Sozialdemokratie oder keine Demokratie

Ollenhauer auf dem südwestdeutschen Parteitag in Reutlingen / Kritik an der Außenpolitik

Marx in die Ahnenreihe

Der SPD - Bundestagsabgeordnete Fritz Erler, der auf dem Landes­parteitag am Sonntag über grund­sätzliche Anliegen referierte, befaßte sich mit der Fortentwicklung seiner Partei. Da die gesellschaftliche und wirtschaftliche Struktur in der Mitte des 20. Jahrhunderts wesentlich an­ders sei wie vor 100 Jahren, müsse die S daldemokratie ihre Zielsetzung una Organisation ebenso wie ihre Begriffe und Schlagworte der neuen Umwelt anpassen. Marx dürfe zwar niemals aus der sozialistischen Ahnen­reihe gestrichen werden, in der Treue zu seinem Lebenswerk sollte die SPD aber mit der gleichen wissenschaft­lichen Objektivität, wie Marx dies einst getan habe, die Gesellschafts­struktur der Neuzeit untersuchen.

Erler nannte als das letzte Ziel sei­ner Partei: Gegen jede Art von Aus­beutung kämpfen. Die SPD vertrete grundsätzlich keine Gruppeninter­essen, sondern die Belange all derer, die keine Privilegien zu verteidigen hätten.

Der ordentliche Parteitag des SPD- Bezirks Südwest in Reutlingen ver­einigte nach dem Zusammenschluß der drei südwestdeutschen Parteibe­zirke zum ersten Male den neuen vergrößerten Verband. Vor den De­legierten legte daher der Fraktions­vorsitzende der SPD und Vorsitzende des Finanzausschusses im baden- württembergischen Landtag, Dr. h. c. Alex Möller, die Grundsätze dar, von denen sich die Fraktion nach dem Zusammenschluß der Länder im Stuttgarter Landtag habe leiten las­sen.

Seinen Ausführungen stellte Möl­ler voran, daß die gesamten Möglich­keiten des politischen Wirkens im Lande abhängig und begrenzt seien von den finanzpolitischen Maßnah­men des Bundes. Nehme der Bund eine zu hohe Quote des Steuerauf­kommens für sich in Anspruch, so stehe für wichtige landespolitische und kommunalpolitische Aufgaben eben entsprechend weniger Geld zur Verfügung. Gegenwärtig sei die Kon­struktion der Finanzverfassung für Bund, Länder und Gemeinden also für alle Beteiligten unglücklich. Möller setzte sich für eine echte Steuerverbundwirtschaft ein, die den Bund nicht einseitig bevorzuge.

Als Grund für das Verbleiben der Sozialdemokratie in der Regierungs­koalition nach der Bildung des Süd­weststaates und nah dem Rücktritt Reinhold Maiers gab Möller an, daß der Aufbau des Landes bei der Kräfteverteilung im Parlament nur über eine Beteiligung an der Koali-

% j B «j» ^

r , von Körpergeruch. Nur^^V

gründlich waschen, dann fühlt man A c sich frisch und adrett und bleibt J ^^^sich selbst sympathisch.

noch dem Waschen desodorierenden Körperpuder, ,8mal4'' j

REUTLINGEN (Eig. Bericht). Der erste Vorsitzende der SPD, Erich Ollenhauer, kritisierte am Sams­tagabend in der Reutlinger Jahn- Turnhalle aufs schärfste die bisherige Außenpolitik der Bundesregierung. Die sogenanntePolitik der Stärke, wie sie der Bundeskanzler vertrete, habe völlig Schiffbruch erlitten. Zur innenpolitischen Entwicklung be­merkte der SPD-Vorsitzende:Ent­weder wird die neue deutsche Demo­kratie Sozialdemokratie sein oder sie wird im Zuge der Zeit nicht bestehen können.

Die SPD vertrete seit 45 und noch heute konsequent die Ansicht, daß die Spannungen in der Welt durch Verhandlungen gemildert werden müssen. Das sei keine Hilfsstellung für die Sowjets, sondern realistische Politik. Jetzt setze sich allmählich

tion mitbeeinflußt werden konnte. In diesem Zusammenhang stellte der Fraktionsvorsitzende fest, daß nach Auffassung seiner Partei nach den Sommerferien zuerst das Landesver­waltungsgesetz bearbeitet und erst dann die Beratung einer künftigen Gemeinde- und Kreisordnung mög­lich sei.

