Stevenson übt Kritik
ANCHORAGE. Der frühere demokratische Präsidentschafts-Kandidat Adlai Stevenson hat erklärt, die amerikanische Außenpolitik habe in der Indochinafrage versagt.
In seiner ersten Stellungnahme zum Ende des Indochinakrieges betonte Stevenson, das Blutvergießen habe zwar aufgehört, jedoch seien dem Kommunismus 13 Millionen Menschen und das fruchtbarste Reisgebiet Südostasiens als Preis hierfür ausgeliefert worden. Das sei die Folge des „verrückten und aufschneiderischen republikanischen Geschwätzes“ von der Befreiung versklavter Völker, von der „neuen Außenpolitik“, und der drohenden Reden Dulles’ über seine Vergeltung mit Atomwaffen.
Die SPD ist stehengeblieben
Der Berliner Parteitag brachte nicht die erwarteten Impulse / Opposition als Dauerzustand? Von unserem nach Berlin entsandten hf-Redaktionsmitglied
BERLIN. Die SPD ist einer klaren Entscheidung in den aktuellen Fragen der Außenpolitik ausgewichen. Der Berliner Parteitag hat zwar in der Neufassung des Aktionsprogramms eine neue außenpolitische Grundsatzerklärung abgegeben, die gute Gedanken enthält, aber im Juli 1954 kann es auch für die SPD nicht nur um außenpolitische Grundsätze und Ziele gehen, sondern es besteht ein Zwang, die Methoden und die Wege aufzuzeigen, mit denen die Grundsätze verwirklicht, die Ziele erreicht wer-
Otto John blieb stets im Hintergrund
Verbindungsmann von Canaris — Anwalt in England
I. P. Dr. John wurde 1909 in Marburg a. d. Lahn geboren. Mit dem Abitur in der Tasche durchlief er in der Stadt der Behringwerke die kaufmännische Lehre im chemisch - pharmazeutischen Großhandel. Danach Studium der Rechtswissenschaften, Justizdienst beim Oberlandesgericht in Frankfurt und Promotion zum Dr. iur. Seit 1936 gehörte John der Deutschen Lufthansa an, in deren Hauptverwaltung er bald in Berlin als Rechtsanwalt und Syndikus tätig war, und zwar bis Juli 1944. 1938 trat er den Kreisen der Widerstandsbewegung des 20. Juli nahe. John erhielt im Kriege den Auftrag, auf gelegentlichen Reisen nach Spanien und Portugal in Zusammenarbeit mit dem deutschen Abwehrchef Canaris und der geplanten neuen deutschen Regierung unter Goerdeler die Auslandskanäle vorzubereiten.
Dr. John standen in jenen Tagen jederzeit Flugscheine und gelegentlich auch Sonderflugzeuge zur Verfügung. Am 20. Juli 1944 war dann Otto John, Freund des gleichfalls bei der Lufthansa angestellten Prinzen Louis Ferdinand, der ! hn in seine Hohenzollern- Memoiren aufnahm, der Überzeugung, daß die Verschwörung geglückt sei. Aber die Dinge wandelten sich blitzschnell, kurz nachdem er das Oberkommando des Heeres in der Bendlerstraße verlassen hatte. John floh auf dem Luftwege nach Madrid. Sein Bruder Hans mußte die Teilnahme an dem Umsturzversuch mit dem Tode bezahlen. Die Gestapo blieb Otto John auf den Fersen, auch auf seinem weiteren Weg in Lissabon, wo er ins Gefängnis kam. Himmlers Fäden reichten jedoch bis hinter die Gefängnismauern. Um einem „Unglücksfair oder einer Entführung zu entgehn, blieb nur noch Asyl in England. Dort durfte er nach vier Wochen Internierung im Kriegs-
Reinhold Maier meldet sieh
STUTTGART. Der FDP-Bundestags- abgeordnete und frühere baden-württembergische Ministerpräsident Dr. Reinhold Maier hat am Montag in einem Brief an Bundesinnenminister Dr. Gerhard Schröder die Erklärung kritisiert, die der Bundeskanzler am 8. Juli vor dem Bundestag über die Verwendung von Agentenmeldungen des Bundesverfassungsschutzamtes abgegeben hatte. Gleichzeitig fordert Dr. Maier ein Dienstaufsichtsverfahren gegen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes.
