BERICHTE AUS DEUTSCHLAND

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Alsschönste Frau Deutschlands" soll die am 19. Juni Im Kurhaus in Baden- Baden zurMiss Germany 1954 ge­wählte 19jährige Regina Ernst aus Bremen nun in hong Beach (Kalifor­nien). an der Wahl derMiss Univer­sum teilnehmen. Bild: dpa

Eine neue Welt im Sprechzimmer

Krankheiten und Patienten haben sich gewandelt / Bericht vom Deutschen Ärztetag

HAMBURG. Auf dem 57. Deutschen Ärztetag wurden am Sonntag und wäh­rend der voraufgegangenen Fachsitzun­gen die ernsten Probleme der Wandlun­gen im Gesundheitswesen von tausend deutschen Ärzten erörtert.

Ein gefährliches, ein alarmierendes Wort ist vor wenigen Wochen in die Öffentlichkeit geschleudert worden: es ist die Frage, ob die Ärzte noch unser Vertrauen haben. Sie wurde bereits durch eine Umfrage des Soziologischen Seminars der Kieler Universität be­antwortet, noch ehe tausend deutsche Mediziner zum 57. Deutschen Ärztetag ln Hamburg zusammentraten. Nach die­ser Umfrage stehen der Professor und der Arzt an erster Stelle des gesell­schaftlichen Ansehens.

Das ist nicht nur ein Vertrauensbe­weis, es ist ein Bekenntnis der Men­schen, daß der Mann im weißen Kit­tel mit dem Hörrohr in der Brusttasche eine der letzten und stärksten Stützen in dieser wirtschaftlich gesunden, aber seelisch kranken Zeit geblieben ist. Die Menschen, die früher nach dem Arzt riefen, stöhnten unter Fieber, hatten eine Lungenentzündung oder einen ver­eiterten Blinddarm.

Das Gros der Patienten in den Warte­zimmern von heute aber leidet an nervösen Beschwerden. Herzflattem,

Kreislaufstörungen und vielen ähn­lichen Erscheinungen im zwielichtigen Grenzgebiet zwischen Gesundheit und Krankheit. Nachkriegsnot, Entwurze­lung, Unruhe und Lebensangst haben Krankheitsbilder heraufbeschworen, die zu anderen Zeiten kaum bekannt wa­ren. Der Patient von 1954 ist ein an­derer als der von 1914.

Die Ärzte haben sich auf diese Wand­lung einstellen müssen. Sie mußten erkennen, daß ihr reich assortiertes Heilmittelarsenal nutzlos ist, wenn es nicht durch die Kraft der ärztlichen Persönlichkeit ergänzt wird. Die Kran­ken mit demmodernen Leiden, wie sie Dr. Ferdinand Hinrichs auf dem Hamburger Ärztetag nannte, verlangen und brauchen wieder den Zuspruch, den Rat und die seelische Hilfe des Arztes.

Außerdem erheischen die sich immer mehr verwischenden Grenzen zwischen Gesundheit und Krankheit eine vor­beugende Gesundheitspflege, wie sie früher der Hausarzt innerhalb der Fa­milien betrieb. Der Hausarzt ist tot, seitdem 80 Prozent aller Bewohner der Bundesrepublik der sozialen Kranken­versicherung angehören. Und eine vorbeugende Gesundheitsvorsorge, eine Beratung des Menschen, der noch nicht krank ist, seine Gesundheit jedoch be-

Kreuzzug gegen den Teufel

Billy Graham, der Welt erfolgreichster Prediger kommt in diesen Tagen nach Deutschland

Im Anschluß an seine dreimonatige erfolgreiche Londoner Missionsreise hat sich der amerikanische Evangelist und Prediger Billy Graham nun auf den europäischen Kontinent begehen. Am 27. Juni wird er im Berliner Olympia-Stadion sprechen. Werden Grahams Predigten das religiöse Le­ben Europas nachhaltig beeinflussen? Billy Graham selbst gibt hierauf folgende Antwort.

BERLIN.Ich bin nicht gekommen, um

e igland zu reformieren. Aber ehe drei onate um sind, werden wir alle Zeu­gen einer großen religiösen .Renais- p*nce sein! Es gab viele Reporter und Vertreter der anglikanischen Kirche, die mgläubig waren, als der ehemalige Far- merssohn und heutige Chef der Aktien­gesellschaftBilly Graham Evangeli- itischer Bund seine erste Pressekonfe­renz mit dieser Prophezeiung eröffnete.

