Die rote Flut wälzt sich auf Hanoi
Die Kriegsgewinnler fürchten um ihre Beute / Billiges Land und teure Eßwaren
Steuerreform wird geändert
Fortsetzung /on Seite 1
reform von der Finanzreform und den 1. Juli 1954 als Termin für das rückwirkende Inkrafttreten der Steuerreform. Er bemängelte, daß die Steuerreform keine Wirkungen für eine Vereinfachung der Verwaltung haben könnte und sprach sich gegen die Ergänzungsabgabe und gegen die gemeinsame Veranlagung der Eheleute aus.
Die Debatte des Bundestages verlief in einer außerordentlich sachlichen Atmosphäre. Die Steuerexperten verzichteten auf jede Schärfe und pointierten durch Zitate oder Gleichnisse.
Dresbach (CDU) zitierte Bismarck und sagte zu dem Finanzminister gewandt, er hoffe, daß es dem Abgeordneten von Passau gefällig sei, wenn er zu seiner Unterstützung einen preußischen Junker zitiere. Seuffert (SPD) meinte: „Die Tatsache, daß eine Zahl aus dem Bundesfinanzministerium stammt, ist für sich allein noch kein Beweis dafür, daß diese Zahl falsch ist“. Dr. Wellhausen (FDP) konzidierte Schäf- fer, daß er „geradezu der Ressortminister für die Vereinfachung der Verwaltung sei.“ Professor Gülich (SPD) schließlich sagte: „Wenn sich in der Frage der Bundesfinanzverwaltung die Koalition wieder einmal uneinig ist, so wird die Opposition gerne einspringen.“
TEHERAN. Die optimistisch begonnenen Verhandlungen über die Wiederaufnahme der iranischen Ölproduktion haben sich vorläufig an der iranischen Forderung festgefahren, daß der Betrieb der Ölindustrie gemäß dem unwiderruflichen Verstaatlichungsgesetz in den Händen der iranischen Regierung liegen müsse. Am Donnerstag sind nach tagelangen fruchtlosen Verhandlungen über diesen Punkt auch die letzten maßgeblichen Vertreter der Verhandlungsdelegation wieder nach London zurückgeflogen.
Einer der iranischen Unterhändler, Noori Esfandiari, teilte mit, daß
SPD-Landesparleitag
REUTLINGEN. Auf dem Landesparteitag der SPD Baden-Württembergs am kommenden Wochenende in Reutlingen wird der erste SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer in einer öffentlichen Kundgebung am Samstagabend 18.30 Uhr in der Reutlinger Jahn-Tum- halle zu aktuellen außen- und innen- olitischen Problemen der Bundesrepu- lik Stellung nehmen. Vorher geben Landesparteivorsitzender E. S c h ö 11- 1 e und Geschäftsführer Max Denker die Jahresberichte. Dann wird der Vorsitzende der Stuttgarter Landtagsfraktion, Dr. h. c. Alex Möller, zur landespolitischen Situation sprechen.
Am Sonntagvormittag werden neben der Erörterung wirtschaftlicher Fragen durch Wirtschaftsminister Dr. Hermann Veit vom Bundestagsabgeordneten Fritz E r 1 e r, Tuttlingen, programmatische Erklärungen zum Thema „Sozialdemokratische Politik in unserer Zelt“ 1 erwartet.
HANOI. Näher und näher wälzt sich die rote Flut gegen Hanoi, die übervölkerte Kriegshauptstadt der französischen Unionstruppen in Nordindochina. Schon fürchtet man, daß die vier kommunistischen Elite-Divisionen, die Dien Bien Phu zerschlagen haben, noch vor dem Höhepunkt der Regenzeit Ende Juni Hanoi stürmen werden. Besonders die reichen vietnamesischen und chinesischen Kaufleute in der Stadt haben Angst, daß sie ihre fetten Kriegsgewinne wieder verlieren könnten. Sie versuchen, ihre Geschäfte, ihre Häuser, ihre Autos zu niedrigsten Preisen zu verkaufen. Sie wollen nach dem Süden fliehen, nach dem fröhlichen, eleganten Saigon, 1300 Luftkilometer entfernt — aber sie finden nicht leicht einen Käufer.
