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Nagolder TagblattDer Gesellschafter"

Dienstag, de» 27. Dezember 1827.

Tübing«, 26. Dez. Jubiläums st iftung. In einer Sitzung am 17. Dez. wurde die Satzung derTübinger Iubiläumsstistung 1927" angenommen. Der Stiftungsrat besteht je zur Hälfte aus Vertretern der Spender und der Universität. Ausführendes Organ ist ein aus drei Personen bestehender Vorstand: Professor Dr. Gaupp, Professor Dr. Hegler und Verlagsbuchhändler Dr. Oskar S'i eb e ck. Zu Stellvertretern wurden ernannt: Prof. Dr. Anrich, Prof. Dr. Knopp, Fabrikant <8. Br ä'unin g.

Altenfteig. 26. Dez. Unfall. Stadtschustheiß Pfizen- maier hier erlitt oei einem Sturz infolge des Glatteises einen Armbruch.

Achftetten OA. Laupheim, 26. Dez. Brand. Freitag früh brach in der gefüllten Scheuer des Bauern August Unseld Feuer aus, das sehr rasch um sich griff und das große Anwesen vollständig einäscherte. Das Vieh konnte ge­rettet werden. Etwa 800 Zentner Getreide und eine große Dreschmaschine nebst Futtermittel sind verbrannt.

Vo« Vodensee» 26. Dez. EingefroreneSchwäne. In den letzten kalten Tagen sind in der Seebucht bei Alten­rhein zwei Schwanenpaare im Eis eingefroren. Gütige Menschen halfen den Tieren bei ihrer Befreiung, so daß die Schwäne noch ohne besonderen Schaden davonkamen.

Der schöne Touristengasthof zur Krone im Thal im Bregenzerwald ist abgebrannt. Das Anwesen bestand aus Wirtschaft, Bäckerei und Oekonomie, nur das Vieh konnte gerettet werden. Der Schaden beträgt 50 000

Vom bayerischen Allgäu, 24. Dezember Aus ver­schmähter Liebe. Der ledige Fabrikheizer Paul Wol, in Füßen hat sich an einer Arbeitsstelle mit einem Revolver einen Schuß in die Brust beigebracht. Im Fabrikkranken- hous ist Wolf bald darauf gestorben.

Von der bayerischen Grenze. 24. Dez. Brand. In der Siedelungskolonie Mayfried bei Bäumenheim brannte die Scheuer und Stallung des Landwirts Karl Ziegler mit­samt den Vorräten und Maschinen vollständig nieder. Man vermutet Brandstiftung.

Aus Bayern. 24. Dez. Ein Frosch im Magen. Aus nicht alltägliche Weise erkrankte der 14jährige Sohn des Landwirts Pösl von Rottendorf in der Oberpfalz. Der Knabe verspürte schon seit längerer Zeit große Magen­schmerzen. Er wurde dann in Amberg mit Röntgenstrahlen durchleuchte! und dabei wurde festgestellt, daß er einen aus­gewachsenen Frosch im Magen hatte. Es wurde dem Knaben eine starke Medizin verabreicht, woraus er sich er­brechen mußte und der Frosch zum Vorschein kam. Wie nun festgestellt wurde, hatte der Knabe beim Hüten seinerzeit an einem Brünnlein Wasser getrunken und dabei sicherlich einen Froschlaich ausgenommen, der sich nunmehr zum Frosch entwickelt hatte. _-

Aus Stadt und Land

Nagold, 27. Dezember 1927.

Gewisser Freund, er p robtes Schwert.

Die sind in Nöten Goldes wert.

Wohl ihm, dem 's nicht » Freunden fehlt:

Weh' ihm, der zu sehr «mf sie zählt!

Freibank.

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Weihnachtslage

Weihnachten war es wieder einmal, war hinabgestiegen auf unsere unfriedliche, zerklüftete und zermürbte Erde, hat Millionen kleiner und großer Tannenbäume mit bunten Lichtern besteckt, hat mit Orgelklang und Glockengeläuts das liebliche Wiegenfest des Jesuskindleins eingeleitet und uns wenigstens für Stunden den Alltag vergessen lasten mit seinen Sorgen und Mühsalen, seinen Aergernisien und harten Fron. Wider alle Erwartungen hatte die Natur noch vor dem Fest ihr winter­lich-weihnachtlich Kleid ausgezogen und uns die schöne winter­liche Weihnachtsstimmung im frühlingsmilden Sturmesweben geraubt. Es war ein »grünes Weihnachten', man wurde ohne Kenntnis des Kalenders das Gefühl nicht los, Tage als Vorboten zum Osterfest zu erleben. Doch wollen wir ob dem zufrieden sein, denn auch diese Milde fei uns willkommen, die manche Not in dürftigen Wohnungen weniger fühlbar machte. Weihnachten! Weihnachten im Kreise einer frohen Kinderschar, Weihnachten der Alten, Weihnachten der Verlassenen, der Einzelnen, der Frohen und Mürrischen, der Zufriedenen und so vieler, Vieler

