DIENSTAG, 18. MAI 1954
In Tunesien gärt es
TUNIS. Im französisch-nordafrikanischen Protektorat Tunesiens, das zuletzt im Frühjahr 1952 Schauplatz größerer Unruhen war, haben sich in den letzten drei Monaten wieder 29 bewaffnete Überfälle ereignet, bei denen es auf französisch-tunesischer Seite neun Tote und 13 Verwundete gab. Bei Angriffen auf französische Posten sind uniformierte und von Offizieren mit Rangabzeichen geführte Partisanen in Stärke bis zu 200 Mann aufgetreten, die mit modernen Gewehren und Maschinenpistolen bewaffnet sind.
Irland wählt — de Valera?
DUBLIN. In der Republik Irland finden Parlamentswahlen statt, bei denen die seit 19 Jahren fast ununterbrochene Einparteienherrschaft des 71jährigen und fast erblindeten Ministerpräsidenten Eamon de Valera möglicherweise ein Ende findet. Der Verlust von nur wenigen Sitzen in dem 146 Abgeordnete und einen Sprecher zählenden Parlament würde den Hauptrivalen de Valeras, den Führer der vereinigten irländischen Partei, John C o s t e 11 o , zur Macht bringen.
Plötzlich herrschte Totenstille...
Verwundete über die letzten Stunden von Dien Bien Phu / Menschlicher Vietminh
HANOI. Drei der elf Glücklichen, die nach dem Fall der Dschungelfestung Dien Bien Phu als Schwerverwundete ausgeflogen worden sind, haben im überfüllten Militärlazarett von Hanoi vor Pressevertretern über die Stunden vor und nach der Kapitulation berichtet. Sie bestätigten, daß die französischen Verteidiger buchstäblich bis zur letzten Patrone kämpften, daß der Festungskommandant General de Castries und die Krankenschwester Genevieve de Galard-Terraube beide unversehrt in Gefangenschaft gerieten und daß den mehr als 1400 Verwundeten in der Festung von den Vietminh anständige Behandlung und ärztliche Betreuung gewährt wurde.
Die Erzähler waren der 25jährige Fremdenlegionär Nikolaus N e 11 e r von „irgendwo in Bayern“, dem durch eine Wurfgranate das linke Bein abgerissen wurde, der Soldat Cham- pougny und der Fallschirmjägerfeldwebel P r e v o s t.
Neller und Champougny, die nach
Spaniens Herz schlägt für Deutschland
Ministerieller Besuch „zur Vertiefung der Freundschaft“
BONN. Der gegenwärtig in der Bundesrepublik weilende spanische Landwirtschaftsminister Cavestany und Bundesemährungsminister Dr. Lübke betonten am Montag auf einer Pressekonferenz in Bonn, daß der Besuch
Verheizen — letzter Ausweg
BONN. Bundesfinanzminister Fritz Schäffer erklärte am Montag in Bonn, daß die Vernichtung von 56 300 Zigarillos, die wegen ihrer geringen Qualität nicht mehr zum Mindestpreis von zehn Pfennigen abgesetzt werden konnten und deshalb Anfang März unter Aufsicht von Zollbeamten verheizt worden waren, die einzige Möglichkeit gewesen sei. Die Oberfinanzdirektion Stuttgart, die eine beantragte Sonder-
f enehmigung der Herstellerfirma, die igarillos für fünf oder sechs Pfennige verkaufen oder sie an eine Wohlfahrtsorganisation verschenken zu können, abgelehnt hatte, hätte sich korrekt an die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen gehalten. Die Bundestagsfraktion der FDP hatte die Bundesregierung in einer kleinen Anfrage um Auskunft über diesen Fall gebeten.
Rassentrennung unzulässig
WASHINGTON. Durch einstimmige Entscheidung des Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten ist am Montag die Rassentrennung in öffentlichen Lehranstalten für unzulässig erklärt worden. Mit diesem bedeutsamen Spruch wird die vor 57 Jahren von demselben Gericht festgelegte Rassentrennung aufgehoben.
