Rudolf Schmitt-Sulzthal:
Frau MALAKS Weihnachtsfreude
F ür die Flüehtlingsfrau Sabine Malak hatte der Gemeinderat nach vielen Sitzungen die Unterbringung im Schulhaus beschlossen. Nachdem eine Dachkammer von ungültig gewordenen Globen und wurmstichigen Schultafeln geräumt worden war — ein Notbett, einen Tisch und zwei Stühle beließ der Hausmeister aus eigenem Entschluß der Mansarde —, konnte Frau Malak einziehen. Den langen Mietvertrag hatte sie verständnisvoll unterzeichnet, wo ihr neben anderen Einschränkungen untersagt war, irgendein Tier zu halten.
Es ging gut. In der Folge sah der Dorflehrer die einsame Frau oft am Hofzaun stehen und die Hühner des anstoßenden Bauerngartens füttern. Manchmal gelang es ihr auch, eine Katze zu locken und sie für eine Weile auf dem Arm zu halten.
An einem regnerischen Dezembertag aber lief der Tierfreundin, als sie zum Krämer ging, ein nasses Hündchen in den Weg. Die Erkundigung im Laden ergab, daß es wohl niemandem gehöre. Es streiche seit Tagen umher, jemand mußte es ausgesetzt haben. Das Hündchen war winselnd mit in den Laden getrippelt. Frau Malak erstand zwei Wurstzipfel, die Krämerin stiftete einen Hering — im Nu war alles verschlungen. „Können Sie das arme Tier nicht ein bißchen behalten?“ fragte Frau Malak, „ich werde von Haus zu Haus laufen, vielleicht finde ich eine mitleidige Seele, die es aufnimmt.“ — „Bei mir kann es nicht bleiben,“ sagte die Krämerin, „ich habe eine Katze mit zwei Jungen, die springt jeden Hund an.“
Ratlos verließ die Flüchtlingsfrau den Laden. Der Regen war heftiger geworden. Kurz entschlossen stopfte sie das frierende
Hans Otto:
IXlorit?,
Tier in ihre Markttasche und zog den Reißverschluß zu bis auf einen Spalt, aus dem der Kopf mit dem triefenden Schnauzhar kläglich genug herausschaute. Ungesehen kam sie in ihre Mansarde und richtete dem Findling eine Decke am warmen Ofen. Dann ging sie zum Bürgermeister. Flehentlich bat sie ihn, das Hündchen bewahren zu dürfen, bis sie ihm einen Platz gefunden habe. Der Bürgermeister klopfte mit dem Bleistift auf die Tischplatte. „Bei
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Weihnacht
Dezemberschnee. Und das Gegleiße des Sternenhimmels drüberher, als wüßte er, daß Weihnacht wär’ und was uns Weihnacht innerst heiße:
Geburt der Liebe, die der Sohn auf Gottes Erde niederbrachte.
Und horch! Da wagt — noch zag und sachte —
die erste Glocke ihren Ton!
Und alle Glocken klingen nach die große heilige Weihnachtsweise. Gottvater selbst ist auf der Reise und gastet unterm ärmsten Dach.
HERMANN CLAUDIUS 0000000000000000000000
uns werden Sie niemand erweichen“, sagte er, „die'Bauern haben ihre Hunde — wer keinen hat, will die Steuer sparen — und ihren Zwangsmietern erlauben sie keine Tierhaltung. Ihre Häuser sind sowieso übervölkert. Ich kann auch nicht die Paragraphen umstoßen, die für Sie von der Schulverwaltung festgesetzt worden sind. Eine Schule ist kein Privathaus. Erschreckt sich nur einmal ein zaghaftes Kind an Ihrem Hund, dann läuft eine Beschwerde hinauf bis zum Minister.“
Stundenlang^ zog Frau Malak
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wie eine Hausiererin von Tür zu Tür, niemand wollte sich des kleinen Verstoßenen annehmen. Daheim empfing das Hündchen sie mit schwachem Bellen. Seine Schnauze war heiß und es zitterte.
