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Rr. 181
Gegründet 1827
Donnerstag, de« 14. Juli 1927
Seachpmcher Rr. »
101. Jahrgang
Englische Erklärungen
Keine Geheimdiplomatie — Die
Im englischen Unterhaus sprach Außenminister Chamberlain über die englische auswärtige Politik. Er gab dabei verschiedene wertvolle Ausschlüsse. An erster Stelle steht die Erklärung Ehamberlains, die jetzige Regierung gedenke an dem Grundsatz festzuhasten, daß sie keinerlei Verbindungen eingehe, ohne sie dem Parlament mitgeteilt und seine Zustimmung erlangt zu haben. Hoffentlich ist diese Zustimmung sbrvohl dem Buchstaben wie dem Geist nach gemeint: die , Erinnerung an die Verpflichtungen, die der frühere liberale Erstminister Grey seinerzeit Frankreich gegenüber heimlich und hinter dem Rücken des englischen Parlaments eingegangen mar und die wesentlich zum Ausbruch des Weltkriegs beigetragen haben, die heutigen Staatsmänner vor einer ähnlichen unaufrichtigen unzweideutigen Politik bewahrt. Es ist bekannt, daß das englische Parlament und Volk dem Krieg gegen Deutschland 1914 durchaus abgeneigt war, aber Grey hatte schon längst den Kabinetten Frankreichs und Rußlands die geheime Zusicherung gegeben, daß England in dem schon seit Jahren vorbereiteten und verabredeten Krieg auf ihrer Seite stehen werde. Freilich hat Chamberlain und das heutige englische Kabinett eine starke konservative Mehrheit hinter sich, und er muß nicht befürchten, daß das Parlament die Regierungspolitik von vornherein ablehnen würde, wie Grey es befürchten mußte. Nur mit Hilfe der wohlvorbereiteten, gewissenlosen Kriegsverhetzung und den Kriegslügen des im Sold der damaligen Regierung stehenden Northcliffe ist es ja dann, wie in Amerika, gelungen, im Volk eine Kriegsstimmung zu erzeugen, das Parlament sah sich aber vor eine fertige Tatsache gestellt.
Da die Erklärung Ehamberlains eine Entgegnung auf eine Rede des Sozialisten Ponsonby war, worin dieser aus ein englisch-italienisches Bündnis angespielt hatte, so müssen die Worte Ehamberlains wohl hauptsächlich aus Italien bezogen werden und als Ableugnung eines derartigen Bündnisses gelten. Ob die Kreise der Opposition, in denen der Verdacht, daß ein solches Bündnis bestehe, ziemlich stark ist, sich nunmehr beruhigen weiden, muß abgewartet werden. Wird doch gleichzeitig durch eine halbamtliche Meldung der „Times" bekannt, daß England und Italien beabsichtigen, sich in der Tangerfrage gemeinsam an den französisch-spanischen Konferenztisch zu setzen. Bewahrheitet sich die Meldung, so ist sie nicht nur ein neuer Beweis der englisch-italienischen Zusammenarbeit, sondern auch ein erheblicher diplomatischer Erfolg Spaniens. Wenn man sich erinnert, daß Spanien im vorigen Jahr dem Völkerbund den Rücken gekehrt hat. so liegt es nahe, etwaige Gegenleistungen Spaniens für die englische Hilfe aus diesem Gebiet zu vermuten.
Von nicht geringerem Wert war eine weitere Erklärung Ehamberlains, daß er niemals die Herstellung einer russenfeindlichen Front unter den europäischen Mächten beabsichtigt habe. Chamber-- lain ging sogar so weit, zu versichern, daß er den andern Staaten empfohlen habe, ihre Beziehungen zu Rußland zu verbessern. Wenn auch kein Grund vorliegt, an der Richtigkeit dieser Versicherung zu zweifeln, soweit sie Chamberlain persönlich betrifft, der von dem Gedanken des europäischen Friedens zweifellos stark beherrscht wird, sc darf doch nicht übersehen werden, daß es andersartig« Strömungen in der britischen Regierung gegeben hat und wohl auch noch gibt, die in dem englisch-russischen Gegensatz nicht diese großzügige Haltung gegenüber den Nachbarstaaten einnehmen.