Zusatzzüge im Interzonenverkehr. Die Interzonenzüge sind gegenwärtig ständig überfüllt. Die Bundesbahndirektion Kassel setzt auf der Strecke Mönchen-Gladbach — Kassel — Leipzig Vorzüge ein.
gefangenenwesen arbeiten. Als dort vor nun sechs Jahren die Lager aufgelöst wurden, wirkte Dr. John an der Themse noch bis 1948 als Anwalt. Dann schlug für ihn die Stunde der Heimkehr, gleichzeitig der Augenblick seines Amtsantritts im neuen Verfassungsschutzamt.
Als Präsident der neuen Behörde konnte Dr. John weder Verhaftungen noch Haussuchungen vornehmen. Er besaß weder die Kompetenz der Polizei noch die Befugnisse der Justiz. Ihm unterstand nur eine weitverzweigte „politische Auskunftei“ mit zahlreichen Beobachtungen und Berichten, zuverlässigen und zweifelhaften. Otto John blieb im Hintergrund, nüchtern sachlich und ohne Übereifer und Romantik. Im vergangenen Jahre mußte er allerdings dennoch in das Scheinwerferlicht treten, als sein Amt im Gegensatz zu britischen Stellen die „Naumann-Gruppe“ als relativ unbedeutend hinstellte.
den sollen. Diesem Zwang hat sich der Parteitag entzogen.
So imponierend die Offenheit war, in der die Berliner Diskussionen geführt wurden, ihr Ergebnis enttäuscht. Die SPD hat weder ein klares Ja noch ein klares Nein zur Frage des Wehrbeitrages gesprochen und sie hat auch keine konkreten Forderungen angemeldet, die im Fall des Scheiterns der EVG bei neuen Verhandlungen um ein neues Vertragssystem berücksichtigt werden könnten. Die sozialdemokratische Mitarbeit an der Entwicklung eines neuen deutschen Verhandlungsprogramms hat der Parteitag bis auf weiteres untersagt. Erst ein neuer Parteitag soll darüber entscheiden dürfen. Gegenüber der damit verbundenen Schwächung der sozialdemokratischen Position sind die in Berlin neuformulierten Grundsätze eine zweitrangige Frage.
Daß kein anderes Ergebnis der außenpolitischen Debatte zustande kam, liegt daran, daß die Parteiführung es vor Jahren, als der rechte Zeitpunkt dafür war, versäumte, das Problem der Wiederbewaffnung in der Partei ausdiskutieren zu lassen. Wie notwendig das gewesen wäre, hat Berlin gezeigt. Die Pazifisten, die Neutralisten und die, die in der Furcht vor einem neuen deutschen Militarismus leben, waren damals in der SPD nicht zu Wort gekommen. Nun haben sie zum falschen Zeitpunkt ein klares Wort der Gesamtpartei verhindert.
Um den damit gekennzeichneten Rückschritt in ihrem außenpolitischen Wollen wettzumachen, wird die SPD
Unterstützung der Landwirtschaft
Hermes setzt sich für Verwirklichung des Agrarprogramms ein
BONN. Der ehemalige Reichsminister und Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Dr. Andreas Hermes, warnte in einem Interview vor einer entscheidenden Verschlechterung der Lage der Landwirte in der Bundesrepublik, da dies „große Schwierigkeiten sozialer und politischer Art“ zur Folge haben könnte.
Hermes bezeichnete die Verwirklichung des Agrarprogramms des Bundesernährungsministers L ü b k e als „dringend notwendig“ und von „großem, ja entscheidendem Wert für die westdeutsche Landwirtschaft“. Nach dem Lübke-Plan soll eine beschleunigte Flurbereinigung und Dorfauflockerung erfolgen, Moor- und Ödland sollen kultiviert und ausreichend Mittel sollen bereitgestellt werden, um das Bauwe
sen, das ländliche Bildungswesen und die landwirtschaftliche Forschung zu fördern und der Intensivierung, der Rationalisierung und der Mechanisierung der Landwirtschaft zu dienen..
Zur Frage des Schutzes der deutschen Landwirtschaft durch die „Import- Bremse“ erklärte Hermes, es sei das Bestreben aller Länder, ihre Landwirtschaft in der einen oder anderen Weise zu schützen und gegen eine über das berechtigte Maß hinausgehende Konkurrenz des Auslandes abzuschirmen.