Frau Malak ging zum Lehrer. So leid ihm das krar.ke Tier tat, er konnte nicht helfen. Auf der Stiege traf die weinende Frau den Hausmeister. Er geleitete sie hinauf und begutachtete das Hündchen. Es schien Fieber zu haben.
„Ich weiß eine Möglichkeit“, sagte er nach kurzem Besinnen, „unweit der Schule habe ich einen kleinen Garten, dort können wir es unterbringen. Ich muß aber erst eine Hütte zimmern.“
Drei Stunden später holte der Hausmeister die beiden ab. Der Patient war in Tücher verpackt wie ein Täufling, und Frau Malak trug ihn mit mütterlicher Sorge neben dem Leiterwägelchen her, auf dem das Hundehaus •zum Hof hinausrollte.
Der Hausmeister dachte an alles. Unterwegs erbat er sich von einem Bauern einen Bund Stroh und stopfte die Hütte aus. Nach dem Abladen im Garten zog er einen Strick aus der Tasche, paßte dem Hund eine Schlinge an und knüpfte sie so, daß sie sich nicht zuziehen konnte. „Wir müssen ihn anbinden“, sagte er, „sonst brennt uns das Kerlchen durch, wenn wir es allein lassen müssen.“
Jeden Tag, ob es stürmte oder schneite, wartete Frau Malak das Hündchen. Es bellte ihr schon von weitem entgegen, lief aus der Hütte und zog sie beinahe hinter sich her. Auch der Hausmeister verbrachte manche freie Stunde bei ihm, unterm Regenschirm sich die Füße vertretend. Bald war es gesund und konnte die Frau auf ihren Wegen begleiten.
Einige Tage vor Weihnachten stieg der Bürgermeister zur Schulmansarde hinauf. Er lachte über das ganze breite Gesicht. „Frau Malak“, sagte er herzlich, „unsere Gemeinde denkt wie jedes
Am Heiligen Abend im Städile
Holzschnitt: Bodo Zimmermann
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Jahr auch heuer an ihre Flüchtlingskinder. Jedes wird ein wenig beschert, soweit* es halt in unseren Kräften steht. Ihren Schützling haben wir auch nicht vergessen. Ich glaube, ich habe einen guten Platz für ihn.“
Frau Malak war erfreut und erschreckt zugleich. „Nun“, sagte der Bürgermeister vergnügt, „das beste Plätzchen für Ihren kleinen Freund ist bei Ihnen. Damit Sie aber mit ihm zusammen sein können, brauchen wir auch für Sie
einen guten Platz. Die Tochter eines unserer Bauern hat weggeheiratet. Ihr Zimmer ist freigeworden und das können Sie, wenn Sie wollen, noch heute beziehen.“
„Mit meinem Hündchen?“ fragte Frau Malak ungläubig.
„Das ist mit eingewiesen“, lachte der Bürgermeister, „und wird dort gerne aufgenommen.“ — Er gab ihr den amtlichen Schein, drückte herzhaft ihre Hand und sagte: „Ich wünsche eine frohe Weihnacht.“
I n einem schmalen Stall unter der Treppe wohnt Moritz. Er wohnt dort als Hase verhältnismäßig sorglos, ohne Not, umhegt von der ganzen Familie. In der Küche ist man beim Zurichten der Rosenkohle und Blaukrauthäupter großzügig, und stets werden Brot und Kartoffeln hinten hinüber geschickt, sogar Kuchen. Somit ist leicht einzusehen, daß es Moritz bei uns gc\t hat. Kritisch ■wurde es für Moritz erst im vorigen Jahr, da Unruhe ins Haus kam, ein Tannenbaum erstanden und allerlei geheimnisvolle Päckchen verschnürt wurden. Man sprach jetzt viel über Moritz, verdächtig viel. Denn es wurde immer offenbarer, daß Moritz zu Weihnachten geschlachtet werden sollte, zur Feier der Tages, zur Einverleibung in einen weihnachtlich gestimmten erwartungsfrohen Magen.
