Serie r - Nr. 1L1
NagolLer Lagblatt ».Der Geseüschasler
Donnerstag. 14 Juli LS27
Württemberg
Stuttgart, 13. Juli. Die diesjährigen Herbst- Übungen der Reichswehr. Von den Divisionen des Sruppenkommandos 2 (Kassel) üben die 5. (südwestdeutsche) Division, Stuttgart, und die 7. (Bayr.) Division auf und in der Umgebung von Uebungsplätzen. Das 13. (württ.) und 14. (bad.) Ins.-Regt. üben vom 8. bis 13. Sept. in der Nähe von Münsiingen, die ganze Division selbst vom 14. bis 19. Sept. aus dem Truppenickuugsplatz Münsingen. Die größten Manöver Heuer finden in der letzten Septemberwoch« Mischen der 6. Division und der 3. Kav.-Division im Raum Paderborn-Marsburg-Treudelburg statt, wobei der Oberbefehlshaber des Gruppenkommandos 2, General der Infanterie Reinhardt leitet. An dieser Hebung sind auch groß« Teile unserer 5. Division beteiligt, so das 15. Jns,-Regt„ die 5. Kraftsahr-Abtlg., die 5. Nachrichtenabteilung, das 5- Pion.- Batl. und das 5. Art.-Regt.
Vom Arbeitsgericht Stuttgart. Die Beeidigung der 110 Beisitzer (Arbeitsrichter) und die Wahl des Beisitzerausschusses beim Arbeitsgericht Stuttgart fand im großen Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses statt. In den Dei- sitzerausschuß wurden gewählt von Arüeitgeberseite: Die Arbeitsrichter Direktor Wilhelm Nagel, Kaufmann B am- gerter und Baumeister Häcker als ständige Mitglieder, Direktor Märcklin, Steindruckereibefitzer Messing und Forstrat Lanz als Stellvertreter, von Arbeitnehmerfeite: Die Arbeitsrichter Gewerkschaftssekretäre Reinhardt, Schauland und Kirsch als ständige Mitglieder, Ber- sicherungsbeamter Schäfer, Gewerkschaftssekretär Sik- kert und Fabrikarbeiter Gustav Mößner als Stellvertreter. Sodann hielt Amtsgerichtsdirektor Dr Kallee einen Vortrag über die Arbeitsrechtspflege und die Aufgaben der Arbeitsrichter bei den Sitzungen der Arbeitsgerichte.
Kraftfahrverkehr in Stuttgart. Am 1. Juli 192? waren im Bezirk des Polizeipräsidiums Stuttgart (Groß-Sttittgart, Feuerbach, Zuffenhausen und Münster a. N.) 8203 Kraftfahrzeuge zum Verkehr zugelasfen. Krafträder waren im Bezirk 2570, Personenkraftwagen 3853 und Lastkraftwagen 1738 vorhanden, außerdem noch 42 sonstige Spezialmaschinen. Die Zunahme gegen voriges Jahr beträgt 1617 oder 24 v. H.
Haussuchung bei der Roten Hilfe. Wie die „Südd. Arbeiterzeitung" berichtet, fand im Büro der Roten Hilfe am Montag eine Haussuchung statt. Der Sekretär der Roten Hilfe, Schreiner, wurde flir einige Stunden in Hast genommen.
Derkbundausstellung. Die Stuttgarter Werkbundaus- fiellung „Die Wohnung" wird am 23. Juli 1927 eröffnet. Um 10 Uhr vormittags wird im ehemaligen kgl. Privatgarten beim Neuen Schloß der offizielle Eröffnungsakt vor sich gehen. Hierauf erfolgt die Besichtigung der Abteilung „Internattonale Plan- und Modellausstellung Neuer Baukunst" in den städt. Ausstellungshallen auf dem Interimstheaterplatz, in der ca. 50 Führer der neuen Baukunst aus aller Welt vertreten sind. Anschließend wird die Hallenausstellüng (lKnrichtungen usw.) am Gerverbehalleplatz und im Stadt- ten besichtigt. Die Gäste fahren dann zur Eröffnung der ihenhofsiedlung. Die Siedlung umfaßt 33 Ein- und Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 64 Wohnungen, von denen ein sehr großer Teil bis zur Ausstellungseröffnung sertiggestellt und möbliert ist. Die Ausstellung wird bis 9. Oktober 1927 dauern.