Nun, Billy Graham hat sein Verspre- *en voll und ganz gehalten. Über 1,7 Millionen Engländer kamen, um den -erfolgreichsten Massenprediger der Welt zu erleben, weitere Millionen hörten und sahen ihn in entlegenen Kir­chen und Versammlungslokalen über den Lautsprecher oder auf dem Fern- »ehschirm. Sie wurden Zeuge eines Wunders, von dem der gefürchtete Leit­artikler desDaily Mirror, Cassandra, beschämt sagte: ..Ich hätte es niemals tür möglich gehalten, daß einfache, zu Herzen gehende Bibelworte uns Eng­länder so verdammt hart prügeln könn­ten!

Mit seltener Virtuosität kämpft und wettert Billy Graham gegen die Gott­losigkeit, gegen Sünde und Haß. Und r zog diekühlen Engländer in sei­nen Bann. Insgesamt 34 586 Männer und Frauen bekannten sich in aller Öffentlichkeit zu Gottes Wort, traten vor die Rednertribüne und ließen ihre Personalien in Karten eintragen, die Grahams Assistenten an die jeweiligen inständigen Kirchengemeinden weiter­leiteten. Was die englischen Pastoren Dicht für möglich gehalten hatten: Die Gotteshäuser füllten sich.

Der junge, sympathische Mann ver­tritt keine bestimmte kirchliche Rich­tung. Er will lediglich die Menschen zu Gott zurückführen. Daß er dieses Wun­der kraft seines schlichten, verständli- then Wortes zustande brachte, ist heute

überall Gegenstand religiöser Diskus­sionen.

Als ich nach England eingeladen wurde, warnte man mich vor der .an­gelsächsischen Reserviertheit*. Dennoch füllten Menschen aller Gesellschafts­schichten und Temperamente Abend für Abend unsere Großveranstaltungen, be­sonders jene beiden Abschlußpredigten im regennassen White-City und Wem­bley - Stadion mit ihren 67 000 bzw. 120 000 Sitz- und Stehplätzen, die nicht ausreichten, um die Massen zu fassen. Nicht einmal während der Londoner Olympiade im Jahre 1948 war das Wem­bley-Stadion so voll.

Gewiß, die Gotteshäuser sind in den letzten Jahrzehnten immer leerer ge­worden. Tatsächlich sind heute weniger als 10 Prozent der Bevölkerung Kir­chengänger. Das klingt entmutigend und hat vielfach zur Folge, daß sich die Geistlichkeit hilflos fühlt gegenüber einer Welle von Materialismus, Ratio­nalismus und Säkularisation.

Seit Kriegsende ist aber allenthalben doch so etwas wie ein ständig wachsen­der Hunger nach Geistigem und ein Suchen nach Gott festzustellen. Nicht nur in Amerika und England. Die A- und H-Bombe haben dem Rationalis­mus in intellektuellen Kreisen eine Nie­derlage zugefügt und bei der großen Masse das Gefühl der Unsicherheit ver­stärkt. Für die meisten Menschen hat dasZeitalter des Fortschrittes seinen Glanz und Reiz verloren. Der Mann auf der Straße wird das Gefühl nicht los, daß sich die Menschheit geradezu selbst­mörderisch dem Abgrunde nähert. Er beginnt nach Dingen zu suchen, die ihm Hoffnung, Glauben und Sicherheit zu­rückgeben sollen.

Überall stellte ich fest, daß sich diese schwelenden Fragen machtvoll an die Oberfläche drängen. Man fängt an, sich wieder über Religion zu unterhalten.

Worte wie Gott, Christus und Evange­lium erscheinen sogar wieder in den Schlagzeilen der Presse; etwas, was seit Jahrzehnten nicht mehr der Fall war! Billy Grahams letzte Pressekonferenz auf englischem Boden war so ganz an­ders als die erste. Sie endete mit einem Dankgebet. Graham bereist nun den Kontinent. Seine Missionsreise wird ihn durch mehrere Länder führen: zuerst Helsinki, dann Stockholm, Kopenhagen, Amsterdam,Düsseldorf,Berlin und Paris.

