DONNERSTAG, 2 9. JULI 1854
EVG-Konferenz im Haag
DEN HAAG. Die sechs Außenminister der Unterzeichnerstaaten des EVG-Vertrages werden vom 10. bis 15. August im Haag zusammentreten, wie ein Sprecher des niederländischen Außenministeriums am Mittwoch mitteilte. Der französische Ministerpräsident und Außenminister Mendes-France habe bereits seine Teilnahme zugesagt.
Wie der Sprecher erklärte, wird der EVG-Vertrag das einzige Diskussionsthema sein. Die Frage der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland werde nicht erörtert werden.
Der Sprecher erklärte weiter; die niederländische Regierung habe die britische und die amerikanische Regierung davon unterrichtet, daß sie gegen eine Revision der Bonner Verträge durch Großbritannien und die Vereinigten Staaten ohne Mitwirkung Frankreichs sei. Nach ihrer Ansicht müßten alle Entscheidungen über die Souveränität der Bundesrepublik von allen drei Besatzungsmächten gemeinsam getroffen werden.
„Wahlkampf“ in der DDR
BERLIN. Mit Reden führender SED- Politiker in Dresden, Magdeburg und Zwickau begann am Mittwoch in der Sowjetzone die große „Rechenschaftslegung der Abgeordneten“ zur Vorbereitung der „Volkswahlen“ am 17. Oktober. Der zentrale Block der Parteien und Massenorganisationen hat beschlossen, für die an diesem Tage stattfindenden Neuwahlen zur Volkskammer und zu den Bezirkstagen wie vor vier Jahren wieder eine Einheitsliste aufzustellen.
Landesverwaltungsgesetz ist vordringlich
Innenminister Ulrich im Landtag von seiner eigenen Fraktion gerügt
Von unserer Stuttgarter Redaktion
STUTTGART. Die Verzögerung wichtiger Gesetzesvorlagen, die Innenminister Ulrich eine geschlossene Kritik bei der zweiten Beratung des Haushaltplanes seines Ministeriums im Landtag einbrachte, hat am Mittwoch zur Annahme zweier Anträge geführt.
Auf Initiative sämtlicher vier Fraktionen wurde die Regierung aufgefordert, den Entwurf für ein Landesverwaltungsgesetz noch vor den Entwürfen einer Gemeindeordnung und Kreisordnung, und den Entwurf für ein Landtagswahlgesetz sofort nach den Parlamentsferien dem Landtag zur Beratung vorzulegen. Der frühere Justizminister Renner (SPD) hatte in diesem Zusammenhang in der Aussprache am Vortage den Innenminister scharf angegriffen und „die Schlamperei und das Nichtstun“ hinsichtlich der erwarteten Gesetzesentwürfe gerügt.
Minister Ulrich (SPD), der in einer Rede angekündigt hatte, der Entwurf des Landesverwaltungsgesetzes werde die Frage der Kreisgrenzen nicht berühren, und deswegen mißbilligende Zwischenrufe insbesondere aus den Reihen seiner eigenen Fraktion hinnehmen mußte, wurde durch einen weiteren Antrag ausdrücklich aufgefordert, in das neue Landesverwaltungsgesetz die Neuordnung der Kreisgrenzen einzubeziehen. Diesem Antrag stimmte die Fraktion der CDU nicht zu.