Der Verband Deutscher Elektro-Installakionsfirmen, Württemberg und Baden, hielt vom 9. bis 11- Juli seine zweite Jahresversammlung in Stuttgart ab. Der Verband -hat hauptsächlich die Jnstallations- und Materialmonopole der großen Werke, sowie das Pfuschertum zu bekämpfen. Die nächste Jahresversammlung findet in Freiburg i. B. statt.
Das VfSndungsrecht an -er Miete. Nach einer Entscheidung des preußischen Kammer gerichts in Berlin ist die Höhe des pfändbaren Teils der Mieten nach den gegenwärtigen ZeitverhAtnissen auf ein Fünftel der Miete anzusetzen.
Gewitterschäden. Bei dem gestern nachmittag über Stuttgart niedergegangenen Gewitter sammelten sich in den Straßen teilweise so große Wassermassen an, daß Automobile bis zu den Scheinwerfern im Wasser standen. Vielfach wurden Weichen der Straßenbahn verschlammt. Aus der Neuen Weinsteige entgleiste ein Straßenbahnzug, und der Verkehr konnte erst in später Nachtstunde wieder ausgenommen werden. In Straßen an den Berghängen wurde
durch die Wassermassen mehrfach Erdreich angeschwemml und die Straßen schwer beschädigt. — In der Friedhofstraße schlug der Blitz in einen Straßenbahnwagen. Personen wurden nicht verletzt. In Untertürkheim schlug der Blitz in die eiserne Daimlerbrncke. Die in der Brücke liegende Gasleitung wurde getroffen und zur Explosion gebracht. Stücke des Fußgängerstegs wurden abgerissen und umhergeworfen. Die zahlreiche Menschenmenge, die unter der Brücke Schutz vor dem Gewitterregen gesucht hatte, kam mit dem Schrecken davon.
Vom Tage. In selbstmörderischer Absicht brachte sich auf dem Pragfriedhof ein 50jähr. Mann einen Schuß in die rechte Schläfe bei. Er wurde nach dem Katharinenhospital überführt u. ist dort wenige Stunden nach seiner Einlieferung gestorben. — In einem Haus der Mercedesstraße verübte abends ein 24 I. a. Mann durch Oeffnen der Pulsader am linken Unterarm einen Selbstmordversuch. Der Lebensmüde wurde in das Krankenhaus Cannstatt ausgenommen. ,
Lausten a. 7k„ 12. Juli. Crntebeginn. Die Getreideernte hat hier mit dem Schneiden und Einfuhren von Roggen bereits begonnen. Der Schnitt von Gerste schließt sich unmittelbar daran an. Die Ernte verspricht bei sämtlichen Getreiüearten einen guten Ertrag. Es ist nur zu wünschen und zu hoffen, daß das Wetter zur Erledigung der Erntegeschäfte günstig ist.
Heilbronn, 13. 3uli. Durch Autoscheinwerfer geblendet und vom Motorrad gestürzt. Sonntag nacht wurde der Reichswehrsoldat Bartruff, aus Beilstein gebürtig, in schwer verletztem Zustand ins hiesige Kran- kenhaus eingelieferk. Er befand sich auf der Fahrt bei Fürfeld, und wurde durch die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Autos geblendet, worauf er auf ein Hindernis auffuhr und am Kopf sehr schwere Verletzungen erlitt. Er gehört der Kraftfahrabteilung Cannstatt an.
Gerabronn, 13. 3uli. Glücklich dem Mädchenhändler entronnen. Ein Fräulein aus dem Bezirk, zur Zeit in Stuttgart in Stellung, durfte kürzlich seine Herrschaft auf einer Reise nach Linz begleiten. Da es in dem Eisenbahnwagen, in dem sich die Herrschaft befand, an Platz fehlte, begab es sich in einen anderen. Dort befand sich nur ein einziger Herr. Dieser begann bald ein Gespräch mii dem Mädchen, fragte es über das Woher und Wohin seiner Reise, und als es in Linz ausstieg, übergab er dem Mädchen einen Brief mit der Bitte, ihn in einem bestimmten Hause abzugeben. Das Fräulein zeigte diesen Brief seiner Herrschaft, und diese hielt dafür, daß dahinter etwas stecke. Man trug daher den Brief auf die Polizei, die ihn öffnete. Der Brief aber enthielt nur die wenigen rätselhaften Worte: .Hier schicke ich ein Stück Seide, bitte es sesizuhalten." Nun forderte die Polizei das Mädchen auf, den Brief in das bezeichneke Haus zu tragen, und ließ es durch drei verkleidete Beamten begleiten. Es erhielt die Weisung, womöglich sofort nach der Abgabe des Briefs zurückzukommen, sei dies nach 5 Minuten nicht der Fall, werde man ihm folgen. Der Herr, der den Brief in Empfang nahm, verwickelte das Mädchen alsbald in ein Gespräch. Plötzlich aber erschienen nach Berfluß von der angegebenen Zeit die Polizeibeamten, verhafteten den Herrn und veranstalteten eine Haussuchung. Dabei fand man noch 18 Mädchen, die auf ähnliche Weise in dieses Haus gelockt, festgehalten und versteckt worden waren und nun wieder in Freiheit gesetzt werden konnten. Dem Fräulein aber überreichte man eine Belohnung von 200 Mk. Dieser Borfall zeigt wieder deutlich, welchen großen Gefahren junge Leute in der Fremde ausgesehk sind und wie notwendig es ist, hier vorsichtig zu sein, will man nicht unversehens in das tiefste Elend geraten.