Die Schlachtung wurde äußerst aktuell, als der Tag des Heiligen Abend angebrochen war. Alle Blicke gingen zum Großvater hin, seitdem bekannt geworden war, der metzgerlich hilfsbereite Nachbar verbringe die Feiertage bei seiner Tochter in Ypsilon. Übrigens war er bereits abgereist. Am Nachmittag endlich schlich der Großvater unter die Treppe, und wir sahen, wie er umständlich das lange Küchenmesser bereitlegte und unschlüssig den Stiel eines Beiles in der Hand wog. Sahen, wie er schaudernd an dem weißen Fell von Moritz herumfingerte und nach einer Weile bedrückt wieder in die Stube zurückkehrte, wo er lange in einer Schrift über Kaninchenzucht blätterte.
Am Tannenbaum brannten die Lichter. Lieder erklangen, und in dem Gewirr der grünen Zweige suchten wir unsere Päckchen. Eine besondere Überraschung trat insofern ein, als der kleine Egon die Türe weit auftat und Moritz in das Zimmer hoppelte, vor dem Lichterbaum ein Männchen machte und dann die Blättlein einer Endivie verzehrte, die unter dem Baum bereit lagen.
Das Mahl wurde., demgemäß kärglich: Wurst, Kartoffeln, Wirsing, Tomatensauce. Moritz wurde wieder in seinen Stall gebracht. Die Mutter hatte Tränen in den Augen. Der Großvater paffte nervös an seiner Zigarre.
Am Weihnachtsmorgen früh schlichen Großvater und Mutter, die eine große Schüssel und einen Blutrührer bei sich trug, ehe wir Kinder aufstanden, zum Stall unter der Treppe. Man hörte ein Poltern mit Beilen und ein Wetzen mit Messern. Danach wurde es still. Wir Kinder lauschten trä- ■nenerfüllt. Dann geschah folgendes: Mutter kam in die Küche und suchte Kohlblätter zusammen; der Großvater zog seinen Überzieher an und ging aus dem Haus. In Zeitungspapier eingewickelt brachte er bald ein schönes Trumm Schweinefleisch mit. Die Frau vom Metzger habe es ihm trotz des hohen Feiertags gerne gegeben. Der Braten schmeckte prima.
Moritz aber überlebte Silvester, Ostern, Pfingsten, Kirchweih. Kritisch wird es für ihn jetzt wieder zu Weihnachten! Aber er ist jetzt schon zu alt zum Schlachten!
Jo Hanns Rösler:
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L etztes Jahr am Heiligen Abend fand ich im Innern der neuen Hausschuhe versteckt einen Brief meiner Frau. Mit zarter Schrift hatte sie quer darüber geschrieben: „Lies ihn erst, wenn du allein bist...“
„Liebster Mann!“ hieß es da, „du hast nichts als ein paar Kleinigkeiten gefunden, die du dir leicht hättest selber kaufen können, ein paar Zigaretten, wie du sie vielleicht gerade in der Tasche trägst. Und wenn du später darüber nachdenkst oder dich deine Freunde fragen, was du zu Weihnachten bekommen hast, wirst du vielleicht sagen: das Übliche — sozusagen nichts. Du tust mir damit sehr unrecht, liebster Mann! Vermöchte ich es doch, dir deinen Weihnachtsbauih so aufzuputzen, daß du erkennst, was alles zwischen den goldenen Fäden und glitzernden Körzen hängt! Es ist ein reicher Baum, sieh ihn nur richtig an.