Schärfere Maßnahmen zur Bekämpfung der Werbung für die Fremdenlegion wurde in einem weiteren Antrag an die Regierung gefordert. Eine längere Aussprache entwickelte sich darüber, ob das Veterinärwesen dem Innenministerium entzogen und dem Landwirtschaftsministerium zugeteilt werden solle, wie es eine Gruppe von Abgeordneten aus sämt-
Notwendige Kohle-Stahl-Verbindung
Wünsche der deutschen Schwerindustrie an die Montan-Union
KÖLN. Das Deutsche Industrieinstitut in Köln erklärte, Deutschland könne von der Hohen Behörde der Montanunion erwarten, daß sie sich den wirtschaftlich notwendigen Zusammenschlüssen innerhalb der . deutschen Kohle- und Stahlindustrie nicht entgegenstelle. Es sei zu hoffen, daß diesem Gesundungsprozeß von deutscher Seite
70jähriger Machtkampf geht zu Ende
Suezabkommen leitet neue Etappe ägyptischer Geschichte ein
LONDON. Nach der Unabhängigkeitserklärung Indiens (1947) stellt die Einigung mit Ägypten den einschneidendsten Akt in der Liquidierung des alten britischen Empire dar. Ägypten war ein Teil des verfallenen türkischen Reiches, als es 1882 durch eine militärische Intervention zum Schutz britischer Interessen „besetztes Gebiet“ wurde. Die damaligen Ereignisse sind eng mit der Geschichte des Suezkanals verbunden, der 1869 vollendet worden war. Großbritannien hatte 1875 dem Khediven den ägyptischen Anteil an den Aktien der Kanalgesellschaft abgekauft.
Der Kanal — „stets frei und offen in Zeiten des Krieges wie des Friedens für jedes Handels- und Kriegsschiff ohne Unterschied der Flagge“, wie es in einer später oft gebrochenen Klausel eines Übereinkommens der Seemächte von 1888 hieß — galt damals zusammen mit Indien als der wertvollste Teil des Empire. Mit dem ersten Weltkrieg begann jedoch bereits eine neue Etappe der ägyptischen Geschichte. 1914 bis 1922 war Ägypten zunächst Protektorat. Seit dem Ende des ersten Weltkrieges stand es jedoch
Unter falschem Namen
BONN. Falsche Namensangaben können durch Selbstanzeige noch bis zum 81. Dezember dieses Jahres ohne die Gefahr einer Strafverfolgung berichtigt werden. Das Bundesinnenministerium weist darauf hin, daß nicht damit zu rechnen ist, daß später die Führung falscher Namen noch einmal amnestiert werde.
ständig latent oder offen in Rebellion. Eine repräsentative ,,Wafd“(Delegation) hatte 1918 bei einem Besuch in London in aller Form die Unabhängigkeit gefordert.
1922 erfolgte eine Unabhängigkeitserklärung, die aber erst 1936 durch den nach britischer Auffassung noch jetzt geltenden, von Ägypten aber einseitig aufgekündigten britisch-ägyptischen Vertrag verwirklicht wurde. Nur in der Suezkanalzone blieb der Status quo mit Besetzung erhalten. Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges verlangten die Ägypter die Revision auch dieses Vertrages und den Abzug des letzten Restes der britischen Besatzung.
keine Schwierigkeiten in den Weg gelegt würden, wie etwa durch eine „Verquickung rein wirtschaftlicher Probleme mit der Frage der Mitbestimmung“, wie das der Leiter des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften, Dr. Viktor A g a r t z , in einem Interview getan habe.
Zur Verwirklichung langfristiger Modernisierungspläne gehört nach Ansicht des Deutschen Industrieinstituts neben den Finanzierungsmitteln auch das Vorhandensein eines Risikoausgleichs, der durch eine Betätigung des Unternehmens auf verschiedenen Produktionsstufen erreicht werde. Die traditionelle Verbundenheit von Kohle und Stahl in der deutschen Montanindustrie sei daraus zu ersehen, daß vor Kriegsende 55 Prozent der Ruhrkohlenförderung auf die sogenannten Hüttenzechen entfielen. Die Alliierten behaupteten, daß sie etwa 15 Prozent der Ruhrkohlenförderung im Verbund mit Stahlgesellschaften belassen hätten. In Wahrheit könne von einem echten Kohle- Stahl-Verbund keine Rede sein. Die volle eigentumsmäßige Verbindung zwischen Hüttenwerk und Kohlengesellschaft sei nur in solchen Fällen zugelassen worden, in denen die Betriebspunkte räumlich weit auseinander liegen.
liehen Fraktionen wünschte. Die Regierung soll darüber bis zum nächsten Etat eine Entscheidung treffen.
Die Rindertuberkulose soll zweckmäßigerweise künftig nach dem südbadischen Muster der „Ausmerzungsbeihilfen“ bekämpft werden. Die Regierung wurde zur Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfes aufgefordert.
