Sette 2 - Nr. 272
Nagolder Tagblatt „Der Gesellschafter"
Montag, 21. November 1SL7
Dr. B r u ck m a n n - Heilbronn über Qualitätsarbeit, Industrie und Werkbund sprach. Letzterer brachte zum Ausdruck, daß die Zukunft der deutschen Industrie nur auf dem Gebiet gesteigerter Qualitätsarbeit liegen könne.
Knittlingen» OA. Maulbronn, 20. Nov. Einerabiake Mutter. Eine Frau, die im Wirtshaus geuzt wurde, eilte nach Haus, um ihren beiden Kindern den Hals abzuschnei- den. Ihr Mann eilte ihr nach, konnte die Tat noch verhindern, trug aber selbst eine zerschnittene Hand davon.
Schrozberg, OA. Gerabronn, 20 Nov. Nicht bestätigte Ortsvorsteherwahl. Die Wahl des vor einiger Zeit hier mit großer Stimmenmehrheit gewählten Verwaltungspraktikanten Hirschburger aus Aalen zum Ortsvorsteher der hiesigen Gemeinde ist nicht bestätigt worden. Eine Neuwahl findet am 4. Dezember dieses Jahres statt.
Reutlingen. 20. Nov. Unterschlagungen bei der Ortskrankenkasse. Das Schöffengericht Tübingen verurteilte den früheren Kassier H. Gröner wegen Unterschlagungen und Untreue zum Nachteil der Ortskrankenkasse Spätlingen zu 8 Monaten Gefängnis. Es handelt sich um einen Fehlbetrag von 3400 Weitere Unterschlagungen sind der Kontoristin Helene Müller zur Last gelegt, die 10 Jahre lang bis Oktober 1925 bei der Reut- linger Krankenkasse in einem Vertrauensverhältnis tätig gewesen ist, die aber im November 1925 nach Amerika abgereist ist. Sie kann nicht verfolgt werden, weil Amerika die Auslieferung verweigert.
Trofsüigen, 20. Nov- E i n b r u ch s d i e b st a h l. In der Nacht auf Donnerstag wurde in das Filialhäuschen des Erhard Würthner, Mehgermeister, bei der Friedenssiraße ein- zebrochen. Dem Dieb fielen etwa 40 Mk. Wechselgeld ln die Hände. Außerdem nahm er alle vorhandenen Wurstwaren mit. Das Fleisch ließ er liegen.
Kleineislingen. OA. Göppingen, 20. Nov. 8 5. Geburtstag. Pfarrer a. D. Dr. Theodor Engel vollendete am Samstag das 85. Lebensjahr. Er hat sich durch seine Bücher über Geologie und Botanik in Württemberg sehr bekannt gemacht und große Verdienste erworben. Der 85jährige ist infolge seines hohen Alters erblindet, aber sonst gesund.
Alm. 20. Nov. Ein Zwischenfall in der Hitlerversammlung. Die Freitag nachm, im Saalbau abgehaltene Versammlung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei eröffnete der Ulmer Führer der Nationalsozialisten, Dreher, mit einer Ansprache, in der er nach einer Begrüßung Adolf Hitlers sofort die Obektivität der Presseberichterstattung anzweifelte. Er machte darauf aufmerksam, daß zwei Stenographen anwesend seien, die den Wortlaut der Rede aufnehmen. Er warnte ausdrücklich die Berichterstattung, bei der Wiedergabe der Rede aus dem Zusammenhang gerissene Sätze herauszunehmen, die den Sinn der Rede entstellen könnten. Me anwesenden Vertreter der Ulmer und Neu-Ulmer Zeitungen verließen daraus den Saal.
Dilhelmsdorf OA. Ravensburg, 20. Nov. Auf der Jagd verunglückt. Bei einer Treibjagd wurde der 30jährige Treiber Müller von Latten, Gde. Zußdorf, durch den Schrotschuß eines Jagdgastes aus Pfrungen OA. Saulgau schwer verletzt. Es ist fraglich, ob er mit dem Leben da- oonkommt. Der unglückliche Schütze wollte Selbstmord begehen, von dem er nur mit Mühe abgehalten werden konnte.
Aus Stadt uudLaud
Nagold» 21. November 1927.
Aengstlich zu sinnen und zu denken, was man hätte tun können, ist daS Uebelste, was man tun kann.
Lichtenberg.