Besonderes Interesse fanden die Ausführungen Möllers, der als Vor­sitzender des Finanzausschusses einen Einblick in diese Dinge besitzt, über die Aufblähung des Behördenappa­rates. Möller teilte nämlich mit, daß zwar die Regierung in Stuttgart nur über zwei Drittel des Ministerialper- sonals der ehemaligen drei Länder

Den Tätigkeitsbericht der Bezirks­gruppe Südwest erstattete der Landes­vorsitzende Erwin S c h ö 11 i e. Er hob hervor, daß auch in einer Koalition, die ja keine Ehe auf Dauer, sondern nur eine Zweckgemeinschaft sei, jede Partei ihre Eigenständigkeit bewahren müsse.

Die Entwicklung der Bezirksorgani­sation habe hinsichtlich des Mitglieder­standes leider rückläufige Tendenz auf­zuweisen. Von Ende September 1952 bis Ende Dezember 1953 sei die Zahl der Mitglieder von 38 899 auf 36 793 zurückgegangen. Der Anteil der Frauen betrage jetzt 14 Prozent; Arbeiter stell­ten 44 Prozent der Mitglieder, Ange­stelle 21 Prozent, Rentner und Haus­frauen 18 Prozent.

Der Bundestagsabgeordnete Paul aus Stuttgart forderte in der Diskus­sion eine stärkere Erfassung der Frauen durch die Partei. Dr. Gotthilf Schen­kel, Eßlingen, unterstrich, daß die christliche Ethik stets das Leitmotiv der SPD bleiben müsse, die das Ziel habe, dengöttlichen Willen auf der Erde zu verwirklichen.

Unter den Teilnehmern an dem Parteitag befanden sich die baden- württembergischen Minister Dr. Her­mann Veit, Fritz Ulrich und Er- min Hohlwegler, sowie der Re­gierungspräsident Dr. Wilhelm Schön- e c k und der Bundestagsabgeordnete Professor Dr. Carlo Scbmid.

In einer einstimmig angenommenen Entschließung begrüßte der Parteitag

überall in der Welt die Erkenntnis durch, daß internationale Verhand­lungen durch Drohen mit der militä­rischen Stärke hur gefährdet würden. Man müsse sich doch darüber klar sein, daß Deutschlands Existenz mit der Verhinderung eines neuen Welt­kriegs stehe oder falle. Für diese Ver­hinderung müßten deshalb die poli­tischen Kräfte eingesetzt werden. Das sei für Deutschland wichtiger, als daß ein dritter Weltkrieg gewonnen wird.

Die Konzeption Dr. Adenauers biete aus diesem Grunde, so be­hauptete der SPD-Vorsitzende, nicht die Sicherheit, die der Kanzler ver­spreche und die von einer anderen Politik erwartet werden könnte. Die SPD werde daher auch der EVG hartnäckigen parlamentarischen Wi­derstand entgegenstellen. Im übrigen habe die EVG nach der Entwicklung in den Nachbarstaaten kaum mehr Aussicht auf Verwirklichung.

verfüge, daß aber daneben in den vier Regierungspräsidien möhr Per­sonal vorhanden sei als zuvor in den Ministerien aller drei Länder und der Landesbezirksverwaltung Nord­baden zusammen. In der Frage der Regierungsbezirke sei die SPD neben ihrer Kritik am Personalbestand fer­ner der Auffassung, daß die Grenzen nicht nach den ehemaligen ziemlich zufälligen Landesgrenzen ausgerich­tet werden sollten.

Für die kommenden Landtagswah­len setzte sich Alex Möller dafür ein, daß jeder Abgeordnete sich in einem Wahlbezirk den Wählern stelle. Die Bequemlichkeit der Landesliste sei von Übel.

Vor seinen 3000 Zuhörern führte Ollenhauer dann aus, daß Freiheit und Gleichberechtigung mit den Nachbarnationen nur von einem Volk gefordert werden können, das diese Maximen im eigenen Hause verwirk­licht habe. Die Freiheit sei bei den bürgerlichen Parteien nicht gewähr­leistet. Sie werde gefährdet nicht nur im offenen Kampf, sondern durch die Atmosphäre vonMuffigkeit und Dumpfheit". Schon wieder werde die Furcht als Mittel der Politik verwen­det.

