Seile 2 — Nr. 1
Nagolder Tagblatt „Der Gesellschafter"
Mootaa. 2 Januar 1S28
Staaishandbuch 1928. Anfangs Februar 1928 wird vom Statistischen Landesamt ein neues Staatshandbuch in zwei Teilen» nämlich 1. All«. Teil (mit Wirkungskreis der einzelnen Behörden), 2. Teil, Ortschaftsoerzeichnis, zur Ausgabe kommen. Der Preis beträgt bei Borausbestellung für 1. Teil 5.50 RM., für 2. Teil 4.50 RM., der spätere Laden- preis für 1 . Teil 6.50 RM.. 2. Teil 5.50 RM. '' '
Steuereinzug durch Postnachnahme. Der Württ. Hand- werkskammerkag ist entsprechend einem Wunsch des Landesverbands Württ. Gewerbevereine an das Landessinanz- amt bekr. Steuereinzug durch Postnachnahme herangetreten. Das Landesfinanzamt hat auf die Eingabe folgenden Bescheid erteilt: .Die Einführung des Postnachnahmeverfahrens soll keine Verschärfung des Steuereinzugs bedeuten: sie bezweckt vielmehr lediglich eine Vereinfachung der Erhebung für den Steuerpflichtigen und das Finanzamt. Insbesondere ist durch dieses Verfahren keine Aen- derung in den Grundsätzen über die Stundung von Steuern, deren sofortiger Einzug für den Steuerpflichtigen eine erhebliche Härte bilden würde, eingetreken. Es bleibt den Steuerpflichtigen auch fernerhin unbenommen, Stundung von Steuerbeträgen, zu deren Zahlung sie im Zeitpunkt der Fälligkeit nicht in der Lage sind, zu beantragen. Da je- ' doch dem Postauftrag eine Mahnung nicht vorausgehk,
. empfiehlt es sich. Stundungsgesuche alsbald nach Eintritt der Steuer bei dem Finanzamt einzureichen.
- Benachrichtigung bei Vergebung von Arbeiten. Schon
, im Frühjahr hat sich der Württ. Handwerkskammertag mit dem Bund Deutscher Architekten in Verbindung gesetzt, weil Beschwerden darüber eingelaufen sind, daß Archi- . 'tskten bei-(Vergebung von Arbeiten den nicht berückflch- Xtigten /ZaPlloerkern Keine Antwort zugehen ließen. Daraufhin hak der Bund Deutscher Architekten Bezirk Württemberg mitgefeilt, daß auch er es für richtig halte, daß bei Vergebungen die nichtberückstchtigten Handwerker benachrichtigt weichen. Es ist dies auch wohl bei den meisten besseren Firmen üblich, doch gibt es eine Menge Bautreibender, die nicht dem Verband angehören, die diese geschäftliche Rücksichtnahme nicht nehmen. Diesen Heri''- gegenüber können wir natürlich nicht austreten, und es wäre zu begrüßen, wenn die Handwerker und die Bauherrn bei Bauten auf die bei unserem Verband angeschlofi senen Kollegen Rücksicht nehmen würden.
Stuttgarter Handwerksangelegenheiten. Von der Hand- Werkskammer Stuttgart wird uns geschrieben: Die bedauerlichen Vorfälle bei der Handwerkskammer Stuttgart und der Landeswirtschaftsstelle für das Württ. Handwerk A.-G. werden immer wieder zum Gegenstand lebhafter Erörterungen in einem Teil der Presse gemacht, deren Beweggründe für den einigermaßen Eingeweihten ohne weiteres erkennbar sind. Diese Bestrebungen sind nicht von dem Wunsche geleitet, im Interesse des Handwerks eine sachliche Behandlung dieser Fragen zu erzielen und durch positive Arbeit an der Schaffung geordneter Verhältnisse mitzuwirken, sondern sie verraten nur zu deutlich, daß es den dahinter stehenden Kreisen mehr um eine parteipolitische Ausschlachtung dieser Vorgänge zu tun ist. Die Kammer als amtliche, parteipolitisch neutrale Berufsvertretung des Handwerks hat nicht die Absicht, sich auf diese Wege zu begeben und hält es angesichts der immer wiederkehrenden Angriffe in der Presse für ihre Pflicht, darauf hinzuweisen, daß, nachdem sie in letzter Zeit den Führern der gewerblichen Organisationen des Handwerkskammerbezirks eingehend Aufklärung über die Vorkommnisse gegeben hat, es nicht möglich ist, alle Einzelheiten öffentlich zu behandeln, welche zum großen Teil erst durch das schwebende Untersuchungsoerfahren einwandfrei geklärt werden können. Das Untersuchungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Allgemein ist bekannt, daß es nicht zulässig ist, in ein schwebendes Untersuchungsverfahren einzugreisen und Erörterungen einzuleiten über Dinge, die erst durch das Untersuchungs-, bgw. Strafverfahren klargelegt werden können. Jedermann hat die Möglichkeit, sich seinerzeit bei Eröffnung der öffentlichen Verhandlung des Strafverfahrens eine einwandfreie Aufklärung über die Tatbestände zu verschaffen, die von der Kammer heute unmöglich gegeben werden kann. Die Kammer hat keinerlei Anlaß, in dieser Sache Berschleierungsoersuche zu unternehmen und damit Vogelstraußpolitik zu treiben; es liegt ihr vielmehr daran, restlose Aufklärung zu erhalten und die Schuldigen ohne Ansehen der Person der verdienten Strafe zuzufiihren. Dies ist aber, nachdem die gerichtliche Untersuchung eingelestet ist, Aufgabe des Gerichts, was von jedem Einsichtigen anerkannt werden muß.
