BERICHTE AUS DEUTSCHLAND
Das deutsche Dorf in Gegenwart und Zukunft
Die Dorfgemeinschaft / Frühjahrstagung der Agrarsozialen Gesellschaft (ASG)
BAD HERSFELD. Die ASG ist ein Kind der großen Notzeit der ersten Nachkriegsjahre. Die Aufgaben, die sie gich stellte, und um deren Lösung sie ringt, sind ersichtlich u. a. aus den Hauptthemen ihrer Arbeitstagungen, z. B. 1951 in Altenberg/Rheinland über Industriegesellschaft und Landvolk" und 1953 in Würzburg „Die Landfamilie". .. .
In den Mittelpunkt der diesjährigen Tagungsarbeit wurde der Gegenstand gestellt: „Das gesellschaftliche Gefüge des deutschen Dorfes als ein Ganzes und im größeren Ganzen“ — mit dem Ziele die hierbei neu gewonnenen oder alten, hier wiedergewonnenen Erkenntnisse für die dorfgenossenschaftliche Arbeit und für die Verwaltungspraxis nutzbar zu machen. Für die auf diesen Gegenstand anzuwendende Dreifalt der Betrachtung: Rüdeblick, Gegenwartsschau und Ausblick, war symbolisch die Wahl des Tagungsorts: Bad Hersfeld im Nordosten von Hessen, eine größere Landstadt mit reicher Geschichte und gesundem Wirtschaftsund Gemeinschaftsleben, Hauptort eines Zonengrenzkreises, also vom östlichen Nachbargebiet Eisenach-Vacha- Meiningen (Thüringen) durch Stacheldrahtzaun und Vopo-Wachen abge- schriitten. Die besonderen Nöte des Grenzkreises und seiner bäuerlichen, kleinbäuerlichen und Arbeitergemeinden wurden den Tagungsteilnehmern am Schluß der Tagung durch eine gut gestaltete Besichtigungsfahrt unmittelbar vor Augen geführt.
Mit Genugtuung konnten die Veranstalter feststellen, daß in der deutschen Agrarpolitik das Soziale beginnt, ein Kernpunkt zu werden und neben der. Erzeugungs- und Marktpolitik endlich seinen gebührenden Platz zu er
halten. Dafür bürgt das neue agrarsoziale Bundesprogramm und an der Tagung teilnehmende Schöpfer desselben, der erfahrene Agrar- und Sozialpolitiker Dr. h. c. H. Lübke; er ist seit Herbst 1953 Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
In seinem Referat „Möglichkeiten und Grenzen der staatlichen Landwirtschaftsförderung“ betonte Herr Lübke, daß Staatshilfe nur erfolgreich sein kann und darum auch nur gewährt werden soll, wenn sie durch tatkräftige Selbsthilfe des Bauernstandes unterbaut und gestützt wird, so etwa in der gleichmäßigen Belieferung der Märkte, oder auch in der Rationalisierung des Molkereiwesens, die in einigen Nachbarländern viel weiter gediehen ist als bei uns. — Das gleiche gilt für die Aufgaben der Strukturänderung im ländlichen Raume, die durch das erwähnte Bundesprogramm von 1954 an unter Verwendung von erheblichen Bundesmitteln gefördert werden sollen: Zusammenlegung, die als Vorbedingung für rationelle Feldarbeit fast auf der Hälfte der Feldflächen des Bundesgebiets, nämlich auf etwa 6 Millionen Hektar in wenigen Jahren durchgeführt werden sollte — Verbesserung der Hofverhältnisse (baulich und räumlich) — und die sogenannte Aufstockung der kleinbäuerlichen Betriebe, also Vergrößerung ihrer Betriebsfläche (das hierfür nötige Land wird nach und nach, wie die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, auf dem Grundstücksmarkt durch freiwilligen Verkauf von Nutzland — meist aus Betrieben zwischen */> bis 3 oder 4 ha — anfallen).
Diese-.großen Aufgaben, die mit dazu beitragen sollen, die bäuerliche Landwirtschaft und damit das Bauerntum lebensstark und widerstandsfähig zu
Kronprinz Rupprechts 85. Geburtstag
Festwoche und Huldigungen in München und Leutstetten
MÜNCHEN. Mit Feldmessen, Festgot- wunderswerter körperlicher und geisti- tesdiensten, Staatsempfang, Festspiel, ger Frische feiern.
