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Nr. 181
Gegründet 1827
Samstag, den 6. August 1927
Fernsprecher Nr. LS
101. Jahrgang
Beschwichtigungsversuch
Berlin, 5. Aug. Zn dem Shreiben Briands an den Völkerbund wegen der feineren Ueberwachung Deutschlands durch den Völkerbund wird den Blättern halbamtlich (vom Auswärtigen Amt) mitgeteilt, es liege kein Grund zur Aufregung vor. Briand habe eben dem Völkerbund mitgeteilt, daß die Ueberwachung durch die MMärkommiffion bezw. den Botschafterrat am 31. Januar 1822 ihr Ende gefunden habe gemäß der Abmachung vom Dezember 1926. Daß dies jetzt erst geschehen sei, habe seinen Grund darin, daß Briand jetzt nach überstandener Krankheit die Amtsgeschäfte wieder übernommen habe. Von einem neuen Vorstoß Briands könne daher keine Rede-sein.
In Paris scheint man aber doch eine ganz andere Auffassung von dem Sinn des Schreibens Briands zu haben als im Auswärtigen Amt in Berlin. (Vergl. unten die Meldung aus Paris. D. Schr.)
Briand zeiA sein wahres Gesicht
Paris, 5. Aug. Die Pariser Blätter veröffentlichen gleichzeitig ein Schreiben des Außenministers Briand vom 27. Juli an den Völkerbund, in dem er ersucht, die seither dem Pariser Botschafterrat zustehende Ueberwachung der deutschen Rüstungen nunmehr durch den Völkerbund ausüben zu lassen. — Dazu bemerken die Zeitungen in wörtlicher Uebereinstimmung, also auf halbamtliche Weisung Briands: Die von Deutschland in letzter Zeit gemachten Anstrengungen, den Verbündeten die Visitation der Entwaffnung des Deutschen Reichs, insbesondere soweit sie die Küstenbefestigungen Deutschlands betrifft, erscheinen unangebracht. Die kürzuchen Enthüllungen (Försters in der, „Menschheit") über den Umweg, auf dem
Deutschland sein Heer zu vermehren beabsichtigt, beweisen, daß eine Ueberwachung durchaus notwendig ist. Selbstverständlich ist es der Völkerbund, dem jetzt diese Ueberwachung zufällt.
Die nichtswürdige Verdächtigung Försters gibt Briand den erwünschten, vielleicht sogar bestellten Vorwand, trotz der Verträge von Locarno und Genf, und trotz der Versicherungen von Thoiry Deutschland nicht aus der Zange der Ueber- Mvchung zu lassen. Sehr wahrscheinlich hat er die Befreiung Werhaupt niemals beabsichtigt, darum wurde das Hintertürchen der „Investigation" (Untersuchung) des Völkerbunds geschaffen, au der Deutschland, nachdem es Mitglied des Völkerbundes geworden ist, zappeln muß wie der Fisch cm der Angel, aufs neue belogen und betrogen.
Der neue Oberpräsident der Provinz Sachsen Berlin, 5. Aug. Der preußische Minister des Inner« wurde vom Staatsministerium ermächtigt, den Professor WLutig (Sog-) vorläufig und noch Einvernehmen mit oem Prcwmziolausschuß der Provinz Sachsen endgültig zum Oberpräsidenten cm Stelle Hörsings zu ernennen.
Ein bolschewistischer Agent erschossen Reval, 5. Aug. Ein Agent der Kommunistischen Internationale (Komintern) in Moskau, der wegen Wühlereien in Reval verhaftet werden sollte und der dabei Widerstand leistete, wurde von der Polizei erschaffen. Der Agent hatte durch einen Schuß einen Polizeioffizier verwundet. Auf Grund der bei ihm Vorgefundenen Schriftstücke wurden mehrere Haussuchungen und Verhaftungen vorge- nommeu.
Lagesspiegel
3l7. dcr Reichskanzlei fand am 5. August eine 114 Stunden Lauernde Vorbesprechung der in Berlin anwesenden Re-ichsministcr für die auf 16. August anberaumke wichtige Sitzung statt, in der namcnllich auch gewisse Fragen der Außenvolirik behandelt werden dürften (Ueberwachung, Verweigerung der Räumung usw.).
Der ReichskaeZabocordneke Dierath ist aus der Kommunistischen Partei ausgetreten.
Insgesamt haben die Znnkrrsflieser bc? versiÄki«-ster Schätzung mindestens SS0S Kilometer znrückgelsgk. Die Entfernung Dessau—Neufundland beträgt nur etwa 450S Kilometer.