Bundesbahn als „Packesel“
STUTTGART. In der sich an eine Große Anfrage des SPD-Abgeordne- ten Karl Hauff anschließenden Aussprache über die Haltung der Landesregierung bei der Beratung der Verkehrsgesetze vertrat Hauffs Fraktionskollege Viktor Renner, der Mitglied des Verwaltungsrates der Deutschen Bundesbahn ist, die Meinung, daß man die Bundesbahn bisher immer ungerecht behandelt und sie als „Packesel“ benützt habe. Man müsse ihr endlich die betriebsfremden Lasten abnehmen und ihr gestatten, unrentable Strecken aufzugeben. Den Konkurrenten auf der Straße habe man in den letzten Jahren „systematisch hochgepäppelt“. Hauff hatte zuvor erklärt, daß die Monopolstellung der Eisenbahn unwiderbringlich dahin sei und daß Baden- Württemberg an der Lösung der Verkehrsprobleme besonders interessiert sein müsse, da im Lande 50 Prozent aller Lastwagen des Bundesgebietes erzeugt würden.
pressestimmen
Nüchtern betrachtet
Die britische Presse kommen, tierte das Suezkanal-Abkommen unterschiedlich. Die unabhängig, „Times begrüßt den Pakt al, realistisch und meint:
„Diejenigen, die das Übereinkommen als einen Verlust ansehen und Sicher heit betrachten, sollten sich die Alterl nativen nüchtern überlegen. 80 000 Sol" daten sind zur Zeit damit beschäftigt" sowohl sich als auch den Suezkanal zu verteidigen. Sie alle — und vielleicht sogar noch mehr — werden dort gebraucht, solange Ägypten eine feindselige Haltung beibehält. Im Zeitalter der Atombombe ist eine derartig« Truppenkonzentration nicht nur gefährlich, sondern auch verschwenderisch.“
„F adenscheinig“
Als „fadenscheinige Versuche, das Gesicht zu wahren“, bezeichnet der Deutschlandkorrespondent der Züricher „T a t“ die Erklärung von Bundesinnenminister Dr. Schröder zum Fall John. Er schreibt:
„Man kann sich schlechterdings nicht vorstellen, daß der Chef eines geheimen Nachrichtendienstes bereit gewesen sein könnte, aus freien Stüdcen nach Ostberlin zu gehen, um sich dort persönlich um irgendwelche privaten Dokumente zu kümmern. Das wäre ein derart sträflicher Leichtsinn, wie man ihm einem Mann, der aus der Praxis seines Amtes mit den kommunistischen Methoden sehr vertraut sein mußte, schlechterdings nicht Zutrauen mag. Selbst Leute, die Johns Eignung für sein Amt seit langem recht kritisch beurteilen, halten eine solche Vermutung denn doch für allzu phantastisch.“
18,9 Millionen Anträge
Ausgleichsamt braucht mehr Personal zur raschen Abfertigung
FRANKFURT. 18,9 Millionen Anträge auf Leistungen des Lastenausgleiches seien bis zum 31. Mai dieses Jahres im Bundesgebiet eingereicht worden, erklärte der Präsident des Bundesausgleichsamtes, Dr. Kühne, auf einer Pressekonferenz in Frankfurt. Davon seien 7 696 720 Anträge auf Schadensfeststellung, dabei 4 269 651 reine Hausratsschäden, gestellt worden.
Die restlichen Anträge teilen sich nach den Angaben des Bundesausgleichsamts folgendermaßen auf: 905 000 Anträge auf Kriegsschadenrente, davon 212 000 abgelehnt und 310 000 noch unbearbeitet. 113 700 Anträge für den Här-
Auf der Expedition ertrunken. Das Mitglied der deutsch-österreichischen Himalaya-Karakorum-Expedition, Karl Heckler, ist bei der Überquerung eines Flusses in Nordpakistan ertrunken.
Volkswagen-Prozeß hinausgeschoben. Der erste Zivilsenat des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe wird am 23. November im sogenannten Volkswagensparer-Prozeß verhandeln. Ursprünglich war der 19. Oktober als Termin angegeben worden.