Fackelzug und Volksbelustigung wird Rupprecht, Generalfeldmarschall des seit zehn Tagen der 85. Geburtstag des ersten Weltkrieges, Ehrendoktor der
Universitäten Berlin und Erlangen, Vater von sieben Kindern — wurde am 18. Mai 1868 als Sohn des späteren Königs Ludwig III. und der Königin Marie Therese, Erzherzogin von Österreich- Este, in Schloß Nymphenburg geboren, wo er auch jetzt wieder im Winter seinen Wohnsitz hat. Er studierte in Berlin und München Rechts-, Staats- und Naturwissenschaften, besuchte von 1892 bis 1895 die Kriegsakademie und übernahm 1914 die Führung der sechsten Armee, später die Heeresgruppe „Kronprinz von Bayern“.
Im November 1918 verließ König Ludwig sein Land, als Kurt Eisner in München die Revolution ausrief und das Haus Wittelsbach für abgesetzt erklärte. Ludwig lehnte es jedoch ab, auf den Thron zu verzichten. Der Kronprinz legte von Brüssel aus Verwahrung gegen den Umsturz ein, da er von einer Minderheit und ohne Zustimmung des Parlaments durchgeführt worden sei. Als sein Vater 1921 starb, erklärte Rupprecht ausdrücklich, er sei in dessen Rechte eingetreten. „Ich bin der Ansicht, daß nur die Rückkehr zu der geschichtlich gewordenen Staatsform, nämlich der demokratischen Monarchie, unserem Volk den Weg nach oben ebnen kann“, stellte Rupprecht 1952 in seiner letzten Presseerklärung fest. „Ein bayerisches Königreich hätte in einem echten deutschen Bundesstaat durchaus seinen Platz.“
Als der Kronprinz im Vorjahr seinen 84. Geburtstag feierte, huldigten ihm über zehntausend Königstreue aus allen Teilen Bayerns.
Im Rahmen der Geburtstagsfeiern für den 85jährigen Kronprinzen Rupprecht von Bayern fand durch den Geburtstagsjubilar eine Grundsteinlegung zum Bubertusbrunnen am Nympheriburger Kanal statt.
Kronprinzen Rupprecht von Bayern gefeiert. Der Chef des Hauses Wittelsbach, Deutschlands letzter und der Welt ältester Thronprätendent, kann heute, am 18. Mai, seinen Ehrentag in be
machen, können nur bewältigt werden, wenn unsere Bauern tatkräftig zum Gelingen beitragen, nicht nur durch Einsatz von Arbeit und Geld, sondern vor allem auch dadurch, daß sie mithelfen, die einzelnen Vorhaben zu durchdenken und mitzugestalten. Darum ist die Hebung der Allgemeinbildung auf dem Lande ein besonders vordringliches Anliegen.
Professor Martini, Stuttgart, zeigte in seinem Vortrage, daß die Beschäftigung mit dem bäuerlichen Menschen das deutsche Schrifttum sehr bereichert hat, vor allem durch Mitwirkung von Dichtern und Denkern bäuerlicher Herkunft oder landverbundener Berufsarbeit (Justus Möser, E. M. Arndt, Immermann, Jeremias Gotthelf u. a.) und uns wertvolle Beispiele nicht nur des „Guten Alten“, sondern auch des „zeitlos Notwendigen“ geschaffen hat.
Aus dem Referat Dr. Lindes, „Die wirtschaftlich - politische Gestalt des deutschen Dorfes“, dem Kurzreferat des Vorsitzenden, Diplom-Landwirt Stauß und vielen Diskussionsbeiträgen ging hervor, daß sich auf dem Dorfe trotz aller über unser Volk hinweggegangenen Erschütterungen und Wandlungen doch die alten nachbarschaftlichen und arbeitsgemeinschaftlichen Verbände und Beziehungen großenteils erhalten haben (vielfach in veränderter, den neuen Bedingungen angepaßter Gestalt) und daß es vor allem gilt, diese Gemeinschaften zu erhalten und zu pflegen.
Professor K. V. Müller belegte die seit langem vermutete Unterlegenheit des Landvolkes und seines Nachwuchses an Führungskräften durch neue Forschungsergebnisse; daran knüpften mehrere Teilnehmer, vor allem Bauernvertreter, die Forderung, dem Dorfe tüchtige, beruflich erfahrene und vielseitig ausgebildete Landwirte (auch Diplom- Landwirte) zuzuführen als Leiter von Beispielswirtschaften, als ständige Berater usw.
