r SUCHT IHREN WEG

ROMAN VON ALFONS ZECH

(15. Fortstzung und Schluß)

Wirrum drehte erstaunt den Kopf und sah einen Zivilisten, der auf dem Trittbrett stand und ihn scharf musterte. Kripo! signalisierte Wirrums mißtrauisches Gehirn. Also doch, dachte er und zwang sich zur Gelassenheit.

Hier . . . Fahrbefehl. Ausweise, erwider­te er und reichte dem Mann die Papiere.

Bitte, steigen Sie aus, wir müssen die Lad ing untersuchen", erklärte der Beamte nach einem flüchtigen Blick in die Papiere.

Aber ich fahre doch für die Besatzungs­macht. versetzte Wirrum aufsässig.Wozu diese Umständlichkeiten? Ich muß bis nach Dornbirn, und in einer guten Stunde ist es dunkel . . .

Tut mir leid, wir haben Anweisung sämtliche Fahrzeuge zu kontrollieren, gleich­gültig, ob es sich um deutsche oder andere handelt, teilte ihm der Beamte höflich mit Bitte, steigen Sie aus . . .!

Wirrum unterdrückte einen Fluch. Eben ging die Schranke hoch und zwei Pkw roll­ten in langsamer Fahrt über die Grenze Sein Motor lief noch. Wenn er den Gang reinwarf, Gas gab und einfach davonfuhr?

Bitte, beeilen Sie sich, vernahm er die mahnende Stimme des Beamten von unten Da ergab sich Wirrum in sein Schicksal und kletterte aus dem Wagen.

Ehe er aber mit dem Beamten zur Rück­seite des Wagens ging, wobei er zu seinem Unbehagen entdeckte, daß außer jenem noch ein weiterer Beamter und zwei mit Kara­binern bewaffnete Grenzpolizisten ihn erwar­teten. trat er hastig auf den Gendarmerie- Sergeanten zu und rief:

Pardon, mon Sergeant, warum diese Schererei? Sie kennen midi doch . . .

Der Angerufene blickte mit einem einge­frorenen Lächeln über ihn hinweg, zuckte die Schultern und meinte:Rien ä faire, Mon­sieur. c'est Vordre du Chef!

Enttäuscht drehte sich Wirrum um und sah. daß die beiden Kriminalbeamten eben auf die mit einer Plane bespannte Pritsche stiegen. Um seine Nervosität zu verdecken, steckte er sich eine Zigarette an und schaute mit gerunzelter Stirn der Durchsuchung zu So leicht würden sie Bankin nicht finden, dachte er dabei. Der kauerte in einer von zwei mächtigen Kisten gebildeten Höhle, und zwar fast vorn beim Fahrerhaus.

Sind Sie schon lange bei der LITRA? hörte er sich auf einmal angesprochen. Er wandte den Kopf und erblickte einen älte­ren Herrn mit Brille neben sich, der ihm bekannt vorkam.

Zwei Monate", versetzte Wirrum kurz. Waren Sie vorher auch in der Gegend?" Was kümmert Sie das? fragte Wirrum unfreundlich.

Der Herr schien nicht beleidigt. Er griff in die Rocktasche und wies seine Dienstmar­ke vor.

Kriminalpolizei sagte er leichthin.

Und?

Wir sind von Berufs wegen neugierig, erklärte er mit einem Lächeln.

Den Eindruck habe ich auch . . . brumm­te W'irrum. Im gleichen Augenblick klang vom Wagen ein Aufruf, ein Befehl, dann ein Poltern, Keuchen und unterdrückte Stimmen.

Einen Augenblick lang hatte Wirrum das Gefühl, als setze sein Herz mit Schlagen aus. Er stürzte zum Wagenende, plötzlich um­ringte eine ganze Anzahl Beamter den Wa­gen. In Sekunden entstand ein Auflauf.

Da erschien auch schon Bankin mit blei­chem Gesicht und verstaubter Kleidung, links und rethts von Kriminalbeamten gehalten.

Achtung! . . . rief einer der auf dem Wagen stehenden Beamten den anderen zu, als sie Bankin herunterklettern ließen. Wirrum bemerkte erstaunt, daß jener sogar noch das Paket im Arm hielt. Unten griffen sofort drei, vier Hände nach Bankin, doch der wich einen Schritt zurück und preßte wild hervor:

Fassen Sie mich nicht an!

Bruchteile einer Sekunde zauderten die Be­amten. Da warf Bankin sich herum, stieß einen Mann zur Seite und rannte mit großen Sprüngen auf die Grenze zu. Das geschah so unerwartet, daß er, bevor einer der Männer sich von der Ueberraschung erholt hatte, bereits das neben deT Straße sich hinziehende Feld erreichte, wo Buschwerk stand. Von der Zollschranke schrie ihm der Gendarm nach: Halte . . . halte... ich sonst schießen . . . Aber Bankin lief unbeirrt weiter. Da peitschte eine Geschoßgarbe aus der MP hinter ihm her. Bankin stolperte, drehte sich um und schoß ein-, zweimal zurück.