In der Begründung des jetzigen Urteils heißt es, die Schulerziehung sei wesentlich für das Fortkommen eines jeden Kindes und müsse daher auch jedem ohne Ansehen der Rasse in gleicher Weise gewährt werden. Durch die Absonderung farbiger Kinder würden in diesen zweifellos Empfindungen geweckt, die sich vielleicht nie mehr überwinden ließen.
Der Entscheid des Obersten Gerichtshofes könnte unter Umständen zu einer völligen Neugestaltung des Schulwesens in den Staaten Südkarolina, Georgia und Virginia führen.
Cavestanys vor allem dazu diene, daß schon immer gute Verhältnisse beider Länder weiter zu vertiefen.
Cavestany sagte, er werde sich bemühen, in seinen Besprechungen mit den Vertretern der Bundesregierung eine Klärung aller noch schwebenden Fragen, darunter auch des Problems der deutschen Vermögen in Spanien, anzubahnen.
In einer kurzen Begrüßungserklärung wies Cavestany darauf hin, daß das Herz der Spanier stets in besonderer Freundschaft für Deutschland geschlagen habe. Spanien bewundere die Lebenskraft, mit der Deutschland seinen Wiederaufbau nach dem Kriege vollzogen habe. Deutschland habe damit der ganzen Welt ein Beispiel gegeben.
Cavestany gab seiner Überzeugung Ausdruck, daß Deutschland befähigt sei, den Platz unter den Nationen wieder einzunehmen, der ihm auf Grund seiner Bedeutung zukomme. Ganz besonders wünsche Spanien, daß es gelingen möge, den Eisernen Vorhang innerhalb Gesamtdeutschlands zu beseitigen und die beiden Landesteile wieder zu vereinigen.
der Kapitulation mit den anderen Verwundeten aus dem unterirdischen Lazarettbunker ins Freie gebracht worden waren, sahen General de Castries in aufrechter Haltung zwischen zwei schwerbewaffneten Vietminh- Soldaiten in einen Beute-Jeep ein- stedgen und davonfahren. Sie hatten gehört, daß seine letzte Bitte gewesen sei, die französischen Gefangenen gut und ehrenhaft zu behandeln und die Verwundeten zu pflegen.
Fräulein de Galard betreute bis zum Ende im Bunker die Verwundeten und durfte ihre Tätigkeit auch nach der Gefangennahme noch fortsetzen. Die Verwundeten lagen zu dieser Zeit in Zelten, die die Viet-
Gezüchtet nach Picasso
Die „Friedenstaube“ des Malers Pablo Picasso, die als Symbol der kommunistisch gelenkten „Weltfriedensbewegung“ bekannt geworden ist, hat einen Züchter in der Soiojetzone nicht ruhen lassen. Er züchtete eine Taube, die so aussieht wie die von Picasso. Im Zoo in Halle sind einige Exemplare der neuen Gattung zu bewundern. Auf einem Schild liest man: „Friedenstaube — nach dem Gemälde des bekannten Malers Picasso herausgezüchtete Haustaube“.
minh aus den über der Festung abgeworfenen Versorgungs-Fallschirmen hergestellt hatten, in den ersten Tagen wurden sie von Vietminh- Sanitätspersonal betreut, danach ließen die Kommunisten auch die gefangengenommenen französischen Ärzte zur Behandlung zu.
Bevor sich am Freitag, dem 7. Mai, sechs Uhr abends, die große Stille über die Festung senkte, hörten die Verwundeten nur die Schüsse, das Krachen der Granaten, die wilden Schreie der eindringenden Vietminh und der Verteidiger und den Lärm des Nahkampfes. Sie wußten, daß der Kommandant seinen Männern befohlen hatte, nach Verbrauch der letzten Munition keinen Widerstand mehr zu leisten. Noch zu allerletzt aber sahen sie ihre zum Lazarettbunker abgedrängten Kameraden mit dem Gewehrkolben um sich schlagen.
Als nach nicht enden wollenden Stunden draußen plötzlich Totenstille
eintrat, wußten die Verwundeten, daß die Schlacht vorüber war. Sie erhielten es bestätigt, als die Vietminh in ver- dreckten dunkelgrünen Uniformen in den Bunker kamen. Champougny hörte den Vietminh-Offizier fast entschuldigend sagen: „Ho Tschi-minh und wir kämpfen für unser Land. Es gibt Schlimmeres als das, und wir sind nicht schlimmer als andere. Ihr seid jetzt Gefangene und sollt behandelt werden, wie es Kriegsgefangenen zusteht.“ Einige der blutbespritzten Vietminh-Soldaten hätten dazu hysterisch gelacht, aber keiner habe sich einen Übergriff erlaubt.