M.t dem Auftreten des amerikanischen Evangelisten Billy Graham im Berli­ner Olympiastadion kündigt sich eine kirchliche Kundgebung von seltenen Ausmaßen an. Schon jetzt sind bei dem vorbereitenden Komitee aus den Kir­chengemeinden Berlins so viele Vor­bestellungen auf Karten eingegangen, daß das Olympiastadion mit seinen 80 000 Sitzplätzen kaum ausreichen wird, alle Besucher zu fassen. Bild dpa

droht fühlt, ist innerhalb der Einheits­krankenkasse theoretisch nicht möglich.

In der Praxis zeigt sich aber, daß das Finanzkollektiv der Krankenkasse dem zwischen Krankheit und Gesund­heit Schwebenden den Weg zum Arzt er­leichtert. Das Zusammentreffen der seelisch bedingten Krankheiten mit den Richtlinien der Krankenkasse hat, nach dem Wort von Dr. Hinrichs.im ärzt­lichen Sprechzimmer eine neue Welt geschaffen. Der Patient darf nur For­derungen an seine Kasse stellen, wenn er ernstlich krank ist. Er muß sich also bei allen Zweifeln über seinen wahren Gesundheitszustand zumindest im Unterbewußtsein schwerkrank füh­len. Es liegt nun im Wesen dieser modernen Leiden, daß sie sich ver­schlimmern, wenn der Patient in trü­ber Stimmung ist, sich ängstigt und um die Zukunft sorgt.

Es fällt dem Arzt dann besonders schwer, die Verkrampfung, in die sich der seelisch Leidende hineingesteigert hat, wieder zu lösen. Eine heilsame Aufmunterung, ein tröstender Zuspruch werden leicht als Böswilligkeit des Arztes ausgelegt, die Krankheit und das Recht auf eine Versorgung auf Kosten der Allgemeinheit nicht anzu­erkennen.

Die Ärzte stellten deshalb immer wieder die Frage, ob die soziale Kran­kenversicherung in der Form, in der sie heute existiert, noch eine Berech­tigung habe. Sie forderten aus vielen Gründen eine Neuordnung des Kran­kenwesens und eine Anpassung an die bestehenden Lebens- und Gesundheits­verhältnisse. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient werde im­mer mehr ein Dreiecksverhältnis Arzt Patient Kasse. Darin aber sehen sie die größte Gefahr für die Volks­gesundheit. Dr. Herbert L. Schwader

Wilder Hungerkünstler

WANNE-EICKEL. Die Erfahrung, daß man ohne Gewerbeschein nicht einmal

KeinenBlauen Dunst können die Autofahrer in Zukunft den yerkehrs- polizisten mehr vormachen, wenn sie an gehalten und auf Alkoholeinfluß un­tersucht werden. Mit diesem Kunst­beutel werden Atemproben vorge­nommen. Das neue Gerät besteht aus einer Glasröhre, die mit einer gelb­lichen Flüssigkeit gefüllt ist. Der Atem eines Kraftfahrers, dessen Blutalkohol­spiegel das gesetzliche Maß überschrit­ten hat, färbt diese Flüssigkeit grün. Der Hauptzweck der neuen Erfindung wird darin liegen, festzustellen, ob eine genaue Blutuntersuchung notwendig ist.

Bild: Keystone

hungern darf, mußte ein Hungerküns.- ler in Wanne-Eickel machen. Er halte sich mit drei Flaschen Selterwasser und drei Tafeln Schokolade in einer Holz­kiste zwei Meter tief unter der Erde eingraben lassen und wollte dort acht Tage aushalten. Das Ordnungsamt Wanne-Eickel stellte fest, daß nur sein Manager einen Wandergewerbeschein besitzt. In der folgenden Nacht mußte er seine Hungerkur abbrechen und unter behördlicher Aufsicht an die Erd­oberfläche zurüekkehren.

Arbeit nördlich des Polarkreises

Deutsche Expedition in die Polarlichtzone

GÖTTINGEN. Das Institut für Iono­sphärenforschung in der Max-Planck- Gesellschaft ist bereits jetzt mit den Vorbereitungen für dag internationale geophysikalische Jahr 1957/58 beschäf­tigt. Das Institut beabsichtigt, für die Dauer von 13 Monaten eine Expedition auszurüsten, die von einer temporären Station in derPolarlichtzone" oder noch nördlich davon in Richtung zum Pol aus Beobachtungen vornehmen soll. Nach Möglichkeit soll die Station auf dem gleichen Längengrad wie Lindau liegen.