anderen. Wo wird es am schönsten gewesen sein, wo hat der Lichterbaum die meiste Freude bereitet? Wohl überall auf feine Art, wohl in jedes fühlenden Menschen Herz hat sich in dieser Stunde eine Wandlung vollzogen. Gingen wir am frühen Samstag Abend als die Turmbläser vom hohen Turm ihre Choräle spielten, über die Straße mit ihren noch geschäftig ein­herlaufenden Menschen und machten wir etwas später den gleichen Weg: Als ob Himmelsfriede über die Erde ziehe. Lautlose Sülle fanden wir allerorts, wo noch vor kurzem emsiges Hin- und Herlaufen war. Aus vielen Fenstern leuchteten die Sterne am Weihnachtsbaum und brachen sich in den bunten Glas­kugeln. Lametta floß wie flüssiges Silber bis zu den unter­sten 'Zweigen, die goldenen und silbernen Nüsse, die Marzipan­herzen und die Pfefferkuchenmänner sahen aus wie Märchen­wunder. Und gingen wir dann hinein und fanden wir noch eine jubelnde Kinderschar, was strahlte da Heller, die beglückten Kinderaugen oder die Kerzen? Was da alles in den Träumen der Großen und der Kleinen in dieser Nacht gelebt und ge­webt haben mag! Der 1. Feiertag war ein Frühlingstag sondergleichen und zog trotz der nassen und schmutzigen Wege die Menschen zu Spaziergängen hinaus oder die Glocken luden zur Einkehr in das Gotteshaus. Am Mittag durften wir uns an neuen gutgelungenen Vorträgen der Stadtkapelle unter Leitung des Musikmeisters Cortschewski in der Vorstadt erfreuen, die uns von ihren Fortschritten Kunde gab. Der Stephanustag brachte schon etwas lmehr Leben, alldieweil Militär- u. Veterane«- Verein und Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegshinter­bliebenen etc. ihre Weihnachtsfeiern abhielten. Ein Bericht über die eine Veranstaltung liegt vor, während wir auf die des Reichsbundcs später zurückkommen werden. Auch der Ver­kehr von außerbalb zeigte sich lebhafter, was uns in Anbetracht der Gasthäuser erfreute, wenn wir Fußgänger jedoch anderer­seits ob der auf Ballonreifen und Wechseln laufenden durch die Pfützen und Lachen rasenden Autos nicht gerade höchst- lichst entzückt waren. Doch muß man die Rücksicht der meisten Fahrer anerkennen, die langsam und im Bogen um Fußgänger besonders innerhalb der Ortsgrenzen herumfahren. Heute abend 6'/z Uhr nun hat der Turnverein seinerseits zu einer Weih­nachtsfeier in den Traubensaal eingeladen und wir werden auch hier wieder mit einem vollen Saale rechnen müssen, da die Veranstaltungen dieses Vereins in allen Bevölkerungskreisen schon immer größten Anklang gefunden haben. Und läuten übers Jahr am heiligen Abend wieder die Glocken, ihre fried­lichen Klänge weit ins Land bis jenseits der Grenze hinaus- tragend, dann möge unser aller Herzenswunsch zur Wahrheit geworden sein: Friede auf Erden und Freiheit dem ganzen deutschen Vaterland!

Dienftnachrichten

Der Herr Staatspräsident hat eine Oberlehrerinnenstelle (Bes. Gr. VIII) an der Frauenarbeitsschule in Zuffenhausen der Hauptlehrerin Volz in Neuenbürg, ferner eine Haupt­lehrerinnenstelle an der Frauenarbeitsschule in Calw der Hilfslehrerin Eugenie Thomä in Göppingen übertragen und zu Oberlehrern in Gruppe VIII die Hauptlehrer Eberle in Stammheim OA. Calw und Ha über in Freudenstadt er­nannt.

Die Reichshahndirektion hat den Reichsbahnsekretär Fau- ser in Herrenberg nach Uhingen versetzt.

Treue Dienste

In Anerkennung lOjähriger, in einer Familie treu gelei­steter Dienste wurden durch den Bezirkswohltätigkeitsverein Ehrenzeichen nebst Ehrenurkunden an

Anna Katharine Bauer, Altensteig-Stadt Agnes Härtter, Sulz und Marie Schaible, Heselbronn Gemeinde Ueberberg aus Weihnachten verliehen.