Die drei Erzähler sahen später auch den Abmarsch ihrer rund 8000 Kameraden in die Gefangenschaft mit an und haben keine Mißhandlungen bemerkt.
PRESSE STIMMEN
Vor der gefährlichsten Frage
Die unabhängige „Times“ (London) vertritt die Ansicht, daß die Westmächte in Südostasien ihrer größten Krise seit Beendigung des zweiten Weltkrieges gegenüberstehen. Das Blatt schreibt:
„Die Krise ist gefährlich, weil die Westmächte über den Ursprung des Problems und über die Art und Weise, es zu meistern, geteilter Auffassung sind. Im Moment — wahrscheinlich nut für diesen Moment — gibt es ein» Atempause und einen geringen Hoffnungsschimmer. Außenminister Eden bemüht sich mit Geschick und Geduld, die beiden Seiten zusammenzubringen. Wenn ihm eine Vietnam-Lösung nicht gelingen sollte (die Meinung gegen eine de facto-Teilung verstärkt sicn), werden die USA und Großbritannien vor der gefährlichsten aller Fragen stehen: Wollen sie in Indochina intervenieren oder nicht?“
Australien und die „fünfte Kolonne“
Königliche Kommission untersucht sowjetische Spionage
CANBERRA. In der australischen Hauptstadt Canberra begann am Montag die von der Regierung eingesetzte Königliche Kommission ihre öffentliche Untersuchung der sowjetischen Spionagetätigkeit in Australien, die durch die Flucht des sowjetischen dritten Botschaftssekretärs und MWD-Obersten P e t r o w und seiner Frau in australisches Asyl aufgedeckt wurde.
Kronanwalt W i n d e y e r erklärte einleitend, daß die von Petrow übergebenen Dokumente und Informationen mit den aus anderer Quelle gewonnenen Nachrichten übereinstimmten. Danach habe Petrow vor allem den Auftrag gehabt, sich durch angeworbene Agenten über die Außenpolitik und die diplomatische Korrespondenz Australiens zu unterrichten. Daneben habe er sich auch einiges Material über die australische Landesverteidigung zu verschaffen gewußt. Als „Briefkasten“ für das von seinen Agenten abgelieferte Material und für den Schriftverkehr mit ihnen diente eine Zeitlang ein Versteck in einer Planke an einer Eisenbahnbrücke bei Canberra, bis Petrow von Moskau Anweisung erhielt, einen anderen Ort zu wählen, da die Brücke regelmäßig vom Bahnpersonal inspiziert werde.
Zu Petrows sonstigen Aufgaben gehörte der Aufbau einer kommunisti-
Jetzt Überschallbomber? Im Laufe des nächsten Jahres werden die amerikanischen Luftstreitkräfte wahrscheinlich einen Bomber mit Ubersdrallgeschwindigkeit erproben.
Streikende Bürgermeister. Die meisten Bürgermeister im südfranzösischen Weinbaugebiet sind am Montag in den Streik getreten. Sie wollen damit die Forderungen auf Hilfsmaßnahmen der Regierung zugunsten der Weinbauern unterstützen.
Schischakli-Prozeß. Vor einem Militärgericht in Damaskus begann in Abwesenheit der beiden Angeklagten der Prozeß gegen den ehemaligen syrischen Staatschef Oberst Schischakli und General Fauzi Selo.
Blinden-Marsch auf Rom. Auf ihrem Marsch nach Rom erreichten die 70 Blinden, die in der italienischen Hauptstadt für eine Erhöhung ihrer Renten eintreten wollen, am Sonntag bei strömendem Regen die Stadt Orvieto in
Kleine Weltchronik
Umbrien. Der Marsch hat am 8. Mai von Florenz aus begonnen. Die Blinden werden von Freunden geführt.