Das wichtigste Ziel einer westdeut­schen Außenpolitik müsse die Wie­dervereinigung mit Mitteldeutschland bleiben. Davon werde eine westdeut- Regierung auch nicht durch den er­folglosen Ausgang der Berliner Kon­ferenz entbunden. Sie müsse im Ge-

Schöttle wiedergewählt

Der bisherige erste Bezirksvorsit­zende Erwin Schüttle wurde von den Delegierten mit 260 von insge­samt 281 Stimmen wiedergewählt. Zweiter Vorsitzender wurde Alex Möller mit 265 und dritter Rudolf G e h r i n g mit 243 Stimmen.

genteil nun mit verdoppelter An­strengung danach streben, die deut­sche Wiedervereinigung auf der Ta­gesordnung der internationalen Po­litik zu halten. Zur Saarfrage be­merkte Ollenhauer, der BegriffEuro- päisierung sei eine Artpolitisches Penicillin und werde alsneues Eti­kett für eine schlechte Sache ge­braucht.

Auf der Großkundgebung sprachen neben Ollenhauer der Bezirksvorsit­zende Erwin Schüttle sowie Reut­lingens Oberbürgermeister, der SPD- Landtagsabgeordnete Oskar Kalb­fell. Schöttle wies darauf hin, daß weite Kreise der westdeutschen Be­völkerung jetzt, nachdem es ihnen besser gehe, vergessen hätten, daß sie ihr Wohlergehen letzten Endes den Bemühungen der Sozialdemokratie verdanken. Kalbfell forderte einen großzügigen und modernen Ausbau des Schulwesens, da hier bereits der Kampf um die innere und äußere Freiheit beginne.

Kleine, Weltchronik

Audi Dänemark hebt Visumzwang auf. Dänemark hat am Samstag wie am Vortage seine skandinavischen Nach­barn Schweden und Norwegen den Visumzwang für Besucher aus der Bundesrepublik aufgehoben.

Lenin-Orden für die Ukraine. Zum 300. Jahrestag der Vereinigung der Ukraine mit Rußland verlieh das Prä­sidium des Obersten Sowjets der Ukraine den Lenin-Orden.

Malan 80 Jahre alt. Der südafrika­nische Ministerpräsident Malan ist am Samstag 80 Jahre alt geworeden.

Rhee erhielt schwache Mehrheit. Die liberale Partei des südkoreanischen Staatspräsidenten Rhee hat bei den Parlamentswahlen eine schwache Mehr­heit von 33 Sitzen erreicht.

Ungewöhnliche Schneefälie. In einem Teil des Alpen-Gebietes ist wieder Winter geworden. Der Brenner-Paß und Südtirol haben am Samstag zum

Schöttle: Koalition eine Zweckgemeinsdiaft

die Aussprache in der Partei, die dazu beitrage, Weg und Ziel der modernen Sozialdemokratie in der modernen Ge­sellschaft zu bestimmen. Die Delegier­ten versprachen, sich dafür einzusetzen, daß die SPD die wissenschaftlichen Er­kenntnisse der gesellschaftlichen Ent­wicklung bei ihren Entscheidungen be­achtet.

Vertriebene sind besorgt. Die Ent­wicklung in der Saarfrage werde von den Heimatvertriebenen mit ernster Sorge verfolgt, sagte der Vorsitzende des Bundes vertriebener Deutscher, Dr. Linus Kather (CDU) am Samstag vor Heimatvertriebenen in Freiburg. Jede Aufgabe des Rechts auf die Saar schaffe ein Präjudiz für die Oder- Neiße-Linie. Die Heimatvertriebenen könnten aber niemals ihre Heimat preisgeben.

Balke auf Amerikareise. Auf Einla­dung des Generalpostmeisters der Ver­einigten Staaten ist Bundespostmini­ster Balke nach den USA gereist, um die Neueinrichtungen für rationelle Betriebsführung im amerikanischen Post- und Fernmeldewesen zu stu­dieren.

Hilferuf aus Brasilien. Der brasiliani­sche Bischof Pietrulla hat in Münster eine Rundreise durch die Bundesrepu­blik begonnen, auf der er für die not- leidende Bevölkerung seiner Diözese sammeln will.