Ein voller Halbtag wurde dem Genossenschaftswesen als einem Kern des ländlichen Gemeinschaftslebens gewidmet. Nach dem Hauptreferat von Professor Draheim kamen die Vertreter des Genossenschaftswesens und des Landhandels ausgiebig zu Wort. Ergebnisse in Kürze: wirtschaftlich sind beide Formen der ländlichen Warenvermittlung etwa gleich leistungsfähig, haben daher in ständigem Wettbewerb ziemlich gleich hohe Anteile am Warenumsatz. Die Ge
nossenschaft erfüllt aber darüber hinaus in der Betreuung abgelegener Gemeinden oder kleinbäuerlicher Gruppen, — allgemein auch durch die Förderung der dörflichen Gemeinschaft und des Willens und der Fähigkeit zur Selbsthilfe wertvolle Dienste, vor allem wenn der Zusammenschluß sich auf eine Dorfschaft oder auf eine kleinere Gruppe von Dörfern beschränkt, also den persönlichen Zusammenhalt wahrt. — Professor Abel teilte interessante Ergebnisse einer Erhebung über die Geschäftsbeziehungen der Bauern teils zu den Genossenschaften, teils zum Landhandel mit.
Am dritten Verhandlungstage folgten die Berichte aus der praktischen Tätigkeit der Arbeitskreise der ASG mit dem Ziele: Auswe-li>"g soziologischer Erkenntnisse in der Praxis. Berichtet wurde vor allem über die Arbeitsergebnisse auf den Gebieten der Siedlung, der Landarbeitsverfassung, der Familienausgleichskassen für das Landvolk und über die Arbeit des Arbeitskreises Hersfeld.
Das letzte Hauptreferat brachte einen aufschlußreichen Einblick in die agrarsoziale Arbeit in Holland, durch den Vortrag des Ministerialrats J. A. Bak- ker im holländischen Ministerium für soziale Planung und gesellschaftliche Zusammenarbeit (Herr B. ist zugleich Pfarrer der reformierten Kirche, die sich diesen Aufgaben ebenfalls stark widmet). Das tiefschürfende Referat zeigte, daß man in Holland diese Aufgaben wohl noch besser und zeitiger erkannt hat als bei uns, und daß diese Aufgaben in beiden Ländern weithin die gleichen sind, wenn auch die Gründe für die aufgetretenen Schwierigkeiten und Nöte oft grundverschieden sind.
Staatssekretär Franken, Wiesbaden, schloß die Tagung mit Dank für die Redner und Teilnehmer ab.
Dr. Stockmann
Fußgänger dürfen mehr trinken
AACHEN. Das Aachener Verkehrsschöffengericht hielt einen Kraftfahrer der fahrlässigen Tötung für schuldig, obwohl er mit 1,27 Promille Alkohol im Blut weniger getrunken hatte, als der von ihm überfahrene Fußgänger mit 1,71 Promille. Das Gericht war der Ansicht, daß der Kraftfahrer infolge des Alkoholgenusses zu spät und nicht richtig reagiert habe, als der angetrunkene Fußgänger in seiner Fahrbahn auftauchte. Es verurteilte den Kraftfahrer zu drei Monaten Gefängnis und entzog ihm den Führerschein für ein Jahr. Der medizinische Sachverständige hatte erklärt, ein Fußgänger sei erst bei zwei Promille Alkohol-Konzentration völlig verkehrsuntüchtig.
Erforschung des Schmetterlingsfluges
Fangprämien für markierte Kohlweißlinge
Bewölkung). Mit der Erforschung vor Schmetterlingswanderungen befassen sich Arbeitsgemeinschaften in mehrerer europäischen Ländern. Der Bonner Versuch erfolgt erstmals in Zusammenarbeit mit Pflanzenschutzforschungsstellen.
BONN. Mehrere tausend auffallend bunt markierte Kohlweißlinge will die Entomologische Forschungsanstalt des Museums Alexander König in Bonn in etwa 14 Tagen fliegen lassen, um zu neuen Erkenntnissen über die Schmetterlingswanderungen zu kommen. Die genauen „Starts“ der Kohlweißlinge, die im vorigen Jahr als Puppen von Dänemark nach Bonn gebracht wurden, werden noch bekanntgegeben. Für jeden eingeschickten markierten Falter wird außer der Erstattung der Postgebühr eine Fangprämie gezahlt. Aber auch Meldungen über beobachtete und nicht gefangene Falter sind erwünscht, Die Bevölkerung wird gebeten, gefangene Falter durch Druck zu töten, zwischen Papier gepreßt sofort abzusenden und folgende Angaben zu machen: 1. über Ort und Tag, an dem der markierte Kohlweißling beobachtet oder gefangen wurde, 2 über die Flugrichtung des Falters, soweit sie feststellbar ist, und 3. über die Wetterverhältnisse am Beobachtungstag (Temperatur, Windrichtung und -stärke und
Amerikaner flog Bürgermeister
RAMSTEIN. Zum Abschluß der Woche der deutsch-amerikanischen Freundschaft flog der amerikanische Kommandant des Flugplatzes Harnstein, Kreis Kaiserslautern, Oberst James W. Ben- nett, fünfzehn westpfälzische Bürgermeister eine Stunde lang mit einem zweimotorigen Transportflugzeug in eintausend Meter Höhe über die Westpfalz.
