DIE ALTE HEIMAT

VON MAGDEBURG AUS

wurde die deutsche Kul­tur in die Ostgebiete ge­tragen. Als Norbert von Xanten Bischof von Mag­deburg wurde, berief er die weiß gekleideten Prä- iKanstratenser, deren Or­den er kurz zuvor ge­gründet hatte, nach Mag­deburg. So wurde diese hervorragende Stadt an der Elbe, die schon längst eine Basis und ein Stütz­punkt der Missionsbewe­gung war, zum Ausgangs, punkt einer neuen, vom Knlturstreben der Prä- monstratenser und der Zisterzienser getragenen Bewegung, in deren Ver­lauf weite Ostgebiete dem Christentum erschlossen wurden. Noch heute er­innern der das Stadtbild weit überragende Dom sowie Liebfrauen bei­de erlitten im zweiten Weltkrieg Beschädigun­gen an jene noch vom Glaubenseifer des Mit­telalters getragene Zeit, deren Zeuge auch so manches andere Gottes­haus der Elbestadt ist. Auch die Johanniskirche, die unser Bild zeigt, ge­hört hierher. Von seiner naturgegebenen Verbin­dung nach Osten ist Mag­deburg seit der Ziehung der Oder - Neiße - Linie nunmehr abgeschnitten

trächtige Häuser mit reichgegliederten Qiebeln

Unsere Gedanken wandern zurück nach Neiße

Dunkelrot leuchteten hier im Sommer die Xirschkäume

Nimptsch. eine der ältesten deutschen Siedlungen in Schlesien

Ein sonniges Bergland ist es, das zwischen dem Zobtenberg und dem Eulengebirge einge­bettet liegt. Romantische Täler, wilde Schluch­ten, alte Wasserburgen und Schlösser geben ihm das Gepräge, während früher unüberseh­bare Waldungen das Land bedeckten. Hier treffen wir ältestes schlesisches Kulturland mit tausendjähriger Geschichte. Unauslöschlich hat die Vergangenheit ihre Spuren auf diesem historischen Boden hinterlassen.

Vertiefen wir uns in die Geschichte Schle­siens, da erfahren wir, daß darin die Bergstadt Nimptsch eine der bedeutendsten Rollen spielt. Sie ist urkundlich die erste deutsche Siedlung, und zugleich die Wiege des Deutschtums in Schlesiens Gauen. Deutsche Ritter in slawi­schem Solde sollen bereits hier eine Burg haben erstehen lassen. König Heinrich I., der Städte­bauer (919936), befestigte sie und legte den Grundstock zur Erbauung der Stadt Nimptsch. Castrum Nemethi,Nemczi,Nimz, so nannte man die Feste, die als uneinnehmbar galt, da sie von zwei Seiten von dem Lohefluß umgürtet wurde.

Damals, zu heidnischen Zeiten, verbrannte man die Toten und begrub sie. Im Schatten heiliger Haine wurden Volksversammlungen abgehalten und man saß zu Gericht. Über­reste von Burgwällen und Burgbergen sowie die sogenannte Schwedenschanze deuten noch heute auf solche Opferstätten hin. Ferner fin­den sich hier noch Erinnerungen an die Rö­merzeit, denn über Nimptach führt die alte Handelsstraße aus dem Römerreich quer durch Böhmen, über den Warthapaß und weiter zur bernsteinreichen Ostseeküste. So ist es er­klärlich, daß gelegentliche Ausgrabungen und Funde, wie Scherben, Topfgeräte primitivster Art, Urnen und Münzen, zutage gefördert wur­den, die Nimptsch und Umgebung als älteste Kulturstätten bestätigten.

Infolge der günstigen Lage und des zuneh­menden Wohlstandes wurde der Ort bald

DAS LEBEN

Das £eben ist wie eine "Wiese,

So bunt und wechselooll wie diese.

Sie träumt in Sonne, schwimmt im Kegen, Erleidet Schaden erntet Segen,

Läßt "Blumen welken, Blumen blübn,

Erstarrt in Eis, wird hoffnungsgrün,

Liegt einsam still oft unbelausdbt,

Von Ttimmelsklängen überrauscht.

Der 7rühling kommt, der Sommer geht,

'Wenn einer dann die Wiese mäht,

Dann ist's, als ob auch uns der 7od Tdit einer scharfen Sense droht.