sp- Landesausschuß für dorskirchliche Arbeit. Der Ev. Bolksbund hat einen Landesausschuß für dorfkirchliche Arbeit gebildet, an dem eine Reihe von erfahrenen Landpfarrern, Lehrern, Ortsvorstehern, Landwirten und Frauen aus den verschiedensten Teilen des Landes, Vertretern der Bauernschule und Gemeinschaften beteiligt sind. Am 28 Dezember ist dieser Landesausschuß unter Leitung von Staatsrat Dr, v. Mosthaf und Pfarrer Plan ck-Nußdorf zu einer erstmaligen Beratung zusammengetreten. Als Vertreter der evangelischen Landeskirche war Kirchenrat Schaal anwesend. Ein Vortrag von Pfarrer Planck der zum Vorsitzenden dieses Landesausschusses gewählt wurde, über „Form und Geist der dorfkirchlichen Arbeit", gab zu einer vielseitigen'und fruchtbaren Aussprache Anlaß, die sich hauptsächlich mit dem Verhältnis zwischen Kirche und Gemeinschaften, Freikirchen und Sekten, mit der Jugend- arbeit auf dem Dorf und der wachsenden Industrialisier»»« des Landes befaßt hat. ^
Fahrpreisermäßigung aus der S. S. G. Linie «. Ab 2. Januar wird der Einheitsfahrpreis für die Fahrten der Stuttgarter Kraftwagengesellschaft nach Cannstatt von 30 auf 25 Pf. und im Vorverkauf — bei 5 Karten — der Einheitspreis von 26 auf 22 Pf. ermäßigt. Weitere Ver- günstigungen bei Benützung der Autoomnibus-Linie A sind ab Februar 1928 in Aussicht genonnnen.
Ans dem Lande
Tübingen, 31. Dez. Berufung an die Universität. Dr. Wilhelm Rieger, Professor an der Handelshochschule Nürnberg, Hochschule für Wirtschaft und Sozialwissenschaft, hat einen Ruf als Ordinarius für Privat- wirtschaftslehre an der Universität Tübingen erhalten.
Reuklingen, 1. Jan. Warnung für Bäckermeister. Die Handwerkskammer Reutlingen wird von verschiedenen seiten darauf aufmerksam gemacht, daß eine Firma M. Longin, Fabrikation chem.-technischer Artikel in Reutlingen, in verschiedenen Oberamtsbezirken bei Bäckermeistern Säcke alstkauft. Für diese Säcke werden Schecks in Zahlung gegeben, die vielfach jedoch mangels Deckung nicht eingelöst werden. Die Handwerkskammer warnt daher, von der genannten Firma Schecks anzunehmen.
Vom bayerischen Allgäu, 1. Jan. Die verschluckte Z a h n b ü r st e. Der wegen seiner Geisterbeschwörung und Gaukelei mit „heiligem Oel" verurteilte Schlosser Armin Spirk hat im Lmtsgerichtsgefängnis Sonthofen einen Selbstmordversuch verübt. Er gab an, daß er eine Zahnbürste verschluckt Hab«. Eine im Krankenhaus vorgenommene Untersuchung ergab tatsächlich das Vorhandensein von Fremdkörpern im Magen.
