MITTWOCH. 2 8. JULI 1954

Rhee in Kampfstimmung

WASHINGTON. Der südkoreani­sche Staatspräsident Syngman Rhee traf am Montag zu einer Besprechung mit Präsident Eisenhower in Washington ein. Nach seiner Ankunft auf dem Flughafen, bei der er von Vizepräsident Nixon und Außenmi­nister D u 11 e s begrüßt wurde, sagte er, einige Leute hättenkalte Füße bekommen und dadurch verhindert, daß seine Regierung die Wiederver­einigung Koreas mit Gewalt durch­setzte, bevor der Waffenstillstand un­terzeichnet wurde.Wenn wir nur ein wenig mehr Mut gehabt hätten, brauchten wir uns um die Wiederver­einigung keine Sorgen zu machen.

Priorität: Gesundung

PARIS. Die endgültige Ausarbei­tung des für 18 Monate veranschlag­ten wirtschaftlichen und finanziellen Gesundungsprogramms überschattet in dieser Woche alle sonstigen Vor­haben des Pariser Kabinetts. Mini­sterpräsident Mendös-France will heute das von Finanzminister Edgar F a u r e und einem Stab von 40 Fachleuten entworfene Projekt dem Kabinett zur Billigung vorlegen.

Etat des Innenministeriums gebilligt

Regierungspräsidien sollen bleiben / Kalbfell für Konzentration und gegenTöpfchenwirtschaft

STUTTGART. Der Landtag von Ba­den-Württemberg begann am Diens­tag mit der voraussichtlich zwei Tage in Anspruch nehmenden Beratung des kostspieligsten Einzelplans des Staats­haushalts 1954/55, des Etats der Innen­verwaltung. Der Einzelplan, der un­ter anderem die Kosten für den Woh­nungsbau, das Verkehrswesen und die Polizei enthält, schließt mit einem Zu­schußbedarf von 358,7 Millionen DM gegenüber 364,6 Millionen im Vor­jahr.

Die Sprecher aller Fraktionen stimmten dem Etat grundsätzlich zu. In der allgemeinen Debatte über die Politik des Innenministeriums wurde übereinstimmend die baldige Vorlage eines Entwurfs für das Landesver­waltungsgesetz gefordert, den Innen­minister Ulrich zum Herbst ankün­digte. Die damit zusammenhängende Frage der Regierungspräsidien wurde im Gegensatz zum Vorjahr nur sehr vorsichtig behandelt.

Der CDU-Sprecher Diez bezeich- nete die Regierungspräsidien als un-

Arnold wiedergewählt

Respekt vor der Opposition / Verwaltungsreform geht weiter

DÜSSELDORF. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat am Dienstag den bisherigen Ministerpräsidenten Karl Arnold (CDU) in geheimer Ab­stimmung mit absoluter Mehrheit wiedergewählt.

Von 196 abgegebenen Stimmen ent­fielen 118 auf Arnold und 75 auf den SPD-Kandidaten Fritz Steinhoff, während sich drei Abgeordnete ihrer Stimme enthielten. Arnold nahm unter dem Beifall des Hauses seine Wieder­wahl an. Er stellte anschließend sein neues Kabinett vor. Aus der Landes­regierung ausgeschieden sind als Kult- minister Frau Christine Teusch (CDU), als Minister für Arbeit, Soziales und Wiederaufbau Dr. Otto Schmidt (CDU) und als Minister für die Landschafts­verbände Dr. Josef Weber (Zentrum), dessen Ministerium aufgelöst wurde.

Ministerpräsident Arnold, der seit 1947 sein Amt ununterbrochen inne hat,

Testamente werden vernichtet

BERLIN. Alle von enteigneten Groß­grundbesitzern errichteten und jetzt von den staatlichen Notariaten ver­wahrten Testamente müssen auf Grund einer vertraulichen Anweisung des so­wjetzonalen Justizministeriums ver­nichtet werden, berichtet der Westber­liner Untersuchungsausschuß freiheit­licher Juristen.