Wie Dr. Dieminger, der Direktor des Institutes, mitteilte, ist an Kingsbay auf Spitzbergen gedacht, das eine Reihe von günstigen Voraussetzungen für die Errichtung der Station und die Arbeit der deutschen Wissenschaftler bieten würde. Spitzbergen ist jedoch norwegi­sches Hoheitsgebiet, und es ist zur Zeit noch nicht entschieden, ob die norwegi­sche Regierung ihre Zustimmung zu diesem Projekt erteilen wird.

Bereits in den nächsten Monaten wer­den die ersten internationalen Bespre­chungen über die Organisation des geo­physikalischen Jahres in Den Haag und in Rom aufgenommen werden. In wel­chem Ausmaß eine deutsche Beteili­gung möglich ist, hängt selbstverständ­lich davon ab, welche Sondermittel für diese Aufgaben zur Verfügung gestellt werden. Inzwischen kann jedoch festge­stellt werden, daß die Finanzierung der Station des Lindauer Institutes als ge­sichert anzusehen ist. Neben Mitteln der deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft stehen

auch Gelder von anderer Seite und de* Institutes selbst zur Verfügung, so daß damit die schwierigste Hürde genom­men sein dürfte.

Eine endgültige Entscheidung muß je­doch recht bald fallen, da das Institut für Ionosphärenforschung allein mit einer zweijährigen Bauzeit für die Ge­räte und Instrumente rechnet, die mit­genommen und in der Station aufge­stellt werden sollen. Auch über di* Transportfrage sind bereits Verhand­lungen aufgenommen worden. Es ist vor­gesehen, die gesamte Expedition mit allem Zubehör auf dem Vermessungs­schiffGauß des deutschen hydro­graphischen Instituts in den Norden zu transportieren. Auf einen Monat w : rd der Aufbau der Station veranschlagt.

Voraussichtlich zwei Wissenschaftler und vier Techniker des Lindauer Insti­tutes werden dann 13 Monate nördlich des Polarkreises arbeiten. Etwa einen Monat werden anschließend die Abbau­arbeiten dauern, so daß die Expedition insgesamt 15 Monate in Anspruch neh­men wird.

Der Direktor des Instituts für Iono­sphärenforschung der Max-Planck-Ge­sellschaft Dr. Dieminger. ist Mitglied des deutschen vorbereitenden Ausschus­ses für das internationale geophysikali­sche Jahr und Mitglied der deutschen CCIR-Delegation. Er nahm an der Voll­versammlung des CCIR (Conseil con- sultatif international des radiocom- munications) in London teil und wurd* zum Vorsitzenden der Arbeitsgrupp* für Solar-Terrestrische Beziehungen bestimmt.

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Zum 80. Geburtstag von Walter F. Otto

Als nach Kriegsende die Universität Tübingen wieder eröffnet und Walter r. Otto als Gastprofessor hierher be­rufen wurde, da hatte er das biblische Alter schon erreicht. Aber man kannte die bewundernswerte Frische des gro­ßen Humanisten, in dessen volles chwarzes Haar sich auch heute erst wenige graue mischen, und wußte, was Btan von seiner ungebrochenen gei­stigen Energie erwarten durfte. Sein Kommen war um so erwünschter, als damals (und bis zur Berufung von W. khadewaldt) das gräzistische Ordina­riat noch nicht wieder besetzt war. Wie

S shr Otto alle Erwartungen erfüllt, ja bertroffen hat, wissen alle zu würdi-

t en, die seinen Fachvorlesungen und eminarübungen und vor allem auch inen vielbesuchten Publika amDies cademicus gefolgt waren oder sich bn Leibnizianum von ihm in die Ge- "ankenwelt der Antike einführen lie- en. Den größten Geistern zugewen- t, besaß er, selbst enthusiastischen leistes, ergriffen von jeder echten Jröße, in ungewöhnlichem Maße die Fähigkeit, andere zu begeistern, ob er Sun über Homer und Hesiod, Pindar tod Kallimachos, Sokrates und Platon prach oder die großen attischen Tra- Ciker sowie die Meister der alten Ko- ptödie, Aristophanes, Plautus, Terenz Behandelte. Daß Probleme des euro­päischen Humanismus und insbeson­dere die Götter der Griechen, zumal Apollon und Dionysos, aber auch grundsätzliche Fragen nach dem We- *en der antiken Religion, des Mythos Bnd der Mythologie einbezogen, klä­rend und deutend erfaßt wurden, Bängt mit seinem Hauptarbeitsgebiet Jnd seinem organisch sich aufbauen- flen Entwicklungsgang als Gelehrter asammen.

