz zum Doktor der Staatswissenschaften ehrenhalber und Finanzminister Dr. Dehlinger zum Doktor der Medizin ehrenhalber, Landtagspräsident Körner zum Ehrensena­tor der Universität ernannt.

Möckmühl, 30. April. Unwetter. Am Sonntag um l44 Uhr wurde Möckmühl von einem fürchterlichen Unwetter heimgesucht. Einem schweren Gewitter folgte ein wolken­bruchartiger Regen, der von Hagelschlag begleitet wurde. Die Hagelkörner hatten teilweise eine Größe von Tauben­eiern. Das Unwetter wütete nahezu eine Stunde lang. Eine halbe Stunde lang war infolge der schwarzen Wolken, die den Himmel bedeckten, fast nichts mehr zu sehen. Die Jagst und die Seckach waren bald in reißende Ströme ver­wandelt. Die Verwüstung ist schrecklich. Die Obstbäume litten unter dem Hagelschlag sehr.

Hall. 30. April. Landesversammlung des württ. Bunds sür Heimatschutz. Am Samstag und Sonntag fand hier unter Vorsitz des Grafen von Degenfeld im Neuen Bau die Hauptversammlung des Bunds für Heimatschutz statt. Studienrat Dr. Pfeiffer erstattete den Geschäftsbericht. Darnach ist die Mitgliederzahl auf 5120 gestiegen. Der bisherige Vorstand wurde wieder­gewählt und Heidenheim als Ort der nächsten Mitglieder­versammlung bestimmt. Professor Schwenket trat für einen starken freien Heimatschutz ein und betonte, daß bas Landcsamt für Denkmalpflege den Bund keineswegs ver­drängen wolle. Professor Schuster hielt einen Lichtbilder­vortrag über Reklame und wandte sich dabei gegen die manigfachen Auswüchse auf diesem Gebiete. Professor Schwenks! bestätigt die Kritik an der Reklame und erklärte, daß die Reichsbahngesellschaft ein schlechtes Beispiel gebe. Ohne gesetzliche Regelung werde man auf die Dauer der Mißstände nicht Here werden. Oberbaurat Burger trat für eine Anmeldepflicht der Reklame ein.

Dienstag, 1. Mai 1928

Mergelstetten. OA. Heidenheim, 30. April. Hundert­jahrfeier. Aus Anlaß der Hundertjahrfeier der Firma Gebr. Zöpvritz veranstalteten am Freitag abend die An­gestellten und Arbeiter der Firma, deren Vorstand, Dr- Ru­dolf Zöpp ritz, einen Fackelzug unter Mitwirkung der Skadkkapelle Heidenheim und des Liederkranzes. Am Samstag vormittag fand eine Feier mit den Werksan­gehörigen statt, bei der zahlreiche Ehrungen vorgenommen wurden. Die Firma verfügt über sehr viele Angestellte und Arbeiter, die auf eine langjährige, teilweise 60jährige Dienstzeit zurückblicken. An die Feier schloß sich ein Fest- akk, zu dem über 300 geladene Gäste aus dem Bezirk, dem Land, dem Reich und dem Ausland keilnabmen. Ein Son­derzug hatte die Gäste, unter ihnen auch Innenminister Bolz und Skaaksrak Rau gebracht. Dr. pp ritz überreichte dem Schultheißen von Mergelstetten die Skif- kungsurkunde der Turn- und Feskhalle und machte Mitte­lung von verschiedenen Stiftungen, darunter 20 000 Mark für Wohlfahrkszwecke zugunsten der Arbeiterschaft. Eine Sonderstifkung ermöglicht jährlich 6 Angehörigen der Firma eine einwöchige Reise nach Bayern. Es fal­ten dann zahlreiche Glückwunschansprachen, so von Mi­nister Bolz, Oberamtmann E b e r h a r d - Heidenb»im, Schultheiß Langensec-Mergelstekken und von Ver­tretern der Angestellten und Arbeiter. Prof. Dr. Fuchs- Tübinaen überreichte Dr. Zäyvritz eine Urkunde über die Verleihung des Ehrendoktors- Zuletzt sprach Kom­merzienrat Ebrbard für die Handelskammer Heidenheim. An ein Frühstück in dem Fesksaal schloß sich sodann eine Besichtigung der Fabrikanlagen.

Dom Ries. 30. April. Eine dunkle Geschichte. Der im besten Ansehen stehende, verh. Amtsgerichtsober­inspektor Heinrich Heilbronner in Nördlingen kam von einem Spaziergang in sein Büro und meldete telephonisch der Polizei, daß sich auf der Marienhöhe die Vahnarbeiters- frau Giggenbach mit dem Revolver getötet habe. Hierauf begab er sich in das Dienstzimmer des Amtsgerichtsdieners und tötete sich selbst mit einem Pistolenschuß. Ob die beiden Seldstmordfälle, die großes Aufsehen in Nördlingen her- vorricfen, im Zusammenhang miteinander stehen, ist bis jetzt noch nicht aufgeklärt.