Ungefähr 600 000 Menschen leben gegenwärtig in Hanoi — das Dreifache der Einwohnerzahl von 1945. 40 000 davon sind Chinesen, die mit dem nationalchinesischen Führer T s c h i - angkaischek sympathisieren. Zehntausende von Flüchtlingen aus den weiten, von den Kommunisten besetzten Gebieten Nordindochinas haben die Stadt anschwellen lassen, daß sie beinahe aus den Nähten platzt.
Die meisten dieser Vietnamesen sind durch den drohenden Angriff auf
das Delta jedoch kaum beunruhigt. Es scheint ihnen gleichgültig zu sein, ob die Franzosen oder Ho Tschi-minhs Truppen die Stadt besetzt halten. Ihre Hauptsorge gilt der Reisernte in dem weiten Flußdelta. Wird sie gut ausfal- len? — dann würde ein Reisgericht nicht mehr so teuer sein.
Denn die Preise steigen fast von Tag zu Tag. Zum Teil deshalb, weil die Waren, die aus dem Hafen Hai- phong herankommen sollen, sich immer mehr verspäten, da die Viet- minh nachts die Straßen- und Eisenbahnverbindungen regelmäßig sprengen.
So offen die wohlhabenden vietnamesischen und chinesischen Händler auch ihre Angst zu erkennen geben, so zeigen die etwa 1000 französischen Zivilisten, die in Hanoi arbeiten, und die starke Garnison der französischen
PARIS. Unter den Schwerverwundeten, die aus den Trümmern der französischen Indochina-Festung Dien Bien Phu herausgeflogen werden, sind zahlreiche deutsche Angehörige der Fremdenlegion. Die von amtlichen französischen Stellen herausgegebenen Namenslisten zeigen, daß der Anteil der Deutschen an der Zahl der Verteidiger außerordentlich groß war.
Vom Hauptfeldwebel Heinz Pfuhl im ersten Fallschirmjäger-Bataillon der Fremdenlegion bis zu dem Rekruten Heinz Boden in der 13. Halbbrigade folgt fast ein deutscher Name auf den anderen. Die meisten Namen werden von den Franzosen allerdings in phonetischer Umschrift gegeben, so daß die genaue deutsche Schreibweise nicht zu ermitteln ist. Da außerdem alle persönlichen Mitteilungen fehlen, werden die Angehörigen in Deutschland wahrscheinlich noch einige Zeit darüber im Ungewissen bleiben, was mit ihren Söhnen und Brüdern geschehen ist.
Kleine Weltchronik
bereits lange vor Erreichen des amerikanischen Festlandes feststellen und an die amerikanischen Jagdfliegerhorste melden soll.
Nicaragua bricht mit Guatemala. Nicaragua hat die diplomatischen Beziehungen zu Guatemala abgebrochen und seinen Botschafter zurückgerufen. Für den Abbruch der diplomatischen Beziehungen sind bisher offiziell keine Gründe genannt worden.
Deutsch-Schweizerischer Reiseverkehr. Mit zwei Millionen Übernachtungen hat die Bundesrepublik im vergangenen Jahr den ersten Platz im ausländischen Reiseverkehr nach der Schweiz eingenommen. Der deutsche Anteil am Touristenverkehr in der Schweiz ist heute mit 25 Prozent doppelt so hoch wie vor dem Kriege.
Atomflugzeuge und Atomlokomotiven. Der erste Atommotor der Welt
Unionstruppen keinerlei Zeichen von Furcht.
