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Nr. 162

Gegründet 18L7

Freitag, den 15. Juli 1927

Fernsprecher Nr. 29

101. Jahrgang

PkeiMM and LiMWiliit ix Me«

Derbaunuug widerspenstiger Hausbesitzer

Die italienische Lira hat sich seit Mai teils infolge wirk­licher Besserung der wirtschaftlichen Lage, besonders aber durch das rücksichtslose Eingreifen der Regierungsgewalt einen jähen Aufstieg zu verzeichnen. Damit hat aber auch die Ausfuhrmöglichkeit der italienischen Industrie und der Land­wirtschaft einen harten Stoß bekommen, und auf deren Klagen hat die Regierung versprechen müssen, mindestens bis zum Spätherbst den Lircrkurs nicht weiter zu verbessern, sondern ihn aus einem Stand von 90 Lira gleich ein engl. Pfund Sterling zu erhalten. Diese Maßregel soll gleichzeitig die Durchführung der P r e i s e - S ch l a ch t, die zurzeit in ganz Italien vom Brenner bis zur Südspitze Siziliens tobt, ermöglichen. Nach den Berichten der Presse ist es bisher

nur in wenigen Orten gelungen, in dieSchützengräben der Teurung" einzudrinqen, an den weitaus meisten Stellen steht die Schlacht infolge des verzweifelten Widerstands der Kleinhändler und Industriellen. Man ist aber entschlossen, ihn mit Men Mitteln zu brechen: Gefängnisstrafen, Schlie­ßung der Verkaufsstellen für viele Monate, öffentliche Brand- markung und schärfste Geldstrafen sollen gegen sie in An­wendung gebracht werden. Die Großhandelspreise sind zwar von August vorigen bis zum Juni d. I. überall zurückge­gangen: die vegetabilischen Lebensmittel von 755 aus 563, die animalischen von 669 aus 526, die Textilwaren von 732 aus 434, die Chemikalien von 629 auf 462, die Baumateria­lien von 684 aus 578, aber in den Kleinhandelspreisen ist trotz der behördlicherseits anbefohlenen Herabsetzung um 16 Prozent keine merkliche Verminderung zu verspüren. Man hat hier allzu viele Wege, um sich der befohlenen Preis­reduzierung zu entziehen; bei den Gastwirten z. B. genügt die Verkleinerung der Portionen.

De sonders scharf geht man gegen die h a u s b e s i tz e r vor. Nach der Regierungsverordnung sollen die Hausbesitzer die Mieten um 10 bis 15 v. H. herabsetzen und die Mieten sollen auf keinen Fall mehr als viermal so hoch in Papier­lire sein, als sie vor dem Krieg in Goldlire waren. Danach müßten also heute die Mieten praktisch billiger sein als vor dem Krieg. Der Regierungspräsident von Turin hat zunächst zehn Hausbesitzer in Geldstrafen von 300 bis 500 Lire genommen, weil sie der Verordnung nicht nachkamen. Als immer noch Widerstand geleistet wurde, wurden zwei reiche Hausbesitzer, von denen der eine mehr als tausend Mietwohnungen besitzt, in entfernte Gegenden

vervannr. In allen großen Städten Italiens werden Zehntausende von Rechtssachen der Mieter gegen Haus­besitzer nach dem Ermessen der Einzelrichter auf Grund jener unbilligen Verordnung aus dem Handgelenk erledigt und die faszistischen Regierungsblätter drohen den widerspen­stigen Hausbesitzern die Verbannung an. Nach den Hausbesitzern werden nun die Hoteliers und Gast­wirte gefaßt; es wird ihnen vorgeworfen, daß sie mit ihren Preisen eine der großen nationalen Einnahmequellen, den Fremdenverkehr, verstopfen. Der Amtsbürgermeister von Mailand hat kurzerhand die Preise in allen Wirt­schaften und Gasthöfen um 20 v. H. herabgesetzt.