Sieh, wovon soll ich dir Weihnachtsgeschenke machen? Ich bekomme von dir mein Wirtschaftsgeld, gelegentlich auch einmal ein kleines Geldgeschenk, an meinem Geburtstag oder zu den Geburtstagen der Kinder. Gewiß, ich spare mir etwas vom Wirtschaftsgeld, Essen und Licht und das Holz verschlingt nicht die ganze Summe. Aber mache ich dir nicht das ganze Jahr von dem ersparten
Wirtschaftsgeld Weihnachtsgeschenke? Da ist die Fensterscheibe, die dein Junge vor Übermut einwarf und die ich heimlich bezahlte. Wozu dich um das Geld bitten und dir den Ärger über den Jungen machen? Auch du hast als Junge Fensterscheiben eingeschlagen und bist doch ein rechtschaffener Mann geworden. Dann ist es wieder ein Kleid, eine Schürze, ein Paar Strümpfe, das unsere Jüngste braucht — du freust dich nur, wenn die Kinder sauber angezogen sind —, soll ich dir jede zerrissene Schuhsohle vorlegen? Dir vorrechnen, wieviel sie dir von deinem Weihnachtsgeschenk wieder nahm? Ahnst du überhaupt, wie schwer es ist, sich vom Wirtschaftsgeld etwas zu sparen? Sparenheißt ja auch absparen, das Unnötige vom Nötigen zu trennen, einsparen, wo es nur möglich ist. Aber wo kann ich es tun? Doch nur in den täglichen Dingen, an einem guten Bissen, den ich dir vorenthalte, an Blumen, die ich nicht kaufe, am Obst, das vielleicht für den Nachtisch nicht nötig ist, an den kleinen selbstgebackenen Bäckereien, die 'die Kinder, als Betthupferl bekommen und die du so gern am Abend knabberst. Ich sollte auch warten, bis die Erdbeeren und Kirschen in unserem Garten reif sind, und mich nicht durch den Glanz in den Augen der Kinder und auch in den deinen, liebster Mann, verleiten lassen, Obst und Gemüse früher zu kaufen, ehe es den billigsten Marktpreis hat.
Alles dies müßte ich an deinen Weihnachtsbaum hängen! Auch die in aller Heimlichkeit bezahlte höhere Lichtrechnung, denn ich habe dir nichts davon erzählt, daß zweimal in einem Monat die ganze Nacht hindurch in Flur, Küche
und Bad das Licht brannte, als du sehr spät heimgekommen warst und ich erst am nächsten Morgen es bemerkte. Hätte ich dich fragen sollen, ob du es warst? Dich bitten, in Zukunft daran zu denken? Nur darfst du eben dann zu Weihnachten nicht vergessen, daß auch diese Lichtrechnung als unsichtbare Gabe am Baum hängt
Ich könnte dir noch viele Dinge erzählen, die an den silbemen und goldenen Fäden am Weihnachtsbaum hängen, jene teure Schüssel, die ich ersetzte und die zersprang, weil du sie auf die heiße Herdplatte gesetzt hattest — die unzähligen Taschentücher, die die Kinder auf ihren Schulwegen verlieren. — Wenn aber dann das Jahr zu Ende geht und Weihnachten vor der Tür steht und ich meine wenigen ■ Pfennige
zähle-glaub mir, ich möchte
dir so gern einen großen Weihnachtskuchen backen mit vielen Rosinen und Mandeln, daß du über ihn gar nicht sehen könntest, so groß ist er. Aber ich ließ dich und die Kinder das ganze Jahr hindurch so oft am Teig naschen, bis fast nichts mehr übrig blieb. Verstehst du jetzt, was ich meine,
daß meine Weihnachtsgeschenke
in unsichtbaren Körben am Baum hängen? Blick darum nicht auf deinen schmalen Tisch mit den Hausschuhen, die du dringend brauchtest, nicht auf den Schal, weil du den deinen im Herbst verloren hast . . schau auf den Baum, der auch für dich strahlt, und erkenne mein größtes Geschenk für dich: meine zärtliche Liebe zu dir, meine unwandelbare Treue und die Sorge eines ganzen langen Jahres um dich und dein Heim.“
Die Kerzen am Baum waren niedergebrannt, als ich den Bne zu Ende gelesen hatte. Aber de Weihnachtsbaum strahlte mW weniger festlich. Ich ging ümune zu meiner Frau, die den Kindern das Essen auf den Teller legte.