In Genf wurde mit den üblichen Versicherungen von Abrüstungswillen» grundsätzlicher Uebereinstimmung und ähnlichen Eprüchen die Dreimächtekonferenz vollständig ergebnislos geschlossen. Aeber vier Jahre, wenn man die Träubels schneidet, wollen die drei Mächte wieder in Genf sehen» was sich in der Seeabrüstung machen läßt.
Jum Scheitern der Genfer Konferenz schreibt der Londoner «Daily Telegraph", man könne daraus die Lehre ziehen, daß die Welk für die Abrüstung noch nicht reif fei.
Politische Wochenschau.
Die Genfer S ee ab rüstungskonser enz, die nun sechs Wochen dauerte, ist an einer Krisis anselangt. Sie betrifft die Frage der Seemachtsgleichheit zwischen Len beiden angelächsischen Weltmächten. England hat sie ichon aus der Washingtoner Abrüstungskonferenz 1921 im Grundsatz zugestandsn. Derselbe wurde damals allerdings zunächst nur auf die Grohkampsschiffe angewandt. Jetzt wollte Amerika folgerichtig die anderen Schiffseinherten die Kreuzer, Torpedoboote und U-Bvote mit einbeziehen. Nicht ohne Hinterhältigkeit ging England auch daraus ein, aber nicht etwa so, daß es seinen eigenen Bestand an Kreuzerschiffen vermindern und ihn, wie Amerika meinte, dem weit geringeren Bestand der amerikanischen Kreuzer ungleichen oder auch nur annähern würde. England will vielmehr seine ganze, derzeit aus 71 Schiffen bestehende Kreuzerflotte voll beibehalten, aber Amerika erlauben, seine Kreuzerflotte aus einen ebenso hohen Stand zu bringen. Dabei weiß inan m London sehr wohl, daß man in Amerika niemals eine solch riesige Flotte bauen würde; einmal weil man damit gar nichts anzufangen wüßte — im Gegensatz zu England, dos bei seinem über die ganze Welt verstreuen Rieienrerch die sür die Verteidigung der Reichsteile säst allein in Betracht kommenden Kreuzer nicht entbehren zu können behauptet -- und dann, weil.Amerika etwa 1,5 Milliarden Dollar aufwenden müßte, um den Kreuzervorsprung Englands einzuholen. Und Präsident Coolidge will doch gerade spare n; das war der Zweck, als er zur Genfer Dreimächtekonserenz einlud. Aus der Konferenz geht die englische Diplomatie als Siegerin hervor. Sie hat ihre F l o t t e n v o r m a ch t gegenüber dem einzigen ernstlich in Betracht kommenden Mitbewerber, den Vereinigten Staaten, gerettet und dabei doch den Schein gewahrt, als ob sie ganz damit einverstanden sei, daß zwischen den beiden Mächten ein Gleichheitsverhältnis hergestellt werde. Nicht umsonst hat England in den Jahren seit der ersten See-„Ab- rüstungs"-Konferenz in Washington Kreuzer um Kreuzer gebaut. Damals konnte es leichten Herzens in die Be- schränkuna seiner aan.i großen Schlachtschiffe einmilliaen penn sie voryanoenen und veraüredeten Grotzkamps- schiffe gegnügen für die Verteidigung des Mutterlandes, die Großschiffe haben auch in den Augen der Sachverständigen schon wegen ihrer Kostspieligkeit bereits an Wert verloren.
Ohne Frage wäre es England angenehmer gewesen, wenn die Genfer Konferenz nicht in die Luft gegangen wäre und wenn Amerika seinen so edelmütigen Vorschlag angenommen, d. h. darauf herein gefallen wäre. Denn man möchte doch nicht als derjenige erscheinen, an dessen Hartnäckigkeit die im Versailler Vertrag und in den Völkerbundssatzungen hoch und heilig verschworene „A brüst u n g" scheiterte. Aber in London wird man die Tatsachen schon zurechtzubiegen wissen. Recht unangenehm ist das Scheitern der Konferenz für Coolidge. Sein Liebling spl^an liegt in Scherben. Und das bedeutet für ihn sehr viel. Die Zeit rückt heran, wo in den Vereinigten Staaten wieder der Präsident ge wählt werden muß; die zweite Präsidentschaftszeit Coolidges ist bald um. Es ist zwar in Amerika bisher nicht üblich gewesen, daß ein Prä- Dent dreimal zur Wahl sich stellt oder gewählt wird — Washington hat die dritte Wahl ausdrücklich abgelehnt. Aber Coolidge hätte es riskiert, mit der Ueberlieferung zu brechen, und er hätte es riskieren können, wenn er den staunenswerten Erfolg aufzuweisen gehabt hätte, unter dem Gesichtspunkt der Abrüstung und der Sparsamkeit eine wirkliche Gleichstellung der englischen und der amerikanischen Flotte herbeizuführen. Diese Tatsache im Verein mit den von Coolidge bereits durchgeführten Steuerherabsetzungen hätten ihn zum volkstümlichsten Mann in den Vereinigten Staaten gemacht, und seine Wiederwahl wäre sehr wahrscheinlich gewesen. Umgekehrt entzieht ihm jetzt der Mißerfolg die Volksbeliebtheit. Coolidge hat daher bereits erklärt, daß er eine Kandidatur nicht mehr annehme.