Landespolitik im Rahmen des finanziell Möglichen

Rechenschaftsbericht des SPD-Bezirks Südwest / Möller: Personalaufblähung

WIK 1 SCHAU

Für 3,5 Milliarden DM

HEIDENHEIM. Bundeswinschatiö- minister Professor Dr. Ludwig Erhard erklärte am Samstagabend vor Mit­gliedern der Industrie- und Handels­kammer in Heidenheim, wenn sich die' deutsche Ausfuhr weiterhin so gün­stig entwickle, wie es zur Zeit der Fall sei, könne 1954 mit einem Über­schuß von 3,5 Milliarden gerechnet werden. Auch der Inlandsmarkt laufe ohne nennenswerte Störungen. Zur Zeit habe die Bundesrepublik auf al­len Märkten eine aktive Bilanz. Der Minister sprach sich erneut für die Konventierbarkeit der Währungen aus und betonte, daß eine Radikalkur in dieser Frage notwendig sei, um die Länder aus ihrer Abschirmung her­auszuholen. Die Europäische Zahlungs­union sei an der Grenze ihrer Lei­stungsfähigkeit.

Erhard vertrat die Ansicht, daß ein freier Währungsaustausch eine neue Phase der wirtschaftlichen Entwick­lung einleiten werde, die mit dem Be­ginn der freien Marktwirtschaft im Jahre 1948 verglichen werden könne. Auch eine weitere Ausdehnung der deutschen Liberalisierung, die derzeit 93 Prozent betrage, sei notwendig. Schließlich müsse mit einem stufen­weisen Abbau der Zölle in Europ» endlich ernst gemacht werden.

Günstige Entwicklung der Lebensversicherungen

HAMBURG. Das Neugeschäft der Lebensversicherungsunternehmen im Bundesgebiet hat sich auch im ver­gangenen Jahr günstig entwickelt. Wi» der Vorsitzende des Verbandes der Lebensversicherungsunternehmen, Ge­neraldirektor Dr. F r e 1 s (Göttingen), am Samstag auf der Jahrestagung de* Verbandes in Hamburg mitteilte, wur­den 1953 rund 3,7 Millionen Versiche­rungen mit einer Versicherungssumme von 5,1 Milliarden DM abgeschlossen. Das entspricht wertmäßig einer Zu­nahme gegenüber dem Vorjahr um fast zehn Prozent. Dabei stieg der An­teil der Großlebensversicherung an der Gesamtversicherungssumme des Neu­geschäfts auf 70 Prozent gegenüber 68 Prozent im Jahre 1952. Die durch­schnittliche Versicherungssumme er­höhte sich beim Neuzugang im Groß- lebensgeschäft von 4237 DM auf 4671 D-Mark, in der Kleinlebensversiche­rung von 585 auf 615 DM.

Dr. Frels erklärte die Erhöhung der Versicherungssumme mit dem Wunsch vieler Versicherungsnehmer, ihren Versicherungsschutz dem steigenden Lebensstandard in der Bundesrepu­blik anzupassen.

siebten Male seit Frühlingsanfang Schneefälle gemeldet.

Audi Ärzte kritisieren. 500 Ärzte der Bundesrepublik kritisierten in Bad Kts- singen bei einer Arbeitstagung de# Verbandes der Ärzte Deutschland# (Hartmannbund) die Auswirkungen der Steuerreform. Es sei untragbar, daß der Arzt als Ireier Beruf nicht nur da# Risiko der eigenen Lebensversorgung habe,' sondern auch noch eine wesent­lich höhere Steuerlast zu tragen hab« wie die Beamten.

Fallschirmjäger unter sich. Die baden- württembergische Kameradschaft de* Traditionsverbandes ehemaliger Fall­schirmjäger traf sich am Wochenend# in Konstanz. Der Verband hat kein# politischen Ziele, sondern widmet sich dem Vermißtensuchdienst.

Entente cordiale. Der französisch* Außenminister Bidault feierte anläßlich des 50. Jahrestages der Entente cor­diale die von allen Umstürzen unbe­rührt gebliebene französisch-britisch# Freundschaft.

ROMAN VON MARY BVRCHELL

Copyright by Di. Paul Herzog, Tübingen Durcii Verlag v. Graberg & Gärg, Wiesbaden Berechtigte Übertragung: H passow-Kernen

(28. Fortsetzung)

Doch ein rascher Blick aufs Datum beruhigte Ke. Geraldine hatte unverzeihlich lange, gewartet, ehe sie dafür sorgte, daß dieser Brief die richtige Empfängerin erreichte, und Ste­phen mußte ihn geschrieben haben, ehe er im Besitz ihrer Nachricht gewesen war. Dann würde es wohl sein erster freundschaftlicher und besorgter Brief auf die Mitteilung von Ihrem Unfall hin sein.