Tuttlingen, 30. April. ZumUm-undNeubaudes Bezirkskrankenha.uses. Von den 8 Entwürfen, die zum Neu- bezw. Umbau des Bezirkskrankenhauses ein­gegangen sind, wurden von dem Preisrichterkollsgium zwei Entwürfe des Architekten Weber hier je mit einem Preis ausgezeichnet. Ein 3. Preis kam nach Stuttgart.

Tuttlingen, 30. April. Selbstmord. Der led. 36 I. a. Gerber Andreas Braun (Brechgäßle) wurde in seiner elterlichen Behausung auf der Bühne tot aufgefunden. Cr ist freiwillig aus dem Leben geschieden.

Aus Stadt und Laud

Nagold, 1. Mai 1928

Wer schätzt an anderen nicht zumeist das, was er in sich selber vermißt? Francois.

Der Mai

Der Winter ist vergangen. Ich seh des Maien Schein!

Diesmal haben wir wirklich immer wieder sagen müs­sen:Komm lieber Mai und mache die Bäume wieder grün". Nun aber bricht mit dem Aufgehen der Sonne am 1. Mai endlich die schöne Zeit der Freude und des Segens an. Die längst ersehnte Blüte der Obstbäume ent­schädigt uns nun doppelt durch ihre Ueberfälle und wen mag es wohl noch zu Hause dulden, wenn ihn das Träu­men unter Blüten ruft. Wir Deutschen sind ja aus der ganzen Erde als weltfremde Schwärmer bekannt, doch in keinem Monat wird dies so sehr zur Wahrheit wie in dem Monat Mai, wenn die Pracht des Frühlings ihren Höhe­punkt erreicht.

Ein Elückstag soll uns der erste Mai sein und früher hat man auch allerlei Glücksbringer beim Morgengrauen

Tie lltckme Kralle

von HenriettevonMeerheimb (Margarete Gräfin von Bünau)

Roman aus dem

Jahre 1866

8. Fortsetzung (Nachdruck verboten)

Prinzeß Frederike stand stolz aufgerichtet in der flim­mernden Wolke feiner Sonnenstäubchen, die mutwillig durcheinander spielten. Wie eine Strahlenglorie umgaben sie ihren schönen, braunlockigen Kopf.

5. Kapitel

Gisela, wir stehen unmittelbar vor dem Ausbruch des Krieges. Täglich kann die Order eintreffen, die mich zu meinem Regiment nach Berlin zurückberuft. Wird Dein Vater uns angesichts dieser Tatsache ein letztes Beisammensein verbieten? Und wärest Du schwach ge­nug, Dich solchem Verbot zu fügen? Trotz seines damals schroff abweisenden Briefes bin ich bereit, nach Prag zu kommen, um noch einmal mit ihm zu reden. Wenn er jetzt nicht in unsere Verlobung willigt, weil er bereits Len Feind in mir sieht, so darf er uns doch weder den Abschied verwehren, noch uns gänzlich die Hoffnung neh­men, daß nach erfolgtem Friedensschluß auch wir glück­lich sein dürfen. Ich erwarte eine telegraphische Ant­wort. Zögere nicht! Jede Stunde kann die Entschei­dung bringen, die es mir unmöglich macht, Dich dann noch aufsuchen zu können.

Botho von Königseck"

Gisela ließ den Brief in den Schoß sinken. Röte und Blässe wechselten auf ihrem Gesicht. Sie saß an dem weit offenen Fenster ihres Zimmers, das nach dem Garten hi­nausging. Die Schatten der Lindenblätter huschten über ihre weiße, gesenkte Stirn. Der warme Junitag war mit dem Duft des weißgoldenen Jasmins erfüllt. Die Luft flimmerte vor Hitze. In den Lindenblüten summten die Bienen eintönig.

Der Garten war nicht besonders groß. Terrassenförmig führte er aber bis zur Moldau hinunter. Das Palais Waldstein lag auf der Kleinseite von Prag in einer engen Straße, nicht weit von der historischen Nepomukbrücke, um

deren altersgraue Steinfiguren und moosbewachsene Pfei­ler der Morgenduft wie Nebelschleier schwamm.

Das junge Mädchen nahm den Brief wieder auf und las ihn noch einmal so langsam durch, als ob sie jedes Wort auswendig lernen müsse. Dann drückte sie ihren Mund leidenschaftlich auf die großzügige Schrift. Mit zu­sammengezogener Stirn dachte sie nach. Ihr Vater würde schwerlich ein Wiedersehen im Palais Waldstein gestatten. Andererseits widerstrebte es ihr, mit Königseck eine heim­liche Zusammenkunft ohne Vorwissen ihre Vaters zu ver­abreden. Vor einer Szene mit ihrem jähzornigen Vater graute ihr. Ihr Bruder, der augenblicklich auf Urlaub in Prag weilte, würde ihr sicher nicht zu Hilfe kommen, denn er war selber heilfroh, wenn sich kein väterliches Ungewitter über seinem hübschen blonden Flatterkopf entlud. Einen schnellen Entschluß galt es aber zu fassen. Sehen mußte sie Königseck unter allen Umständen!

