Seite 2 - Nr. 271
Nagolder Tagblati „Der Gesellschafter"
Samstag, IS. November 1927
40 Jahre Notsian-sverein
qr. Unter den vielen Landgemeinden Württembergs wird es kaum eine arme Gemeinde geben, die nicht in Fällen außerordentlicher Not die Hilfe eines Vereins erfahren hätte, der am 1. Dezember d. I. auf eine 40jährige gesegnete Tätigkeit zurückblicken darf, des „Vereins zur HilfsinaußerordentlichenNot standsfällen auf dem Lande". In Stuttgart von dem bekannten, 1925 verstorbenen christlichen Armenfreund, Dr. Paul Lech- l e r, gegründet, hat der Verein im vertrauensvollen Zusammenwirken mit den bürgerlichen und kirchlichen Vorstehern der ländlichen Gemeinden in zehntausenden von Fällen, bei denen die gesetzliche Armenfürsorge nicht in Anspruch genommen werden konnte, nnd die private oder kirchliche Wohltätigkeit am Ort gegenüber der Größe des Notstands ganz unzulänglich war, mit kräftiger Hand eingegriffen. Besonders kinderreichen, von Krankheit oder sonstigem Unglück heimgesuchten Familien hat er die gewünschte Hilfe gebracht. Wer ihm darin beigestanden ist, dem gelten auch die Dankbezeugungen, die dem „Retter in der Not" schon überreichlich zuteil geworden sind, wie das die vom Verein herausgegebenen „Bilder ländlicher Armut" immer wieder bezeugen.
Leider ist auch diesem Verein sein mündelsicher angelegte», ans Vermächtnissen und Stiftungen zusammengeflossenes Grundstockkapital so gut wie völlig verloren gegangen, so daß er ganz auf die fortlaufendeUnter st ützung seiner Freunde angewiesen ist. Gewiß werden ihm diese ihre Treue nicht versagen, aber es ist nötig, daß ihm neue Freunde erwachsen, insbesondere auch aus wohlhabenden Kreisen in Stadt und Land. Wirtschaftlich Schwachen zur rechten Zeit zu helfen und sonst tüchtige Familien vor dem Abgleiten in rettungslose Armut zu bewahren, ist soziale Pflicht, und niemand, der noch etwas übrig hat, dürfte sich solcher Pflicht entziehen. Wenn unverschuldetes Unglück über eine Familie hereinbricht, daß ihre ganze Existenz ins Wanken kommt, wenn schwere Krankheit bei Eltern oder Kinder» eine sachgemäße, vielleicht Monate lange Verpflegung in Krankenhaus und Heilanstalt erfordert, wenn bei der wachsenden Familie und dem kleinen Verdienst keine Letten mehr angeschafft werden können, so daß zuletzt 3 «»d 4 in einem Bett liegen müssen, oft Kranke und Gesunde nebeneinander, dann muß die freiwillige Liebe sich sufmachen und m'teinsieken. Die öffentliche Armenfürsorge anzurufen, kann nicht jedem zugemutet werden, und selbst, wenn es geschähe, ist gerade in den armen Landgemeinden oft keine Hilfe da. Bis hier das Verständnis für vorbeugende Armenfürsorge durchgedrungen ist, wird noch manch« Zeit vergehen!
Ein Erinnerungstag, wie die 40. Wiederkehr der Gründung des Vereins, legt es uns nahe, diesem Pionier einer besseren Armenfürsorge in den Landgemeinden nicht nur ein anerkennendes „Glückauf!" zuzurufen, sondern ihm auch aus unserem Bezirk weitere fröhliche Geber und Mitarbeiter zu wünschen. Gaben können auf das Postscheckkonto 1212 Stuttgart des Vereins zur Hilfe in außerordentl. Notstandsfällen oder auf sein Giro- Konto 20 999 bei der Städt. Girokasse Stuttgart eingezahlt werden, sie werden aber auch von jedem Evang. Pfarramt, sowie von der Geschäftsstelle dieses Blatts entgegen- genommen.
Aas Stadt uadLaad
Nagold, 19. November 1927.
Sollen sich die wenigen Menschen, die sich im Leben zusammenfinden, trennen, ehe das Schicksal sie ruft? Frühe genug wird es rufen! Huch.