Durch diese Maßnahme sollten die früheren Besitzverhältnisse weiter ver­schleiert werden, nachdem schon vor Monaten die Grundbücher vernichtet worden waren. In der Anweisung wer­de ferner ausdrücklich erwähnt, daß dadurch auch die Lastenausgleichsver­fahren der in die Bundesrepublik ge­flüchteten enteigneten Großgrundbesit­zer erschwert oder unmöglich gemacht werden sollen.

Vier Priester verurteilt

BERLIN. Der Oberste Gerichtshof der Tschechoslowakei hat nach einer Meldung der Sowjetzonen-Nachrichten- agentur den ehemaligen Bischof von Leitmeritz, Stepan T r o c h t a, und drei katholische Priester zu Freiheitsstrafen verurteilt.

wandte sich in seiner Regierungserklä­rung gegen Behauptungen, er habe durch die Koalition mit der FDP einen politischen Gesinnungswandel durch­gemacht.Eine Regierung, in der ich die Richtlinien der Politik bestimme, wird an dem bisherigen sozialen Kurs kompromißlos festhalten.

Gleichzeitig äußerte Arnold seinen Respekt vor einerkonstruktiven Oppo­sition. Er verwies darauf, daß auch die SPD sich dem fortschrittlichen und demokratischen Staat verpflichtet fühle undsich bei einem beträchtlichen Teil des Volkes eine fortwirkende Resonanz sichern konnte.

In landespolitischer Hinsicht kün­digte Arnold unter anderem eine Fort­führung der Verwaltungsreform, eine Verbesserung der Rechtspflege sowie den Wiederaufbau der zerstörten Schu­len und die Einführung der Schulgeld­freiheit an. Abschließend erklärte Ar­nold, seine Regierung wünschemit heißem Herzen die Wiedervereinigung Deutschlands und ein in freiheitlichem Geist zusammengeschlossenes Europa.

erläßlicheQuerverbindungen, ohne die eine gute Gesamtwirkung der Verwaltung und ein organischer und einfacher Verwaltungsaufbau nicht möglich sei. Für völlige Abschaffung der Regierungspräsidien setzte sich lediglich der FDP/DVP-Abgeordnete Hermann S a a m ein, betonte aber, daß er damit nicht die Ansicht seiner Fraktion wiedergebe.

Für eine Konzentration gleicharti­ger Aufgaben bei einer Verwaltung und gegen dieTöpfchenwirtschaft sprach sich der SPD-Abgeordnete Oskar Kalbfell aus.

Zu der in letzter Zeit lautgeworde­nen Kritik am Verfassungsschutz er­klärte Innenminister Ulrich, daß gegen das Stuttgarter Verfassungs­schutzamt bisher keine begründeten Vorwürfe erhoben worden seien. Im Fall Dr. Reinhold Maier sei das Amt nicht beteiligt gewesen. Der Staat

habe zweifellos das Recht, sich gegen umstürzlerische Elemente zu schützen, betonte Ulrich, doch müsse unter allen Umständen verhindert werden, daß aus den Verfassungsschutzämtern eine Gestapo werde.

Renner:Unter Kontrolle

STUTTGART. Der SPD-Abgeord­nete und ehemalige baden-württem­bergische Justizminister Victor Ren­ner hat im baden-württembergi­schen Landtag vorgeschlagen, Baden- Württemberg solle ein Beispiel geben und sein Verfassungsschutzamt dem General-Staatsanwalt unterstellen. Dann sei die Gewähr gegeben, daß die Grundsätze des Rechtsstaates gewahrt und gegen niemanden nachteilige Vorwürfe erhoben würden, gegen die sich der Angeschuldigte nicht wehren könne, weil er nichts davon wisse.

Warenzeichen zurückgegeben

Abkommen mit Jugoslawien über Urheberrecht unterzeichnet

BONN. Im Zusammenhang mit den deutsch-jugoslawischen Wirtschaftsver­handlungen ist in Belgrad auch ein Abkommen über gewerblichen Rechts­schutz und Urheberrecht unterzeichnet worden.

Die beeinträchtigenden Folgen des Kriegszustandes für die deutschen Rechte, der mit Jugoslawien seit dem 1. August 1951 beendet ist, werden durch dieses Abkommen in umfassender Weise beseitigt. Die enteigneten deutschen Warenzeichen, die beim Patentamt in Belgrad eingetragen sind, werden zu­rückgegeben.