Die Auszahlung der Invaliden- und Unfallreute«

für Januar 1928 findet ausnahmsweise schon am 29. Dez. statt. Dabei werden folgende einmalige Zuschläge mit aus­bezahlt: An Empfänger von Invalidenrenten (I. X. oder -V) 9 ^ und dazu für zedes zuschußberechtigte Kind 3 an Empfänger von Witwenrenten und ZV. X.) 9 ; bei

Waisenrenten (O) für jede bezugsberechtigte Waise 3 Die Rentenbefcheinigungen haben auf den eigentlichen Rentenbetrag zu lauten und müssen in üblicher Weise beglaubigt sein.

Weihnachtsfeier des Milli.- und Deter.-Dereius

»Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind', das ist die Weihnachisbotschaft des Engels an die Mensch­heit. Weihnachten, das Fest der Freude, der Liebe und des Friedens! Und was ist das Ziel und der Zweck eines Militär- und Veteranen-Vereins? Ist es nicht zum großen Teil die

Erinnerung an gemeinschaftlich durchlebte Gründen draußen im Feindesland, nn Kugelregen und Kanonendonner, das Ge­denken an jene Tage, wo deutsche Männer und Jünglinge voll heiliger, glühender Vaterlandsliebe hinauszogen, um Hof und Herd gegen rachsüchtige, blutrünstige Gegner mit Leib und Leben zu schützen. Dann kam das Zusammensein am brennenden Baum im Schützengraben, auf hoher See und wo es war, Weihnachten! Also Kriegserinnerungen und Friedensstimmun­gen! Scheinbar ganz unvereinbare Gegensätze und doch wieder so ganz zu harmonischem Ausgleich bestimmte Stimmungen und Regungen der menschlichen Seele. Diese Menschen, die diese gemeinschaftliche Stunden miteinander durchlebten, sie haben allen Gmnd, Friedensstimmung, Weihnachtsfreude rege werden zu lassen durch eineweihnachtliche Weihnachtsfeier. Gestern Abend nun versuchte der hiesige Militär- und Veteranenverein diesen Momenten gerecht zu werden und durste sich eines voll­besetzten Traubensaales erfreuen. Der Vorsitzende, Herr Walz, begrüßte in kurzen Worten Kameraden, Frauen und Gäste und der Bezirksobmann, Herr Raas, sprach von Deutschlands Nöten und Freuden, von Deutschlands Willen zum Aufstieg und großer Vergangenheit.

Der übrige Teil des Programmes war sehr reich be­messen. Vor allem sind die, wenn man so sagen darf, impro­visierten Vorträge eines Teiles des Lieder- und Sängerkranzes unter Leitung von Herrn Schnepf, die großartig gelangen, zu nennen. Aber auch zwei gut durchgeführte Theaterstücke gefielen nicht minder. Das eine »Des alten Türmers Weih­nacht', ein Erleben menschlich-weihnachtlicher Stimmung fand eine glückliche Besetzung. Das andere »Um einen Bubikopf' war ein Schwank voller drastischer, urkomischer Szenen mit einem Fliegen fangenden Professors seinen zwei hübschen Töch­tern, einem eifersüchtigen Ehemann, einer raffinierten süßen klei­nen Frau, einem lebensfrohen, draufgängerischen Liebhaber und einem schüchternen, etwas tollpatschigen mit der gleichen .Krank­heit' Behafteten.^ Wahre Lachstürme dankten den Spielenden für ihre viele Mühe. Ein Melodrama aus der Weihnachtszeit, ein Gedicht von Otto Keller und ein köstliches Zusammentreffen zweier Klatschbasen, der Frau Knöpfte und Frau Kröpfle, dazu die Vorträge eines Qßkrtetts und schließlich eine reichbeschickte Verlosung ließen die Stunden gar schnell vergehen. Den Mu­sikern, d. h. dem Klavierspieler und Geiger aus Pforzheim möchten wir aber für die Zukunft doch raten, erst einmal musizieren und ein Zusammenspiel zu lernen, bevor sie ein Engagement zu einer öffentlichen Feier eingehen und den Zuhörern Schweißtropfen der Angst und Verlegenheit Heraus­pressen. Mit einem in künstlerischen Falten auf der Geige aufgebauten Gesicht und einem kühnen, künstlerischen Hand­schlag am Klavier ist es unserer unmaßgeblichen Meinung nach nicht getan. Die hiesige Musikleitung dürfte ihrerseits in der Auswahl ihrer Mitspieler vorsichtiger sein, damit sie sich nicht mir ihnen blamiert. Doch dies nur nebenbei, denn das Fiasko dieses Ensemble war bald durch das übrige Gebotene mit einem Lächeln abgetan und die frohe Stimmung, wie sie meist in einem großen Vereinsfamilienkreise herrscht, gewann wieder die Oberhand.'Vom Vorstand wurde die Gründung einer Schützen­abteilung angeregt. So viel wir hören, haben sich bis jetzt ca. 50 Freunde des Schießsportes eingetragen und es wird wohl unter diesen Umständen zur definitiven Gründung einer Schüt­zenabteilung des Kriegervereins, wie sie übrigens bei den mei­sten Kriegervereinen schon besteht, kommen. Unter Umständen wird dann ein zu begrüßendes Zusammengehen mit dem hier schon bestehenden Schützenverein möglich sein.