Mutige Fallschirmspringer. Eine Bravourleistung vollbrachten fünf französische Fallschirmjäger. Sie sprangen über dem Flughafen von Sens aus 2200 m Höhe ab, hielten sich bis zur Höhe von 700 m an den Händen gefaßt und öffneten erst 500 m über dem Erdboden ihre Fallschirme.
Hupen wird bestraft. Kraftfahrer, die zwischen 20 Uhr und 6 Uhr in den Straßen Wiens hupen, werden in Zukunft mit Geldstrafen bis zu 2000 Schilling (rund 400 DM) und in schweren Fällen mit Arrest bis zu zwei Monaten bestraft.
Kommunistische Schlappe. Bei einer Nachwahl in Arras haben am Sonntag die Sozialisten einen Erfolg über die
Kommunisten davongetragen. Der Wahlkreis wurde in der Nationalversammlung bisher von einem kommunistischen Abgeordneten vertreten.
Grenzzwischenfall — vier Tote. Am Samstag sind bei einem Zwischenfall an der türkisch-bulgarischen Grenze vier Bulgaren getötet worden.
Ehrungen für Schirrmann. Im Mittelpunkt zahlreicher Ehrungen durch Vertreter der Bundesregierung sowie in- und ausländischer Organisationen stand am Montag der Begründer des deutschen Jugendherbergwerks, Richard Schirrmann, in einer Feierstunde in Altena (Westfalen) anläßlich seines 80. Geburtstages.
Lebenslänglich im de Ridder-Prozeß. Das Würzburger Schwurgericht verurteilte im „de Ridder-Prozeß“ die beiden Hauptangeklagten Matosic und Stefulj zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe. Der Mitangeklagte Bodrusic erhielt sechs Jahre Zuchthaus.
sehen „Fünften Kolonne“ in Australien, die im Kriegsfall in Tätigkeit treten sollte.
Blutige Unruhen — 300 Tote
DAKKA. Eine große Pd^n^Hion ist zur Zeit in den Jutespiuli ..eien bei Dakka (Pakistan) im Gange, wo bei den Unruhen am Wochenende nach den bisherigen Berichten etwa 300 Personen getötet und ebensoviele verletzt worden sind. Inzwischen sind rund 100 Verhaftungen vorgenommen worden.
Wie die Polizei berichtet, sind viel» der an den Unruhen Beteiligten flüchtig. Unter den Verhafteten befinden sich nach Angaben der Behörde auch Intellektuelle, die vorgegeben haben, Arbeiter der Spinnereien zu sein. Di» meisten von ihnen seien „feindliche Agenten“ und „Saboteure“.
Der Grund zu den Unruhen, die mit einem Streit zwischen Arbeitergruppen der Spinnereien begannen, ist immer noch nicht bekannt.
Heuß an Konprinz Rupprechl
BONN. Bundespräsident Heuß hat am Montag dem Kronprinzen Rupp- recht von Bayern in einem Handschreiben seine herzlichsten Glückwünsche zum 85. Geburtstag übermittelt.
In dem Schreiben heißt es u. a.: „Mithandelnd, aber auch mitleidend, sind Sie in einer Periode, die das staatliche Gefüge Deutschlands und. die politische wie soziale Ordnung Europas erschütterte, für unser aller Bewußtsein zu einer geschichtlichen Erscheinung geworden und eine verehrungswürdige Gestalt geblieben ...“
Churchill t'ankt Elizabeth
LONDON. Premierminister Churchill brachte am Montag im Unterhaus eine von allen Parteien unterstützte Ergebenheitsadresse an Königin Elizabeth aus Anlaß der Rückkehr von ihrer „historischen Commonwealth- Reise“ ein. Mit bewegter Stimme erklärte der Premier, die Königin hab» dem britischen Volk einen Dienst von bleibendem Wert geleistet und dabei nicht nur unendliche Anstrengungen, sondern auch Gefahren der Luftreise und andere B'siken auf sich ge-
L-
ROMAN VON MARY BURCHELL.