Der gestrige Sonntag
stand ganz im Zeichen der Trauer, galt dem Gedächtnis der Toten, insbesondere unserer Gefallenen. Gegen 2 Uhr riefen uns die Glocken zur Feier an die Kriegergräber auf den hiesigen Friedhof, wozu die beiden christlichen Kirchen, die Stadtgemeinde und verschiedene Vereinigungen eingeladen hatten. Der Himmel hatte einen düsteren Vorhang vorgezogen, einen Schleier über die Erde gedeckt, als wollte er uns die Einstellung auf den Sinn des Tages leichter machen. Der Verkehr war, wie meistens an solchen Tagen, ruhig und die Gasthöfe brauchten nicht wegen Ueberlastung zu klagen. Vereinsveranstaltungen fanden
ebenfalls nirgends statt, lediglich der S. V. N. führte seine Wettspiele durck. In der Kirche lief ein interessanter Film der Basler Mission, der sowohl nachmittags wie abends gut besucht war.
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Dienstnachrichten
Die mittlere Verwaltungsdienstprüfung haben bestanden: Beutler Alfred von Calw, Cantignon Hermann von Eyach Gde. Börstingen OA. Horb, Hummel August von Herrenberg, Reule Hermann von Nagold, Saalmüller Fritz von Altensteig-Stadt OA. Nagold, Schübel Karl von Haiterbach OA. Nagold, Seeg er Albert von Aach OA. Freudenstadt, Theurer Albert von Unterjesingen OA. Herrenberg, Walz Jakob von Egenhausen OA. Nagold.
Auf Grund der am 31. Oktober und den folgenden Tagen abgehaltenen 2. Dienstprüfung wurden folgende Lehrer zur ständigen Anstellung an evang. Volksschulen für befähigt erklärt: Beck Karl von Obertal OA. Freudenstadt, Hindennach Johannes von Herzogsweiler OA. Freudenstadt, Höhn Erwin von Friedrichstal OA. Freudenstadt, Kl um pp Georg von Lauterbad OA. Freudenstadt, Schüttle Johannes von Ebhausen OA. Nagold.
Die Reichsbahndirektion hat den technischen Reichsbahn- inspektor Büdenbender, bisher in Rheine (Wests.) nach Freuden st adt (Reichsbahn-Bauomt) versetzt.
Risfioosfilm aus Afrika
Die Basler Mission gab in ihrem diesjährigen Jahresbericht alles in allem sehr ernste Zahlen heraus, die der Missionsgemeinde in ganz Deutschland zu denken geben und Weckrufen gleich an Ohr und Herz dringen. So führte gestern in der evang. Stadtkirche Missionar Chr. Widmaier-Korntal einen Missionsfilm vor, der einen guten Einblick gab in die Missionsarbeit. Nachdem der Verlauf eines Basler Missionsfestes vorgeführt war, welches jedes Jahr Ende Juni bis Anfang Juli gehalten wird, wurden Bilder aus der Arbeit in Afrika gezeigt. Ist doch der Missionar in erster Linie der Verkündiger der frohen Botschaft, daneben aber der Arzt für den kranken Leib; zuletzt ist er auch Jndustriemissionar, der die Eingeborenen zu geregelter, nutzklingender Arbeit erfolgreich anleitet. Bis heute konnte die Basler Mission (1815 gegründet) eine segensreiche Wirksamkeit auf ihren fünf Missionsgebieten entfalten. Aus innerer lieberzeugung heraus: »Es ist kein Preis zu teuer, es ist kein Weg zu schwer, hinauszustreu'n dein Feuer, ins weite Völkermeer" lut der Missionar seine oft schwere und gefährliche Arbeit. - Man bekam am gestrigen Abend den Eindruck, daß die Arbeit der Basler Mission noch nicht getan ist in der Heidenwelt, sondern daß sie berufen ist, weiter zu wirken mit ihren Gaben und Kräften draußen und daheim. Auch daheim! Denn wer könnte sich den Segensstrom.wegdenken, den die Mission in unsere Heimatgemeinden hineinträgt, in die Vereine, Kindergoltesdienste und Gemeinschaften! Wer den Missionsstrom stärken Hilst, der stärkt damit auch den Segensstrom der von ihr ausgehl. Nichts ist umsonst, was hier der Glanbe tut!