Es ist beareiflich. daß Coolidge sehr verärgert ist. Der
lächelnde Driitc der Konferenz ist Ja-p a-n, das Zwar allerlei „Vermittlungsvorschläge" machte, dabei aber wohl wußte — und wohl auch nichts dagegen einzuwenden hatte — daß sie nichts nützen werden, denn Japan hat die englische Politik von Anfang an durchschaut. Der lachende Vierte endlich ist Frankreich, das nun alle Zumutungen von „Abrüstung zu Lande" sogleich mit dem Hinweis auf die Genfer Dreimächtekonferenz zum Schweigen bringen wird.
Was Japan betrifft, so ist am 20. Juli in Tokio von den beiderseitigen Vertretern der deutsch-japanische Handelsvertrag abgeschlossen worden. Er bedeutet eine weitere Annäherung der beiden Staaten. Schon die Gründung des Japan-Instituts in Berlin hat die Absicht, uns kulturell näher zu bringen. Jetzt soll's auch aus handelspolitischem Gebiet geschehen, namentlich bezüglich der beiden wichtigsten Handelswaren, die gegenseitig in Betracht kommen: der japanischen Seide und der deutschen F a r b i n d u st r i e. Gerade letztere Vereinbarung machte ziemlich viel Schwierigkeiten, weil Japan sich während des Krieges eine eigene Farbindustrie eingetan hatte, die gegen ausländische Konkurrenz geschützt werden mußte. Aber man kam einander entgegen, dank des Verständnisses, das Baron Tanaka unseren wirtschaftlichen Notwendigkeiten enkgegen- brachte. Dabei soll nicht des Mannes vergessen werden, der zur Annäherung beider Staaten in den sieben Jahren seiner Amtstätigkeit soviel beigetragen hat: unser Botschafter D r. Sols in Tokio. Mit Recht konnte dcr japanische Außenminister, Baron S h i d e h a r a, bei Eröffnung des japni- schen Reichstags erklären: „In unseren Beziehungen zu Deutschland sind die wunden Stellen, die der Krieg verursacht hatte, schnell verschwunden: cm ihre Stelle sind Gefühle des guten Willens, ausgesprochener, als sie jemals vor dem Krieg bestanden haben, emporgewachsen."
Leider kann man so etwas nicht von unseren Beziehungen zu den europäischen Verbandsmächten, namentlich zu Frankreich behaupten. Der Fall von Orchies, den wir schon in der letzten „Wochenschau" gestreift haben, ist immer noch nicht ganz zur Ruhe gekommen. Unsere Regierung wird freilich mit der Erörterung Schluß machen. Wir können's auch. Denn das amtliche Material über die französischen Schandtaten ist zu gut und überzeugend festgestellt, als daß wir weitere Beweismittel nötig hätten. Frankreich aber ist in dieser Sache vor aller Welt bloßge- stclst. Was jetzt von der Regierung halbamtlich oder vom Bürgermeisteramt Orchies beschlußmäßig vorgebracht wird, sind klägliche Ausreden, mit denen Poincar« und Genossen keinen Hund vom Ofen locken werden. Wer andern eine Grube gräbt — und das wollte Poincarö in seiner Sonntagsrede in Orchies tun — der fällt am Ende selbst hinein.