Die Soldaten befinden sich in einem ständigen Alarmzustand und haben sich jede Furcht abgewöhnt. Jeder von ihnen weiß, daß in jedem Augenblick ein „Todesfreiwilliger" der Vietminh versuchen könnte, eine lebenswichtige Kraftstation, ein Reservoir, einen Bahnhof oder einTelef onamt in die Luft zu sprengen. Seit dem Fall von Dien Bien Phu sind die schwerbewaffneten nächtlichen Patrouillen der Franzosen und der Vietnamesen erheblich verstärkt worden. In jeder Nacht hallen die stillen Straßen von dem Lärm des Artillerie- oder Granatwerferfeuers wider, mit dem die französischen. Truppen — nur fünf bis acht Kilometer von der Stadt — die Angriffe von Vietminh-Kommandos auf die Verteidigungsstellungen Hanois abweh- ren.
Unter den Verwundeten sind, wie gestern am späten Abend bekannt wurde, noch folgende mit deutschen Namen: Joseph Blein, Günther Ganzen, Heinz Naß, Eimer Leitner, Walter Ho- lieck, Joseph Kaltner, Friedrich Loos, Dieter Castor, Joseph Zimmermann, Joseph Deinol, Waldemar Landner, Hans Romboy, Gerhard Gierle und Adolf Sommerfeld.
Marsch in die Bereitstellung
HANOI. Die von Dien Bien Phu in langen Kolonnen von „Molotow“- Lastwagen nach Osten ziehenden Vietminh-Streitkräfte sind südwestlich von Hanoi nur noch 80 km von der Front um das fruchtbare Delta des Roten Flusses entfernt. Die Marschstraßen liegen unter den pausenlosen Angriffen französischer Bomber und Jäger, östlich von Tuan Giao gelang es den französischen Fliegern, die Straße zu unterbrechen.
Unterdessen geht die Evakuierung der Verwundeten aus der gefallenen Testung Dien Bien Phu weiter. In Hanoi wurden am Donnerstag 120 Verwundete erwartet. Vier Hubschrauber und fünf kleine einmotorige Maschinen unterhalten einen Pendeldienst zwischen Dien Bien Phu und Luang Prabang, von wo die Verwundeten in Transportmaschinen nach Hanoi weiterfliegen.
Labourfehde beigelegt
LONDON. Die Morrison - Bevan - Fehde in der Labour-Party, die kürzlich durch einen heftigen Presseangriff Morrisons auf den „Rebellen“ ausgelöst worden war, endete mit einem allgemeinen Burgfrieden. Der Parteivorsitzende A111 e e stellte' auf einer Sitzung der Parlamentsfraktion fest, daß der alte Grundsatz weiterhin gültig ist, wonach sich die Labour- abgeordneten im Unterhaus, in der Presse oder bei anderen öffentlichen Gelegenheiten aller persönlichen Angriffe gegeneinander zu enthalten haben.
wirtschaftlichen Integration und der Entwicklung des Absatzes von Kohle und Stahl dient.
Der Entschließungsentwurf betont ferner den offenen Charakter der Gemeinschaft. Neben der bereits eingeleiteten Assoziierung Großbritannien» hält es die Versammlung für erwünscht, auch die Beziehungen mit den anderen europäischen Ländern, insbesondere mit Österreich.
Im Zusammenhang mit der Entwicklung des gemeinsamen Marktes im abgelaufenen Jahr wird auf die Notwendigkeit weiterer Preissenkungen hingewiesen, um die Konkurrenzfähigkeit der weiterverarbeitenden Industrie zu stärken. Die Hohe Behörde wird gebeten, in Zusammenarbeit mit den Regierungen für eine rasche Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitskräfte zu sorgen. Außerdem wird ihr nahegelegt, bei den Investitionen für den Arbeiterwohnungsbau auch die Stahlarbeiter zu berücksichtigen.
Bischof von Aachen f
AACHEN. Der Oberhirte der Diözes« Aachen, Bischof Dr. Johannes Josef vander Velden, ist am Mittwochabend gegen 20 Uhr auf einer Visitationsreise in Krefeld einem Herzschlag erlegen.
Bischof Johannes Josef van der Velden, der im 63. Lebensjahr stand, wurde in Ubach (Bezirk Aachen) als Sohn eines Zollinspektors geboren.