Und dann war ihr, als träfe sie schon der rste Satz wie ein Schlag vor den Kopf.

Liebste Thea, schrieb Stephen in seiner krausen, aber durchaus leserlichen Hand­schrift.willst Du meine Frau werden?

Es dauerte mehrere Minuten, ehe sie sich soweit gefaßt hatte, daß sie weiterlesen konnte. Mochte Lin denken, was er wollte, wenn er sie so mit dem zerknüllten Blatt zwischen den Fingern dasitzen sah. Irgendwo tief im Innern sagte ihr eine Stimme, sie dürfe sich nicht so völlig gehen lassen die Verwunderung und Betroffenheit und Freude nicht so offen zei­gen, die dieser eine Satz in ihr hervorgerufen hatte. Noch stärker an sich zu halten ver­mochte sie nicht. Glücklicherweise schien Lind- say in diesem Augenblick mit etwas beschäftigt, was draußen in der Landschaft vor sich ging.

Diese Frage wird Dich wohl ziemlich uner­wartet treffen, schrieb Stephen,und es mag Dir komisch Vorkommen, daß ich sie stelle, ehe ich Dir sage, mit welcher Bestürzung und Be­sorgnis wir von Eurem Unfall gehört haben. Aber in Tat und Wahrheit geht mein Antrag vor, Liebste schon rein chronologisch, denn

ich wußte schon lauge vor dem Unfall, daß ich Dich zur Frau wollte. Ich wollte Dich schon am Abschiedsabend fragen ach, überhaupt schon an so manchem Abend vorher! Jetzt bin ich mir wegen dieser Unterlassung richtig böse. Aber Du hast immer wieder betont so rührend eindrücklich betont, Schatz, daß Du auf eigenen Füßen stehen willst und kannst, deshalb fürchtete ich, wenn ich vom Heiraten spräche. Du könntest dies nur als Mitleid und Besorgtheit um Deine Zukunft auffassen Hättest Du Dir und der Welt einma] bewiesen, daß Du Dich ganz unabhängig fort­bringen könntest, dann würdest Du eher ge­neigt sein, mich anzuhören. Auf jeden Fall wollte ich Dir die Möglichkeit geben, Dich ohne praktische Erwägung zu entscheiden

Aber wie sehr wünsche ich jetzt, ich hätte damals gesprochen! Beim Gedanken daran, daß Du einsam und krank daliegst, werde ich schier rasend. Ich versuchte, meine Mission rückgängig zu machen und die Erlaubnis zur sofortigen Heimkehr zu erwirken, sowie ich von Deiner Lage erfuhr (und die Nachricht von Lind erreichte uns leider auch mit einer Ver­spätung von vierzehn Tagen, weil Mutter und ich dauernd unterwegs waren und die Post in New York auf uns wartete), leider ohne Er­folg. Meine Firma lehnte es ab, statt meiner jemanden andern zu schicken, nachdem alles umständlich für meine Person arrangiert worden war. Von ihrem Standpunkt haben sie freilich recht. Aber das macht mir alles so viel schwieriger, weil ich nicht mündlich mit Dir redln kann

Und so bitte ich Dich, Liebste: versuch Dir vorzustellen, ich sage das alles so, wie ich es sagen würde, wenn ich jetzt vor Dir stünde und Dir in die Augen schaute. Ich möchte, daß Du meine Frau wirst habe es von Anfang wollen. Jetzt, wo Du krank bist, möchte ich das Recht haben, für Dich zu sorgen, darum hat es keinen Sinn, länger zu warten. Ich hoffe, was ich Dir früher geschrieben habe, wird Dich davon überzeugen, daß ich versuchte, Deinen Willen nach Unabhängigkeit zu respektieren und mich abwartend zu verhalten. Aber jetzt

muß sich jemand Deiner annehmen, und dieser Jemand darf niemand anderer sein als ich.

Mutter schreibt Dir ebenfalls und macht Dir den Vorschlag, nach Deiner Entlassung aus dem Spital in unser Häuschen zu Emma über­zusiedeln, und als Deine Familie zu betrachten und uns die Verantwortung für Dich in jeder, also auch in önanziellei Beziehung zu über­lassen. Sie wird diese Dinge viel taktvoller zu sagen wissen als ich. Von mir sollst Du nur wissen, daß ich Dich liebe und heiraten möchte.