Die von manchen Agrarpolitikern vorgebrachte „chirurgische“ Lösung der deutschen Landwirtschaft, die befürwortet, die Äcker der bäuerlichen „Hungerexistenzen“ den Großbetrieben zuzuschlagen, um die Leistungsfähigkeit der Landwirtshaft zu erhöhen, bezeich- nete Hermes als „undiskutabel“.
ein oder zwei Jahre brauchen. Bis dahin wird in Bonn außenpolitische Initiative in den aktuellen Fragen von der SPD nicht zu erwarten sein.
Überraschend war in Berlin auch, in welch geringem Maße sich die Sozialdemokraten durchgesetzt haben, die nach dem 6. September 1953 für eine weitgehende Reform der Partei eintraten. Mit Ausnahme des früheren hamburgischen Senators Schiller haben sich die namhaften Vertreter dieser Gruppe in Berlin überhaupt nicht zu Wort gemeldet. Wenn Ollenhauer und Mellies sowie die Bonner Parteiführung ohne Aufstellung von Gegenkandidaten wiedergewählt wurden, so ist das nach den leidenschaftlichen Diskussionen der vergangenen Monate ein Beweis dafür, wie eindeutig in diesem Bereich alles beim alten blieb. Der Parteivorstand hat sich behauptet. Das liegt gewiß nicht nur daran, daß er den Apparat geschickt für sich einsetzte, sondern auch an der Schwäche der „Reformer“, von denen einige schon Wochen oder Tage vor Berlin opportunistisch zu handeln begannen.
Es wird also auch hier ein langer Weg sein, bis aus der SPD nicht nur im Programm, sondern auch im Geist, im Wollen und im Handeln die große Volkspartei wird, die von vielen ihrer Mitglieder nach dem 6. September gefordert worden ist.
Sicher bleibt die SPD auch nach Berlin eine respektable Partei und nach der CDU die größte politische Kraft in unserem Staat, an deren demokratischer Zuverlässigkeit und an deren politischer Ehrlichkeit kein Zweifel möglich ist, aber auf den Weg zur Regierungspartei sind die Sozialdemokraten in Berlin nicht getreten. Sie beschlossen so, als wollten sie für die absehbare Zeit nur die Opposition in Bonn sein.
PRESSEST! MMEJN
Taktik des Kreml
Den neuen Konferenzvorschlaa Moskaus nennt die Schweizer Presse eine geschickte Initiative des Kreml, die EVG scheitern zu lassen. Der Pariser Korrespondent der „Basler Nachrichten" schreibt:
„Man darf wohl in dem Vorstoß Mo- lotows einen erneuten Versuch erblik- ken, die EVG zu torpedieren, was der französischen Regierung an sich nicht ungelegen kommt. Angesichts der Reserven Washingtons dürfte aber geraume Zeit vergehen, bis eine Einigung über die Traktandenliste der Konferenz erzielt ist. Mendes-France indessen hat versprochen, die EVG-Frage noch zu liquidieren, bevor das Parlament in die Ferien geht. Die Vermutungen gehen jetzt dahin, daß die Regierung die EVO zur Ratifizierung empfehlen werde, doch unter dem ausdrücklichen Zusatz,’ daß das Vertragswerk nur in Kraft trete, wenn bis zu einem bestimmten Datum die neue Europa-Konferenz ergebnislos verlaufen sei. Damit würde Mendös-France seinem Spiel treu bleiben, die Verhandlungspartner vor ein Ultimatum zu stellen. Es ist aber höchst unwahrscheinlich, daß sich die Welt ein solches Vorgehen gefallen läßt, wo nicht bloß vorwiegend französische Interessen auf dem Spiel stehen wie in Indochina.“
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Auch Londoner Zeitungen erklären die sowjetischen Vorschläge als ein Manöver gegen die EVG. In einem Leitartikel der „Time j“ heißt es:
„Es ist etwas fast Entwaffnendes in der Eile, mit der Molotow der Genfer Konferenz den nächsten Schritt folgen läßt. Sein Klopfen an die Tür, sein Blumenstrauß, seine Einladung zu einer größeren und besseren Veranstaltung — das alles ist erwartet worden. Aber nicht ganz so deutlich, nicht ganz so schnell. Die Eile, mit der er gehandelt hat, läßt keinen Zweifel an dem besonderen Gegenstand seiner Aufmerksamkeit. Indem er eine Alternative zur westdeutschen Wiederaufrüstung vorschlug, drückte er klar seinen Wunsch aus, daß er zunächst und vor allem Frankreich wieder ablenken und aus der Bahn bringen will.“ '
„Zu viele Ueberschneidungen“
Reformvorschläge sollen den Rentenwirrwarr endlich beseitigen
BONN. Die Sozialausschüsse der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft haben sich in Reformvorschlägen zur Sozialversicherung für die Errichtung einheitlicher Sozialämter eingesetzt, bei denen die Leistungsbescheide der Versicherungs- und Versorgungsberechtigten zusammenlaufen.