Oelverhandlungen abgebrochen
Teheran besteht auf Verstaatlichung / Nur schwache Hoffnungen
die Delegation der Gesellschaften in zwei bis drei Wochen zur Fortsetzung der Verhandlungen zurückerwartet werde. Er betonte, daß die Bestimmungen des Verstaatlichungsgesetzes unbedingt respektiert werden müßten und dies bisher von den Gesellschaften nicht berücksichtigt worden sei. „Die Meinungsverschiedenheiten sind jedoch nicht so groß, daß wir die Hoffnung aufgegeben hätten.“ Die iranischen Zeitungen sprachen in den letzten Tagen schon von einem Zusammenbruch der Verhandlungen.
750 000 fehlen täglich. Jeden Tag bleiben 750 000 Menschen in der Bundesrepublik wegen Krankheit ihrer Arbeit fern, haben Untersuchungen der Ortskrankenkassenverbände ergeben.
Guderian beigesetzt. Der am vergangenen Freitag in SchwangauAAllgäu im Alter von 65 Jahren verstorbene ehemalige Generaloberst Heinz Guderian ist am Donnerstag mit militärischen Ehren auf dem Friedhof in Goslar beigesetzt worden.
Alte und neue Wracks. Ein dänischer Schrottfischer aus Nordjütland, der in letzter Zeit vor allem Wrackteile eines gesunkenen deutschen Truppentransporters im Skagerrak geborgen hat, fand dieser Tage in der gleichen Gegend das Wrack eines bewaffneten Handelsschiffes, das vor etwa 200 Jahren gesunken ist.
Neuer Luftwarndienst in den USA. Die amerikanischen Luftstreitkräfte haben die Aufstellung eines neuen Luftwarndienstes bekanntgegeben, der feindliche Flugzeuge auf dem Anflug
Europäischer Markt ohne Verzögerung
Entschließung der Montanunion / „Preissenkungen notwendig“
STRASSBURG. In Straßburg ist die gemeinsame Versammlung der Montanunion zu einer Aussprache über ihre Entschließung zum Bericht der Hohen Behörde zusammengekommen. In der Entschließung werden die Regierungen der Mitgliedstaaten aufgefordert, ohne weitere Verzögerung eine Politik zu treiben und zu koordinieren, die der
für den Flugzeugantrieb befinde sich in Produktion oder sei wenigstens herstellungsreif, hat die amerikanische Zeitung „Detroit News“ erklärt. Das Blatt glaubt ferner zu wissen, daß auch eine Atom-Lokomotive produktionsreif sei.
Gedenkfeiern in Monte Cassino. Ehemalige Frontkämpfer von beiden Seiten, unter ihnen 70 Deutsche, nahmen in Cassino an der Gedenkfeier zum zehnten Jahrestag der Schlacht um Monte Cassino teil.
Bonn immer beliebter. Bonns Anziehungskraft auf den Fremdenverkehr hat sich seit 1949, als die rheinische Universitätsstadt vorläufige Bundeshauptstadt wurde, mehr als verdoppelt und auch den Vorkriegsstand weit überschritten.
Posttarifentscheidung am 31. Mai. Der Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost wird am 31. Mai in Frankfurt über die von der Bundespost beantragte Gebührenerhöhung entscheiden.
Fast nur Deutsche
Der Hölle von Dien Bien Phu entronnen / Namen auf französisch
ROMAN VON MARY BVRCHELL
Copyright by Dr. Paul Herzog, Tübingen — Durch Verlagv. Graberg & Görg, Wiesbaden. Berechtigte Übertragung: H. Passow-Kemen
(26. Fortsetzung)
Nun würde er heimkehren und sie als verheiratete Frau wiederfinden. Aengstliche Beklommenheit erfaßte sie bei dieser Vorstellung, doch sie kämpfte sich durch diese hindurch und zwang sich zur Ruhe. Denn bei ruhiger Ueber- legung fand sie, daß sie kein Recht hatte, zu hoffen, die Freundschaft mit Stephen würde je etwas anderes als Freundschaft.