Schreib mir, sobald Du kannst, Liebste oder telephoniere mir, wenn das vom Spital aus geht. Aber sage nicht nein, weil ich nicht weiß, was das bedeutet.

Innige Grüße an Dich aber für Lin (der Teufel hole ihn) keine guten Wünsche, bevor ich weiß, ob er an dem Unfall schuld ist oder nicht Dein Stephen

Mit großer Sorgfalt legte Thea den Brief wieder zusammen, als käme es darauf an, ihn genau wieder so zu falten, wie Stephen dies getan hatte. Dann steckte sie die Blätter wieder in den Umschlag, warf einen schnellen Blick auf Lin, um sicher zu sein, daß er auch weiter­hin von etwas anderem abgelenkt blieb, und zog dann Mrs. Dorleys Brief hervor. Dieser war viel kürzer, aber, wie der von Stephen, ging er geradezu aufs Ziel los.

Mein liebes Kind, schrieb Mrs. Dorley,die Nachricht von Eurem Unfall hat mich in große Angst und Sorge gestürzt, doch hoffe ich, daß dieser Brief Sie bereits als Rekonvaleszentin antrifft. Sie hätten bestimmt früher von uns gehört, wären wir nicht gerade unterwegs ge­wesen, als Lins Brief ankam: doch dies ist nun nicht mehr wichtig

Stephen hat mir angedeutet, in welchem Sinne er Ihnen schreibt, und so sollen Sie denn auch von meiner Seite wissen, daß ich mir nichts Lieberes denken kann, als Sie zur Schwiegertochter zu haben. Selbstverständlich will Ich Sie in keiner Weise beeinflussen, well diese Frage allein Sie und Stephen angeht. Doch würde ich mich von ganzem Herzen freuen, wenn Sie miteinander einig würden.

Was ich ausdrücklich hervorheben möchte, Ist, daß wir Sie schon ganz zu unserer Familie

zählen; sollte es zu Unstimmigkeiten zwischen Ihnen und Geraldine kommen oder sollten Sie aus anderen Gründen keine Lust haben, zu ihr zurückzukehren, so betrachten Sie bitte unser Heim als das Ihre und richten Sie sich bei uns ein, sobald man Sie aus dem Spital entläßt. Ich schreibe gleichzeitig an Emma und bereite sie auf Ihr Kommen vor. Ferner gebe ich ihr die Anweisung, Ihnen von dem Geld­betrag, den ich ihr zurückgelassen habe, zur Verfügung zu stellen, was Sie davon brauchen. Bitte verzeihen Sie meine Offenheit in dieser Geldfrage, doch ich würde mir Gewissensbisse machen, wenn Sie bloß aus falscher Zurück­haltung unsererseits in Not und Bedrängnis gerieten.

Machen Sie sich es also gemütlich bei uns, liebes Kind, ob Sie nun Stephens Werbung an­nehmen oder nicht: ich hoffe, wir werden früher als vorausgesehen zurück sein und Ihnen die Genesungszeit angenehm zu machen suchen. Werden Sie bald gesund und grüßen Sie mir Lin. Ich schreibe ihm ein andermal

Mit herzlichsten Grüßen. Ihre

Jeanette Dorley.

lachdem sie den Brief gelesen, starrte sie h lange darauf nieder, als enthielte er ner noch etwas, das ihre Aufmerksamkeit selte. Von einer Minute zur anderen ver- ob sie die Rückkehr zur Gemeinschaft mit i, der ein Recht hatte, wenigstens andeu- gsweise zu erfahren, was die Briefe ent" lten. Was sollte sie ihm aber sagen? wie 1 sollte sie vor ihm geheimhalten? Wenn re Schwester ihm schrieb, ehe sie noch von Heirat erfahren, und dabei auf Stephens rzensangelegenheiten zu sprechen käme, ter normalen Umständen würde sie zwar Reicht nichts davon verlauten lassen, doen sie Thea so dringend eingeladen hatte, rde sie ihm wohl den Grund dieser Ein­ung genauer darlegen wollen Väre es indessen nicht viel besser und ver- lftiger, sie sagte ihm nichts und er " re vielleicht nie etwas von der tragiscnen nplikation? Denn tragisch mußte man sie inen, dies erkannte Thea letzt mit