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Altensteig. 19. Nov. Gemeinderatssitzung am 18. Nov. 1827. Auf Anregung des Mutterhauses der ev. Kleinkinderpflegerinnen Großheppach wird der Gehalt der Kleinkinderschwester Merk ab 1. Nov. d. I. von monatl. 75 auf 85 und der Beitrag an das Mutterhaus von 5 ^ auf 7 erhöht. Die bisher bestehende Pflicht Krankenversicherung der Kinderschwester wurde in eine freiwillige umgestaltet, zu welcher auch künftig die Versicherungsbeiträge übernommen werden. — Für das verstorbene Amtsversammlungsmitglicd, Stadtschultheiß Welker, wird in geheimer Ersatzwahl für die resil. Dauer der Wahlperiode Stadtschultheiß Pfizenmaier gewählt. — Anläßlich der Beratung über eine Aeußerung des Treuhänders zu dem Teilungsplan für die Aufwertung der Sparguthaben bei der Städt. Sparkasse hier wird mit 8 Stimmen (3 waren für Zurückstellung) beschlossen, der hies. Gewerbebank freiwillig einen Aufwertungsbetrag von 5000 RMk. aus fr. Geldverkehr zu bewilligen. — Auf Antrag der Siadtpflege wird bestimmt, daß diejenigen Holzkäufer, welche mit der Bezahlung von heurigem Holz rückständig sind, so lange von den neuen Verkäufen ausgeschlossen werden können, bis sie ihre verfallenen Holzgelder bezahlt oder gemeinderätlicke Stundung erhallen haben. — Das städt. Gebäude in der Poststraße (anstelle des fr. Bäcker Wurster- fchen Gebäud.), welches im Jahr 1923 erstellt wurde, soll sofort zum Verkauf ausgeschrieben werden. — Auf Empfehlung des Städtetags wird beschlossen, künftig Zuschüße zu den Kosten für dieIFortbildung der Lehrkräfte an der Gewerbeschule nicht
mehr zu geben, da die Fortbildung der Lehrkräfte Aufgabe des Staats ist. — Nach dem vom Nagoldbahnausschuß gefaßten Beschluß soll zur Bestreitung außerordentlicher Ausgaben desselben eine Rücklage gebildet werden, welche von den beteiligten Gemeinden gespeist werden soll. Auf die hiesige Stadtgemeinde entfällt ein Beitragsanteil von 26 jährlich, welcher in Ausgabe angewiesen wird. — Besprochen wird die vom Ministerium angeregte Abhaltung einer öffentlichen Gedenkfeier für die Gefallenen des Weltkrieges am Totenfonntag. Von einer solchen soll jedoch, da die Zeit zur Vorbereitung sehr kurz ist, die Witterung zu einer Feier am Kriegerdenkmal zur Zeit ungünstig ist und nächstes Jahr zehn Jahre seit Beendigung des Weltkrieges verflossen sind, aus welchem Anlaß wohl größere Feiern abgehalten werden, von der Abhaltung einer öffentlichen Feier Abstand genommen werden und es bei dem entsprechend aus- gebauten Vormittagsgottesdienst sein Bewenden haben.
Bösingen, 2l. Noo. Zur großen Armee. Am Sonntag, den 13. Nov., haben wir hier einen unseren letzten Altveteranen von 1870/71 Michael Hensler zu Grabe geleitet. Er war bei Verdun, Sedan und bei Champigny am 30. Nov. 1870 verwundet. Er stand im 81. Lebensjahr und war seit 2 Jahren erblindet. Nun lebt noch als letzter Altveteran in Bö- stngen Wegbauunternehmer Adam Kirschenmann, 82jährig, der anno 1866 bei Tauberbischofsheim stand und den ganzen Feldzug 1870/71 mitgemacht hat.
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Neuenbürg, 20. Nov. Selbsttötuug. Im hiesigen Amtsgerichtsgefängnis wurde am Freitag Abend der in Untersuchungshaft befindliche 27 Jahre alte verheiratete Gottlieb Gänger von Feldrennach erhängt aufgefunden. Der Unglückliche wurde vor etwa 10 Tagen im Zusammenhang mit der Feldrennacher B> andaffäre, bei der, wie wir bereits berichteten, ein Teil der Einwohnerschaft gegen die zur Hilfe gerufene Weckerlinie von Neuenbürg Sturm lief, mit noch sechs anderen Personen verhaftet. Vier von ihnen wurden dieser Tage wieder entlassen. Gegen die Verhafteten schwebt eine Anklage wegen Landfriedensbruch.