Wimpfen a. N., 13. 3uli. Wegen eines Bubikopfes irrsinnig geworden. Aus der Kreissiaöl Heppenheim wird folgendes berichtet: Eine 40jährige Ehe- frau ließ sich einen Bubikopf schneiden, obne daß ihr Mann etwas davon wußte. Als die Frau zu ihrein Mann zurück- kehrke, geriet dieser in eine solche Erregung, daß er in Tobsucht verfiel und die ganze Wohnungseinrichtung zertrümmerte. Es mußten drei Wärter der hiesigen Heil- und Pflegeanstalt herbeigeholk werden, die den Tobsüchtigen unter großer Mühe in die Anstatt brachten.
Leonberg, 13. Juli. Ueberschwemmung. Gestern brachte ein heftiges Gewitter, das sich teilweise über der Stadt entlud, große Wassermassen, die namentlich in der Siedlung an der Eltinger Straße in die Häuser eindranger, und zum Teil beträchtlichen Schaden anrichteten.
Tübingen, 13. 3uii. Zum 450jährigen 3ubi» läum der Universität. 3m Festakt des Jubiläums am 25. 3uli vormittags kommt eine eigens dafür komponierte 3 u b i l ü u m s k a n t a t e für Soli, Chor, Orchester und Orgel von Karl Hasse nach Worten der Bibel zur Aufführung. Als Solisten wirken mit Margarete Olden- Mehlich, Baden-Baden, und Prof. Hans 3oachim Moser, Heidelberg. Das Philharmonische Orchester Stuttgart und der Chor des Tübinger Akademischen Musikvereins vereinigen sich zu dieser Aufführung unter Leitung des Kom- ponisten. Am zweiten Festtag, dem 26. Juli, vormittags findet im Rahmen der 3nstituksbesichkigungen ein Konzert im Musikinstitut der Universität unter Leitung von Prof. Dr. Karl Hasse stakt. Das Akademische Streichorchester spielt ein Conzerto grosso von Corelli und ein Orgelkonzert von Händel, dessen Solopart Prof. Wilhelm Ke mp ff, Stuttgart, ausführk. Prof. Hans 3oachim Moser, Heidelberg, wird, begleitet vom Akademischen Streichorchester, die Gesänge des Epimekheus aus der „Pandora" von Arnold Mendelssohn zum Bortrag bringen.
Beim Baden im Neckar ertrunken ist wahrscheinlich der Student Otto K o ch. Er kam um 5.30 Uhr zu seinem in der Bismarckstraße wohnenden Schwager Dr. med. Kurt Nende r t. wo er sich zum Baden umkleidete. Da er nicht mehr zurückkehrte, ist wohl anzunehmen, daß er ein Opfer des Neckars wurde. Nachforschungen waren bis jetzt erfolglos.
Göppingen, 13. Juli. Handwerkerprotest. Gestern nachmittag nahm im „Rad" eine Handwerkerversammlumi gegen den geplanten Ausbau der städtischen Werkstätten Steh lung und verlangte im Interesse der Erhaltung des Handwerks Abbau der städt. Regiewerkstätten. Abends wurde ein Teil der Versammlung, die sich aus das Rathaus begeben halte, von Oberbürgermeister Hartmann empfangen, der di- Entschl-ießung entgegennahm.