Zuvor hatte Oberst Benett erklärt, es sei sein und seiner Soldaten Wunsch, den Weg zu besseren Beziehungen und zur echten Freundschaft mit der deutschen Bevölkerung zu ebnen. Diese Freundschaft solle nicht erkauft, sondern durch gegenseitige Achtung erreicht werden.
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Während bisher vorwiegend Bronze für den Glockenguß verwendet wurde, werden neuerdings immer mehr Gußstahlglocken hergestellt, die wesentlich billiger zu stehen kommen. Um Interessenten ein vollendetes Klangbild der Gußstahlglocken zu vermitteln, stellte das Gußstahlwerk „Bo- chumer Verein“ ein Glockenspiel mit 39 Gußstahlglocken her. Bild: Keystone
Die Wormser Giftmörderin Christa Lehmann wurde in die Psychiatrische Klinik der Hessischen Universität Marburg eingewiesen. Sie wird dort sechs Wochen lang auf ihren Geisteszustand untersucht werden.
Ein Münchener Ingenieur ist m.t 380 000 DM ins Ausland geflohen, nachdem er zuvor mit Hilfe einer Zürcher Handelsgesellschaft weitere 450 000 DM ins Ausland verschoben hatte.
Der 28jährige Weltmeister im Einer- Kajak-Slalom Walter Kirschbaum, ist wegen fahrlässiger Tötung zu acht Monaten Gefängnis und Entzug des Führerscheins auf vier Jahre verurteilt worden.
Im 130-km-Tempo raste auf der Autobahn Mannheim-Darmstadt ein Mercedes gegen einen Volkswagen. Das Ergebnis war ein Toter und ein Schwerverletzter im gerammten Fahrzeug.
Der Inhaber de r Poststelle in dem Eifelort Eisenschmitt war nicht wenig erstaunt, als sich ein junges Reh in den Postraum flüchtete. Das Tier wurde von einem wildernden Hund verfolgt und suchte Zuflucht bei der Post.
In tausend Scherben zersprangen die drei Meter hohen Spiegelglastüren des Bundeshauses, als ein britischer Beamter mit dem Kopf dagegen stieß. So kam es, daß dieser nicht seine deutschen Freunde im Bundeshaus, sondern diese ihn im Krankenhau» besuchen kennten.
Im Zeichen der Gleichberechtigung von Mann und Frau werden künftig auch Frauen täglich fünf Zigarren oder neunzehn Zigaretten im kleinen Grenzverkehr zollfrei über die Schweizer Grenze bringen dürfen.
Die Lieblingslektüre der Jugend . Groschenromane
Im Rahmen einer Untersuchung, was Schüler zwischen 10 und 20 Jahren heute lesen, ging das Institut für Psychologie der Universität Marburg auch der Frage nach, in welchen Mengen die Jugend ausgesprochene Schundliteratur, die sog. „Groschenhefte“ oder »Schmöker“, verschlingt. Es ist merkwürdig, daß die Forschung, obgleich aus erzieherischen Gründen den Problemen des Lieblingsbuches, der literarischen Interessen und der Ideale der Jugend immer wieder ihre Aufmerksamkeit gewidmet hat, niemals genauer festzustellen versucht hat, in welchem Umfang jene blutrünstigen Wildwest-, Gangster- und Detektivge- serlichten gelesen werden. Vor 30 Jah- ren hat einmal ein Lehrer 3600 Schulaufsätze über das Lieblingsbuch Achtes Achtzehnjähriger schreiben lassen, doch nur 15 von 100 Schülern gestan- ? en , damals ihre Vorliebe für jene unten Hefte. Daß das nicht stimmen • ’ lag aul der Hand und war uch jenem Lehrer klar. Schuld daran .d er wenig oder keinen Kon- ujA den Kindern hatte, die er den «ufsatz schreiben ließ.