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Sn den Grabkreuzen
Zum Totensonntag
Wir gedenken unserer Gefallenen. Bor unserer Seele erstehen sie wieder, nehmen Gestalt und Leben an, wollen Zwiesprache mit uns halten. Wir gedenken ihrer zuerst als unserer Angehörigen, Väter oder Söbne, Brüder oder Gatten. Dann aber weitet sich der Buck- Unzertrennlich mit ihrem Todesgeschick verbunden ist Volksschickfal. Weltschicksal. Und jene Friedhofreihen, die über den ganzen Erdball sich dehnen, versetzen uns mitten hinein in das entsetzliche Geschehen, das hinter uns liegt; eherne Notwendigkeiten. bunt aemischt mit den Zufallseraebniffen des Kamv-
fes entfesselter Kräfte — alles der menschlichen Leitung entglitten, Wirrsal, Schrecken.
Auf die weltgeschichtlichen Ereignisse von 1914—1918, die den Boden unter aller Füßen wanken machten, auf den papierenen Taumel von 1923 mit seinem Zahlenrausch und seinem Kründungsfieber, ja vielfach auch auf die leidenschaftlichen Weltanschauungskämpfe und schwärmerischen Paradiesesträume der Nachkriegszeit ist weithin eine tiefe seelische Ermattung gefolgt, ja nicht selten eine Verzweiflung an allem Sinn des Daseins; selbst der Bergnügungstaumel, dem sich viele in ihren freien Stunden ergeben, zeugt davon. Nüchtern und mahnend ragen mitten hinein die Kreuze von den Gräbern der Gefallenen. Sie sind verschieden in den Tod gegangen. Nicht wenige von den ersten im Schwung opferfreudiger vaterländischer Begeisterung, hinter ihnen die endlosen Reihen anderer, die den Tod auf sich nahmen als harte Pflicht, als schwerstes Stück eines von ihnen nicht begehrten Berufs, dem sie sich doch nicht entziehen wollten noch konnten.
Sie wollten sich nicht entziehen. Irgendwo, wo sie selbst es wußten oder nicht/stand ihnen die Gewißheit geschrieben, daß ein Neues sich bereite, ein neues Deutschland, eine neue Menschheit. Auch manche der im Schützengraben scheinbar völlig Berbitterten hätten doch nicht zu- egeben, daß ihr Opfer ganz wertlos sei, daß es nicht ein nnvoll-notwendiges Glied im Werden der Zeiten bedeute. Und darum sind uns heute ihre Kreuze das Sinnbild eines Wissens, das man im Taumel nicht fassen, noch weniger
betätigen kann, eines Wissens, das einem niedergedrückten Volk zur Bewältigung seines Loses unentbehrlich ist: es ist das Wissen darum, daß Zukunft nur geboren wird aus dem stillen Heldentum, aus dem Hartsein gegen sich selbst, aus dem willigen Bejahen der Schuld- und Schicksalsgemsin- schaft mit allen andern, aus dem dienenden Einsatz des Lebens.
Es kommt alles darauf an, daß wir diese Wirklichkeit sehen, die nüchterne, harte Wirklichkeit kreuzgekrönter Gräber. Von dem Tag an aber, da wir, aus Taumel und Stumpfheit erwacht, einem höheren Gebot folgen und zur läglichen stillen Opfertat schreiten, wird um das dürre Kreuzeszeichen Osterverheißung aufleuchten, neues, besseres Deutschland, neue, bessere Menschheit, Morgenröte vom Tottesreich... ^ . E. Ikler.
Feste und Beraustaltrrugeu
2 Uhr Gefallenen-Gedenkfeier auf dem Friedhof
2 Uhr Versammlung der Viehhändler in der „Traube"
V-2 und V-3 Uhr Wettspiele des SVN. auf dem Sportplatz an der Calwerstrahe
5 und V»8 Uhr Vorführung des Basler Missionsfilms aus _ Afrika in der Stadtkirche.
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Dieristaachrichteu
Durch Entschließung des Herrn Kirchenpräsidenten ist die Pfarrei Wälde-Winterbach, Dek. Ravensburg, dem Pfarroer- weser Adolf Groß in Tumlingen, Dek. Freudenstadt, übertragen worden.