An der Regierungspolitik wird eine doppelte Kritik ge­übt. Einmal sei die Herabsetzung um 10 v. H., die übrigens in keiner Wese der Wiederauswertung der Lira, die gegen August vorigen Jahres sich aus etwa 35 v. H. beläuft, Rech­nung trägt, zu schematisch, da die Senkung der Großhan­delspreise für die verschiedenen Gegenstände ganz ver­schieden sei. Ferner aber, und dies sei der Haupteinwurf» wird daraus hingewiesen, daß der Sraat den Privaten in keiner Weise mit dem guten Beispiel vorangehe. Der Steuerdruck, der in Italien von allen Kuiturftaaten am höchsten sei, sei auch nicht um 1 v. H. verringert worden. Die Tarife für Eisenbahnen und Straßenbahnen stünden noch so hoch, als ob ma?i für das engl. Pfund 150 Lire .zahle. Selbst dasGiornale d'Jtalia" rät der Regierung, wenig­stens in den Eisenbahntarifen eine Ermäßigung eintreten zu lassen, da der Ausfall wahrscheinlich durch die Steigerung des Verkehrs ausgeglichen würde. Der Staat hat Erleich­terungen in Aussicht gestellt, aber es bleibt abzuwarten, ob' die Opfer, die er bringen will, wirklich ausreichen. Er selber, hat ja die Staatsschulden mit der Lira wieder aus- gewertet, und er muß eine größere Schuld und eine größere höhere Verzinsung tragen. Er hat an und für sich unter diesen Umständen große Mühe, den Staatshaushalt im Weichgewicht zu hatten, wenn er nicht zu einer Herab­setzung des Schuldkapitals und des Zinsfußes schreiten will- Hört dieses Gleichgewicht aber auf, dann ist die Lira von neuem bedroht; die Preise-Schlacht ist zwar gewonnen, aber die Lira-Schlacht geht wieder verloren und man ist soweit» wie man anfangs war. Ohne das Zusammenwirken und ohne Opfer von seiten beider Parteien, des Publikums und des Staates, ist der Sieg «. der Preise-Schlacht schwer zu gewinnen.

Tagesfpiegel

Das Reichskabmeit hat das Liquidattonsschädengeseh verabschiedet und dem Reichsrat zur weiteren Behandlung Verwiesen. Die Gesamtsumme soll zugunsten aller Grup­pen der Beteiligten nicht unbeträchtlich erhöht worden sein. Zn der gleichen Sitzung wurde das Steuervereivheit- üchungsgcseh» insbesondere die Rahmengesetze für die Real­steuern und das hauszinssteuergeseh, mit dem sich das Reichskabinekl wiederholt beschäftigt hatte, endgültig er­ledigt.

Der Pressechef der bayerischen Regierung, Dr. Hans Lisele äußert sich zu den Angriffen Dr. Wirths gegen ihn. Den Vorwurf politischer Freibeuterei weise er als Belei­digung zurück. Ganz entschieden lehne er es ab, die Verant­wortung für einen Artikel zu übernehmen, der nicht seine Unterschrift trage, sondern unter Verantwortung der Re­daktion des füdamerikanischen Blatts schon vor Monaten «rössentlicht.

Der Fortsehungsausschuß der Stockholmer Wekkkirchen- konferen; tritt vom 20.-23. Juli in Winchester zusammen. Von deutscher Seite nehmen u. a. teil: der Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses v. Dr. Kaplcr. der theologische Referent der Auslandsangelegenheiten Dr. Schreiber, Landesbischof v. Jhmels, Prälat O. Dr. Schoell, Dr. Stange, Reichsgerichkspräfident Dr. Simons, Prof. Dr. veißmann nnd die Professoren v. Titius und Lic. Hinderer. Hauptgegenstand der Beratungen ist die Einrichtung des bereits in Bern beschlossenen Internationalen sozial-eihi- schen Forschungsinstituts sowie die Herausgabe einer ent­sprechenden Zeitschrift, die auf der Berner Tagung von Pros. Titius angeregt wurde.

KundzebM der Kriegsgeschädigten

Die Arbeitsgemeinschaft der Interessenvertretungen für den Ersatz von Kriegs- und Verdrängungsschäden hielt unter dem Vorsitz von Gcheimrat v. Tilly eine aus dem ganzen Reich besuchte Versammlung im Zirkus Busch in Berlin ab. Der mächtige Raum war bis aus den letzten Platz besetzt. Geheimrat Große vom Bund der Auslanddeutschen sprach über den angekündigten Gesetzentwurf des Reichsfinanz-, ministeriums zur Entschädigung. Er wandte sich gegen die Verschleppung und die Geheimniskrämerei. Nach dem Ent­wurf sollen, wie Große Mitteilen zu können glaubt, vom Reich folgende Entschädigungen angeboten werden: Ent- Mdigungssorderungen bis zu 2000 sollen voll, bis NOVO oK zur Hälfte, bis 100 000 -K mit 30 v. H-, bis M 000 -1t mit 20 v. H., bis eine Million mit 12,5 v. H.. über eine Million mit 11,5 v. h. vergütet werden. Er führte Klage darüber, daß die maßgebenden Stellen auf die Leitung des Rundfunkunternehmens Deutsche Welle einzuwirken ver­sucht hätten, den Rundfunk den Vertretern der Geschädigten- Interessen zu sperren.