Mm, 13. Juli. Fernpahtagung. Im großen Rathaussaal tagte gestern der Arbeitsausschuß für die Fernpaßbahn. Ingenieur T h u r n er-Innsbruck hielt einen Vortrag icker den Fernpaßbahnplan. In einer Entschließung wurde mit Befriedigung von der Fertigstellung des Fernpaßbahnprojekts durch Ingenieur Thurner und von der Vorlage desselben an die Reichsbahndirekttonen München, Augsburg und Stuttgart, sowie an das österreichische Bundesministerium für Handel und Verkehr in Wien Kenntnis genommen und die betreffenden Stellen gebeten, die Bestrebungen zur baldigen Verwirklichung der Fernpaßbahn als einer technisch und wirtschaftlich vorteilhaften neuen Alpen- Transit-Linie nach Kräften zu unterstützen.
Aus Stadl und Land
Nagold, 14. Juli 1927.
Man darf nur alt werden, um milder zu werden-' ich sehe keinen Fehler begehen, den ich^ nicht auch be- gange n hätte. Goethe.
MM-:, -tz
D / ^ Dierrstnachrrchteu
"Der"Herr Staatspräsident hat je eine Lehrstelle an der kath. Volksschule in Friedrichshasen OA. Tettnang dem Hauptlehrer Saut er in Freudenstadl; Heilbronn dem Oberlehrer Gerster in Mühlen OA. Horb; Riedhausen OA. Saulgau dem Hauptlehrer Ballig in Lützenhart OA. Horb; Stuttgart dem Oberlehrer Wiehl in Horb übertragen.
Die Ministerialabteilung für Bezirks- und Körperschaftsverwaltung hat die Wiederwahl des Schultheißen Jakob Keppler in Oberreichenbach, Oberamts Calw, zum Ortsvorsteher dieser Gemeinde bestätigt.
K W « Eine Uns itte der? Kinder
hätte gestern um Haaresbreite ein junges Menschenleben fordern können. Als gestern abend um 7 Uhr ein Stuttgarter Personenauto in der Calwerstraße beim Schlachthaus von Wildberg kommend, eine hiesige Holzsägemaschine passieren wollte, sprang im letzten Augenblick hinter der Säge das 4Vzjährige Kind des Schreinermeisters Stradinger hervor und direkt in das Auto hinein, das auf so kurze Strecke nicht zum Stillstand gebracht werden konnte. Das Kind erlitt eine schwere Wunde an der rechten Kopfseite. Lebensgefahr besteht jedoch keineswegs.
Das Schwert von Thule-
Roma» von Leontine von Wiuterseld-Platen.
Copyright by Greiner L Comp.. Berlin W 30.
(Nachdruck verboten.)
12. Fortsetzung.
Sie suchte die Ratsherrin und fand sie endlich in der Küche, eine große Schürze über dem dunklen Hauskleid. Es stand Frau Katrine am Herd und rührte mit einer mächtigen Holzkelle in einem Kessel mit duftendem Zwetschenmus.
„Er, kommst du endlich, Heilwig? Ich habe schon ausgeschaut nach dir und Elisabeth, daß Ihr mit helfen sollt. Da hat man so viele junge kräftige Arme rm Hause und merkt nichts davon/r
Heilwtg nickte eifrig.
- „Gleich will ich Euch helfen, Frau Muhme. Nur zuerst muß ich Euch etwas sagen, was keinen Aufschub erträgt."
Es war ein so frohes Leuchten dabei in ihrem Gesicht, daß Frau Katrine aufmerksam wurde und die Magd rief.
„Heda. Fielen, ich gehe nur einen Augenblick hinaus. Gib verweile gut acht auf das Zwetschenmus, daß es nicht anbrennt."
Dann wischte sie rasch die Hände an der Schürze ab und folgte Herlwig aus die große, geräumige Diele, auf der die weltbauchigen Truhen und die uralten, geschnitzten Schränke standen.
,D» kannst es mir wohl hier sagen, denn ich habe nicht viel Zeit."
Herlwig nickte. Aber nun, da sie sprechen sollte, wurde sie doch ein wenig rot und verlegen.
„Es ist, es ist nur, Frau Muhme, wegen Elisabeth und ihrem Liebsten. Weit ich ihr doch so sehr gerne helfen möchte. Denn sie liegt krank und matt oben in ihrem Bett vor lauter Gram. Seht, es ist mir ein Gedanke gekommen.^
Sie stockte wieder und suchte nach Worten.
„Weil ich o-och den Fridolin Lämmerzahl nimmer heiraten kann. Aber mein Geld, jo mir der Ahne vererbt
hat, brauche ich auch nimmer. Es kann alles die Elisabeth haben. Und nun bitte ich Euch, Frau Muhme, geht eilends hinaus zu Eurem armen Kinde und sagt ihr, daß sie freien darf. Doch nimmer, von wem das Geld dazu kam. Das soll unser beider Geheimnis sein."