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st E i« Baustein zur Kleinkinderschule
Von einem alten, immer noch anhänglichen Nagolder bekamen wir dieser Tage nachstehende Zeilen treuen Er nnerns und freundlicher Teilnahme zugesandt, die manchem, der sich noch in und an der Heimat freut,' ein Beispiel von Opserwillig- keit und Gebefreudigkeit sein dürfte:
„Für die freundliche Zusendung der Nr. 262 des „Gesellschafters" danke ich Ihnen herzlich; ich habe die Beilage über die Kleinkinderschule mit besonderem Interesse gelesen. Da ich sie selbst mehrere Jahre lang besucht habe und ich mich noch gerne und lebhaft, nach 75 Jahren, an sie erinnere, so ist mir ihre Entwicklung wichtig uns ich beglückwünsche sie zu ihrer Entfaltung und zu der Aussicht in. naher Zeit ein schönes, geräumiges Heim zu erhalten. Möge sie in diesem, dem 3. Heim (seit ihrer Eröffnung am 3. Mai 1838) blühen und gedeihen der Heranwachsenden Jngend Nagolds zum Segen gereichend. In den ersten 50er Jahren war die Kleinkinderschule in dem alten Hause gegenüber von Seifensieder Naschold und der Untervogtei. Der Aufgang zum „Schüle" war eine bedeckte Außentreppe. Hier war lange Frl.Luise Eitel, Schwester des Buchbinders und des Realschulrektors in Eßlingen tätig. Sie wohnte auf der Insel. Wir Kinder hatten sie sehr gern und und gingen oft mit ihr in Paaren (am Seil) auf den Stadtacker. Später wurde das Schüle in den Zwinger (zwischen
Konditor Sauter und dem „Frühmefferhaus" mit Zugang vom Zwinger verlegt. Hier wirkte nach der Jungfer Luis Frl. Karoline Gauß, Tochter des Seifensieders am Badgäßchen. Dekan Frei Hofer, der sich um das Kinderschulwesen überhaupt sehr verdient machte, schenkte der Schule große Aufmerksamkeit. Er gab auch eines der Besten, oft (auch nach seinem Tod) aufgelegten Kinderbücher heraus. Wie gern schweifen meine Gedanken zurück in die selige Kinderzeit, in der ich mit meinen Freundinnen Kathrele und Ernstele aus den niederen Bänken an der Vorderseite des Hauses der Kinderschule saß und nach mittags an der Hinterseite (gegenüber dem Binder'schen, später Hölzle'schen Haus) mit ihnen bei Gänßles Bärbele stricken lernte. Als Beweis meiner Dankbarkeit möchte ich Sie bitten, für den Neubau 5 von mir zu übergeben. Gerne gäbe ich zehnmal'' mehr wäre ich nicht Altpensionär. / Jst's ein Tröpflein nur zum Bach / Und ein Scherflein für das Dach / Macht es mir doch viele Freude / Beizutragen zum Gebäude / Das fürs Schüle unsre Stadt / Und ihr Rat gestiftet hat. Mit vielen herzlichen Grüßen C. Lindmeier, Stuttgart".
Misfionsfilm
Nachdem die Anstalten und Liebeswerke der Inneren Mission mehr und mehr dazu übergegangen sind, für die Darstellung ihrer Arbeit in unserem Volk sich die Filmtechnik zu Nutze zu. machen, hat auch die Aeußere Mission Gebrauch gemacht von der im beweglichen Lichtbild gebotenen Möglichkeit, anschauliche und lebendige Eindrücke von fernen Verhältnissen und Vorgängen zu vermitteln. Gerade das Werk der Heidenmission kann auf diese Weise auch in der Heimat verdeutlicht werden in einem Maße, wie man es früher nicht für möglich gehalten hätte. So hat auch die Basler Mission Filmaufnahmen in ihren Arbeitsgebieten machen lassen, um den Missionsfreunden der Heimat recht klar zu zeigen, wie die Mission arbeitet, wie ungeheuer wichtig diese Arbeit ist und was bei ihr herauskommt. Ein solcher Film wird am morgigen Sonntag (abends 5 Uhr für Kinder, Uhr für Erwachsene) in der Stadtkirche hier vorgeführt. Dabei wird die Arbeit der Basler Mission in Afrika vorgeführt; daneben werden wundervolle Bilder von Land und Leuten in Afrika dargeboten, wie sie sonst nur bei einer Reise dorthin ges.hen werden können. Die vorgeführten Bilder werden erläutert durch Herrn Missionar Widmaier von Korntal, der früher in Afrika im Misstonsdienst stand. Der Besuch des Films kann warm empfohlen werden.
Liederabend
Es wird wohl viele unserer Leser interessieren, daß Hermann Achenbach am nächsten Donnerstag hier Schuberts bekannten Liederkreis „Die schöne Müllerin" singen wird.