Aus Stadt undLaud
Nagold, 2. Januar 1928.
Glück ist überall da, wo ein Mensch starke Gefühle hat und ihnen lebt, sie nicht vertreibt und vergewaltigt. Hesse.
Neujahr
1927 ist gestorben! Doch ist dieser Tod kein Grund zur Trauer, denn im gleichen Augenblick wird ein neues Jahr geboren. Goethes kategorischer Imperativ «Stirb und werde" ist beim „Jahr" ewige Erfüllung geworden. Mit Glockenge- läute und dem Choral unserer Turmbläser hat 1928 seinen Einzug gehalten, begrüßt von uns Menschen- lachend in fröhlicher Gesellschaft mit dem Glas in der Hand, im engen Familienkreis ihmein stilles Gedenke» weihend, allein auf Bergeshöhen dem Glockengeläut? mit pochenden, hoffenden Herzen lauschend, ernst und willensstark mit einem Gebet aus den Lippen, traumtrunken in Morpheus Armen oder schließlick sorglos begrüßt von der jubelnden, schießenden und singenden Jugend. Wie es auch empfangen sein mag, es läßt sich leben von uns und wird uns leben. Freud und Leid sind uns im letzten Jahre widerfahren, Freud und Leid wird unser Begleiter auch in dielem Jahre sein. Das ewige Auf und Ab unseres Lebens! Brennt auch die Hoffnungslampe klein, auch sie wird wieder aufleuchten und unser Herz mit Sphärenschimmer füllen.
Herz voll leiser Ruheneigung Raff dich auf zu neuer Mühe
Wie zu neuer Bergbesteigung In des Jahres frischer Frühe.
Im Verhältnis zu früheren Jahren ist der Silvesterabend ruhig verlaufen. Die Turmbläser spielten nicht nur nach dem Geläute um Mitternacht vom Turm, auch die Stadtkapelle hatte schon am früheren Nachmittag zur Freude der Pattenten im Krankenhaus dem alten Jahr den Abschiedsmarsch geblasen. In dem gutbesuchten Silvestergottesdienst, den der Kirchenchor eröffnet?, sprach Herr Dekan Otto über den 90. Psalm, im gestrigen Hauptgottesdienst sang der Ver. Lieder- und SSnger- kranz alter Tradition gemäß. Der Tag verlief im ganzen ruhig, einige Fremde kamen bei dem schönen, trockenen Wetter mit ihren Autos an- und durchgefahren, die Schlittschuhläufer konnten ihrer Spottlust auf dem Eisweiher im Jselshäusertal frönen und die Eisenbahner und ihre Freunde verbrachien frohe Stunden beim Christbaumfest in der »Traube". Das alte Jahr ist nun begraben und wir wollen es mit Huld bedecken und was uns in ihm schließlich schmerzlich war, das soll und darf uns im neuen Jahr nicht schrecken. Mit frischem Mut, ganzer Kraft und festem Willen wollen wir ans kommende Werk gehen.
Dienftnachrichte»
Die Reichsbahndirektion hat den Reichsbahnobersekretär Dobernek in Wildbad nach Coburg versetzt.
Vom Post- rmd Telegrapheuverkehr
Die Besorgung der Telegraphenhilfsstelle in Altburg ist der ledigen Sophie Rägle daselbst, Hauptstr. 59, in Rötenbach dem ledigen Matthäus Pfrommer (Hirsch) daselbst, in Oberreichenbach dem Friedrich Kirchherr jun. z. Hirsch daselbst, in Schwarzenberg OA. Neuenbürg, der Frau Maria Kraft Witwe zum Rößle daselbst und in Teinach- Bahnhof dem Bahnhofswirt Karl Moersch übertragen worden.
Die Postsachendefördernng zwischen Neubulach und der Bahnstation Teinach wird ab 1. Jan. von dem Verkehrsverband Neubulach ausgeführt. r
Ungetreuer Angestellter ^
In Haft genommen wurde am letzten Tag des vergangenen Jahres ein Kraftwagensüdrer der Firma Benz L Koch in Nagold, der in letzter Zeit sich auf der Kraftfahrlinie Nagold-Herrenberg Unterschlagungen von Fahrgeldern hat zu schulden kommen lassen. Wie wir hören, soll es sich um nahezu 1000 .LL handeln. Ein Teil der Gelder konnte wieder beigebracht werden. Die Sache kam dadurch auf, daß er sich Anschaffungen wie Anzüge, Schuhwaren usw. geleistet hat, die weit über seinen gewöhnlichen Bedarf hinansreichten. Er konnte kurz vor seiner Abreise in die Heimat überführt und festgenommen werden.