Ferner werden die deutschen Ur­heberrechte an Werken der Literatur und Kunst rückwirkend auf den 1. August 1951 als dem Tag der Beendi­gung des Kriegszustandes mit Jugo­slawien zugunsten ihrer früheren deut­schen Berechtigten oder, deren Rechts­nachfolger als wiederhergestellt be­trachtet. Die deutschen Altpatente und die schwebenden Altanmeldungen sind nicht Gegenstand des Abkommens.

Das wirtschaftliche Interesse an der Weiterbehandlung etwaiger noch schwe­bender Anmeldungen für gewerbliche Schutzrechte in Jugoslawien ist gering. Die deutschen Altpatentanmeldungen,

deren Schutzrecht in Jugoslawien 15 Jahre beträgt und nicht im Wege der Kriegs- oder Nachkriegsgesetzgebung verlängert worden ist, sind zum weit überwiegenden Teil verfallen.

Die Bestimmungen des Abkommens über die Wiederherstellung verfallener Marken sowie die Prioritätsregelung können auch von jugoslawischen Per­sonen in bezug auf ihre Schutzrechte in der Bundesrepublik in Anspruch ge­nommen werden.

PRESSE ST 1 MMEN

Finger am Abzug

Zu der Entschuldigung Pekinos nach dem Abschuß des britischen Verkehrsflugzeuges bei ffainan und dem darauffolgenden Zwi­schenfall, bei dem zwei chinesische Jäger von Amerikanern ab geschos­sen wurden, meint die Londoner News Chronicl e":

Die Entschuldigung Chinas und sein Angebot, Schadenersatzansprüche zu erfüllen, kamen schnell und wie es sich gehört. Beides sollte angenom­men werden. Der Zwischenfall des Abschusses kommunistischer Jäger durch von ihnen angegriffene ameri­kanische Bergungsflugzeuge war sehr bedauerlich. Die Amerikaner handelten in rechtmäßiger Selbstverteidigung, und wir freuen uns, daß sie dabei Er­folg hatten. Es ist indessen doch beun­ruhigend zu erfahren, daß die ameri­kanischen Streitkräfte im Pazifik An­weisung erhalten haben, den .Finger am Abzug' zu halten. Befehle dieser Art stiften nichts Gutes.

Es kann nichts schaden .. .

Der Londoner Korrespondent der BaslerNationalzeitung" macht sich Gedanken darüber, wie die britische Regierung auf die jüngste Sowjetnote reagieren wer­de. Er schreibt:

Es ist nicht ausgeschlossen, daß die britische Regierung die russischen Vorschläge als Vorwand für eine Vier­oder Sechsmächte-Konferenz verwen­den möchte. Wie immer in solchen Situationen, liest man auch heute wie­der, daß es nichts schaden kann, wenn man versucht, herauszufinden, ob Mo- lotow vielleicht mehr zu sagen hat, al« in der Note steht."

Welche Informationen hatte John?

Der geheimnisvolle Besuch / Bonner hektographierte Intimitäten

lid. STUTTGART. Im Zusammenhang mit der Flucht von Dr. Otto John in den Ostsektor Berlins erfahren wir noch folgende Einzelheiten:

Wahrscheinlich schon Anfang 1953, bestimmt aber in der Mitte vorigen Jahres, meldete sich bei John der Ba­ron von und zuPutlitz und forderte ihn auf, die Front zu wechseln. Daß John diesen Mann nicht auf der Stelle verhaften ließ, spricht nach Ansicht von Kennern der Materie Bände. Putlitz habe sich bei dieser Besprechung auf

Das 26. Todesopfer. Im Städtischen Krankenhaus Worms verstarb am Dienstag als 26. Opfer des Wormser Autobusunglücks der I7jährige Helmut Wagner.

Seebohm besichtigte Helgoland. Er werde den Bundesflnanzminister bit­ten, erklärte Minister Seebohm nach seiner Helgolandreise, weitere Geld­mittel für den Aufbau Helgolands be­reitzustellen. Er meinte:Der Reiz des alten Helgoland wird ganz verlorenge­hen, wenn man weiter derartig häßliche Häuser dort baut."