ni*' esen Fehler suchte die Marburger t „Ifuchung unter der Leitung Gün- vL fre 'fags zu vermeiden. Freitag au , den 250 Schülern und Schüle- v en e , .£ höheren Lehranstalt durch t_,. me urjährige pädagogische Tätig- dnr„v, an dieser Schule, vor allem aber SHaf ? ame 'nsame Fahrten. Lager und liA„ü e ’ ein en £ e s kameradschaft- „ertrauensverhältnis hergestellt, sn» j. autdl uifht Aufsätze schreiben, üblief,”? ver tpilte - wie das heute so in t?, L St ~ Fragebogen, die zu Hause Alto ausgefüllt werden sollten dern ““ularbeiten wurden den Kin- liche„ Tase erlassen. Sämt-
RerVu j “ u ern wurde zudem das ihnTi . Anon ymität zugesichert und versprochen — ln den untersten
Klassen mit Ehrenwort! —, weder Lehrer noch Eltern würden die Angaben des Einzelnen erfahren, sie blieben geheim.
Vermutlich haben trotzdem nicht alle Jungen und Mädel die Wahrheit gesagt. Doch es kommt der Wirklichkeit sehr nahe, wenn 78, in manchen Klassen (Quarta) sogar annähernd 90 Prozent aller Jungen gestanden, sie hätten gerade Groschenhefte gelesen, und wenn einige Quartaner und Untertertianer sie sogar als ihre Lieblingsbücher bezeichneten. Als Grund ihrer Vorliebe nennen diese Zwölf- bis Vierzehnjährigen vor allem die Kürze der Hefte — „bei den dicken Schwarten muß man ja so lange dran sitzen“ schreibt einer —, dann die „nervenzerreißende Spannung", die grellen Umschlagbilder und lockenden Titel, die Handlichkeit — man kann sie knik- ken und in die Tasche stecken, hat sie stets zur Hand, auf dem Schulweg, in der Eisenbahn, im Bus, selbst in der Schule unter der Bank — und schließlich die Möglichkeit, sie für wenig Geld überall zu erstehen oder von den Kameraden zu leihen.
Die Hauptfragestellung der Untersuchung, deren Ergebnis soeben die ausgezeichnete neue Vierteljahresschrift „Psychologische Beiträge" veröffentlicht, lautet: „Welche Bücher und Hefte hast Du vom 1. September bis zum 8. Januar (also innerhalb der letzten vier, die Herbst- und Weihnachtsferien mit umfassenden Monate) gelesen“? Im Schuldurchschnitt nannten darauf die Jungen 12 Bücher, aber fast doppelt so viel, nämlich 21 bis 22 Schundhefte. Die Angabe von 60 bis 80 Heften war durchaus keine Seltenheit! Auch die Mädchen verschmähen die Hefte nicht. Fast ebenso viele Mädchen wie Jungen geben zu, daß sie sie lesen, aber offenbar doch nicht dutzendweise, sondern mehr gelegentlich.
Jedenfalls nennen sie für die vier Monate nur 2,3 Hefte, doch sechsmal soviel (13,3) Bücher, und nur zwei Unter- tertianerinnen gaben zehn oder mehr Hefte an.
Von den einzelnen Heftgruppen stehen begreiflicherweise die Wildwestgeschichten weitaus an der Spitze. Im ganzen nannten die Jungen über 40 verschiedene Serien von Wildwest- und Kriminalerzählungen. Den Vogel schießt „Bill Jenkins“ mit 841 Nennungen ab, gefolgt von „Tom Prox" mit 587, „Pete“ mit 306 und „Tom und Fred“ mit 164 Nennungen. Als längst nicht so harmlos wie die Wildwestabenteuer bezeichnet Freitag die meist raffinierter geschriebenen Detektivgeschichten, die häufig sogar auch in der Oberstufe angegeben werden. Hier heißen die beliebten „Helden“ „John Kling“ (84 mal) und „Tom Shark Frank Kenney“ (51 mal). Freitag wirft all diesen Machwerken weniger vor, daß sie zu kriminellen Taten anregten (solche Behauptungen ließen sich höchst selten naehweisen und würden überschätzt), als daß in ihnen eine Menschenverachtung zutage trete, wie sie sadistischer und skrupelloser nicht sein könne. „Die Menschen der Schundhefte sind Freiwild. Sie zur Strecke zu bringen, sind dem G-Mann alle Mittel recht“. Namentlich in unserem Zeitalter der KZ’s und der Massengräber erscheine diese Tendenz unheilvoll. Zeige einmal eine Serie eine ethische Tendenz in der Rettung von Menschen, der Achtung der Eingeborenen, der Vermeidung von Morden, so sei der Stil dafür um so miserabler. Die Häufigkeit der Lektüre von Liebesromanen liegt bei Jungen, auch bei den älteren, überall unter der von Wildwest- und Kriminalheften. Am meisten werden die Lore-Romane (165 mal) angegeben, die geradezu zu einem Gattungsbegriff geworden sind. Freitag hält sie für harmlos. Schwüle und sexuell anstößige Stellen habe er nicht finden können. Über die pornographi
sche Schmutzliteratur hatte er eigentlich keine Angaben erwartet. Auch sie wurde jedoch von zwei Primanern als ihre Lektüre angegeben.