7ranz Berndal

mehrere Jahrhunderte hindurch der Zankapfel zwischen den slawischen Nachbarn. Da war es zuerst in den Kämpfen zwischen den Polen und Böhmen, in denen um das Jahr 990 der Polen­herzog Mesko die Burg Nimptsch eroberte. 1017 erschien Kaiser Heinrich II. vor ihren To­ren, belagerte sie aber erfolglos, gleichfalls Friedrich Barbarossa im Jahre 1157. Nun folg­ten unter dem Zepter des Herzogs Heinrich I. von Breslau friedliche Zeiten. Das Schloß wur­de weiter ausgebaut. Während der Jahre 1213 bis 1216 nahm seine Gemahlin, die hl. Hedwig, Ihren Aufenthalt hier und ließ eine Burg­kapelle bauen. Doch schon 1241 erschienen die Tataren und richteten arge Verwüstungen an. Die Stadt wurde niedergebrannt. Indessen be­gannen die zäh an ihrer heimatlichen Scholle hängenden Einwohner wieder mit dem Auf­bau, und neues Leben blühte aus den Ruinen, bis der Neid der Hussiten im Jahre 1428 neues Leid über diese Stadt brachte. Sie fiel in die Hände der Feinde. Erst gegen ein Lösegeld von Zehntausend Schock Prager Groschen im Wege langwieriger Verhandlungen wurden Nimptsch und Ottmachau freigegeben.

Ehemals Bischofssitz und Lieblingsfestung Friedrichs des Großen, begegneten wir in Neiße auf Schritt und Tritt Baudenkmälern und Wohnbauten der verschiedenen Bauepo­chen vergangener Jahrhunderte. Im dreizehn­ten Jahrhundert bereits zur Stadt erhoben, liegt ihre Gründungszeit wohl noch weiter zu­rück. Als einer der wichtigsten Handelsplätze auf der alten Heerstraße von Wien nach Bres­lau muß Neiße sehr rasch zu hoher Blüte und Wohlstand gelangt sein.

Zu den vielen Sehenswürdigkeiten, die sich aus alten Tagen in unsere Gegenwart her­übergerettet hatten, von Feuersbrünsten und Kriegsfolgen verschont blieben, gehörten in erster Linie verschiedene prächtige Kirchen. So ist die St. Jakobikirche (1430) einer der schön­sten Sakralbauten jener großen Zeit. Gewaltig sind ihre Ausmaße und seltsam das steile Spitz­dach, gekrönt von dem in eigenartigem Kon­trast dazu stehenden Reiterchen. In ihrem In­nern hatten sich viele kostbare Schätze ange­sammelt, die Denkmäler zeigten die Breslauer Bischöfe, die mehrere Jahrhunderte die Für­sten des Neißer Landes waren. Ein mächtiger Glockenturm zwängt sich wuchtig und breit zwischen Kirche und Bürgerhäuser und birgt die Glocken, deren herrliches Geläut so oft fei­erlich über die Stadt schwang.

Die Bischofsstraße, eine der schönsten der Altstadt, führte zum Bischofshof, in dessen Mitte einst die Burg der Kirchenfürsten stand. Die langgestreckten Gebäude dienten später weltlichen Zwecken.

Prächtige Häuser mit reichgegliederten Re­naissance- und Barockgiebeln gaben der Stras­se ein vornehmes Gepräge. Am Rande der Straße stand das ehemalige Fürstbischöfliche Palais; in dieser Residenz fand 17(?9 das Tref-

Damit fernerhin die Feinde keine Stütze und Schlupfwinkel in ihr vorfanden, wurde die Burg 1435 von den Breslauern zerstört. Blieb diese vom Unglück verfolgte Stadt nun auf längere Zeit von Kriegsgreueln verschont, so ließen sie später verheerende Feuersbrünste nicht zur Ruhe kommen und legten wiederum einen großen Teil in Asche. Erneut aufgebaut, brachte der Dreißigjährige Krieg unsägliches Leid über sie. Rühmlich muß hier der Rath­mann Johann Casper erwähnt werden, dem es gelang, die Kassengelder unter einem großen Stein in dem Lohefluß zu bergen. Zum Dank erhielt er von dem Kaiser die goldene Gna­denkette und wurde als Casper von Lohen­stein in den Adelsstand erhoben. Sein Sohn ist der bekannte Dichter Daniel Casper von Lo­henstein.