Tarifvertrag in der Schuhindustrie gekündigt. Der Hauptvorstand der Ge­werkschaft Leder hat den Tarifvertrag für die Arbeitnehmer der Schuhindu­strie im ganzen Bundesgebiet zum 31. August d. J. gekündigt. Eine etwa zehn- prozentige Lohnerhöhung wird gefor­dert.

Jugend auf dem Soldatenfriedhof Lommel. 150 Jugendliche aus sieben Ländern haben mit ihrer vierwöchigen Arbeit zur Verschönerung des deut­schen Soldatenfriedhofs Lommel in Bel-

Kleine Weltchronik

gien angefangen. Auf dem Friedhof sind 40 000 deutsche Gefallene beige­setzt.

Kriegsmäßiges NATO-Mannöver. Un­ter dem KennwortMorgennebel werden vom 23. September bis zum 3. Oktober Land-, Luft- und Seemanöver der NATO stattfinden, an denen Streit­kräfte Großbritanniens, Frankreichs, Kanadas, Dänemarks, Norwegens und der Niederlande teilnehmen.

Um das Schicksal der vietnamesischen Katholiken. Papst Pius XII. empfing die Gattin des vietnamesischen Staatsprä­sidenten Bao Dai. die Katholikin ist, in Privataudienz. Im Hinblick auf das Schicksal der vietnamesischen Katholi­ken wird diesem Besuch besondere Be­deutung beigemessen.

Ein teurer Blumenstrauß. Das Düs­seldorfer Amtsgericht hat einen gutsi­tuierten Kaufmann zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, weil er in einem öffentlichen Park 20 Tulpen gestohlen

hatte, die er seiner Braut schenken wollte. Eine Bewährungsfrist wurde abgelehnt, weil die Strafvollstreckung im öffentlichen Interesse liege.

Tscfau En-lai machte in Warschau Sta­tion. Der chinesische Ministerpräsident Tschu En-lai, der seinen Rückweg von der Genfer Konferenz über Warschau nahm, hielt dort Besprechungen mit dem polnischen Staatspräsidenten ab.

Berliner Tiergartenviertel ersteht wieder. Auf den Appell Westberlins an die einzelnen Nationen, ihre im Krieg zerstörten Botschaftsgebäude imDiplo­matenviertel am Tiergarten wieder aufzubauen, haben sich inzwischen Ägypten, Italien, Japan, Argentinien und die Türkei bereiterklärt, erste Maßnahmen für den Wiederaufbau ih­rer Botschaften zu treffen.

Nach Griechenland weitergereist. Kai­ser Halle Selassie von Äthiopien ist nach seinem siebentägigen Staatsbesuch in Jugoslawien, wo er als Abschiedsge­schenk ein noch zu bauendes Wasser­kraftwerk erhalten hat, nach Griechen­land weitergereist.

Burgess und McLean berufen.. Wahr­scheinlich sei, daß Putlitz bei dieser er­sten Begegnung mit bestimmtem Mate­rial gedroht habe.

Zu der Frage, über welche Informa­tionen John überhaupt verfügte ist noch beachtlich, daß ihm zum Beispiel alle Informationen der Bundestagsaus­schüsse für die EVG, die gesamtdeut­schen Fragen, und die Außenpolitik, zur Verfügung standen. Man dürfe als beinahe sicher unterstellen, daß John die Sowjets seit mindestens einem Jahr beliefert habe, dafür gebe es auch ein gewisses Indiz: bestimmte Bundestags­abgeordnete hätten in Abständen von etwa 14 Tagen ein hektographierte» Blatt mit Nachrichten intimsten Cha­rakters erhalten. Als Verfasser habe ein gewisser Andre Deschanel gezeich­net, der angeblich in Genf sitze. Die Briefe seien jedoch in Bonn zur Post gegeben worden.

Hat John sie verraten?

BERLIN. Das Informationsbüro West (IWE) gab neue Einzelheiten der von ihm bereits in der vergangenen Woche gemeldeten Festnahmen im Sowjetzo- nen-Außenministerium bekannt, die im Zusammenhang mit dem Fall John er­folgt sein sollen. Danach sollen sich unter den Verhafteten der Referent für gesamtdeutsche Fragen in der Hauptabteilung Politik kapitalisti­sches Ausland, Manfred Feist (SED), die Referentin für Wirtschaft, Abtei­lung UdSSR, Vera Richter (SED) und der Referent in der Hauptabtei­lung Recht und Grundsatzfragen, Hein* Köhler (SED), befinden.