260 deutsche Esperantisten nach Haarlem. Zum Esperanto-Weltkongreß 1954 vom 21. Juli bis 7. August in Haarlem haben sich 260 Deutsche gemeldet. Schon seit Jahren beteiligen sich die deutschen Esperantisten wieder an den Weltkongressen.
Tschu En-Iai bei Molotow. Der chinesische Ministerpräsident Tschu En-lai ist nun auf seiner Rückreise in Moskau eingetroffen. Außenminister Molotow
Kleine Weltchronik
gab für ihn und den stellvertretenden Vietminh-Ministerpräsidenten Van Pham-dong einen Empfang.
Bundesjustizminister Neumayer 70 Jahre. Der älteste Bundesminister nach Dr. Adenauer, Bundesjustizminister Fritz Neumayer, vollendet heute sein 70. Lebensjahr.
Feuer im Stockholmer Olympia-Stadion. Das im Jahre 1912 erbaute Olympia-Stadion in Stockholm wurde durch ein Feuer, das vermutlich durch einen achtlos weggeworfenen Zigarettenstummel verursacht wurde, teilweise zerstört.
Schweizer Protest zur Uhrenzollerhöhung. Etwa die Hälfte des schweizerischen Uhrenexports nach den USA werde von der amerikanischen Erhöhung des Uhrenzolls betroffen, erklärte
die schweizerische Regierung. Sie werde von der „Notklausel“ in ihrem Handelsabkommen mit den USA Gebrauch machen.
Portugiesische Note an Indien. Portugal hat bei der indischen Regierung erneut gegen die Bedrohung portugiesischen Besitzes in Indien protestiert. In einer Note wird gegen den Transport von Kriegsmaterial und Soldaten in die Nähe von Diu Einspruch erhoben.
Auf treibender Eisscholle. Seit drei Monaten lassen sich sowjetische Wissenschaftler mit ihrer Beobachtungsstation auf einer Eisscholle durch die Arktis treiben, um die Zusammensetzung des Meerwassers zu untersuchen.
Gefährliches Zelten. Der Kreisjugend- pfleger von Lüneburg hat alle Einzelwanderer vor dem Zelten im Manövergebiet der Lüneburger Heide gewarnt, da bei nächtlichen Übungen britischer Truppen einzelne Zelte von Panzern überrollt werden könnten.
tefonds, davon bisher 21 900 bewilligt. Für den Währungsausgleich 2 243 000 Anträge, darunter 701 000 ungeklärte Fälle und 48 800 abgelehnte Anträge. Für die Hausratshilfe sind 6 421 000 Anträge eingegangen, davon für die erste Rate 3 017 000 und für die zweite Rate 203 000 bewilligt worden sind, während 239 000 Anträge abgelehnt werden mußten.
Präsident Dr. Kühne erklärte, daß das Bundesausgleichsamt bestrebt sei, für eine qualitative und quantitative Verbesserung des Personals bei den Ausgleichsämtern einzutreten, damit die Anträge der Geschädigten schneller bearbeitet werden könnten.
Wypukol erneut angeklagt
PADERBORN. Der unter der Anklage der Mißhandlung von deutschen Kriegsgefangenen in einem jugoslawischen Lager vor dem Paderbomer Landgericht stehende 43jährige Georg Wypukol aus Kattowitz wird sich wahrscheinlich auch noch wegen Leichenfledderei verantworten müssen.
In einem Schreiben des früheren Vorsitzenden der Antifa in Jugoslawien, Willi Wolf, heißt es, daß Wypukol im Lager Ruma als „furchtbarer Tyrann* bekannt gewesen sei, den man nie ohna Reitpeitsche sah. Als die Ruhr ausbrach, habe er mit seiner Peitsche an den Latrinen gestanden, wohin sich di« Schwerkranken geschleppt hatten, und so lange auf sie eingeschlagen, bis sie sich nicht mehr rührten. Den Toten habe Wypukol dann die Goldzähne ausgebrochen, die Wertsachen abgenommen und sie in die Gruben gestoßen.