Ueberraschenderweise fand sie sich am anderen Morgen im Zentrum des allgemeinen Interesses im Spital. Ihre Schwester hatte nicht unterlassen, die Geschichte dieser unglaublichen Verlobung weiterzuverbreiten und auf ihre romantische Art auszuschmücken. Mehrere ihr unbekannte Schwestern steckten den Kopf zu ihr hinein, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, ihr Glück zu wünschen und Sich zu vergewissern, daß sie tatsächlich vom Spital aus ihre Hochzeit zu halten gedenke.
„Nun, ganz bestimmt weiß ich noch nicht, weil wir bisher nicht darüber gesprochen haben“, gab Thea Auskunft. „Aber wenn ich hier bleibe, bis ich wieder herumgehen kann, wird die Hochzeit wohl vom Spital aus abgehalten.“ Jedermann hielt dies für einen so prächtigen Einfall, daß Thea es nicht übers Herz bringen konnte, sie schon jetzt zu enttäuschen. Und als Lindsay am späten Nach- mütag kam, fragte sie ihn sogleich voller Eifer „Könnte ich nicht von hier aus heiraten?“
Er lachte und neckte sie: „Schau, schau, dir scheint die Sache schon sehr am Herzen zu liegen! Ja glaubst du wirklich, daß du das
möchte^'’“
„Warum nicht? Etwas Besseres und Passenderes fällt mir einfach nicht ein. Es ist doch so, daß man eine gewisse Zeit am selben Ort gewohnt haben muß, bevor man von da aus heiraten darf. Und mir scheint, ich war jetzt lange genug im Spital, um diese Bedingung zu erfüllen. Auch wüßte ich nicht, wo Ich in der Zwischenzeit zwischen meiner Entlassung und der Hochzeit bleiben sollte, oder was meinst du?“
„Damit hast du allerdings recht“, gab er zu. „Ueberdies verhülfe uns eine ,Spitalhochzeit‘ zu einer gewissen Publizität.“
„Zu einer was?“
„Publizität.“
„Brauchen wir uns darum zu kümmern?“
„Jedenfalls könnte es nichts schaden, besonders wenn man bedenkt, daß Geraldine ohnehin dafür sorgen wird, daß man über uns spricht Und weil man über mich bisher nicht allzuviel Gutes verbreitet hat — das muß ich zu meiner Schande gestehen —, wäre es mir gar nicht unlieb, wenn von meiner Hochzeit gehörig Aufhebens gemacht würde. Das gäbe mir wieder ein höchst wohlanständiges Ansehen.“
„Ach so.“
Er lächelte, vielleicht über Ihre kindlich ernsthafte Miene, und setzte sich zu ihr auf den Bettrand, was gegen die Spitalregeln verstieß, aber das Plaudern netter und traulicher machte.
„Magst du nicht sehen, was ich dir mitgebracht habe?“
„Oh! Hast du den Ring?“ Auf einmal war sie viel aufgeregter, als sie erwartet hätte. Ihre freudige Ungeduld schien ihn zu belustigen, sogar zu rühren. „Freilich, deinen Ring.“ Er zog ein Etui aus der Tasche und machte es ihr auf, da sie mit nur einer Hand immer noch schlecht zurecht kam.
„Oh Lin!“ rief sie überrascht und entzückt. „Ist sie — ist sie echt?“ Und sie betrachtete mit ehrfürchtigem Staunen die Perle mit dem rosigen Hauch. Er konnte sich vor Lachen kaum beruhigen. „Ja, hast du denn geglaubt, ich schenke dir eine künstliche Perle, Herzchen?“
„Nein, aber —. Ach Lin, ich habe noch nie so etwas Wunderbares gesehen. Wie bist du darauf gekommen? Wieso hast du gerade die rosige gewählt? Irgendwie ist sie so — so märchenhaft.“
„Ja? Es ist genau dieselbe Farbe wie hier auf deinen Wänglein.“ Und er fuhr ihr sachte mit dem Finger darüber. „Wahrscheinlich habe ich sie deshalb sofort haben wollen.“ Damit nahm er den Ring von seiner samtigen Unterlage und streifte ihr ihn über den Ringfinger. „So — jetzt ist eT dir noch eine Spur zu groß, aber deine Finger sind auch ein bißchen abgemagert, mein Armes.“
„Er macht sich prächtig, Lin. Ich kann es kaum glauben, daß er mir gehören soll.“ Sie streckte die Hand aus und betrachtete sie wohlgefällig. „Aber du Schlimmer hast doch nicht auf mich gehört, was ich dir gesagt habe, daß du nur etwas ganz Einfaches nehmen sollst. Nachher, wenn das ganze Spiel vorüber ist, dann — dann kannst du ihn zwar wieder haben und ..."