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Altensteig. 26. Dez. Gemeinderatssitzung vom 21. Dez. 1927. Ein Nadelstammholz Berkauf vom 19. ds. Mts., Mit einem Erlös von 32700 ^ (Forstpreis 23100 wird ge­nehmigt. Das ftädt. Gebäude auf dem fr. Bäcker Wurster'- schen Brandplatz an der Pofiftraße wurde am 9. Dez. zurri zweiten Male öffentlich versteigert. Dem Wilhelm Köhler, Buchbindermeister hier, welcher das Höchstgebot von 25100 ^ abgegeben hat, wird der Zuschlag erteilt. Der Mietzins für die Wohnung des Sparkaffenbuchhalters Wieland in diesem Gebäude wird für den Monat Dezember auf 40 ^ festgesetzt. Dem bei der Stadtpflege beschäftigt gewesenen Verw.-Prakt. Pfeifle wurde auf 5. ds. Mts. eine Stelle in Trossingen übertragen. Der Austritt, welcher am selben Tage erfolgte, wird genehmigt. Die staatliche Reute an die sr. Hebamme Henßler wurde von jährlich 100 ^ auf 158 ^ und an die fr. Hebamme Welker von jährlich 40 ans 60 ab 1. Dez. 1927, entsprechend der Erhöhung der Rente aus der Stadtkaffe, erhöht. Verlesen wird noch eine Stellungnahme des Bezirks­rats zu der Kraftpostliuie Altensteig-Pfalzgrafenweiler-Dorn- stetten, welche auf Antrag der Gemeinderäte Altensteig und

lZomcu» von LIsbskki Oorctisrl 71. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.)

Ia. Sehen Sie. die Alte regt sich; wollen Sie sie nicht begrüßen?" , ^ .

Graf Konrad warf einen Blick auf Mariankas Bett. Sie wird mich heute kaum erkennen. Kommen Sie. Fräulein Römer, wir wollen den Heimweg antreken. Die Enkelin wird wohl bald kommen und ihr Gesellschaft Listen."

Er öffnete die Tür. um Ilse hinaus zu lassen. Da Hang vom Bett her Mariankas Stimme. Es war, als wenn sie zu sich selbst spräche, und doch klang es wie ein Nachrufen für die Gehenden:

Sie hat den Geist von Tworrau gesehen sie mutz ihn lieben denn sie ist eine Limar!"

Beide zögerten unwillkürlich an der Schwelle und lauscht >!>.

Sie träumt die alte Geschichte doch"

Konrad waudlc sich erschrocken Ilse zu, die kreidebleich am Türpfosten lehnte. ..Was ist Ihnen. Fräulein Römer? Sie sehen so bleich aus oder macht es nur der fahle Dümmerschein?"

Ia, jedenfalls", versuchte Ilse lächelnd zu erwidern und trat schnell zur Tür hinaus. Graf Konrad folgte ihr und schloß die Tür sorgfältig hinter sich.

Ein heftiger Sturm schlug ihnen entgegen, sodatz Ilse fröstelnd ihr Cave fester zog. Dunkle Wolken jagten am Horizont und ballten sich zu Massen zusammen: es war unwirtlich und trübe.

Bis zum Schloß war eine gute halbe Stunde zu gehen, und trotz des Sturmes, der ihnen entgegenblies, ichritt Ilse schnell und hastig aus. Ihr ganzer Körper kämpfte gegen die Gewalt der entfesselten Elemente, sie stemmte sich dagegen mit Riesenkraft. Endlich erlahmte ihr« Kraft» und schwer atmend blieb sie stehen.