B'omä
durch Verlag v. Graberg ft Görg, Wiesbaden Cop. by A. Bechthold, Faßberg —
(2. Fortsetzung)
„Freilich, ja. Da bei uns heraußen lernt sie Ja nix“, pflichtet der Bürgermeister dem Protzenbauer bei, wie er ihm überall beipflichtet, auch wenn es für ihn oder der Gemeinde zum Nachteil ist.
Unterdessen haben sie das kleine Haus im Geierstal erreicht. Der Bürgermeister klopft seine Stiefel an der Hauswand ab, während der Wieshofer mit Eisklumpen an den Schuhen die Stube betritt.
Das Mädchen sitzt auf der Ofenbank und zupft mit den Fingern an einer alten Harfe. Es ist eine ganz einfache, zärtliche Melodie, die unter den Fingern des blinden Kindes hervorquillt. Das bleiche Gesicht mit den lichtlosen Augensternen lehnt wie in tiefer Versunkenheit oder Weltentrücktheit an dem dunkelgebeizten Holz.
Mit rauhem Ton zerstört der Wieshofer dieses idyllische Bild, indem er fragt:
„Wo ist dein Bruder?“
„Jesus!“ stammelt das Mädchen erschrocken. „Jetzt hab ich g'meint, mein Tonele sei in die Stube getreten. Wer bist denn du?“
„Der Tonele bin ich freilich net. Aber der Wieshofbauer bin ich und hätt' mit deinem Bruder ein wichtiges Wörtl zu reden. Weißt du net, wo er ist?“
„Im Stall draußen wird er sein, ja. So — und du bist der Wieshofbauer, von dem der Toni sagt, daß er schuld wäre, daß die Mutter so früh ins Grab hat müssen?“
„Wer sagt dös?“
sag‘s“, klingt eine feste, doch ruhige Stimme von der Tür her.
Der Wieshofbauer fährt mit dem Gesicht herum. Seine Augen funkeln! Doch kalt und ruhig begegnet der Toni seinem Blick, dann sagt er, als wäre der Wieshofer gar nicht anwesend, zum Bürgermeister:
„Was verschafft mir die Ehre?“
„Komm, Toni, setzen wir uns“, meint der Bürgermeister.
Und während sie sich dann am Tisch gegenübersitzen, nimmt der Wieshofer auf der Ofenbank Platz, spreizt die Hände auf seinen Krückstock und legt das Kinn darauf.
„Also, Toni“, beginnt der Bürgermeister nach einigem Räuspern, „es ist heute in der Ausschußsitzung verhandelt worden, daß dir die Gemeinde in jeder Hinsicht beistehen soll. Unser verehrliches Gemeinderatsmitglied, der Wieshofer, hat sich liebenswürdigerweise bereit erklärt, deine Schwester unentgeltlich auf den Hof zu nehmen, bis sie mündig ist und über ihr weiteres Fortkommen selber bestimmen kann.“
Toni verzieht keine Miene. Und als der Bürgermeister schweigt, bleibt er immer noch ruhig sitzen und trommelt mit den Fingern auf den Tisch. Dann steht er auf, stemmt die Fäuste auf die Tischplatte und sagt ganz ruhig:
„Und habt ihr gemeint, es braucht sonst nix, als das Mädel auf den Wieshof zu schleppen?“
„Wer sagt denn vom Schleppen?“ fragt der Wieshofer, sich ebenfalls erhebend. „Der Knecht kann einspannen und kann sie hinfahren. Und gut soll sie‘s haben bei mir.“
„Ihr habt ja mich noch gar nicht gefragt, ob mir‘s recht ist.“
„Dös war ja noch schöner“, trumpft jetzt der Bürgermeister auf. „Du sollst doch froh sein, daß deine Schwester so gut untergebracht wird und daß der Wieshofer so gut ist.“
„Es ist zwecklos“, sagt der Toni ruhig und bestimmt. „Wollen net lang streiten. Ich sag's euch gleich: das Mädel bleibt bei mir und damit basta.“
Mit einem erstickten Jubelschrei taumelt
Hannerl auf den Bruder zu und umklammert ihn.
„Ich hab's ja gewußt, Tonele, daß du mich net hergibst!"