Heinrich Picht von der Arbeitsgemeinschaft hob die große Mäßigung hervor, welche die Vertreter der Geschä­digten in ihren Forderung^:; bewiesen hätten. Gegenüber Schäden in Höhe von 10l^ Mlkkttrrden Mark hätten sie nur 2,8 Milliarden Mark Vergütung beantragt. An der vor­erwähnten Schadensumme sei die deutsche Außenwirtschaft ;u 70 v. H. beteiligt. Es handle sich also beim Entschädi- gungswerk nicht um eine bloße Konsumfinanzierung. Der Entwurf des Reichsfinanzministeriums suche die Geschädigten mit insgesamt 800 bis 900 Millionen Mark abzuspeisen. Das entspreche einer jährlichen Belastung des Reichshaus­halts mir nur 55 Millionen Mark. Die Forderungen der Arbeitsgemeinschaft würden das Reich mit 168 Millionen Mark Jahresbetrag belasten, was noch nicht 1^ v. H. des jährlichen Steueraufkommens in Deutschland ausmache. Wenn die Leiter unserer Finanzpolitik der Ueberzeugung eien, den Entschädigungsbetrag aus laufenden Einnahmen nicht bereitstellen zu können, so sollten sie sich an den aus­ländischen Geldmarkt wenden, auf dem die deutsche Wirt­schaft noch als durchaus kreditwürdig angesehen werde.

In einer einstimmig angenommenen Entschließung wurde gegen dis Verschleppung der Regelung der Ligui- lmtionsschäden (d. h. der durch feindliche Maßnahmen während des Kriegs und nach demselben den Auslanddeutschen zu- kesügten Schäden wie Besitzenteignungen usw.) durch das Reich Einspruch erhoben. Die Geduld der Geschädigten sei ju Ende. Reichstagsabgeordneter Gouverneur a. D. Dr. Schnee versprach alles zu tun, um die Forderungen der Arbeitsgemeinschaft zu erfüllen. In einem Telegramm an den Reichspräsidenten von Hindenburg rief die Ver­sammlung seine Fürsprache für eine beschleunigte Verab­schiedung einer befriedigenden Gesetzesoorlage an.

*

Die in der Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlosienen Geschädigtenverbände beriefen sich auf die wichtige Rolle, die sie beim Wiederaufbau der deutschen Außenwirtschaft zu spielen berufen seien und die sie noch viel wirksamer würden spielen können, wenn das Reich ihnen die von den Regie­rungen fremder Länder genommenen Mittel zurückerstatten werde. Entsprechen d-e Angaben, die Eeheimrat Große über die Enttchädi'vmgskäüe des Gesetzentwurfes machte, den

Tatsachen, so wird man allerdings dafür eintreten müssen, daß die volle Entschädigung bis zu einer höheren Grenze als nur 2000 gewährt wird. Auch ist zu fordern, daß die Vedürftigkeitssrage bei Bemessung der Ent­schädigungssätze berücksichtigt wird. Es ist unnötig, junge Leute, die vielleicht einmal eine Existenz vor dem Krieg aehabt und verloren, die aber Zeit genug gehabt haben, sich neu einzurichten, auf Kosten der Gesamtheit mit großen Beträgen auszustatten. Es ist aber notwendig und gerecht, der zertrümmerten Existenzen wieder aufzurichten. Sehr ernst muß auch dis Gefahr genommen werden, daß einer Reihe von Deutschen, die ihre Tätigkeit im Ausland wieder ausgenommen haben, durch eine unzureichende Ent­schädigung die Kreditgrundlage, die sie bisher auf Grund ibrer Ansprüche besessen haben, .zerstört würde. Alle solche Erwägungen dürfen jedoch den Blick nicht dafür trüben, daß das Erwünschte und Erstrebenswerte auf diesem Gebiet mit den finanziellen Möglichkeiten und mit den politischen Rücksichten, die das Reich in seiner gegenwärtigen Lage zu nehmen hat, in Einklang gebracht werden muß. Ein Gemeinwesen, das andern großen Gruppen seiner Gläubiger nur höchst bescheidene Abfindungen gebracht hat, muß es sich genau überlegen, bis zu welcher Grenze es selbst den berechtigten Forderungen der Geschä­digten entgegenkommen darf. Aber darin wird man den Geschädigten rückhaltlos zustimmen: Eine weitere Ver­schleppung dieser dringenden Frage wäre unver­antwortlich. Der Reichstag wird bei der Bearbeitung des kommenden Gesetzentwurfs um genaueste Darlegung der Finanzlage ersuchen und danach entscheiden müssen, in welchem Umfang er über die im Gesetzentwurf vorgesehenen Entschädigungssätze hinausgehen darf