Sie hatte die Hände bittend ineincmdergelegt und sah die Ratsherrin so hoffnungsfroh und zuversichtlich an dabei. So, als wollte sie sagen: nicht wahr, Frau Muhme, nun kann alles noch gut werden.
Die Ratsherrin hatte mit leisem Erstaunen zugehört. Als die andere das von Fridolin Lämmerzahl sagte, war ein jäher Aerger in ihr Gesicht gesprungen. Jetzt stemmte sie beide Arme sehr fest und energisch in die Seite und trat einen Schritt von Heilwig hinweg. Und sie verzog ihr Gesicht zu einem sauren, spöttischen Lächeln.
„Ach, als Barmherzige willst du nun kommen, Heilwig, und mit milder Hand Gaben ausstreuen. Aber wir Hasselbachs danken für deine Barmherzigkeit. Oder meinst du etwa, wir hätten nicht selber genug, um unserer Tochter mitzugeben, was sie braucht? Nein, eben weil Elisabeth das Kind von vermögenden Eltern ist, wollen wir sie nimmer sortgeben an einen blutarmen Habenichts, mit dem man nicht prunten kann vor Verwandten und Nachbar. Der Herr Magister mag seckst Mittel und Wege sinnen, seinen Bruder zum Auszahlen zu bewegen. Kommt er weiter mit leeren Händen wie ein Bettler, so müssen wir ihn auch weiterhin abweisen. Das will der Stolz der Hasselbachs/<
Sie wollte gehen.
Aber Heilwig griff mit beiden Händen nach ihrem Ann.
„Um Gott, Frau Muhme, wie könnt ihr jo hart >eml Und darüber stirbt Euch Euer Kind!"
Die Ratsherrin lachte kurz auf.
„Vor Liebcsgram stirbt ein Mägdelein nimmer so bald. Öbsckon jede einzige meint, es tun zu müssen. Wir kennen das. Auch Elisabeth wird sich wieder oesinnen. Und nun komm schnell in die Küche. Den halben Vormittag verschwatzt man hier mit Müßiggang, indes die Arbeit berghoch aui einen wartet."
Und sie ging mit festen, raschen Schritten die Dick entlang zur Küche zurück, ohne sich auch nur einmal noch umzusehen.
Heilwig stand regungslos auf derselben Stelle. Wohl minutenlang. Sie hatte beide Hände auf die Schläfen ge- ^ preßt und starrte vor sich hin. ^
So stand sie auch noch, als die Haustür sich knarrend auftat und ein Strom von Sonnenlicht auf die düstere Diele flutete. Da schrak sie zusammen und wandte scheu den Kopf. Es war Veit, der mit schnellen Schritten auf sie zukam. Er griff besorgt nach ihrer Hand, und fragte ängstlich:
„Was hast du, Heilwig? Du siehst so weiß aus wie der Tod, und in deinen Augen ist ein großer Schmerz. O, vertraue mir doch und sage mir, was dir ist!"
Sie hatte die Arme schlaff sinken lassen, und sah ihn müde an aus großen, tiesumschatteten Augen.
„Nicht hier, Beit, auf der Diele — nicht hier , wv jedermann uns hören kann/:
Auf seinen Wangen brannten wieder die decken roten Flecken, so erregt war er. Er packte sie fest am Handgelenk.
„So komm mit mir in die große Wohnstube. Da ist niemand zu dieser Stunde. Ich muß es wissen, was man dir angetan hat."
Und er zog die Willenlose mit sich fort — die Treppe hinaus, ins leere Wohngemach. Zum großen Lehnstuhl feines Vaters führte er sie und hieß sie dort sich nieder- zusetzen.
Sie tat es schweigend, wie ein müdes Kind. Und merkte dabei nicht, wie weich seine Hand die ihre streifte, und wie er mit zitternden Fingern beruhigend und liebkosend über ihr blondes .Haar strich.
„Nun sage mir alles, Heilwig, hörst du? Alles mußt du mir sagen."
Da war es, als ob sie langsam aus ihrer großen Starrheit erwachte. Als ob das Eis, das die Worte der Ratsherrin so fest um ihre Seele gelegt, jäh zu schmelzen beginne. -
Und ihre Lippen zitterten, als sie jetzt mit leiser, weher Stimme sagte. - -
- ' (Fortsetzung folgt)