Ottos Einkehr in Tübingen bedeu- **te die Heimkehr in die Universität,

an der er, der gebürtige Hechinger, einst sein Studium begonnen hatte, und zwar als Theologe. Aber bald ging er zur klassischen Philologie über, wo ihm der unvergeßliche Wilhelm Schmid strenger Lehrer und väterlicher Freund wurde. Der junge Student und der Professor fanden sich auch in der Kunst der edlen Musica zusammen, die für beide Lebenselement war und dauernd blieb. Schmid, der die große Begabung Ottos früh erkannte, bewog ihn, nach Bonn zu übersiedeln, wo er bei dem Dreigestirn Usener, Bueche- ler und Loeschcke eine reichere und tiefere Ausbildung finden könne in dem Gesamtbereich der griechischen und lateinischen Philologie und der davon untrennbaren Archäologie. Ottos ganzes Schaffen zeigt, wie fruchtbar diese Bonner Zeit sich ausgewirkt hat. Zunächst überwog Buechelers Einfluß und lenkte zum Studium des Lateini­schen und der italienischen Dialekte. 1898 wurde Otto Mitarbeiter amThe­saurus linguae Latinae in München, wo er sich 1905 habilitierte. Aber die strenge sprachliche Zucht verband sich bald und hier schlug Useners Vor­bild durch und lenkte Ottos Anfänge auf ein fruchtbares Feld mit reli­gionsgeschichtlichen Fragestellungen. Ausgezeichnete Beiträge in Fachzeit­schriften warfen neues Licht auf rö­mische Gottheiten, Feste, Kulte.

In Wien, wohin Otto 1911 als Extra­ordinarius berufen war, entstand die Arbeit überRömische Sagen. Darin trat er der herrschenden Meinung, das phantasiearme Rom habe sich nach griechischen Mustern eine halbgelehrte Mythen- und Sagenwelt erst künstlich zurechtgezimmert, mutig entgegen und bahnte eine Entwicklung an, die De­zennien später sein Frankfurter Schü­lerkreis fortführen sollte. Dahin war Otto, nach einem Ordinarienjahr in

Basel, 1914 berufen worden, und hier hat er 20 Jahre lang mit größtem Lehr­erfolg gewirkt. Namen wie Franz Alt­heim und Carl Koch und die von Otto begründetenFrankfurter Studien le­gen beredtes Zeugnis ab. Nicht bedeu­tungslos ist es, daß Otto die schöne Reihe derReligiösen Stimmen der Völker im Diederichsschen Verlag als Herausgeber leitete. Denn daß das Ver­gleichen nicht nur den Blick für reli­giöse Urphänomene weitet, sondern gerade auch für das Spezifische der einzelnen Kulturreligionen schärft, das war dem einstigen Schüler Useners nicht fremd, und so hat er sich als Forscher weit umgetan Im Bereich alter und neuer Religionen, ohne einer methodisch ungezügelten Allerwelts­vergleicherei zu verfallen. Das 1923 erschienene BuchDie Manen geht zwar von den Römen aus, um Urfor­men des Totenglaubens zu erkennen, bezeichnet sich aber schon im Unter­titel alsUntersuchung zur Religion der Griechen, Römer und Semiten und zum Volksglauben überhaupt". Diese weitblickende Aufgeschlossenheit hat Otto auch bewogen, Leo Frobenius den Weg an die Frankfurter Universität zu ebnen und die Widerstände seiner Fa­kultät zu überwinden, die dem kühnen Völkerkundler mit Skepsis begegnete: auch Fakultäten können, wie flgura zeigt, irren!