Kleine Nachrichten aus aller Well
ep. Diakonissen als deutsche Kulturpioniere. Das Deutsche Krankenkhaus in Porto Alegre (Brasilien), dessen Grundstein bereits im Jahr 1914 gelegt wurde, konnte nunmehr endlich eröffnet und an Hindenburgs 80. Geburtstag feierlich eingeweiht werden. Es liegt an günstiger Stelle, hoch in einem Park mit großartiger Aussicht. Die Baukosten, die sich auf 1 Milk. RM. belaufen, sind fast ganz von dem opferwilligen Deutschtum Porto Alegres ausgebracht worden. Das Haus bietet Raum für fast 100 Kranke. Die Pslege- arbeit und die Verwaltung haben die Schwestern des Wittenberger Mutterhauses der Frauenhilfe fürs Ausland übernommen. Me Anstalt soll zugleich Ausbildungsstätte für junge Mädchen aus den deutschen Gemeinden Brasiliens werden.
ep. Der Sieg der Negerkulkur. In einer öffentlichen Versammlung in Berlin bezeichnte der bekannte Musikwisfen schaftler und neue Leiter des Instituts für Kirchen- und Schul musik in Berlin, Prof. Dr. Moser, es als eine Kulturschande daß „in Ausnutzung der Masseninstinkte und um der gute» Kassenrapporte willen 50 deutsche Opernhäuser die Krennech sche Oper .Ionny spielt auf" angenommen haben", aus de, nach einer Aeußerung Pfitzners dem Geschlecht von heut- der symptomatische Ruf des Negers entgegentönt: .Ante, meinem Spiel fahrt ihr in den Abgrund." Im Mittelpunkt! dieser Oper steht nämlich die Gestalt eines Negers, besser tierische^ Vitalität über die weiße Rasse triumphiert. Dal ist, erklärte Dr. Moser, der Sieg der Negerkultur in Deutschland — im 50. Jahr von Bayreuth!
Die Geheimpapiere des kleinen Kreuzers ..Magdeburg'. Vor der Kleinen Strafkammer des Landgerichts in Göttingen beginnt gegen Ende des Monats der mit großer Span- nung erwartete Prozeß des Kapitäns zur See a. D. H ab e - nicht, des letzten Kommandanten S. M. Kleinen Kreuzer Magdeburg, gegen den Handelsschiffskapitän Menge- ring im Berufungsverfahren. Mengering hatte dem Kapitan z. S. Habenicht den Vorwurf gemacht, mitschuldig am unglücklichen Ausgang des Weltkriegs zu sein, weil er gegen die Pflicht und Instruktion bei der Versenkung des Kleinen Kreuzers Magdeburg das ganze geheime Signalbuch der deutschen Marine nicht vernichtet, sondern einfach über Bord geworfen habe. Nachdem der Kreuzer Magdeburg im Finnischen Meerbusen versenkt war. wurden nach dem Bericht des deutschen Generolttak»
Llsbekd LoccftsS
44. Fortsehur:^. iNaa-oruck verboten.)
In Ilses Augen blitzte es:
„Für wie kleinlich müssen Sie mich halten, Herr Graf! Haben meine raschen, aufgeregten Worte das bewerkstelligt? Nein, selbst auf das gefährliche Gebiet, wie Sie sagen, können wir uns wagen — ich werde gewiß nicht mehr aus meiner Ruhe kommen — denn — denn —"
Sie stockte und eine heiße Blutwslle stieg ihr in das Gesicht.
„Denn ich teile ja deine Ansicht, ich bin ja bekehrt/' hatte sie sagen wollen, aber sie brachte es nicht über die Lippen. Diesmal war es nicht der Stolz, der sie daran verhinderte, sondern Heinz' hohe, liebe Gestalt, die plötzlich vor ihr aufstand und ihr mahnend zurief:
„So kämpfst du für mich? So schwach und elend daß du schon bei der ersten Gelegenheit abtrünnig wirst und in das Feindeslager übergehst? Verräterin! Verräterin!" gellte es in ihren Ohren und entsetzt darüber hatte sie den Satz abgebrochen.
Gras Konrad drängte nicht auf eine Fortsetzung. Stumm und bewegt drückte er ihr die Hand.
Mit kurzem Gruß verabschiedete sich Ilse von ihm und eilte dann mit fliegenden Schritten heim in ihr einsames Zimmer. Sie war so erregt und niedergeschmettert, sie fühlte sich so elend und gebrochen wie noch nie in ihrem Leben.
Die Zweifel, die das Herz bedrücken und die Nerven erregen, wie sich Graf Konrad gestern ausdrückte, sie waren nun über sie gekommen mit niederschmetternder Kraft; sie wälzten sich auf sie wie eine Bergeslast und suchten sie unter ihren Fäusten zu zerdrücken und zu zermalmen.
Wo war die vielgepriesene Kraft und Stärke, wo das schöne Bewußtsein, recht gehandelt ui haben? —
Alles versunken vor der bitteren, peinigenden Erkenntnis: „du bist die Gegnerin deines Verlobten, du teilst seine Ansichten nicht mehr."