Unsere „Feierstunden"
auch sie sind zum Teil auf den Totensonntag abgestimmt, führen uns zur feierlichen Andacht auf einen kleinen Friedhof am Nkckarstrand, wo wir Zeit fänden zu denken an Vergangenes und an Kommendes, geleiten in den bayrischen Wald und lassen uns seltsame Sitten erschauen. Text und Bild „Grubcn- fahrt auf einer Ruhrzeche" geben uns eine kleine Ahnung von der schweren Arbeit der Bergleute, der Bau der Ravenna-Brücke zeigt ein imposantes Werk unserer heutigen Technik, ebenso das erste Dock für Seeflugzeuge, das von Deutschland konstruiert und erstellt wurde; andere Bilder sind „Seefahrt im D-Zug", „Ein geschichtliches De> kmal", „Ein selbsttätiger Berechner für die Artillerie", „Walfischfarg" usw.
„Aus dem Schwarzwald"
Die Novembernummer kommt jetzt wieder in die Hände der Schwarzwaldvereinler. Zuvörderst ist eines verdienstvollen Mannes gedacht, um den nicht nur die Stuttgarter Ortsgruppe als ihren Ehrenvorsitzenden trauert, sondern in dem vor allem der ganze Württ. Schwarzwaldverein einen Ehrenpräsidenten mit größten Verdiensten verliert, Prof. Dr. Endriß. — Die interessante Arbeit von Stud.Dir. Dieter! e-Nagold über „Altensteig und sein Schloß in vergangenen Zeiten" findet seinen Schluß, der sr. Zt. mit größtem Beifall auf der Hauptversammlung ausgenommene Vortrag von August Lämmle über „Die Heimat und der Mensch", Worte einer großen Liebe zur Heimat, werden von dem Dichter schriftlich niedergeiegt, „Ein abgegangener Brauch", eine Schiderung vom Käselitt am Pfingstmontag auf den Hipfelhof am Rotbach, gute Ratschläge für solche die Theater aufführen wollen und wie gewöhnlich nicht wissen „was", Ortsgruppenberichte, Verleihungen von Vereinsehrenzeichen, dies alles und noch mehr des Wissenswerten finden wir weiter auf den folgenden Seiten der Blätter des Württembergischen Schwarzwaldvereins.
sZoMQ-i-von ^Islrekk LOs-clisi-r
43. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.)
Was sie seelisch niedsrdrückte, war das trostlose Bewußtsein der eigenen Schwäche, das Gefühl einer Unsicherheit, die sie sich freilich nicht eingestehen wollte, obgleich es ihr immer wieder mit erschreckender Deutlichkeit vor 'die Seele trat, daß gestem schon ein einziger Widerspruch Konrads genügt hatte. Zweifel in ihrer Brust zu erwecken. War sie doch das schwache, schwanke Rohr und nicht der eichene Stamm, der dem Sturm zu trotzen vermochte? — „Nein, nein, ich lasse mich nicht besiegen, ich stehe fest und stark."
Sie zog den Ring, den sie unter der Taille verborgen hatte, hervor, und drückte ihn an ihre Lippen. „Sei du mein Talismann und mein Hort, hilf mir kämpfen und streiten."
Am Nachmittage schlug sie. nun wieder ruhiger und sicherer, den Weg durch die Wildnis nach Konrads kleinem Reiche ein. Sie fand ihn bereits ihrer harrend vor der offenen Tür. Wie immer reichte er ihr freundlich die Hand und lieb sie ohne viel Worte zu machen eintceten.
Die erste Zeit verging mit Zeigen und Erklären, wobei er klug alles vermied, was an den Gelehrtenstreit erinnern konnte. Je mehr Ilse diese Absicht herausfühlte, desto erregter wurde sie. Sie war mit der Absicht hergekommen. heute für Heinz zu kämpfen, denn eine dunkle Ahnung sagte ihr, daß Graf Konrad nicht nur sein Gegner, sondern möglicherweise sogar der Verfasser der Gegenschrift und der weiteren Broschüren sei. Um so schwerer war der Kampf, aber um so schöner mußte der Sieg sein.
Sie wußte wohl, daß sie einem Feinde gegenüber stand, einem so mächtigen, wie sie ihn nie in dem stillen einsamen Gelehrten geahnt hätte; sie wußte auch, daß er nicht um Haaresbreite von seiner Absicht weichen würde.
aber vielleicht konnte sie einen Stillstand herbeiführen, weitere Gegenschriften, die Heinz schaden mußten, verhindern.
