Seite 2 Nr. 02

Nagolder TagblattDer Gejelljchaster"

Mittwoch, 14. März 1928

vr. Freiherr v. Reibnih alleiniger Staatsminifier

Neustrelitz, 13. März. Im mecklenburg-strelitzschen Land­tag wurde heute durch Abstimmung festgestellt, daß, da die Ernennung eines zweiten Ministers zurzeit unmöglich er­scheint, ein Minister allein die Regierung zu führen habe. Zur diesen Antrag stimmten die Demokraten, die Fraktion der Mitte (Deutsche Volkspartei, Aufwertungspartei und Bauernpartei), aus der der völkische Abgeordnete vorher ausgetreten war, die Sozialdemokraten und die Kommu­nisten mit zusammen 21 Stimmen. Gegen den Antrag stimmten die Deutschnationalen und der völkische Abgeord­nete mit zusammen 10 Stimmen. Die vier Handwerker ent­hielten sich der Stimme. Auf Grund des Ergebnisses dieser Abstimmung ernannte Präsident Dr. Foth den bisherigen Geschäftsminister Dr. Freiherrn v. Reibnitz (Soz.) zum ordentlichen Staatsminister.

Schicdsoerkräge mit Deutschland und Japan

WashivLl.'n, 13. März. Staatssekretär Kellogg hat dem deutschen und japanischen Botschafter die Entwürfe von je zwei Verträgen, dein Schiedsvcrkrag, der dem französischen Vertrag gleichlautend ist, und dem Versöhnungsvertrag (Bryan-Vertrag), übergeben.

Die Leiden der Deutschen in Südtirol

London, 13. Mürz. Der frühere Berichterstatter der Times", Gedye, hat im Auftrag der Expreßblätter die Zustände in Südtirol untersucht und beginnt imS u n d a y - E x p r c tz" eine eindrucksvolle Schilderung der Leiden der dortigen deutschen Bevölkerung. Er zeigt, wie das italienische Spio­nagesystem alle Verhältnisse durchdringt und das Land gleichsam in ein großes Gefängnis verwandelt. Eeyde selber hatte ein Leben wie ein verfolgter Verbrecher zu führen, um sich und die Leute, die sich ihm anvertrauten, vor den italie­nischen Schergen zu schützen. Er stahl sich durch Weinberge in einsame Gehöfte, um die Klagen der Bauern vernehmen zu können, versteckte sich in leeren Kirchen, um die Leidens­geschichte der Geistlichen ungehindert anzuhören und legte sich einmal sogar halbnackt auf den Operationstisch eines Arztes, um in dieser unverdächtigen Lage den Arzt über lerne Erlebnisse ausfragen zu können. Er zeigt in rührender Weise, wie zäht die Bevölkerung trotz aller Quälereien an ihrem Deutschtum festhält und erwähnt zum Beispiel den Ausdruck eines Droschkenkutschers, der, als er ihn zum Reden gebracht hatte, ausrief:Ich bin Tiroler und will als Tiroler sterben, was Bernhard Mayer auch sagen mag." (Mit diesem Namen wird in ganz Tirol Mussolini bezeichnet. Die AufschriftAchtung! Lebensgefahr!" an den Hochspannungsleitungen mußte beseitigt und durch eine ita­lienische ersetzt werden. Ein Gastwirt hatte vorschriftsgemäß alle Aufschriften in seinem Haus italienisch angebracht, aber zufällig an dem Wort Telefono daso" ausgelassen, wofür er in eine schwere Geldstrafe genommen wurde. Sogar ein Kirchenfenster wurde zertrümmert, weil das Glas die deutschen Worte:Heilige Anna, bitte für uns!" enthielt. Weil von unbekannter Hand in der Kirche zu Innichen ein -'eitel angesteckt war mit den Worten:Haltet zusammen, die Befreiung wird kommen!" wurde der Priester verhaftet, die Nacht über in einen Schweinestall gesperrt und am nächsten Tag gefesselt ins Gefängnis gebracht.

Klopstock

(Zum 14. März 1928.) Von Bertha Witt.