Cop. by A. Becilthold, Paßberg

durch Verlag v. Graberg & Görg, Wiesbaden

H A N 9 6 B N 8 T

ROMA

(1. Fortsetzung)

In der Wohnstube ist der Ofen kalt. Schrecklich, was da auf einmal an Arbeit da Ist, wenn eins fortgeht aus dem kleinen, ge­rundeten Kreis, in dem man einträchtig gelebt hat in Freud und Leid.

Er weckt die Schwester erst, als die damp­fende Milchsuppe auf dem Tisch steht.

Ich mag nichts, wehrt das Hannerl ab.

Doch, Hannerl! Ein bißl was mußt du essen.

Nach langem Zureden gehorcht sie, nur um den großen Bruder, der so treulich für sie sorgt, nicht zu kränken.

Toni fragt, ob sie mitgehen wolle in das Dorf. Nein, sie will bei der Mutter bleiben, und er braucht die Tür gar nicht abzu­schließen, weil sie sich nicht fürchte.

Sie rückt einen Schemel neben das Bett, faltet die Hände im Schoß und verhält sich ganz regungslos. Sie weint nicht mehr, son­dern hat die blicklosen, großen Kinderaugen weit geöffnet, wie sie es immer tut, wenn sie über etwas angestrengt nachdenkt. Und zu denken hat das Kind an diesem Morgen so viel, denn langsam begreift sie, was ster­ben heißt.

Hanna steht auf und tastet mit leisen Fin­gern über der Mutter Gesicht. Jede Linie zeichnet sie nach, wie sie es oft in früheren Tagen getan hat. Es ist alles noch da, die leichte Krümmung der Nase, die kleinen und die großen Falten, die kleine Narbe am Kinn. Nichts ändert der Tod, denkt das Kind. Und wenn alles so bleibt, dann kenne ich die Mutter gleich wieder in der anderen Welt drüben.

Gegen Mittag kommt der Toni heim. Er hat einen großen Arm voll Tannenreiser. Am Nachmittag werden sie einen Kranz davon flechten. Die Glocken läuten, und ein Amt mit Libera bekommt die Mutter. Der Pfarrer tut es umsonst. Und was den Lehrer betrifft, so wird er wohl warten, bis er sein Geld bekommt.

*

Zwei Tage später, nachdem man die Lang­eggerin zur letzten Ruhe gebettet hat, trifft im Nebenzimmer des GasthofesZur Krone der Gemeindeausschuß zusammen.

Alle Wohlgerüche des Dorfes sind in dem engen Raum zu einer beklemmenden Atmo­sphäre vermengt. Hinter einem grauen Schleier von Tabakswolken sitzen die zwölf Wortführer der Gemeinde um an Tisch herum.

Nach einer kurzen Beratungsstunde fragt der Bürgermeister:

Also, was machen wir jetzt? Ist einer dabei, der die unmündige Johanna Langegger zu sich auf den Hof nimmt?

Wieder entsteht eine lange Pause.

Der Bürgermeister zuckt die Achseln. Oder man müßte halt das Mädel auf Ge­meindekosten in eine Blindenanstalt überwei­sen. Das bedeutet allerdings für die Gemeinde eine erhebliche Etatsbelastung, auf die ich den Ausschuß heute schon aufmerksam mache

Jetzt erhebt sich der Wieshofer, räuspert sich und reckt den wuchtigen Kopf hoch, wobei seine kleinen, unruhigen Augen etwas spöttisch die versammelten Bürger fixieren. Bedächtig klopft er die Asche von seiner Vir­ginia und beginnt mit einer Würde, die etwas Hoheitsvolles hat:

Also, meine Herren! Das mit der Blinden­anstalt lassen wir schon gleich ganz aus dem Spiel. Ich meine, das Gemeindewohl geht vor. Drum habe ich mich entschlossen, die blinde Johanna Langegger auf meinen Hof zu neh­men. Es muß doch jeder zugeben, daß bei der Sache gar kein Nutzen herausschaut. Aber

man ist doch schließlich Mensch und Christ. Und auf einen Esser mehr oder weniger kommt's ja bei mir Gott sei Dank net an. Ist einer dabei, der gegen meinen Anltrag was einzuwenden hat?