Immer stärker rücken nun aber die Griechen und ihre Götter in den Mit­telpunkt von Ottos geistigem Ringen. Ein Aufsehen erregender Berliner Vortrag des damals 51jährigenDie altgriechische Gottesidee bahnt den Wendepunkt an und führt zum Höhe­punkt seines Schaffens, der mit den mehrfach aufgelegten großen Werken Die Götter Griechenlands (1929) und Dionysos, Mythos und Kult (1933) erreicht ward. Hier ist nun jene gei­stesgeschichtliche Deutung gewonnen, die uns ein würdigeres Bild der Göt­

ter im Spiegel des griechischen Geistes vermittelt, als es diehistorische Me­thode mit ihren Mitteln erarbeiten konnte. So nahe ihr Otto zunächst von Bonn stand, unter dem frühen Erleb­nis Nietzsches und der dauernden Tie­fenwirkung Hölderlinscher Gedanken­gänge gewann er eine neue Sinndeu­tung der Griechengötter, die aus der Ehrfurcht vor ihnen erwuchs, aus dem Glauben an sie als höchste geistige Realitäten, als seiende Mächte glei­chen Ranges, wie es die ewigen Werke ihrer Kunst, ihrer Dichtung, ihrer Weisheit seien. Diese Werke Ottos, die auch vom hinreißenden Zauber einer vornehmen, wahrhaft künstlerischen Darstellungsgabe getragen sind, wird auch derjenige zu den Höchstleistungen unserer Wissenschaft zählen, der sei­nen methodischen Standpunkt nicht in vollem Umfang zu teilen vermag. Wie stark ihre Wirkung in der Fachwelt war, zeigt sich allenthalben, und weit über sie hinaus reicht ihre Wirkung extra muros und bringt eine Vertie­fung des humanistischen Gedankens. Otto selbst hat in manchen Schriften und Reden ich nenne nurDer eu­ropäische Geist und die Weisheit des Ostens,Der junge Nietzsche,Grie­chische Göttermythen bei Goethe und Hölderlin",Das Vorbild der Grie­chen unermüdlich und mit Erfolg (auch in dem von ihm herausgegebe­nenJahrbuch für geistige Überliefe­rung) für eine der Stütze des Chri­stentums nicht bedürftige Erneuerung des europäischen Humanismus gewirkt.

Daß dieser große Gelehrte und Leh­rer, der eine Künstlernatur und ein gütiger Mensch von bezwingender Schlichtheit des Wesens ist, zu uns kam, aus Königsberg, wo er seit 1934 gelehrt hatte, und hier lehrt, ist eine Gunst des Schicksals für unsere Uni­versität und das geistige Leben unse­res Landes. Daß Otto, der selbst sei­nen ganzen Bücherbesitz verloren

hatte, auch im Interesse der Bücher­not unserer Nachkriegsstudenten sidl energisch für die Arbeit derWissen­schaftlichen Buchgemeinschaft ein­setzte, sei nur noch erwähnt als eia Sonderfall seiner Hilfsbereitschaft für unsere akademische Jugend.

Möge es ihm noch geraume Zeit ver­gönnt sein, in gewohnter Geistesfrisch* und verschont von Altersgebresten un­ter uns zu wirken: der Dank wird nicht ausbleiben. Möge aber auch ein anderer Wunsch sich erfüllen: daß sich ein Verleger finde, der die frühen Aufsätze und das zerstreute Einzelgut von späteren Broschüren zu einem BandeKleiner Schriften zusammen­faßt und zu neuer Wirksamkeit bringt!

Prof. Dr. Otto Weinreich

Kulturelle Nachrichten

Für einDeutsches Haus in der PariserUniversitätsstadt der Stu­denten, die Citä Universitaire, wurde im Beisein des französischen Hohen Kom­missars Botschafter FranSois-Poncet und des Chefs der deutschen diploma­tischen Mission, der Grundstein gelegt.

Die Naturtheater Reutlingen und Hayingen, Kreis Münsingen, eröff­nten am Wochenende ihre diesjährige Spielzeit. In Reutlingen wurde Wilhelm HauffsLichtenstein in dramatischer Neubearbeitung von Heiner Mey, Dra­maturg am Landestheater, gespielt.

Derdeutsche Filmpreis 1954 wurde anläßlich der Eröffnung der IV. internationalen Filmfestspiele Berlin im Gloria-Palast am Kurfürsten­damm von Bundesinnenminister Dr. Schröder festlich verliehen. Alsbester deutscher Spielfilm 1954 wurdeWeg ohn Umkehr mit dem Wanderpreis derGoldenen Schale ausgezeichnet. Den Preis als beste Schauspielerin er­hielt Ruth Leuwerik.

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