Für Deutschland ist in der Rede Ehamberlains von besonderem Interesse eine Wendung, worin er einen Besuch be r S t r e s e m a n n in Berlin in Aussicht stellt. Man bars diese Ankündigung um so mehr willkommen heißen, als tatsächlich, wie auch Chamberlain sagte, derartige Besuche am besten geeignet sind, die mancherlei Schwierigkeiten und Mißverständnisse zu beseitigen, die im natürlichen Verlauf der Dinge zwischen allen Regierungen entstehen.
Mt Befriedigung kann man in Deutschland von Mit teilungen Kenntnis nehmen, die auch ein Unterstaatssekretär Lockei-Lampson über die Rheinland frag: u>«chte und die sich von der dunklen Zweideutigkeit fernsten, mit der eine andere kürzlick abgegebene Erklärunc ^ompsons über dieselbe Angelegenheit stark behaftet war
führte aus, die britische Regierung glaube nicht, das die Erörterung der Frage jetzt nützlich wäre- Seit Dezember 1926 seien die Besatzungstruppen „beträchtlich" vermindert worden. Die. britische Regierung sei der Meinung daß diese Verminderung tasächlich nichtso weit durch- 9 eführt worden sei, wie in der Entschließunc des Botschafterrats ins Auge gefaßt wurde E Regierung werde ihr Bestes tun um dafür zu sorgen Aw die baldige Erfüllung der Erwartungen, die durch die Entschließungen des Botschafterrats geweckt wurden, zustandegebracht werde.
R^an wird auf deutscher Seite zwar nicht mit Lampsor der Meinung sein, daß bereits eine beträchtliche Verminderung der Besatzung zu verzeichnen sei, aber Locker-Lamv-
Rheinlandräumung ungenügend
Ion schien doch, wenn seine Worte ausrichkig gemeint waren, versichern zu wollen, daß die britische Regierung die Verminderung als nicht genügend und der Entschließung des Botschafterrats nicht entsprechend betrachte. Man kann daher nur wünschen daß die Bemühungen der englischen Regierung zur Durchführung jener Entchließung, di« Lampson in Aussicht stellte, von baldigem Erfolg gekrönt ewrden.
Don Paris ans wird Belgien weiter gedrängt, sich der Räumung des Rheinlands zu widersetzen, bevor nicht die neuen großen Befestigungen Belgiens (und Frankreichs) an der deutschen Grenze fertiggestellt seien, was aber noch eine Reihe von Jahren dauern wird. Die Reichsregierung wird übrigens auf dem deutschen Recht bestehen. Der belgische Kriegsminister Broquere hat bis setzt noch keine befriedigende Erklärung bezüglich seiner nichtsnutzigen Verleumdungen über die angeblichen geheimen deutschen Rüstungen abgeben werden.
Schwierigkeiten in Sen Zollverhandlungen
Die französische Rabulistik
Das Gerücht von einer Unterzeichnung des vorläufigen deutsch-französischen Wirtschaftsabkommens hat sich noch nicht bestätigt. Die deutschen Unterhändler bestehen darauf, daß das Abkommen für die Dauer eines Jahrs abgeschlossen wird und sich auch aus Warengruppen erstreckt, die in den bisherigen Abmachungen -unberücksichtigr geblieben sind. Besondere Schwierigkeiten machen die Franzosen bei der Zollbehandlung elektrotechnischer Erzeugnisse.
Die schweizerisch-französischen Handelsvertragsoerhandlungen wurden für zwei Monate unterbrochen. Es bestehen noch große Meinungsverschiedenheiten.