Neuestes vom Tage

Das Schulgesetz vom Rc'cchäkadii'.Lki «».genommen Berlin» 14. Juli. Das Reichskabinctt hat nach mehr­tägiger Beratung dem Entwurf des Reichsschul­gesetzes einmütig zugestimmt. Bezüglich der S i m u l t a n s ch u l e (Gemeinschaftsschule für alle religiö­sen Bekenntnisse), die in Baden, Hessen und Nassau gesetz­lich emgeführt ist, erklärten die (volksparteilichen) Minister Dr. Stresemann und Dr. Eurtius, daß sie ihren Standpunkt ausrechlcrhaitcn, obgleich ihre Anträge hiezu '.Beibehaltung dieser Schulart in den genannten Ländern) abgelehnk wurden. Demgegenüber drang die Forderung des

.fentrums durch, daß auch in diesen Ländern die Eltern das Recht haben sollen, die Errichtung von Bekenntnisschulen zu beantragen. (Nach Artikel 147 der Weimarer Verfassung sind die Simultanschulen, wo sie bereits gesetzlich bestehen» besonders im Schulgesetz zu berücksichkiaen.)

Der Urlaub des Reichspräsidenten Berlin, 14. Juli. Wie verlautet, wird Reichspräsident von Hindenburg seinen Sommerurlaub wieder aus dem Gut der ihm befreundeten Familie o. Schilcher in Dietramszell (südlich von München) verbringen, wo er vor­aussichtlich Mitte August eintressen und bis in die erste Sep­temberwoche bleiben wird.

Ein Ausruf der bayerischen Staatsregierung München, 14. Juli. Die bayerische Staatsregierung hcü anläßlich des bevorstehenden 80. Geburtstages des Reichs­präsidenten einen Aufruf erlassen, in dem es u. a. heißt:

Es wird den Deutschen im Inland und Ausland ein Her­zensbedürfnis sein, der allverehrten Person des Reichsprä­sidenten, dem großen Führer des bewachen Volks in schwer» ster Zeit, dem obersten Vertreter des Deutschen Reichs Be, weise dankbarer Verehrung zu geben. Mit Hindenburg« Ehrung ehrt das deutsche Volk sich selbst, wenn es in dank» barem Gedenken der gewaltigen Leistungen und Opfe, derer sich erinnert, die unsere Heimat, Haus und Herd vo, Kriegszerstörung bewahrt, und wenn es der Hinterbliebene* Lerer eingedenk ist, die getreu bis zum Tod dem Vaterland gedient. Schließlich werden alle Bayern aufgefordert, mit- zvhelfen zum Festtag des allverhrten Reichspräsidenten vm, Hindenburg ein Werk der Fürsorge zu schaffen. Die Hin. denburgspende ist bekanntlich für die Kriegs beschcüngten be­stimm:.

Eine Kopfsteuer in Bayern

Die bayerische Regierung hat nach einer Blättermel-vvtz dem Landtag einen Gesetzentwurf vorgelegt, durch den d« Gemeinden ermächtigt werden, eine neue Steuer, eine so» Derwaltungskostenabgabe einzuführen. Diese Steuer stH von allen wirtschaftlich selbständigen Personen über 21 Jahn erhoben werden, die für alle Skeuervflichkioen gleich twch ist und einen jährlichen Höchstsatz von 6 Mark auf den Kops nicht überschreitet. Bon de»- Steuer befreit werden Klein­rentner, Kriegsbeschädigte, Dienstboten und andere. Die Steuer wird, vorausgesetzt, daß sie von allen bonerifchen Gemeinden mit dem Höchstsatz eiygefübrt wird, in ganz Bayern etwa 1213 Millionen Mark rlnbrinoen.