Von den Ausschüssen wurde bemängelt, daß die Sozialleistungen gegenwärtig aus den verschiedensten Quel-
Ein Orden für die Mode. Der Moderedakteurin des amerikanischen Magazins „Vogue“ ist von der italienischen Regierung in Anerkennung ihrer Arbeit „zugunsten der italienischen Mode“ ein Orden verliehen worden.
Neuer US-Kommandant in Berlin. Zum Nachfolger des amerikanischen Stadtkommandanten für Berlin, Thomas S. Timberman wurde Generalmajor George Honnen ernannt.
Hitler als Flaschenkopf. Bonner Kriminalbeamte stellten in einem Kiosk am Bundeshaus Schmuckkorken sicher, welche die Köpfe Hitlers und Stalins darstellten. Die Schmuckkorken wurden von einer Koblenzer Firma herge-
K leine Weltchronik
stellt und sollten als .Souvenirs“ verkauft werden. Vermutlich wird sich der Hersteller wegen groben Unfugs verantworten müssen.
Unerwünschte Kritik. Eine amerikanische Touristin ist aus Jugoslawien wegen „antijugoslawischer Propaganda“ ausgewiesen worden. Sie wurde beschuldigt, während ihrer Reise öffentlich scharfe Kritik an jugoslawischen Verhältnissen geübt zu haben.
Gesamteuropäisches Fernsehnetz. Auf einer von der UNESCO einberufenen Zwölf-Länder-Konferenz wurde über ein zukünftiges gesamteuropäisches
Fernsehnetz beraten, dem möglicherweise auch die UdSSR angehören wird. Die sowjetischen Delegierten sprachen von einer raschen Verbreitung des Fernsehens in der Sowjetunion, deuteten jedoch an, daß sich die Sowjetunion nicht vor Ende 1955 dem Netz anschließen könne.
Versuche mit atombestrahlten Lebensmitteln. Zwölf junge Amerikaner haben sich für einen einjährigen Versuch zur Verfügung gestellt, bei dem die Wirkung atombestrahlter Lebensmittel auf den menschliche Organismus festgestellt werden soll. Sobald sich Krankheitsmerkmale zeigen sollten, werden sie aus dem Versuch herausgenommen und sorgfältig behandelt.
len kämen. Bezüge aus der Unfallversicherung, der Invalidenversicherung, der Angestelltenversicherung, der Arbeitslosenversicherung und anderen Ämtern, würden von verschiedenen Stellen angewiesen, nach verschiedenen Methoden berechnet und seien von verschiedenen rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen abhängig. Der Sozialleistungsempfänger sollte wegen der besseren Übersicht nur von einer Stelle Zahlungen erhalten, die ihm auch als Vermittlungs- und Betreuungsstelle zur Verfügung steht.
Zur Reform der Krankenversicherung erklärten die Sozialausschüsse, um das Fürsorge- und Sozialprinzip auf das richtige Maß zu begrenzen, sollte die Kostenbeteiligung an den individuellen Aufwendungen in der Krankenpflege ernstlich in Betracht gezogen werden. Eine Abgrenzung der Versicherten in der Weise, daß geringer Entlohnte der gesetzlichen Krankenversicherung und höher Verdienende der privaten Krankenversicherung zugeführt werden, wird grundsätzlich abgelehnt, da nach Ansicht der Sozialausschüsse eine solche Grenzziehung die gesetzliche Krankenversicherung zu einer .,Arme-Leute-Kasse“ machen würde.