Die französische Politik liebt es, bei ihren Verhandlungen mit anderen Staaten deren Wünsche und Forderungen auf „innerpolitischs Schwierigkeiten" der anderen Staaten zurückzuführen, während dies gerade aus Frankreich selbst zutrifft. So hat auch der französische Handelsminister Bo- lanowski sich kürzlich scharf über die deutschen Unterhändler geäußerc, die angeblich die Verhandlungen aus Furcht vor den Deutschnationalen zu verschleppen suchen, während gerade die kritische Lage im französischen Parlament die französischen Unterhändler mit Bokanowski an der Spitze zu ihrer schroffen Haltung gegen die Deutschen veranlaßte, um dadurch beim Parlament für die Regierung Stimmung zu machen. (Poincars hat inzwischen wieder über das Parlament gesiegt.) Die deutschen Unterhändler sind vollkommen im Recht, wenn sie eine einjährige Dauer des Abkommens verlangen, die Kurzfristigkeit hat sich allgemack zu einem Uebe! ausgewachsen. Daß aber die französische Handelsvcr- tragspolitik aller. Leuten nackgerade au? die Nerven reht, -eigi die Unterbrechung der schweizerisch französischen Verhandlungen.
Neuestes vom Tage
Der bayerische Pressechef gegen das Zentrum Berlin, 13. Juli. Reichstagsabg. Dr. Wirth veröffentlicht in einer Korrespondenz einen Artikel, in dem darauf hingewiesen wird, daß in der in Porto Alegre erscheinenden „Neue Deutsche Zeitung" schwere Angriffe gegen Los Zentrum zu finden seien. In diesen Artikeln sei ausgeführt worden, daß die Zentrumspartei schmutzige Händ« bekommen habe. Dr. Wirth behauptet, der Verfasser dieser „Münchener Briefe" sei der Pressechef der bayerischen Staatsregierung, Dr. Eisele.
Italiens Werbung um Griechenland Mailand, 13. Juli. Anläßlich der Anwesenheit der griechischen Minister Michalakopulos und Kafamlaris in Rom schreibt der „Eorriere della Sera", Griechenland würde von einem guten Einvernehmen mit Italien große Vorteile haben. Ein Valkanbund wäre nur als Schöpfung einer Großmacht zu deren eigenem Nutzen denkbar. Die Triebfeder dieser Großmacht (Frankreich) sei immer nur Eigennutz und Haß gegen eine andere Großmacht (Jalien). Italien dagegen vertrete die Politik der Einzelabkommen >mt den Balkanstaaten, und zwar zu friedlichen wirtschaslichen Zwecken, ohne sie politisch zu mißbrauchen. Das Schreckgespenst eines Militärbündnisses zwischen Südslawien und der Türkei dürfe nicht in diesem Zusammenbau" sieben.
Viermächtekonserenz über Tanger London, 13. Juli. Die „Times stellt fest. Laß die Pariser Verhandlungen zwischen Frankreich und Spanien über Tanger festgesahren seien, weil die spanische Regierung an der Forderung festhalte. daß Svanien die Austickt
Tagesspiegel
Das Reichskabinett hak am 13. Juli den Entwurf M» Reichsschulgeseh einer Meilen Beratung unterzogen.
Die Wirtschaftliche Vereinigung hat im Reichstag eure« Antrag eingebrachk, durch den die Reichsregierung erftuA wird, baldiM eine Vorlage an den Verwalkungsrak de« Deutschen Reichsposk zu veranlassen, die eine Ermäßigung der Fernsprechgebühren zugunsten der Wenigsprecher vor. sieht.
Der Jerienausschuß des Sächsischen Landtags hielt heute Trauersihung für die Opfer der Unwetterkatastrophe ab. Die Regieruug beantragte Bewilligung von 10 Millionen Mark für die erste Hilfe.
Das amerikanische Rote kreuz hat unter Beileidsbez«- gung telegraphisch augefragt, ob seine Hilfe bei dem Ueber- jchwemmungsunglück in Sachsen erwünscht sei. Das deutsche Rote kreuz hat im Benehmen mit der sächsischen Regierung aufs herzlichste gedankt.
Der Ueberschwemmungsschaden im kreis Pirua wird nunmehr aus 96 bis 160 Millionen geschäht. Spenden a» Kleidungsstücken und haltbaren Lebensmitteln find dringend erwünscht und an das sächsische Wohlsahrtsministerinm» Dresden N 8, baldmöglichst zu senden.
Der Genosse Barmats, Kutisker, ist in der Antersuchmigs- krankenhaft in der Berliner E ha rite an Lungenembolie gestorben. Am folgenden Tag sollte das Urteil in seiner Strafsache gefällt werden.