Vor 125 Jahren starb Klopstock. Bei aller Bewußtheit feiner Bedeutung und seiner Größe, die man immer be­dingungslos anerkennen wird, wird man ihn heute zwar jenen Dichtern zurechnen müssen, die uns weniger in ihren Werken als ihrem Namen nach nahe stehen. Klopstocks Schöpfungen sind von einer Art, daß sie heute nicht mehr so auf das Interesse weiter Kreise wirken können wie einst zu ihrer Zeit. Das liegt an der Form und Erhaben­heit seiner Richtung und der heute ganz anders eingestell­ten literarischen Entwicklung, für die vor allem wohl Goethe maßgebend gewesen ist. Dabei wird man jedoch nie übersehen, daß am Anfang der neueren Literatur über­haupt eigentlich Klopstock steht und daß sich von ihm zum mindesten die Bestrebungen einer Neuschöpsung und Rei­nigung der deutschen Sprache herleiten, die später durch Goethe dann so entscheidend durchgeführt wurden.

In einer Zeit aber, die bei unvermeidlicher Uebertrei- bung und lleberschwenglichkeit glühend nach dem Ausdruck der Gefühle rang, mußte die Erscheinung Klopstocks und seines Messias, den er schon mit zwanzig Jahren begon­nen hatte, wie eine Offenbarung wirken. Kaum sonst hat ein Werk der deutschen Literatur eine ähnliche Wirkung hervorzurufen vermocht wie jenes gewaltige und erhabene, vom Zauber einer neuen Sprache überfließende Messias- Gedicht. das wie ein Markstein aus der deutschen Literatur aufragt. Selbst wo man den Dichter nicht ganz begriff, da ahnte man doch den Anbruch eines neuen Tages für die deutsche Dichtkunst. Denn alles an dem Werk war neu und unerhört, der riesenhafte Plan selbst, die Erhaben­heit der Gedanken, die Kraft und Schönheit der Sprache das griechische Versmaß, das Klopstock als erster in die deutsche Dichtung einzuführen wagte. Wie Goethe später nnt seinem Weither ein wahrhaftes Fieber hervorrief, so- veranlaßte Klopstocks Dichtung eine Messias-Zeit, die namentlich in Frauenherzen einen ungeheuren Nachklang fand.

Der Sänger der Unsterblichkeit,

Der uns der Menschheit Hochgefühle sang

Und dessen Lied in schönen Seelen widerhallte-

hatte hiermit selbst erreicht, was er wenige Jahre zuvor in mächtig sich regendem Vaterlandsgefühl für Deutschland erhoffte: daß sich Deutschland geistig erheben und sich den Völkern des Altertums und der Mitwelt durch große, un­sterbliche Werke der Dichtkunst, vor allem durch ein großes Epos ebenbürtig an die Seite stellen «erde.

Er zeigte uns von fern die neuen Erden In aller Glorie der Himmelspracht,

Entfaltet uns ein ander Sein und Werden Aus dieses Schicksals dämmrungsvoller Nacht . . . Klopstock hat sich in späteren Werken nicht wieder er­reicht. Goethe fand im Gespräch mit Eckermann, daß Klopstock zur Anschauung und Auffassung der sinnlichen Welt, zur Zeichnung von Charakteren keine Richtung und Anlage gehabt und daß ihm also das Wesentlichste zu einem epischen und dramatischen Dichter gefehlt habe. Aber Goethe hatte in seiner Jugend Klopstock glühend

England und die Kündigung -es deutschen Handelsvertrags

London. 13. März. Die deutsche Ankündigung, daß der deutsch-englische Handelsvertrag im Dezember 1928 gekün­digt werden solle, hat in den leitenden Kreisen Londons Aufsehen gemacht. Ganz England weiß, daß die britische Industrie durch den Vertrag große Vorteile erlangt hat und daß Deutschland sich hak übers Ohr hauen lassen. Angesichts der in Aussicht stehenden Wahlen würde aber die Re­gierungspartei gegenüber den Liberalen und der Arbeiter­partei in eine ungünstige Lage bringen, wenn die Regierung die Vertragskündigung nicht zu verhindern vermöchte. Im Handelsministerium will man daher nicht an die ernstliche Kündigungsabsicht Deutschlands glauben, sondern hält die Ankündigung für einen Versuch, durch Druck einige Vor­teile für Deutschland herauszuschlagen. Die Regierung wird ihre bisherige Schutzzollpolitik nicht aufgeben, aber es ist möglich, daß sie sich nach einigen Punkten umsteht, die man Deutschland bei etwaigen Verhandlungen zugestehen könnte.

Die Kampflage in Arabien

London. 13. März. Nachrichten aus Jerusalem besagen, daß sich größere Scharen von Wahhabiten, nach einer Mel­dung 10 000, nach einer andern sogar 18 000 Mann, bei dem Ort Tebuk, südöstlich von Akaba, versammelt haben, und daß auch schon Angriffe auf Bewohner des Transjordan- lands erfolgt sind. Der Emir Abdullah soll den britischen Oberkommissar in Palästina um schleunige Schutzmaßnahmen gebeten haben. Dagegen wird aus Basra gemeldet, daß an den Grenzen des Iraks und von Koweit die Ruhe bisher nicht gestört worden ist.