Cop. by A. Bechthold, Faßberg —
durch Verlag v. Graberg & Görg, Wiesbaden
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Eine grimmig-kalte Nacht liegt über dem stillen Bergdorf. Dick liegt der Schnee auf den breiten Dächern der Häuser, hinter deren Fenstern die Lichter schon vor Stunden erloschen sind.
Alles ist still. Nur manchmal schlägt kläglich irgendwo ein Hund an, dem Vergeßlichkeit oder Hartherzigkeit die Tür verschlossen hat, und ganz von ferne hört man ein unbestimmtes Sausen und Rauschen, bald nah, bald fern. Das Ist der Wasserfall im Geierstal, den selbst die grimmige Kälte nicht zum Stocken bringen kann.
Die elfte Stunde klingt in hallenden Tönen vom Kirchturm, als ein Bursche mit raschen Schritten den Kirchplatz überquert und am Pfarrhaus die Glocke zieht.
Unmittelbar darauf werden im ersten Stockwerk zwei Fenster hell, und knarrend öffnet sich eins. Der Pfarrer beugt sich über die Brüstung.
„Was gibt es?“
„Hochwürden möchten so gut sein ...“ Ein Würgen kommt in die Stimme des Burschen.
„Wer bist du denn eigentlich?“ fragte die Stimme vom Fenster.
„Der Toni vom Geierstal.“
„Ach, du bist es, Toni Geht es der Mutter wieder schlechter? Warte einen Augenblick! Ich komme sofort.“
Bald darauf kommt der Pfarrer aus dem Haus und geht durch den Gottesacker in die Kirche.
Toni steht indessen unbeweglich und starrt die funkelnden lichter am Himmel an. Er ist noch jung, fünfundzwanzig vielleicht Groß
und kräftig ist seine Gestalt und sein Gesicht scharf gemeißelt in allen Linien, so wie man es manchmal auf Defregger-Bildern sieht
Mechanisch zieht er eine kurze Pfeife aus der Tasche seiner Lodenjoppe, füllt sie mit Tabak und steckt sie wieder ein, ohne sie in Brand gesetzt zu haben.
„Rauchen schmeckt mir auch nimmer“, sagt er melancholisch und seufzt. Es will ihm einfach nicht in den Kopf, daß die Mutter sterben soll. Er braucht sie doch so notwendig. Wer ist denn sonst bei der kleinen Hanna, wenn er aus dem Hause geht. Er kann sie doch nicht mitnehmen auf die Berge zu seiner Arbeit.
Der Geistliche kommt aus der Kirche und schreckt ihn aus seinen Gedanken. „Jetzt komm, Toni“, sagt er und zieht mit der einen Hand das Gittertürchen hinter sich z)u.
Doch der Bursche rührt sich nicht. Er schaut den Pfarrer an und sagt:
„Da hab ich schon sagen hören, Herr Pfarrer, daß nach der heiligen Oelung oft schon einer wieder gesund geworden ist. Ist da was Wahres dran?“
„Aber Toni“, antwortet der Pfarrer ernst und mit Nachdruck „Das Sakrament ist doch ein Gnadenmittel und kein Wundermittel. Du bist doch alt genug, um das zu begreifen.“
„Ja, ja“, stotterte Toni. „Man klammert sich halt an alles, wenn’s so weit ist. Also geh’n wir, in Gottes Namen!“
Sie müssen eine halbe Stunde gehen. Toni stapft voraus durch den Wald. Kein Wort mehr zwischen den beiden Männern.
Das Rauschen des Wasserfalles kommt immer näher, und dann sieht man plötzlich ein Licht durch die Lücken der Bäume schimmern. Es ist das Haus der Witwe Langegger, die im Sterben liegt.
Im Flur zieht der Priester das Ziborium unter dem weiten Mantel hervor und betritt das Sterbezimmer. Ein etwa zwölfjähriges Mädchen erhebt sich vom Bettrand und tritt ihm mit ausgestreckten Händen entgegen.
„Gelt, die Mutter braucht nicht zu sterben?“
Es ist ein Ton in dieser Stimme, der seltsam
ans Herz greift. Dabei heftet das Mädchen zwei glanzlose starre Augen auf den Pfarrer, Augen, in denen kein Leben ist, denn das Hannele ist schon von Geburt an blind.