In späterer Zeit ist Nimtsch, von landschaft­lichen Schönheiten in verschwenderischer Fül­le umgeben, ein freundliches, sonniges Berg­städtchen. Herrliche Laubwälder und Kirsch­alleen, blütenweiß im Frühling, dunkelrot zur Zeit der Ernte, stehen in dem landschaftlichen Bilderbogen. Malerisch wirkte das Stadtbild von dem nahen Pangelberg aus. Infolge der Brände stammten die Häu^r zum großen Teil aus neuerer Zeit, umarmten aber auch liebevoll manch alt gewordenen Zeugen aus vergange­nen Tagen, etwa ein buntes Giebelhäuslein, das an den Hängen klebte.

Der kompakte Bau des Schlosses auf dem hochragenden Burgberg beherrschte die Ge­gend, während drunten im Tal die Wellen des Loheflusses ihre ewige Melodie sangen. Ein Gang auf den Promenaden an der alten Stadt­mauer entlang führte zum Schloß und ge­währte reizvolle Blicke auf die angrenzende Altstadt und in die Falten des lieblich gewell­ten Hügellandes.

Charakteristisch war der langgestreckte Marktplatz. Das trauliche Gewinkel, die ver­träumten Gassen und vor allem die Burg er­zählten dem Fremden viel aus grauer Vorzeit.

Heute steht die ehemalige Kreisstadt, die noch 1940 über 2 400 Einwohner zählte unter polnischer Verwaltung. Die wenigen Deutschen, die in kümmerlichen Verhältnissen noch in dortiger Gegend wohnen, denken mit Wehmut an die deutsche Zeit zurück, von der wir oben berichteten.

EINGANG ZURGROSSEN KIRCHE in Neiße. Links der Glockenturm. Die Winkel der alten Stadt boten viel Traulichkeit. Die Festung Friedrichs II. mit ihren alten Wällen lebte im Schatten ihrer großen Vergangenheit

fen Friedrichs des Großen mit Kaiser Josef II. von Österreich bei der denkwürdigen Neißer Begegnung statt.

Nach der Jesuitenkirche (1688 bis 1692) mit dem schloßähnlichen Portal in der vornehmen Geschlossenheit des Salzringes bewunderten wir Neißes schönste Barockkirche, die Kreuz­kirche (1719 bis 1730). Der Bau mit seinen zwei Türmen erinnerte an bekannte Klosterkirchen, wie man sie wiederholt in Süddeutschland an­trifft. Im Innern zierten prachtvolle Freskoge­mälde die Decken.

Vorbei an dem schönen Tritonsbrunnen (1700) gelangten wir zum Ring, dem typisch schlesischen Marktplatz. Ein buntbewegtes Bild bot er an Markttagen, wenn die Bauern und Händler hier ihre Produkte feilhielten.

Für jeden eine Augenweide, und der Stolz der Bürger war das alte Waagehaus, das um 1600 im Spätrenaissancestil erbaute Kämmerei­gebäude. Die Vorderseite trug reichen Bilder­und Figurenschmuck. Durch eine schmale Straße sichtbar winkte der neunundachtzig Meter hohe Rathausturm herüber, der kühn zum Himmel ragte und so das Stadtbild be­herrschte.

Der Ring zeigte in seinen schönen Giebel­häusern noch so recht ein Stück Vergangenheit, wenn auch unser Jahrhundert gebieterisch nach Raum verlangte, das sichtbar durch die neuen Wohn- und Geschäftshäuser zum Aus­druck kam.

Der Berliner Torturm, noch ein Zeuge des Mittelalters, wies hinüber auf das frideriziani- sche Neiße, die Festung Friedrichs des Großen. Die nüchternen Bauten der Friedrichsstadt re­präsentierten ganz den preußischen Stil ihrer Entstehungszeit. Die schönste Baugruppe bilde­te das rote Haus mit traulichen Holzgalerien im Hof. Friedrich der Große pflegte gern in sei­ner Lieblingsstadt zu weilen und wohnte oft in der alten Bergapotheke, die bis 1944 in der ur­sprünglichen Gestalt auf der Höhe der Kö­nigsstraße stand.

Die Reihe der alten Festungsanlagen waren gut erhalten. Von der nahe gelegenen Char­lottenhöhe genoß man einen prächtigen Aus­blick hinüber in die Berge, denen die ganze Liebe der Neißer Stadtbevölkerung von Jugend auf gehörte.

So im Schatten einer großen Vergangenheit lebend, hatte es Neiße sich nicht nehmen las­sen, den Weg der Industrialisierung mitzuge­hen, um der alten Bischofs- und Festungsstadt neue Geltung zu verschaffen. Fünfunddreißig- tausend Einwohner zählte die Stadt, Handel und Gewerbe blühten; die Industrie lieferte namentlich landwirtschaftliche Maschinen, für die das Hinterland mit vorwiegend bäuerlichem Charakter besonders aufnahmefähig war.