Niemand rührt sich. Nur der Kramer stößt seinen Nachbarn an und flüstert:Etwas hat der wieder im Sinn.

Was gibt's denn da hinten zu tuscheln? schreit der Wieshofer.Wer gegen meinen Antrag was einzuwenden hat, der sag's frei heraus. Heimlichkeiten kann ich net vertra­gen.

Ich meine bloß, antwortete der Kramer, das ist man von dir sonst gar net gewöhnt, daß du dich um die Langeggerischen an­nimmst. Hast doch den Toni nie leiden kön­nen.

Um den kümmere ich mich jetzt net. Ums Madel handelte sich. Und die ist nirgends besser aufgehoben wie bei mir.

Ganz richtig, stimmt der Schreinermeister Haferl bei,der Wieshofer kann's am leich­testen machen. Er ist der bestsituierte Bauer im Bezirk, hat den ganzen Stall voll Vieh und vier Roß . . .

Sechs Roß, bitte schön, wirft der Wies­hofer selbstgefällig ein.

Ja, der Wieshofer kann seine Cilli auch ins Töchterpensionat schicken, spöttelt der Kramer drein.

Gott sei Dank! Ich kann mir's ja leisten! Ganz purpurrot wird das Gesicht des Wies- hofers, und sich weit über den Tisch neigend, schreit er dem Kramer ins Gesicht:Ich kann mir alles leisten, was ich will! Und du, win­dige KramerseeT, kannst hinter den Laden- buttel stehen und Zigoriepackl einwickeln!

Mit zorniger Bewegung stülpt der Wies­hofer seinen Hut auf und verläßt, ohne zu grüßen, den Raum.

Draußen fährt er sich mit dem Aermel über die erhitzte Stirn und spuckt aus.

Bettelbagasch!

Er stapft schon die Dorfstraße entlang, da kommt ihm der Bürgermeister nachgesprun­gen und faßt ihn am Arm.

Geh, Wieshofer. Mußt es doch net gleich so schief nehmen. Kennst ihn doch, den Kra­mer.

A sauberer Ausschuß, dös muß ich schon sag'n, poltert der Wieshofer los.Da muß amal ausg'mischt werden

Geh zu, Wieshofer. Was fragst denn du nach dem Kramer. Die Mehrzahl ist da doch auf deiner Seite. Und auch ich weiß, was ><h an dir habe.

Dös will ich auch hoffen. Wär ja noch schöner, wenn in der Gemeinde etwas gesche­hen tat, was mir net recht ist. Ich bin der Wieshofbauer, verstehst mich, Bürgermeister?

Geh, reg dich doch net auf, Wieshofbauer.

Weil's wahr ist.

Inmitten des Dorfes stehen die zwei Männer. Der Wieshofbauer breit und protzig mit ge­blähten Nüstern, der andere scheu und mit hilflosem Blick. Nach einer Weile sagt der Bauer:

Jetzt geh ich grad mit Fleiß hinunter ins Geierstal und hole das Mädchen. Möcht grad einmal sehen, ob ich meinen Willen net durch­setze.

Wenn's dir recht ist, geh ich mit, Wieshof­bauer.

Freilich gehst du mit. Bei so was ist es all­weil besser, wenn der Bürgermeister selber dabei ist.

Die zwei Männer stapfen durch den hohen Schnee. , . .

Dös sag ich dir, Bürgermeister, beginnt der Bauer wieder.Der Kramer muß hinaus aus dem Ausschuß.

Ja, ja! Freilich, ja! .

Geht's vielleicht den was an, wenn icn meine Cilli ins Pensionat tu?

nichts geht's ihn an. will ich meinen. Oder meinst du vie- meine Tochter soll auch so aufwachsen a gewöhnliches Bauernweib? Na, m ! Bildung muß der Mensch lernen, arum habe ich sie fortgetan in