Graf Konrad, der schon eine Weile ihr seltsames Vor­wärtshasten beobachtet hatte, aber gleichwohl an ihrer Seite geblieben war, lächelte jetzt.Hat man endlich ein­gesehen, daß ein Kämvfen gegen die Gewalt der Natur vergebens ist?" Als Ilse stumm blieb und nach Atem ! rang, sprach er weiter: >

Wenn Sie Ihren Wettlauf mit dem Sturm noch lange fortgesetzt hätten, würde ich Ihnen kaum noch haben folgen können. Was treibt Sie denn so sehr? Wer­den Sie im Schloß erwartet?"

Nein", entrang es sich schwer ihrer keuchen Brust.

Nun, warum denn sonst?" Er trat etwas näher zu ihr heran und beugte sich ein wenig herab:Fürchten Sie sich etwa vor mir?"

Es sollte ein Scherz sein, und doch ging er Ilse durch und durch.Ja, sich fürchte mich", hätte sie rufen mögen und brachte nur ein kurzes Auflachen heraus.

Unterdes war das Unwetter, ohne daß sie es gemerkt hatten, näher gekommen. Einzelne Regentrovfen fielen herab: sie wurden immer dichter und stärker. Ein heftiger Windstoß jagte daher, hob Ilses Cave in die Höhe und setzte sie dadurch der Kälte und dem Regen aus. Jetzt erst bemerkte Graf Konrad. wie leicht sie gekleidet war» und was nun folgte, war das Werk eines Augenblicks. Ge­wandt und schnell, wie man es dem unbeholfenen Gelehr­ten nimmer zugeiraut hätte, knöpfte er den Kragen von seinem Mantel und legte ihn um Ilses Schultern. Dadurch hielt er die ganz Widerstandslose eine Sekunde in den Armen:Mit meinem Mantel vor dem Sturm beschütz' ich dich", flüsterte er leise und ließ sie darauf frei.

Ilse antwortete nicht. Wie ein Fieber, ein Rausch war es über sie gekommen. Wie im Traum ging sie an seiner Seite langsam weiter. Sie zog seinen Kragen fest um sich und legte ihren Kovi zuweilen wie liebkosend an den Stoff, als wenn er ein Mensch von Fleisch und Leben wäre.

.Ilse!"

Was war das? Wer weckte die Nachtwandlerin so jäh aus ihrem Traum?

Ilse", wiederholte Graf Konrad.warum sind Sie heute so schweigsam? Lassen Sie mich an Ihrem Kum­

mer teilnehmen mein Herzblut gäbe ick darum, könnte ich damit alles Leid von Ihnen fernhalten Warum antworten Sie mir nicht, Ilse?"

Er haschte nach ihrer Hand und zwang sie dadurch zum Stillstehen.

Sie entzog ihm die Hand nicht. Wie unter einem rätselhaften Bann blieb sie stehen. Sie war nicht mehr sie selbst und gehörte nicht mehr sich selbst.

Ich fühle keinen Kummer in diesem Augenblick." Leise zitternd und doch so voll von namenloser Seligkeit kam es halb träumend über ihre Livpen.

Ilse, Ilse!" schrie er auf.Wie soll ich das verste­hen, wie deuten?"

Er zog sie an sich, und wie betäubt sank ihr Kopf an seine Schulter. Da packte es den Mann mit jäher Leiden­schaft: er schlang seine Arme um die schlanke Gestählt und preßte sie an sich. Da ein furchtbarer, verzweifelter Aufschrei ein einziger Ruck Ilse hatte sich losgerissen und stürmte nun, gehetzt wie ein edles Wild, des Regens und Sturmes nicht achtend, davon m rasendem Lauf.

Ihre Brust keuchte, ihr Atem flog. Was kat's? Nur fort, fort, fliehen vor dem Geist von Tworrau. der sich an ihre Fersen heftete und sie zu erhaschen suchte.

Du bist mir verfallen. Deine Flucht nützt dir nicht«, du törichtes Kind!"

Sie meinte, es riefe jemand hinter ihr, und dennoch! war es nur ihre eigene innere Stimme.

Graf Konrad stand noch immer auf demselben Fleck und starrte der Fliehenden wie versteinert nach. Dann bückte er sich und hob den Kragen auf. der Ilse von der Schulter abgeglitten war. Er war naß und unsauber ge­worden, trotzdem drückte der einsame Mann ihn an sich, wie etwas Heiliges.

Was bedeutete ihre Flucht, ihre Angst, ihr ganzes sonderbare Wesen heute? Hatte er sie mit seiner Werbung erschreckt, war sic seiner Umarmung aus Keuschheit ent­schlüpft?

(Fortsetzung folgt.)