Um ähnlichen Sachen in Zukunft vorzubeugen, dürfte es sich empfehlen, daß jeder Fahrgast bei Bezahlung des Fahrgeldes darauf sieht, daß er auch einen Fahrschein erhält,
Betriebsunfall
Bei den Kanalisationsarbeiten am Klebweg ereignete sich am Dienstag ein Unfall, der zuerst leichter Art erschien, nunmehr aber doch schwerere Folgen zeitigte. Der letzige Eugen Hamann von hier war mit anderen besckäftigt, die Sprieße aus dem Graben zu entfernen. - Die Arbeiten wurden vor- schrifsmäßig vollzogen, indem zuerst die unteren dann die oberen Stützbalken abgenommen wurden. H. wollte gerade den letzten Sprieß herausnehmen, als man bemerkte, daß die Erde nachrutschte. Man machte H. darauf aufmerksam, der jedoch nicht so schnell herauskam, daß der Unfall vermieden blieb. Die nachdrängenden Erbmassen klemmten Hamann ein, der einen komplizierten Armbruch erlitt und eine Fleischwunde davontrug, sich aber noch zu Fuß ins Krankenhaus begeben konnte. Hierin! kam nun noch eine Blutvergiftung, die die Amputation des Armes notwendig machte.
*
Gültlinge«, 31. Dez. Kochkurs. Durch Vermittlung des Schultheißenamts hielt eine Lehrerin des Ev. Volksbundes einen 6 wöchigen Wander-Kochknrs ab, an dem tO Schülerinnen teilgenommen haben. Dank dem außerordentlichen Eifer der Lehrerin, die es vortrefflich verstand, sich das Zutrauen und die Liebe ihrer Schülerinnen zu erobern, haben die Mädchen
Äss »L8VL
komon-vvi, LlLbsid LOvclisick- 76. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.)
Der Angstschweiß stand ihr auf der Stirn, wenn sie an die Möglichkeiten dachte. Sie überlegte in diesem Augenblick nichts: nur eins schrie immerfort in ihr: „Ab- wenden, das Unheil abwenden!" In dieser Stimmung schrieb sie noch einmal an Heinz. ..Du irrst Dich, ich suche mein Glück an keines anderen Mannes Seite, denn ich werde unvermählt bleiben. Du weißt, daß mich von jeher mein Beruf und mein Studium ganz ausfülltc, und so wird es bleiben bis zum Ende." . .
Auf diesen Brief war keine Antwort mehr nnzetrof- fen. aber Ilse erwartete auch keine mehr.
Den Tanten gegenüber hielt Ilse die Auf-ö'ung ihrer Verlobung mit Heinz geheim. Sie erfuhren cs noch immer früh genug, wenn Heinz zurückkehrte, und ihre hämischen Zungen sollten die Wunden ihres Herzens nicht grausam von neuem aufreißen, sie sollten mit ihrem giftiaen Stachel nicht ihr heiliges Leid profanieren.
Ueber allen diesen Aufregungen hatte Ilse das letzte Geschenk der allen Marianka. das Kästchen mit den Andenken an die unglückliche Gräfin Gisela, vergessen, bis es ihr eines Tages beim Kramen zufällig in dir Hände fiel. Sie batte bisher nicht einmal Zeit gehabt, es zu öffnen. Jetzt tat sie es. und ihr Blick fiel aus eine Photographie. die obenauf lag. Sie mußte nach oem Gemälde im Ahnenfaal gemacht worden sein, denn es war dieselbe Stellung, dieselbe Tracht und dasselbe Alter. Ilse kannte das Bild, darum griff sie nach dem feinen Batisttuch. das die Tränen der Armen genetzt hatten. Mit fast heiliger Scheu breitete sie es auseinander. Im nächsten Augenblick stieß sie einen leichten Schrei aus. Wo hatiesie die- ies seltsam verschnörkelte Zeichen, daß halb schlänge, halb Fisch war. schon eininal gesehen? War es nicht dasselbe. das auf der Wäsche der eigenen, unbekannten Groß
mutter gestickt war? Eine seltsame Aufregung bemächtigte sich ihrer. Sie nahm das Kästchen mit »einem Inhalt und ging in das Zimmer der Großmutter.