Sie schob den Brief in die Tasche ihres Morgenkleides und ging die breite steinerne Treppe hinab, die in die un­teren Räume des Schlosses führte.

Die Zimmer ihres Vaters liegen auf der linken Seite. Man sah von den schmalen Bogenfenstern aus auf den langen überdeckten Speisesaal, der, von allen Seiten offen, einst die reichbesetzten Tafeln für Wallensteins fürstlichen Hofhalt und seine Reiteroffiziere barg. Jetzt stand das ausgestopfte Lieblingspferd desFriedländers", umgeben von eroberten Fahnen und anderen Siegestrophäen, dort. Sattel und Zaumzeug schmückte die schöne braune Stute, als ob die lange, sehnige Reitergestalt des Fürsten von Friedland sich im nächsten Augenblick Hinausschwingen wolle. Die Sonne malte zitternde Kringel auf die grauen Steinsliesen und an die weißgetünchte Decke. Um die Säu­len der Halle schlangen Efeu und wilder Wein ihre langen, graziösen Ranken.

Graf Waldstein saß in seinem ganz im Stil des sieben­zehnten Jahrhunderts gehaltenen altdeutschen Zimmer. Auf den Borden der Wandtäfelung standen alte Humpen, Zinntrüge und rubinrote, kostbare Gläser. Die Sessel waren alle steif, mit geraden Lehnen und harten Leder­fitzen.

Bei dem Eintritt der Tochter wandte der Hausherr den Kopf nach ihr um und nickte ihr flüchtig zu, während Graf Alex seine geschmeidige, schlanke Gestalt in der lockeren, be­quemen Litewka sogleich kerzengerade aufrichtete und ihr eine tiefe zeremonielle Verbeugung machte. Sein blondes

Schnurrbärtchen zuckte noch vor Lachen über die Anekdote, die er soeben seinem Vater erzählt hatte. Sein bildhüb­sches Gesicht mit den großen, blauen Augen trug einen kindlich freundlichen, ja unschuldigen Ausdruck. Niemals hätte man beim ersten Sehen in Graf Alex den tollkühnen Reiter, waghalsigen, leidenschaftlichen Spieler vermutet, der allen Frauen den Kops verdrehte. Er glich auffallend dem Bild seiner verstorbenen Mutter, das, von einem breiten, goldenen Rahmen umgeben, in lieblicher Jugendschöne von der Wand herunterlächelte. Diese Ähnlichkeit war auch der Grund, warum Graf Waldstein vom ersten Moment an mit abgöttischer Liebe an dem Sohne hing, während er sein kleines, schwarzäugiges Töchterchen, das der Mut­ter so wenig glich, kaum ansah.

Gelegentliche Zornesausbrüche des alten Grafen abge­rechnet, konnte Alex daher von klein an tun und lassen, was ihm beliebte. Bei Klagen seitens der Hauslehrer, die beständig bei dem Vater einliefen, glaubte der stets der Engelmiene des blondlockigen Bübchens mehr wie den überzeugendsten Schuldbeweisen. Als der junge Graf eno- lich auf die Schule kam, lautete die letzte väterliche Er­mahnung des alten Waldstein:Leb wohl mein goldger Bub! Lern nicht zu viel, und laß dir von den Schul­meistern nichts gefallen!"

Diese weise Lebensregel beherzigte Alex nach Kräften. Er lernte blitzwenig und stand immer vor der Möglichkeit, aus allen Gymnasien und Erziehungsanstalten fortgejatst zu werden. Meist log er sich im letzten Moment aber doch noch mit seiner blonden Engelsmiene durch oder der alte Waldstein kam wütend angefahren und nahm den Sohn aus derpedantischen" Anstalt heraus. Beim Regiment regnete es später ebenfalls ständig Klagen über Schulden und andere leichtsinnige Streiche. Nur seinem alten Na­men, der Gunst des Kaisers und seinem schneidigen Reiten verdankte Graf Alex die Auszeichnung, zur Leibwache des Kaisers kommandiert zu werden. Als er zum erstenmale in seiner roten Uniform mit dem weißen, wehenden Man­tel auf seiner ungarischen SchimmelstuteFenella" in den Hof des Palais Waldstein ritt, wußte der alte Graf sich vor Entzücken und Stolz nicht zu fassen. Die bei diesem Besuch sogleich gebeichteten erheblichen Schulden bezahlte er ohne mit der Wimper zu zucken, freilich von dem Vermögen seiner verstorbenen Frau, das Gisela verschrieben war, aber über welches er bis zu ihrem fiinfundzwanzigsten Lebens­jahr verfügen durfte. (Fortsetzung folgt)