Der Wieshofer betrachtet die Szene mit spöttischem Lächeln, dann sagt er hämisch:
„Da werd ich halt ans Bezirksamt oder an die Obervormundschaft einen salzigen Bericht einsenden. Die werden dir's schon beibringen, daß ein unmündiges Kind in die richtige Hand und Pfleg* gehört.“
„Ja“, entgegnet Toni ruhig: „In eine richtige Hand, aber zu keinem solchen Blutsauger wie du einer bist.“
„Du, tu dich fein ein bißl bezähmen!“
„Gar net halt ich mich zurück. Und wenn die ganze Gemeinde vorm Wieshofer katzbuckelt, ich net.“
„Ah, so bist du eingestellt? Na, wart, Bürschel. Du wirst schon noch zahm werden. Und daß du‘s weißt, Ws zum ersten April will ich meine fünfzehnhundert Mark haben. Andernfalls laß ich pfänden.“
„Dös sieht dir ganz ähnlich“, sagt Toni mit erwürgtem Laut.
„Da wirst du schau‘n, wenn's blechen heißt, verstehst du mich. Und zahTn mußt du, das lasse ich net aus.“
Toni spürt, wie ihm das Blut in die Schläfen springt. Er schiebt das Kind zur Seite und stellt sich breit und wuchtig vor den Wieshofer hin.
„Jetzt hast du einmal dein wahres Gesicht gezeigt, Wieshofer. In der Kirche hast du den Platz in der ersten Reihe, und bei der Prozession trägst du den Himmel. Einem armen Teufel aber tatst am liebsten ‘s Blut aus den Adern saugen. Nobel ist dös! Respekt vor so einem Christentum. Aber dein Geld sollst du haben, so bald als möglich. So, jetzt haben wir zwei ausgeredet. Jetzt geh mir aus den Augen, sonst . . .“
Toni, dem die Fäuste zu zittern begannen, weist mit ausgestreckter Hand nach der Tür.
Diese drohende Bewegung veranlaßt den Wieshofer, so schnell wie möglich nach der Tür zu gelangen. Der Bürgermeister drückt
sich neben ihm her. Der Bauer rempelt ih# grob an.
„Warum machst du dein Maul net auf, wozu bist du denn Bürgermeister?“
„Hinaus!“ schreit nun der Toni und macht ein paar federnde Schritte vor. Dann schlägt er krachend die Tür hinter den beiden z» und geht zurück an den Tisch.
Da fällt sein Blick auf den Herrgottswinfeei.
„Du da droben. Sag mir, ob's überhaupt noch eine Gerechtigkeit gibt auf der Welt Da muß man schon schier zweifeln, ob's überhaupt noch einen Herrgott gibt.“
Die großen, dunklen Augen des Burschen saugen sich dabei fest an den starren, leidverzerrten Zügen des Heilandes, die das Licht der kleinen Ampel mit rötlichem Schimmer überflutet.
Stumm blickt der geschnitzte Christus herunter auf den erregten Zweifler, ganz stumm und regungslos.
Da läßt Toni beschämt den Kopf sinken, legt die Arme über das Gesicht und birgt da* Gesicht darein. Und als Hannerl nach einer Weile kommt und ihr Aermchen um seinen Hals schlingt, da preßt er das zarte Ding so fest an sich, daß sie stöhnt. Seine Stimm* zittert nun doch ein wenig, als er sagt:
„Jetzt wirst du bald keine Heimat mehr haben, armes Hascherl.“
„Dös macht nix, Tonele. Wenn ich nur dich hab.“
Eng umschlungen sitzen die beiden einsamen Menschen, indes draußen die Dämmerung Haus und Garten und alle Dinge verschlingt und am Himmel die ersten Sternlein aufblinken.
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An diesem Abend wird die Stube auf dem Wieshof beizeiten leer. .
Als der Wieshofer sich allein sieht, macht er seiner Wut durch einen kernigen Fluch Luft. . .
„Dös ist doch zum Teufelholen! Heut ismir aber schon alles gegen den Strich gegangen.
(Fortsetzung folgt)