Die Matrone saß friedlich in ihrem Stuhl am Fenster und nickte Ilse freundlich zu: „Was bringst du, Kind?"
„Etwas Seltsames, Großmütterchen."
„So? Zeige her!"
Ilse hatte das Bild aus dem Kasten genouiinen und hielt es der alten Dame, die erst umständlich ihre Brille aufsetzte, hin. Ms die Brille endlich auf der richtigen Stelle saß, warf sie einen Blick auf das Bild, im nächsten Moment rief sie erschrocken und erregt:
„Ilse, wo hast du das Bild her? Das ist ja deine Großmutter!"
Ilse beugte sich zu ihr herab: „Du hälft sie wirklich und wahrhaftig für meine unglückliche Großmutter, du täuschest dich auf keinen Fall?"
„Nein. Kind, mir ist es. als wenn die Jahre versänken und sie wieder leibhaftig vor mir stünde. Es gibt keine Täuschung, sie ist es. Doch nun spann; mich nicht länger auf die Folter: Sage mir, woher du es hast!"
„Noch ein Weilchen Habs Geduld, Großmütterchen." bat Ilse. „Ich will die Mutter erst herholen, denn was ich zu erzählen habe, geht sie am meisten an. Hier, nimm auch noch das Taschentuch — ich bin sogleich jeder hier."
Mach einer Weile kam Ilse mit ihrer Mutter zurück: sie setzten sich zur Seite der alten Dame, und diese zeigte Frau Römer das Bild ihrer Mutter.
Nachdem Frau Römer sich vom ersten Schreck und Staunen erholt hatte, drang sie mit fieberhafter Ungeduld in Ilse, zu erzählen. Und Ilse erzählte von den alten Schäfersleutcn, die sie mit Gräfin Gisela verwechselt hätten. von der Geschichte Graf Konrads im Ahnensaal, von dem Sänger Hollmann und dem Grafen Egon. Giselas Bruder und Konrads Vater, von dessen Grausamkeit und Eewissenspein und endlich von dem Testament, das eine Sühn« seiner Schuld sein sollte.
»W
Lange sasien die drei in dem traulichen Stübchen der Pflegemutter Frau Römers. Ueber Frau Römers Wangen flössen Tränen, und oft mutzte Ilse innehatton vor dem heißen Aufschluck,zcn der Mutter.
Als sie geendet hatte, schlang sie beide Arme um der Mutter Leib: „Sei ruhig. Mütterchen, das Geheimnis deiner Geburt ist nun gelüftet, du weißt, wo sie einst als Mädchen gewandelt ist und glückliche Tage gesehen hat. Deine Ilse kennt alle Stätten, ein seltsames Verhängnis führte die Enkelin an den Geburtsort der Großmutter.
„O. wäre sie nie dahin gekommen! Der furchtbare Fluch, der aus meiner Mutter haftete, hätte sich an ihr nicht erfüllen können!"
„Welcher Fluch. Mutter?" fragte Ilse beklommen.
„Daß einer aus dem Geschlecht der L:mar dir ein Leid antun mußte." ^ ,
„Nein. nein. Mutter!" In Ilses Augen leuchtete es auf. „Er hat mir nur Güte und Freundlichkeit erwiesen — ich allein schuf mir das Leid."
„Und du sagst, sie suchten nach den Erben der Verstoßenen, um ihre Hartherzigkeit und Grausamkeit zu sühnen?" >
„Ja. Mutter."
„Was könnte die schreiende Ungerechtigkeit, was die Grausamkeit des Bruders, der das Kind der Versöhnung mit den Eltern entzog, sühnen? — Nichts, kein Geld, kein Gut wäscht die Seele von dieser Schuld rein. Meine arme, arme Mutter!"
Es dauerte lange, ehe Frau Römer sich gefaßt hatte. Endlich raffte sie sich empor,
„Sie brauchen's nicht zu wissen, die stolzen Limar — oder ja. schleudern wir es denen, die die Sunde m« Gew loskaufen möchten, ins Gesicht: Ich wM dasSchuldgew nicht, seht zu. wie ihr mit eurem Gewissen fertig werdet!
So leidenschaftlich hatte Frau Römer noch me gesprochen. ihr ganzer Körper bebte vor Erregung.
' ^ (Fortsetzung folgt.)