Heinz. Heinz, kannst du mir vergeben, ja kannst du
es überhaupt fassen?-Ich habe für dich gekämpft,
bis ich nicht mehr konnte, bis mich die geistige und körperliche Kraft verließ, so wie es Liebe und Pflicht mir geboten, und ich habe um deinetwillen den besten, gütigsten Menschen mit harten Worten verletzt. O Eott! — nein» nein — betrüge dich nicht selbst. Dein Stolz allein gebot es dir. so zu sprechen, du wolltest ihm nicht zeigen, wie seine Ansichten immer mehr dis deinen wurden. Du wolltest die Macht nicht anerkennen, die von seiner klaren, überzeugenden Ausdrucksweise ausging, ihm nicht gestehen, daß du besiegt seiest. Damm kämpftest du mit Verzweiflung und dem Mute eines Löwen uno wägtest deine Worte nicht. Und er, anstatt dir zu zürnen, fand freundliche, begütigende Worte für dich -- er beschämte dich. Vielleicht — vielleicht lächelt er jetzt über deinen Uebereifer und deine Anmaßung, die es wagte, ihn anzugreifeu.
Wild, aber tränenlos aufschluchzend drückte sie den Kopf in die Polster des Sofas. Wenn er schon unten wäre und vernähme diese Töne, was konnte und mußte er denken?
10. Kapitel.
Es war Mitte Juli. Auf Tworrau waren trübe Tags hereingebrochen. Gerda war an Diphtheritis und Scharlach schwer erkrank! .und man war in großer Sorge. Die Aerzte kamen mehrere Male des Tages nach Tworrau, und zur Pflege war eine graue Schwester angenommen worden. Trotzdem wich die Gräfin nicht von dem Lager ihres Lieblingskindes. Trauer und Angst verwischten die hochmütige Falte von ihrer Stirn, und in ihren Augen lag der Schimmer eines echten, wahren Gefühls. Freilich, nur wenige sahen diese Verändemng. Die Gräfin hielt sich, der Ansteckungsgefahr wegen, ganz abgesondert. Anfangs hatte sie bestimmt, daß Ilse mit Lotti nach Pawlowitz übersiedeln sollte, aber schließlich
wurden beide in den ganz abgeschlossenen linken Flügel einquartiert.
Unter diesen Umständen war an einen Urlaub für Ilse und eine Reise nach Berlin nicht zu denken. So gem sie ihre Lieben wiedergesehen hätte, so empfand sie diesen Aufschub doch fast als eins Erleichterung. Sie fürchtete sich, ohne es sich eingestehen zu wollen, vor einer unumgänglichen Aussprache mit Heinz und hoffte, daß sie sich mit der Zeit wieder zurechtfinden und ruhiger über die Sache denken würde.
Tagelang schwebte der Todesengel über dem Schloß, aber der neunte Tag brachte die Krisis und den ersten Schritt zur Bessemng. Jeder im Schloß atmete auf, wie von schwerem Druck befreit, obgleich die hochmütige Gerda nicht gerade viel Liebe besaß.
Auch Ilse und Lotti schüttelten die Aufregung und Angst der letzten Tage ab und fingen an, sich Wiederwahl und behaglich zu fühlen. Lotti liebte ihre junge Lehrerin mit schwärmerischer Verehrung, mehr als Mutter, Bruder und Schwester, den Stiefbruder einzig ausgenommen. Jetzt durste sie diese Liebe offen zeigen, niemand war da der es ihr wehrte, und Erzieherin und Zögling, nun so ganz auf sich angewiesen, schlossen sich immer enger aneinander an.
Der heißen Zeit wegen schränkte Ilse den Unterricht auf das Geringste rin, und die meiste Zeit wurde zu kleinen Streifereien in Park und Wald benutzt.
Diese ungebundene Freiheit war Lollis Lust und Freude, und jauchzend und springend nach Kinderart lief sie umher oder hängte sich auch an Ilses Arm, um mit ihr zu plaudern.
Den Gesprächsstoff bildete fast immer das Thema „Konrad", zu dem Lotti jetzt täglich ging. Ilse verwehrte es ihr nicht.
Für Lotti hatte alles, was der große Bruder tat und sprach. Bedeutung, und sie setzte dies Interesse nach Kinderart auch bei der Erzieherin voraus. Ilse hatte ihr erzählt, daß sie ihren Bruder einige Male gesehen halte, und das genügte Lotti. um ein gewisses Interesse für, Konrad bei ihr vorauszusetzen. (Forts, folgt.)