Württemberg

Stuttgart, 13. März. Personalabbaugesetz. Dem Landtag ist der Entwurf eines Gesetzes über den Personalabbau zugegangen. In der Begründuna des Ge­setzes heißt es, daß die Personalabbauvorschriftcn, soweit sie noch gelten und praktische Bedeutung haben, einer klaren Zusammenfassung bedürfen. Es wird vorgeschlagen, die Bestimmungen über die ..Versetzung der über 58 Jahre alten Beamten in den Ruhestand" und über dieZusicherung eines Ruhegehalts an ausscheidende planmäßige Beamte und an ausscheidende Körperschaftsbeamte. die noch bis 31. März 1929 hätten gelten sollen, schon setzt zu beseitigen. Es wurde von ihnen, wie sich ergeben hat, nur in ganz wenig Fällen Gebrauch gemacht: ein Bedürfnis für ihre weitere Beibehaltung besteht Lader nicht. In den Entwurf des Beamtengejetzes wurden übertragen die Vorschriften: 1. in 8 25 der Personnlabbauverordnung über die Rück­zahlung von Abfindungen: 2. in 8 37 der Personalabbau­verordnung über die Kürzung von Ruhegehältern usw. bei Wiederverwendung in einem öffentlichen Dienst: 3. in Art. 14 des Aenderungsgesetzes vom 27. Dezember 1926 über die Ansprüche der staatlichen Wartegeldempfänger aus vorübergehender Wiederverwendung.

Die Eröffnung der Murgtalbahn. Wie die Reichsbahn­direktion mitteilt, ist die Eröffnung der Murgtalbahn An­fang Juli oder August zu erwarten. Die Direktionen Stutt­gart und Karlsruhe werden wegen der Eröffnungsfeier­lichkeiten sich mit den beteiligten Gemeinden ins Benehmen setzen.

Strafantrag des Polizeipräsidiums. Vom Polizeipräsi­dium wird mitgeteilt: Gegenüber wiederholten Angriffen

derSuddeutschen Arbeiterzeitung" wird mitgeteilt, daß der Polizeipräsident wegen der gegen mehrere seiner Beamte-" erhobenen Vorwürfe des Meineids, der Protokollfälschung und der Aussagenerpressung Strafantrag gestellt hat.

A"Ekgarl, 13. März. Beförderungen. Das Staats- minlsterlum hat den Regierungsrat a. g. St. Ströle zum Oberregierungsrat, den Regierungsrat Walter zum Re- gierungsrat a. g. St. und den Oberrechnungsrat Schwen - ninger zum Regierungsrat beim Staatsministerium be­fördert.

Auszahlung der Beamkenbezüge. Die Bezüge der Be- amtenfur April 1928 (einschl. Vorschuß) werden schon auf 26 . Marz d I. ausbezahlt. Dieselbe Regel gilt auch für die Auszahlung der Wartegelder, Ruhegehälter und Hinter- bstebenenbezüge. Die Angestellten erhalten die auf 31. März bzw. 1. April fälligen Bezüge ebenfalls auf 26. März. Für ! die nach dem Reichsangestellten-Tarifvertrag entlohnten An­gestellten wird eine besondere Regelung getroffen.

Amtliche Prüfung in Kurzschrift und Maschinenschreiben. Am 11. Mürz wurden durch das Prüfungsamt für Kurz- Ichrrft und Maschinenschreiben bei der Handelskammer Stutt­gart wieder Prüfungen in der Städtischen Handelsschule, Kanzleistraße 13, abgehalten. Der Prüfung in der Kurz­schrift unterzogen sich insgesamt 21 Prüflinge. Von diesen haben bestanden: 1 bei 180 Silben, 7 bei 150 Silben, zu- sammen 8. Der Prüfung im Maschinenschreiben unter­zogen sich 3 Prüflinge. Bon diesen haben 2 bestanden. Die nächste Prüfung in Kurzschrift und Maschinenschreiben fin­det im November dieses Jahres statt.

Die arabischen Räume. Neckarstraße 68. Zugang Kerner­staffel, ein Lebenswerk orientalisch-arabischer Architektur des verstorbenen Fürsten Karl von Urach. Grafen von Würt­temberg, die über dis Winkermonate geschlossen waren, sind vom Mittwoch, den 14. März ab wieder geöffnet und zwar Mittwochs und Samstags 1416 Uhr. Sonntags 1113 Uhr.