Me spanische Regierung erklärt den Marokkofeldzug fiir beendet, nachdem der Tamraya-Gebirgszug «nd damit der Rest des Rifgebieks besetzt sei und alle Kabylenführer gefangen seien.
über die Polizei in der internationalen Niederlassung m Tanger ausübe. Es sei der Vorschlag gemacht worden, England und Italien zu den Verhandlungen zuzu- ,ziehen, und der Vorschlag dürste wahrscheinlich angenommen werden.
Me Reichstagswahlen in Finnland Kopenhagen, 13 Juli. Das Ergebnis der Reichstagswahlen in Finnland ist folgendes: Die Sozialdemokraten erhalten 61 Mandate (4- 1), die Agrarierpartei erzielte 52 (-18), die nationale Sammlungspartei 34 (—4), die Schwedische Volkspartei 24 (-bl), die Kommunistische Partei 20 ( b2), die nationale Fortschrittspartei 9 (—8). Das Wahlergebnis bedeutet eine Stärkung der sozialdemokratische« Regierung Tanner.
Die Dollaranleihe der Rankinger Regierung Schanghai, 13. Juli. Eine Kundgebung des Nankinger Pressebureans besagt, die 60-Millionen-Dollaranleihe sei notwendig, um den ungedeckten Teil der militärischen Ausgaben Tschangkaischeks bis Dezember zu bestreiten. Die Ausgaben werden auf 20 Millionen Dollar monatlich berechnet, während die Zolleinnahmen und Zigarettensteuer ustv. nur 10 Millionen monatlich einbringen.'— Gegen diese Anleihe haben vor kurzem Vertreter der Mächte Einspruch erhoben, da die Salzsteuer, die den Zinsendienst gewährleisten soll, bereits für andere Verpflichtungen Chinas verwandt wird, man also Schädigungen ausländischer Wertpapierbesitzer befürchtet. Auch sagen die Engländer der Anleihe keinen Erfolg voraus, da die Jahreseinkünste aus der Salzsteuer nur 15 Millionen Dollar betragen.
Deutsche Kausmannsjugend in Hamburg
Die Jugendabteilung des Deutschnationalen Handlungs- gehilfen-Verbands, die heute rund 50 000 männliche Kaus- mannslehrlinge in 15 Gauen umfaßt, versammelte sich am Samstag zur drltten Reichstagung in Hamburg. Das Wort zur Begrüßung und Eröffnung der Tagung nahm der Mitbegründer des D.H.V., I. Ir wahn. Das Mitglied der Verwaltung des D HL)., Reichstagsabg. Walter Lambach, (fielt die Festrede. Die Rede stand unter dem Leitgedanken: Ueberlieserung und Entwicklung. Am Sonntag fand nach einem Festgottesdienst aus der Eulenburgwiese des Zoologischen Gartens eine Kundgebung von 10 000 Jung kausleuten statt, in der- Verwaltunqsvorsteher Bechly über die Kaufmannsarbeit ernst und heute sprach. Nach Bechty wirkt sich das Ringen um eine neue Struktur des Staats und der Wirtschaft auch auf die Kaustnonnsjugend aus. Es Kege an ihr, ob Deutschland in 30 Jahren zugrunde geht oder einen Aufstieg erlebt. Der Aufstieg ist jedoch nur möglich auf der Grundlage einer Idee, die durch den Menst am Volkstum und dem Willen zur Verantwortung getragen wird. Das Wirken des Kaufmanns weite den Blick mrd Kasse Wagemut entstehen. Am Nachmittag fand im Tiergarten unter riesiger Beteiligung ein allgemeines Volksfest statt. Am Abend zogen die 10 000 Teilnehmer mit Fackeln zum Bismarckdenkmal als Zeichen ihrer Verehrung des Reichsgründers und ihres Willens, sein Werk nicht untergehen zu lassen. Der Montag galt der Fortsetzung der beruflichen Wettkämpfe. Am Nachmittag führten Stofetten- käuse und Sonderzüge einen Teil der Teilnebmer nach Fried- richsruh, wo an Bismarcks Ruhestätte Max Habermann sprach.