Bedeutender als die gewerbliche und indu­strielle Stellung der Stadt im Zusammenfluß der Freiwaldauer Biele mit der Neiße war ihre kulturelle Sendung. Neiße war Brücke und Tor; es beherrschte den Eingang zum Glatzer Bergland und damit auch die Übergänge über die Sudeten. In Neiße kreuzten sich die Wege vom Böhmerland nach Norddeutschland mit denen von Ost und West, dadurch wurde es zu einem wichtigen Bollwerk des Deutschtums im Südosten.

Im zweiten Weltkrieg ist Neiße zu 60 Prozent zerstört worden. AlsNysa untersteht die alte deutsche Stadt heute polnischer Verwaltung. Der Fluß, mit dem sie den gleichen Namen trägt, wurde zum Grenzfluß zwischen deut­schem Land und polnisch besetztem Gebiet.

Dieses Land, das wahrhaft mittelländisch.. /

Johann Wolfgang v. Goethe über Böhmen

Im Laufe von vier Jahrzehnten war Goethe nicht weniger als sechzehnmal in Böhmen. Er besuchte vor allem Karlsbad mit Eger und Franzensbad, Marienbad, Aussig und Teplitz. Aber auch die Felsenstadt von Adersbach und Wekelsdorf hat er sich angesehen. Nicht wenige von seinen Dichtungen sind hier entstanden oder gefördert worden. Groß ist die Zahl der Bekanntschaften und Freundschaften, die er hier geknüpft hat. In zahlreichen Äußerungen und Gedichten wirken die Eindrücke nach, die er hier erhalten hat. Er hat aber auch dem Land und seinen Bewohnern, Deutschen wie Tschechen, vielfältige Anregungen vermittelt.

mm

mm.

IN NIMPTSCH STAND DIE WIEGE DES DEUTSCHTUMS

Blick auf Nimptsch, die freundliche Bergstadt, die älteste deutsche Siedlung Schlesiens. Nimptsch war umgeben von hübschen Laubwäldern und Kirschalleen. Die Bärengasse und mancher malerische Winkel der Altstadt gaben Kunde von der geschichtlichen Vergangenheit

An Karlsbad hat er seinen Dank mit den Zei­len ausgesprochen:

Was ich dort gelebt, genossen,

Was mir all dorther entsprossen,

Welche Freude, welche Kenntnis,

Wär ein allzulang Geständnis.

Mög es jeden so erfreuen,

Die Erfahrenen, die Neuen.

Er glaubte zu bemerken, daß gleichstrebende Menschen in diesem Lande selten Verbindung miteinander hätten:

Dieses Land, das wahrhaft mittelländisch, von Bergen umgeben, in sich abgeschlossen, führt durchaus den Charakter der Unmittei­lung in sich selbst und nach außen. Etwas Wahres davon wirkt bis auf unsere Zeiten nach. Einmal stellt er Böhmen den Rheinland­schaf teil gegenüber:

Obgleich manche Reize und Lockungen mich nach dem Rhein ziehen, so wünsche ich doch, das gute, alte Böhmen wiederzusehen, das mir durch Ihre Darstellung sowie durch die Sagen wieder aufs neue interessant geworden ist. Vor der Einbildungskraft der Erinnerung Steigt Böhmen wirklich als der Gegensatz von den Rheingegenden hervor ..."

Und kurz zusammenfassend, äußerte er sich zu Eckermann:

Das Böhmen ist ein eigenes Land. Ich bin dort immer gern gewesen. Wie er hier auch das deutsche Volksleben betrachtete und in in­niger Teilnahme erlebte, das sei schließlich durch das Gedichtlein vergegenwärtigt, zu dem ihn das Karlsbader Nepomukfest anregte (15. Mai 1820):

St. Nepomuks Vorabend Lichtlein schwimmen auf dem Strome, Kinder singen auf der Brücken,

Glocke, Glöckchen fügt vom Dome Sich der Andacht, dem Entzücken.

Lichtlein schwinden, Sterne schwinden, Also löste sich die Seele Unsers Heilgen. Nicht verkünden Dürft er anvertraute Fehde.

Lichtlein, schwimmet! Spielt, ihr Kinder! Kinderchor, o singe, singe Und verkündige nicht minder,

Was den Stern zu Sternen bringe!

Dr. Ernst Lehmann