Er zieht sich zurück. Der Agitator Ernst Kimmerle, der früher im Bauernbund beschäftigt war und nun eine eigens Bauernpartei gründen wollte, sieht sich nach seinen Miß­erfolgen zu der öffentlichen Erklärung veranlaßt, daß er sich vom Parteileben zurückziehen werde.

Aus -ein Lande

Heilbronn. 13. März. DerBauernbundzur Be­soldungsvorlage. In einer Bauerndundsversamm- lung, die gestern hier stattfand, erklärte der bauernbünd- lerische Abgeord. Obenland-Jlsfeld. seine Partei werde trotz Bedenken für die Besoldungsvorlage stimmen, wobei er für seine Person sich die Entscheidung noch vorbehielt.

Mergentheim, 13. März. Von der Transmission erfaßt. Der 28jährige Säger Nikolaus Haun von Königs­hofen wurde im Maschinenranm des Sägwerks von der Transmission erfaßt und tödlich verletzt. Er hinterläßt eine Witwe und drei kleine Kinder.

Oberkessach OA. Künzelsau, 13 Mürz. In der Fremde ermordet. Der von hier gebürtige, in Amerika (Neu- yorkBrooklyn) als Schutzmann bedienstete Julius Gehrik ist am 3. Februar während seines Nachtdienstes durch Mör­derhand ums Leben gekommen.

Rokkenburg, 13 März. Jahrhundertfeier des Progymnasiums in Rokkenburg. Das Progym-

verehrt. Nach der Beendigung des Messias wandte sich Klopstock mehr vaterländischen Plänen zu. Seine Be­mühungen um das deutsche Theater und Eelehrtenwesen in Wien scheiterten zwar an dem mangelnden Interesse Kaiser Josephs: um so bedeutungsvoller erschien sein Werk Die deutsche Gelehrtenrepublik", wenn auch die Allgemein­heit ziemlich ratlos war, was sie mit dem merkwürdigen Buche ansangen sollte. Goethe aber schrieb:Klopstocks herrliches Werk hat mir neues Leben in die Adern ge­gossen. Die einzige Poetik aller Zeiten und Völker! Die einzigen Regeln, die möglich sind! Daß heißt Geschichte des Gefühls, wie es sich nach und nach festigt und läutert und wie mit ihm Ausdruck und Sprache sich bildet." Mit seinen Versuchen einer neuen Rechtschreibung in vollstän­diger Unterordnung unter das gesprochene Deutsch ging Klopstock oft zu weit. Sein unermeßliches Verdienst um die Reinigung der deutschen Sprache bleibt aber davon un­berührt: er ist der Dichter

Der unserer Sprache Schwingen des Adlers gab. als sie im Staube kleinlicher Satzungen des Ungeschmacks, der Unform Fesseln schleppte, und seine Bedeutung, der Begründer unserer neueren Poesie, ja der erste zu sein,der den Namen eines deut­schen Dichters wieder zu Ehren brachte", ist nicht zu ver­kleinern, wenn dann auch der Aufschwung der deutschen Literatur mit Schiller, als dessen Vorläufer man Klopstock ansehen kann, und Goethe rasch so bedeutende Formen an­nahm, daß der Messiasdichter und sein Werk bald in den Hintergrund gerückt wurden.

Die persönliche Erscheinung Klopstocks zählt zu den eigentümlichsten und interessantesten unter den deutschen Dichtern, schon weil sie völlig im Widerspruch mit seinem Werk zu stehen schien. Goethes Mutter erwartete in ihm einen Mann mit einem Heiligenschein, und auch seine spätere Gattin Meta stellte sich in dem Messias-Dichter eher einen Geist vor, so daß sie dann sehr erschrocken war, ihn sosüß" zu finden. Klopstock war ein von Eitelkeit nicht freier Weltmann, zierlich, munter, etwas diplomatischen Wesens und sehr praktischen Verstandes: aber er blieb immer jünglingshaft, schwärmerisch, begeistert für das Schöne und voll edler Eefühlsreinheit. Seine Sportnei­gung, die er stets dem Reiten, Turnen und Eisläufen be­wahrte, erhielt ihn bis ins Alter frisch und elastisch. Dem Kopenhagener Hof gebührt das Verdienst, Klopstocks Lage so gestaltet zu haben, daß er voll und ganz seiner Sendung und Neigung leben konnte, auch dann noch, als er nach dem Regierungswechsel in Dänemark seinen Wohnsitz endgültig in Hamburg aufschlug. Welche Achtung, Ehrfurcht und Liebe diese Stadt ihm entgegenbrachte, das kam überwäl­tigend zum Ausdruck, als man den toten Dichter auf den Ottenser Friedhof zu Altona bettete. Eine Totenehrung dieser Art, an der die ganze in Trauerkleidern wandelnde Bevölkerung, alle Gesandtschaften, alle im Hafen liegenden Schiffe teilnahmen, ist wohl nie einem deutschen Dichter zuteil geworden: die fremden Nationen trauerten mit der deutschen um den unsterblichen Dichter des Messias. Und noch heute rauscht die alte Klopstocklinde über dem stillen Grabe, das Zwar die in die Vaterstadt des Dichters. Qued­linburg. iiberfiihrten Gebeine nicht mehr birgt. Wer ein­