Der Pfarrer streicht ihr über den blonden Scheitel. „Wenn Gott es will, dann wirst du deine Mutter noch lange haben“, sagt er und winkt dem Toni, daß er mit dem Mädchen das Zimmer verlasse. Dann geht er an das Bett und berührt die welken Hände der Kranken.
„Kennen Sie mich, Langeggerin?“
Keine Antwort. Nur ein leises Stöhnen. Die Hände liegen nebeneinander auf dem blaugemusterten Bettuch. Sie haben schon die Farbe der anderen Welt.
Schnell vollzieht der Priester die heilige Handlung.
Er ist noch nicht ganz damit zu Ende, da geht ein Zucken durch den Körper der Frau, und dann streckt sie sich und liegt still.
„Seht“, sagt er zu den wieder hereingekommenen Kindern, „wie ruhig und still eure Mutter hinübergeschlummert ist. Und da sagt man immer, das Sterben sei so etwas Hartes "
Mit einem gellenden Aufschrei wirft sich das Mädchen über die Tote. Toni tritt an das Bett heran, klammert die Fäuste um die Kante und rührt sich nicht. Nur manchmal zuckt es in seinem Gesicht, und dann schließt er flüchtig die Augen.
Der Pfarrer versucht zu trösten, indem er meint, daß gegen den Tod keine Wurzel gewachsen sei und daß die Langeggerin doch nie mehr gesund geworden wäre. Der Tod sei für sie nur ein Erlösen gewesen.
„Mit einer Operation wäre vielleicht schon noch zu helfen gewesen“, antwortete der Toni dumpf. „Aber der Wieshofer hat uns die Hypothek gekündigt..."
„Hat er das wirklich getan?“
„Ja, gleich nach Neujahr. Und seit dem Tageist die Mutter immer kränker geworden.“
„Na, laß gut sein, Toni, mit dem Wieshofer werde ich schon reden, daß er die Kündigung zurücknimmt. Komm im Laufe des heutigen
Tages einmal zu mir, daß wir über die Beerdigung sprechen.“
Der Pfarrer verabschiedet sich, und Toni begleitet ihn bis an den Weg hinaus. Als er zurückkommt, ist Hannerl neben der toten Mutter eingeschlafen.
In stummer Trauer steht er vor den beiden. Still steht die Luft im Zimmer mit einem fremden Geruch. Toni wischt sich mit dem Handrücken über die Augen und zieht dann die Schublade einer alten Kommode auf. Lange findet er nicht, was er sucht. Erst im oberen Fach liegen die zwei Kerzen, seine eigene, die er vor vielen Jahren getragen hat, als er zum erstenmal zum Tisch des Herrn ging, reinen und ungetrübten Herzens. Die andere hatte die Mutter einmal von Birkenstein mit heimgebracht.
Als man den Vater tot und starr aus dem Wald heimbrachte, hat die Mutter die zwei Kerzen angezündet, und heute tut es der Sohn, weil er weiß, daß die arme Seele im Dunkel irren muß, wenn ihr kein geweihtes Licht leuchtet. Das hat ihm die Ahne einmal erzählt, und er hält fest an den alten Sitten und Bräuchen.
Seine Hände zittern, als er die Kerzen in die Leuchter steckt und anzündet. Auch seine Schultern zucken, sein ganzer Körper, und endlich kann er weinen. Still und lautlos kommen die Tränen und tropfen auf seine harten, braunen Hände. Dann nimmt er die Schwester auf die Arme und trägt sie hinüber in dl Wohnstube. ..
Ueber die Fenster geht ein graues Dämmern hin. Es ist der neue Tag. Eine Glocxe beginnt zu läuten. Dünn und abgerissen hangen die Töne in der eiskalten Luft.
Die Kuh brüllt im Stall nach ihrem Futter. Das bringt den Einsamen in die Wirklich *■ zurück. Er nimmt den Eimer und melkt Kuh. Eine Arbeit, die vor kurzem die Mutter noch getan hat. Wie lange noch, dann brau diese Arbeit niemand mehr zu tun, denn we der Wieshofer sein Geld haben will, muß Kuh aus dem Stall.
(Fortsetzung folgt)