„Hör auf, so dumm zu reden“, entfuhr es ihm in schärferem Ton, als sie von ihm gewöhnt war. „Der Ring ist doch keine Leihgabe. Er gehört dir. Ich will, daß du ihn behältst.“
„Verzeih“, sagte sie demütig. Und dann: „Vielen, vielen Dank, Lin.“
Er mußte seinen scharfen Ton von vorhin bereuen, denn er umarmte sie jetzt heftig und küßte sie. „Nicht traurig sein. Ich will dich nie mehr so anfahren. Aber den Ring behältst du, gelt?“
„Wenn du wirklich willst — ja, furchtbar gern. Ich bin ganz verliebt in ihn.“ Sie küßte ihn scheu auf die Wange, und er schaute sie daraufhin mit einem halb amüsierten, halb verwirrten Blick an, den sie sich nicht recht erklären konnte.
Er selbst konnte diesmal nicht lange bleiben, doch der Ring erregte nachher im Spital beträchtliches Aufsehen, und die vielen Gratulationen hielten Theas .bräutliche' Gefühle so rege, daß sie sich mit der Zeit an den Gedanken gewöhnte, mit Lindsay verlobt
zu sein. Die ganze nächste Woche trafen regelmäßig Blumen und Früchte für sie ein, was die Schwester mit Genugtuung jedesmal vermerkte. Lindsay hatte zwar nicht Zeit, sie öfter als zwei- bis dreimal in der Woche zu besuchen, doch seine liebende Fürsorge tat sich immer wieder kund.
Die Trauung fand nicht in der Spitalkapelle, sondern in der nahen kleinen Dorfkirche statt. Und Thea kam es vor, als entspreche es irgendwie der Seltsamkeit des Ganzen, daß sie in einer Kirche getraut wurde, die sie nie im Leben gesehen hatte. Allein es war eine reizende kleine Kirche, wie gemacht für eine Hochzeit. Die Sonne flutete durch die klaren Glasfenster von hoch oben herab und sickerte durch die bunten Scheiben auf Schulterhöhe, so daß vielfarbige Lichtkringel auf die Eintretenden vielen. Mehrere Schwestern hatten schon am Vorabend der Hochzeit Erlaubnis zum Ausschmücken des Raumes erhalten, und als Thea jetzt langsam den Mittelgang entlangschritt, schien ihr alles voll von nickenden Blumen und lächelnden Gesichtern unter weißen Häubchen. Wirklich, es war rührend von ihnen, so an ihrem Glück Anteil zu nehmen, das ihr arbeitsreiches Dasein mit Romantik verklärte. Kaum beachtete sie di® wenigen Leute ohne Schwesterntracht. Vermutlich waren darunter ein paar Londoner Bekannte Lindsays, dazwischen hie und da ein Zeitungsmann. Niemand, den sie kannte.
Aber dann merkte sie plötzlich, daß jemand da war, den sie kannte — Geraldine. Als auffällige Gestalt, in Laubgrün, um die Schultern eine Nerzboa, stand sie in der vordersten Bankreihe. Sie dort zu entdecken, war verbunden mit einem so unwillkürlichen, peinigenden Angstgefühl, daß für einen Moment ihr Lächeln verschwand, ihre Augen schwarzer wurden und sich weit aufrissen und daJ widersinnige Verlangen sie überfiel, davonzurennen von dieser phantastischen Szene, zu der sie sich hingelockt vorkam wie zu einer Falle.
(Fortsetzung folgt)
ONKO-KAFF
aus Bremen