mal die Hansestadt besucht und nach ihren Denkmälern forscht, der möge sich auch dieses Grabes und der Worte des Dichters.Boß erinnern:Wenn ihr einmal Hamburgs blühende Elbufer besucht, Freunde des Vaterlandes und vaterländischer Tugenden, so denkt: hier war's, wo Klop­stock als Jüngling mit Hagedorn, als Mann mit Lessing zur Erweiterung des deutschen Namens sich begeisterte, , Sinnet nach, wie Themistokles am Denkmal des Miltiades, 1 und legt eine Blume auf sein Grab."

Maxim Gorki

(Zu seinem 60. Geburtstag am 14. März 1928.)

Von Dr. Karl Brenner t.

j Am 14. März 1868 kam Maxim Gorki oder, wie > sein bürgerlicher Name lautet, Alexej Maximowitsch Pjesch- ! kow in Nischni-Nowgorod zur Welt. Als kleiner Leute ! Kind unter armseligsten Verhältnissen geboren, durchlebte er in seiner Jugend alle Leidensstufen eines lichthungrigen russischen Proletarierkindes, um sich dann kraft seiner eigen­artigen schriftstellerischen Begabung aus den Niederungen seiner trostlosen Umgebung zur Höhe dichterischen Ruhmes emporzuschwingen. Es mögen eigenartige Gefühle sein, die den Sechzigjährigen heute beseelen, wenn er aus der ruhigen ! Behaglichkeit seiner Villa Serracapriolo zu Sorrent seinen bisherigen Lebensweg überschaut. Wieviel dornige Schling­gewächse hatte er beiseite zu räumen, um sich eine Lichtung zu freiem Menschtum zu bahnen, als Heiligenbildmaler und Schiffskoch, als Gärtner, Holzknecht, Lastträger, flie­gender Händler, Weichensteller und Stromer. Dann griff der junge Gorki zur Feder.

Im Jahre 1892 veröffentlichte eine russische Tageszei­tung seine erste Novelle, die den echtrussischen TitelMüt­terchen" trägt. Kurze Zeit daraus erschienenDie Vaga­bunden" und dieGeschichten aus der Steppe". Aber erst sein packendes DramaNachtasyl" (1903) verschaffte ihm Weltruf und stellte ihn mit einem Schlage in die vor­derste Reihe der geistigen Führer Rußlands. Nicht umsonst trägt er den Namen Gorki der Bittere, denn Elend und Kummer schwingen ihre Zepter fast in allen seinen Schöp­fungen, nur hin und wieder gemildert durch einen leichten Schleier slavischer Sentimentalität wie inFoma Eorje- jew",Die Kleinbürger",Mutter" undDrei Menschen" Nachtseiten des Lebens, die der Dichter selbst zutiefst ge­schaut, gestaltete er meisterlich. Landstreicher, Verbrecher und Schufte handeln und gebärden sich unheimlich echt in allen seinen Werken, find keine Hirngespinste überspannter Phantasie, sondern erlebte Gestalten aus Fleisch und Blut. Die Tragik aller Verstoßenen und Heimatlosen erhebt hier bekümmert ihr Antlitz und redet stumm ihre gewaltige Sprache.Grausam ist das Leben und tückisch unser aller Schicksal", bekennt einer seiner Helden. Gorki hat sich em­porgearbeitet aus der Not und dem Daseinsjammer der Lichtlosen, doch er erhebt sich nicht pharisäisch über sie, denn er weiß um die Schwere des Aufstiegs und um alle Ge­fahren des Strauchelns. Was er will, ist dieses: Mitgefühl wecken für die Leiden und Sorgen derer, die dunkle Pfade der Freudlosigkeit wandeln und frieren.