Der Versuch, die Schundliteratur durch Hefte ähnlicher Aufmachung, mit gediegenerem oder doch ungefährlichem Inhalt zu verdrängen, scheint nach den Ergebnissen der Untersuchung bisher mißlungen. Nur ganz wenige Kinder lesen sie. Ein einziger Schüler zitiert kirchliche Heftreihen. Nur ein einziger eine Serie mit Erzählungen über das Schicksal bekannter Forscher und Erfinder (die Freitag selber lehrreich und nett, doch zum Einschlafen langweilig nennt). Auch keine der geschickteren Reihen bekannter Jugendautoren kam in der Marburger Erhebung über zehn Leser hinaus! Über die Gründe dieses Fehlschlags sagt Freitag: „Einerseits sind diese Hefte, wie nachträgliche Fragen ergaben, wenig bekannt und im öffentlichen Handel kaum angeboten. Andererseits aber hält ihre Spannung doch keinen Vergleich mit den nervenaufpeitschenden Raffinessen der Schundliteratur aus.“
Neue kleine Bücher
Die Piper-Bücherei (R. Piper-Verlag & Co., München) hat jetzt den Bildband: Edvard Munch, „Lebensfries“ (46 Graphiken) und „Träume und Visionen“, Auszüge aus Pauls Werken, zusammengestellt und mit einer Erläuterung versehen von Richard Benz, herausgegeben.
Von den unterhaltenden Kiwi-Taschenbüchern (Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln-Berlin) sind vier neue auf den Markt gekommen: Theodor Fontane, „Irrungen-Wirrungen“; Car- son McCullers, „Das Mädchen Frankie“; Georg von der Vring, „Spur im Hafen“, und Heinrich Böll, „Wo warst Du, Adam“.
Eine neue Jugend-Zeitschrift „W erk und Welt“ erscheint beim F. Dümmlers-Verlag in Bonn.
Clemens Krauß gestorben
Der Dirigent der Wiener Staatsoper, Clemens Krauß, ist am Sonntag völlig unerwartet in Mexiko City einem Herzleiden erlegen, der 61jährige hatte auf Einladung des mexikanischen Kultusministeriums in den letzten zwei Wochen vier Konzerte des dortigen Symphonieorchesters gegeben und fühlte sich am Sonntagmorgen bei seiner Rückkehr in sein Hotel nach einem von ihm geleiteten Konzert unwohl. Wenige Stunden später starb er in Gegenwart seiner Frau.
Clemens Krauß war einer der bekanntesten Dirigenten der Wiener Staatsoper und der Salzburger Festspiele. 1929 übernahm er die Leitung der Wiener Staatsoper. Daneben dirigierte er das philharmonische Orchester und gab Gastspiele im Ausland. Nach 1934 war er an der Berliner Staatsoper, Generalmusikdirektor der Münchner Staatsoper und Direktor des Mozartmuseums in Salzburg. 1947 übernahm er wieder die Wiener Oper als Dirigent. Krauß war ein enger Freund Richard Strauß’. An dem Libretto von dessen Oper „Capriccio“ ist er beteiligt. Den Tübingern ist er durch Gastspiele, den Wienern besonders durch seine alljährlichen Konzerte zu Ehren des Walzerkönigs Johann Strauß bekannt, zu denen die Eintrittskarten immer schon Wochen im voraus ausverkauft waren.
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Der Schriftsteller Norbert Jacques ist in Koblenz kurz vor Vollendung des 74. Lebensjahres gestorben. Jacques hat sich als Romancier und Verfasser von Reisebüchern einen Namen gemacht