Das Bewußtsein Heinz' erbittertstem Feinde Auge in Auge gegenüber zu stehen, gegen ihn für den Verlobten zu kämpfen, hatte in diesem Augenblick etwas Erhebendes für sie.
Fast unmerklich lenkte sie das Gespräch dahin; sie spielte aus Aussprüche in Heinz'Werk, von denen sie wußte, daß sie von dem Gegner nicht gebilligt wurden, an und sie erreichte ihren Zweck.
So sehr der Graf sich bisher auch bemüht hatte, das gefährliche Thema zu vermeiden, nun er nicht mehr aus- weichen konnte, sprach er auch unumwunden seine Meinung aus, in ruhiger, schonender Weise, aber mit der eisernen Konsequenz, die jeden Widerspruch in sich zu begraben scheint, wie einer, der genau weiß, was er sagt und das Recht auf seiner Seite sieht.
Aber gerade diese kaltblütige, überlegene Ruhe brachte Ilse in eine Erregung, wie sie sie bisher noch nicht gekannt hatte.
Reden und Gegenreden, Widersprüche und Widerlegungen folgten Schlag auf Schlag. Mit heißen Wangen und brennenden Augen kämpfte Ilse für Heinz und sie bedachte nicht, daß der Gegner zu mächtig und sie trotz aller Kenntnisse nur ein schwaches Weib blieb.
Wie anmaßend es war, sich einem Mann von solchem Wissen, von solcher Kraft des Urteils gegenüber zu stellen, mit ihrem verhältnismäßig geringen Wissenseine Ansichten widerlegen zu wollen, das wurde ihr erst ilac, als es zu spät war.
Der heiße Wunsch, für Heinz zu kämpfen, hotte sie zu weit geführt. Worte waren gefallen, dir besser unausgesprochen geblieben wären. Als sie das bisher >o ruhige Antlitz Graf Konrads so eigentümlich zucken sah. da erkannte sie mit heißem Schmerz, daß sie den Mann, der ihr nur Güte und Wohlwollen gezeigt, verletzt hatte. Und warum das? Nur um Heinz und ihre eigenen Ansichten zu verteidigen? Ihre eigenen? — Waren es
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denn überhaupt noch ihre Ansichten? — Zog sie nicht alles nach der anderen Seite — mußte sie nicht die Richtigkeit der Aussprüche Graf Konrads anerkennen? — O. mein Gott! Ueberläuferin! War sie es wirklich gewordeckf wie er es ihr gestern vorausgesagt hatte, obgleich sie mit Verzweiflung dagegen angekämpft hatte? — Und um sich selbst zu täuschen, hatte sie sich zu weit hinreißsn lassen, hatte sie ihren Heinz so feurig und erregt verteidigt.
Ein Schauer durchlief sie. Sie war nach dieser Erkenntnis keines Gedankens, keines Wortes fähig, sie harrte wie eine Schuldige auf den Ausspruch des Richters, sie zitterte vor dem. was nun kommen mußte.
Und es kam. Aber ganz anders, als sie erwartet hatte. Wie zu einem kranken Kinde sprach er zu ihr, mild und freundlich:
„Sie sind aufgeregt, Fräulein Römer, und ich beklage es tief, auf Ihren Kampfesruf eingegangen zu sem. Ich war heute mit der Absicht hergelommen. diesen Gegenstand zu vermeiden, denn ich wußte, es konnte zu nichts Gutem führen. Sie verrieten mir ja schon gestern, was Sie darüber denken. — „Hie Welf, hieWaib- ling!" riefen Sie mir vorhin als Kampfeswort zu — sei cs also: „Hie Welf, hie Waibling!" Das heutige Ee-r spräch trennt uns. aber, wie ich hoffe, nur in der Wissenschaft — oder, Fräulein Römer." er streckte ihr bittend die Rechte hin, „soll es uns auch als Menschen j trennen?"
„Vergeben Sie mir, Herr Graf."
„Was soll ich Ihnen vergeben? Daß Sie mir so, unumwunden Ihre Meinung sagten? Das Recht steht ^ jedem zu und auch die Ansichten des Feindes soll man> achten und ehren, auch wenn man sie nicht teilen kann.! — Vermeiden wir in der Zukunft dieses gefährliche Ge-! biet und verkehren wir auf neutralem Boden! Oder^ wollen sie sich meiner Lehre nun ganz entziehen?"
(Fortsetzung folgt.)