Copyright by Dr. Paul Herzog, Tübingen — Durch Verlag v. Graberg & Görg, Wiesbaden. Berechtigte Übertragung: H. Passow-Kemen
(23. Fortsetzung)
Doch er erwiderte bloß: „Bei diesen Sachen muß man immer viel Geduld haben“, was Thea, wie er wohl beabsichtigt hatte, keineswegs klüger machte. Als die Untersuchung vorüber war und die Schwester ihr voller Mitgefühl „ein gutes Täßchen“ Tee brachte — und es schien nach den eben ausgestandenen Leiden wirklich besser als alle, die sie je getrunken — fragte Thea sie besorgt, ob sie aus Sir Normans Art irgend etwas Bestimmtes geschlossen habe.
„Wo denken Sie hin", lachte die Schwester, „eine Kapazität wie Sir Norman gibt sich nicht her zu so raschen kleinen Diagnosen am Krankenbett.“
„Aber vielleicht haben Sie erraten können, was er denkt?“ fragte Thea in ganz mitleiderregendem Ton. „Es ist für mich wirklich so ungemein wichtig. Schwester, und es würde mich viel ruhiger machen, wenn jemand mir die Wahrheit sagte.“
„Nun, Kind“, meinte die Schwester liebevoll, „mir scheint, daß es eine ziemlich langwierige Geschichte sein wird, doch Sir Norman hat mir durchaus nicht den Eindruck gemacht, wie wenn er nicht glaubte, daß alles zu seiner Zeit in Ordnung kommt. Sie brauchen sich also nicht zu grämen, weil Sie ja schon sehr bald, wenn Sie im übrigen wieder hergestellt sind, von hier fortkönnen. Die Hand lassen Sie dann nur noch ein- bis zweimal pro Woche ambulant behandeln, und so sind Sie dann nicht mehr so stark angebunden, oder?“
„Nein“ sagte Thea langsam. „Nein, dann nicht mehr. Vielen Dank, Schwester, daß Sie mir das sagen.“
Es war anzunehmen, daß Lindsay Varlon sich an diesem Tage nicht hatte freimachen können — oder daß er es nicht mehr für nötig hielt, seine kleine Freundin, deren Genesung so gute Fortschritte machte, noch täglich zu besuchen; auf jeden Fall zeigte er sich nicht, und auch darum kam es ihr vor, als sei dies der längste, trübseligste und sorgenvollste Tag, den sie je verlebt hatte.
Am nächsten Morgen betrachtete die Schwester sie prüfend und fragte dann energisch: „Was fehlt Ihnen, Kindchen?“
Allein Thea konnte ihr nur höflich versichern, daß ihr durchaus nichts fehle; sie habe einfach nicht so gut geschlafen, wie sonst.
„Na, na“, drohte die Schwester, „machen Sie bloß nicht so weiter. Und dabei wollten Sie hier bei uns den Rekord im Schlafen erringen!“
Thea lächelte zu diesem neckischen Vorwurf, doch sogleich nahm ihr blasses Gesicht- chen denselben ernsthaften, angstvollen Ausdruck an wie vorher. Und als am selben Nachmittag Lindsay Varlon erschien, nahm ihn die Schwester beiseite und sagte zu ihm: „Etwas quält sie, und dadurch ist heute ein kleiner Rückfall eingetreten. Könnten Sie wohl herauskriegen, was ihr fehlt?“
„Ich will es versuchen. Hat sie Besuch gehabt?“
„Freilich. Einsam kann sie sich gewiß nicht fühlen. Ihre Cousine — Miss Marven — kam vorgestern, blieb dann zum Tee und war reizend zu ihr “
„Aha“, sagte Lindsay Varlon mit unterdrücktem Ingrimm und trat in Theas Zimmer, wo er sie mit einem Buche vorfand, das sie aber sogleich zuklappte und beiseite schob, während sie ihm mit leuchtenden Augen entgegensah. Sie begrüßten sich, und ' sie sagte aufseufzend: „Ich bin so froh, daß Sie da sind!“
„Wirklich, mein Kind?“ Und er nahm ihre gesunde Hand und blickte ihr erwartungs
voll ins Gesicht. „Also haben Sie sich einsam gefühlt?“
„Kann sein, daß es das war.“
„Daß es das war?“ fragte er, während er sich niedersetzte, ihre Hand noch immer in der seinen.