Frankreich täte überhaupt klüger, sich endlich auf den Boden der Tatsachen zu stellen und ehrlich eine Verständigung mit Deutschland zu suchen, mit einem Nachbarn, mit dem es, ob gern oder ungern, endlich einmal doch Auskommen muß. Was haben wir nicht alles bis jetzt zu einem solchen Entgegenkommen beigetragen? Man denke nur an unsere Selbstentwaffnung: an die Zerstörung unserer Unterstände im Osten und an das Kriegsgerätegesetz. Wir wollten alles aus dem Wege räumen, was irgendwie die Auswirkung des Locarnogeistes hindern könnte. Und was tut Frankreich? Es läßt alles beim alten: Statt der Ent- ternuna der Velakuna im Saarland Hst maweinen „D a b n-
schutz^ mit uniformierten Soldaten geschaffen. Statt die verhaßten Ordonnanzen aufzuheben, sind sie so „vereinheitlicht" worden, daß von einer Wiederherstellung der dchrt- schen Staatshoheit keine Rede sein kann. Im übrigen Hausen immer noch 70 271 fremde Truppen (darunter allein 56 56S Franzosen) in unseren schönen Rheinlanüen. Selbst den Engländern wird das nach und nach zu dumm. So schrieb die „Westminster Gazette" u. a.: „Wünscht Herr Poincare im Rheinland zu bleiben, so untergräbt er in Wirklichkeit die Sicherheit, die er verlangt. Durch die Annahme von Locarno kann Frankreich einer friedlichen Entwicklungsperiode entgcgesehen. Indem es Locarno als unzulänglich behandelt, kann es Deutschland und die Welt nur davon überzeugen, daß es keine Versöhnungspolitik wünscht."
Freilich England dürfte sich auch bei diesen Worten an der eigenen Nase halten. Denn es ist just im Begriff, einen glatten Vertragsbruch und ein großes Unrecht an uns zu begehen. Ist da vor wenigen Tagen dem Unterhaus wieder ein Weißbuch zugegangen. In diesem ist zu lesen, daß dcr sattsam bekannte Kolönialminister Amery ein« Spezialkommission nach Ostasrika schicken will. Diese soll an Ort und Stelle u. a. prüfen, ob und wie Tanganjika — der jetzige Name für Deutsch-Ostafrika — der geplanten „Ostasrikanischen Föderation" einverleibt werden könne. Dabei meint die Regierung, daß eine solche Annexion — etwas anderes ist es nicht — mit dem Manbatscharakter der ehemaligen deutschen Kolonie absolut vereinbar sei. Ein Beweis, daß das unersättliche England, dessen Kolonialreich im Jahr 1925 nicht weniger als 398 Millionen Menschen umfaßte, immer noch nicht genug hat. Gierig streckt es seine Hände nach Deutschlands zukunftsreichster Kolonie aus. Was kümmert es sich um „Recht oder Unrecht", wenn's nur seinem Machtshunger genügen kann! Wilson, der Schöpfer des unglückseligen Mandatssystems, dieses glatten Betrugs, mit dem man uns unsere Kolonien ohne jede Entschädigung kurzweg abgeknöpft hat, hatte am 20. Nov. 1920 ausdrücklich erflärt, daß die Mandate kein Dauerbesitz, sondern nichts anderes als „eine denkbar strikteste Treuhändeschaft" seien. Was wird der Völkerbund tun? Der pflegt im allgemeinen nur die kleinen Diebe zu hängen, die großen aber läßt er ruhig laufen.
In Rumänien kündigen sich unruhige Zeiten an. Der Exkronprinz Carol hat von Paris aus, alllvo allen Verbannten ein vergnügtes Leben winkt, eine Botschaft erlassen, daß er einem etwaigen Ruf seines Volkes, den Thron seines Vaters einzunehmen, nicht widerstreben würde. Das hörten die nationalen Bauern, die so wie so auf die Gewaltherrschaft Bratianus gar nicht gut zu sprechen sind, recht gerne. Auch die Könstsin Maria, jene bekannte Deutschfeindin (eine Nichte Eduards VII. von England), die nic^ ruhte, bis sie ihren „ungeratenen" Sohn Karl los hatte, denkt heute anders. Denn sie grollt dem Diktator Bratianu, weil er sie, die so gerne etwas gelten will, nicht in den Regentschaftsrat ausgenommen hat. Kurz, es muß recht gut gehen, wenn's in der nächsten Zeit keine Unruhen in Rumänien geben soll. Deutschland ist dabei zunächst unbeteiligt, aber es wird den dortigen Vorgängen seine angestrengte Aufmerksamkeit schenken.
Unsere Landsleute in Danzig haben wieder ihre liebe Not mit den P o l e n. Diesen gnügt der Kriegshasen in dem benachbarten Gdingen nicht. Gegen allen Vertrag liegen polnische Kriegsschiffe im Danziaer Hafen, als ob sie das