„Ich wollte sagen — das war wohl schuld, daß ich ein bißchen elegisch gestimmt war. Und außerdem — außerdem hat man mir gestern die Hand aus dem Gips genommen, und Sir Norman Pranbook hat sie sich angeschaut, aber es wirkte nicht gerade tröstlich, wie er sich dabei benahm.“
„So? Was hat er denn gesagt?“
„Nun, gesagt hat er eigentlich nichts. Aber er schien von dem Anblick nicht besonders erbaut, und nachher kriegte ich aus der Schwester heraus, es würde wohl ziemlich lange gehen, ehe ich die Hand wieder richtig gebrauchen kann. Aber es war nett von Ihnen, daß Sie extra so eine Kapazität wegen mir haben kommen lassen.“ Sie blickte schnell auf und lächelte, weil das Lächeln jetzt, wo er da war, so viel leichter ging. „Sie waren es doch, der Sir Norman geschickt hat?“
„Wir möchten Sie eben durch die besten Aerzte behandeln lassen.“
Thea kam das „wir“ etwas komisch vor, und sie fragte sich, ob er wirklich annahm, sie selbst glaube, daß das „wir“ sich auf Geraldine beziehe. Und indem sie der natürlichen Richtung, der Gedanken folgte, sagte sie nach einer Weile vorsichtig: „Geraldine kam mich gestern besuchen — nein, vorgestern“.
„Ja? Sie war zum erstenmal hier, nicht wahr?“
„M-hm.“
„Was wußte sie Neues?“
„Nicht gerade viel.“ Wieder redete sie sehr vorsichtig. „Sie erkundigte sich sehr — herzlich nach mir und brachte mir wunderbares Obst, und —“ Hier brach sie ab und fragte statt dessen: „Haben Sie sie seit dem Unfall schon gesehen?“
„Ja, ich war gestern abend mit Ihr zusammen.“
„Oh. Hat sie etwas über mich gesagt — wie es sein wird, wenn ich hier entlassen werde?“ „Ja, Thea.“
„Dann wissen Sie also, daß sie mich nicht mehr bei sich haben will? Kay Pelham wohnt jetzt in dem Zimmer, das ich hatte. Und — alle meine Sachen hat sie einpacken lassen, damit man sie gleich weiterbefördern kann, wenn ich weiß wohin.“
„Ja, ich weiß.“ Er preßte die Lippen ziemlich hart aufeinander, und Thea war überzeugt, daß er und Geraldine deswegen aneinandergeraten waren. Sie seufzte leise auf.
„Verzeihen Sie, Mr. Varlon. Ich mache Ihnen allen so viel Scherereien.“
„Unsinn, Kind. Die Schuld liegt nicht an Ihnen. Wir werden schon etwas finden, wo Sie nachher wohnen können, und . . •“
„Aber so einfach ist das wohl nicht, glaube ich“, sagte Thea sanft. „Sehen Sie, es handelt sich nicht bloß darum, eine Lösung tur begrenzte Zeit zu finden, nämlich bis mein Kurs zu Ende ist, wie das ursprünglich vorgesehen war. Jetzt ist alles anders. Ich wein nichts Genaues über meine Hand. Aber allem Anschein wird es längere Zeit dauern, m ich sie wieder zum Maschinenschreiben brauchen kann — oder zu irgendeiner anderen Arbeit. Vielleicht wenn Sie sich bei Sif Norman erkundigten — . . “ Sie hielt weil sie eine ganz kleine Veränderung t seiner Miene wahrzunehmen glaubte. » oa .® r waren Sie schon bei Sir Norman?“ fragte si „Ja, ich habe mit ihm gesprochen.“ „Nachdem er mich untersucht hatte.
Ja “
Eine kurze Pause trat ein. Dann bat sie: „Bitte sagen Sie mir, was er dazu meint, r-» war wohl nicht sehr ermutigend, sonst hatten Sie mich sicher schon beruhigt. Aber mir wird viel wohler sein, wenn ich die Wahrheit erfahre. Sonst — sonst kann ich gar keine Pläne machen.“
Sie fragte sich — und er wohl auch — was für Pläne sie in ihrer Lage machen konnte. Doch jedenfalls tönte es besser, wenn man
den Fall so darstellte. .
(Fortsetzung folgt)