Wieder krachten Schüsse. Wirrum beob­achtete. wie Bankin sich ruckartig aufrichtete, dann fiel er um. Als die Beamtet herankamen,

war er schon tot.-

Beim Knarren der aufgeschlossenen Zellen­tür schrak Nuscheck aus dem Schlaf hoch und blinzelte verwirrt ins grelle Licht der Decken­lampe.

Wat is denn los? murmelte er unsicher, als der Wachtmeister zu ihm trat.

Aufstehen, fertigmachen . . . befahl ihm jener.

Nich mal in Ruhe pennen kann man, schimpfte Nuscneck, während er die Hose überstreifte.

Der Wachtmeister gab ihm keine Antwort, wartete schweigend an der Tür, bis er ange­kleidet war, und brachte ihn nach oben.

Als Nuscheck, halb verschlafen und über die nächtliche Störung verärgert, in Eyrichs Zimmer geführt wurde und Redmer, Melchert und den ihm unbekannten Ulrich sah, ver­schlechterte sich seine Laune noch mehr. Be­sonders haßte er Redmer, weil mit dessen Bekanntschaft für ihn die Schwierigkeiten begonnen hatten.

Setzen Sie sich, Nuscheck . . . forderte Eyrich ihn auf und fuhr dann fort:Sie erzählten uns doch. Sie hätten am Sonntag gesehen wie dieser Herr, Eyrich wies dabei auf Melchert,den am Boden liegenden Nimitsch hochgehoben und weggetragen habe, und zwar, wie Sie ausdrücklich erklärten, in Richtung der Längsmauer . . .

Jawohl, riet stimmt, det hab ick iesehen erwiderte Nuscheck mürrisch.

Wir haben aber nun einen Zeugen, der behauptet, das wäre nicht der Fall gewesen, er. nämlich, dieser Zeuge, habe Nimitsch weg­gebracht, um eine erneute Auseinandersetzung

zwischen den beiden Männern zu verhindern, hielt Eyach ihm entgegen.

Mit einem Schlag war Nuscheck wach. Schwindel, ick habs doch jesehen, jener war et . . . rief er erregt und deutete auf Melchert.

Verdammter Lügner, klang es plötzlich neben ihm.Warum gibst dus nicht zu, daß du selbst Nimitsch umgebracht hast?

Nuscheck zuckte blitzschnell herum, sah den mit gefesselten Händen vor ihm stehenden Wirrum und stieß entgeistert hervor:

Wirrum, du . . .

Ja, ich! höhnte jener.Feige Ratte, dach­test, du könntest dich wieder einmal auf Kosten eines anderen retten . . . Wenn Ban­kin noch lebte . . .

Bankin is . . . stammelte Nuscheck tonlos. Vermutlich bereits in der Hölle, wo auch du hingehörst . . . Wenn du nicht, nur um deine Privatrache zu haben, Nimitsch ins Wasser geworfen hättest, wäre alles anders gekommen. Aber diesmal bezahlst die Rech­nung du!

Ich? Nuscheck heulte fast vor Wut. Ehe man sich versah, war er Wirrum an die Kehle gesprungen und hätte jenen erwürgt, wenn die Beamten ihn nicht zurüchgerissen hätten. Es gab einen kurzen Kampf, da er wie ein Rasender um sich schlug, dann ein metallenes Knacken, die Handfessel schnappte ein.

Abführen! befahl Eyrich dem Wachtmei­ster. Er wartete, bis sich die Tür hinter Nuscheck geschlossen hatte, und winkte Wir­rum näherzutreten und sich zu setzen.

Ein, zwei Minuten saß Eyrich reglos am Schreibtisch und starrte, ohne zu lesen, auf das Protokollblatt, das ihm die Lindauer Be­amten, als sie Wirrum einlieferten, übergeben hatten. Er spürte, daß es Zeit wurde, Schluß zu machen. Seine Augen brannten. Er war zum Umfallen müde. Aber der Fall Nimitsch mußte geklärt sein, eher fand er keine Ruhe . . .

Sie haben bereits zugegeben, daß Sie sich bei dem Klostereinbruch in Marven beteiligt haben? wandte er sich überraschend an Wirrum.

Ja! Ich fuhr den Jeep . . ."

Sie wußten aber, daß ein Einbruch geplant war?

Ja . . .*

Erzählen Sie ausführlich, wie es über­haupt dazu kam und welche Rolle Nimitsch, Alexiew, Nuscheck und dann vor allem dieser Fritz Bankin hierbei spielten, forderte Eyrich Wirrum auf.

Wirrum wußte, daß sein Traum, ins Aus­land zu gelangen, endgültig aus war. Er hatte sich damit abgefunden. Und als er zu spre­chen anßng, klang seine Stimme ruhig und gleichmütig.

Er begann mit dem Abend, an dem Bankin sie zum erstenmal in seinen Plan, in das Klo­ster einzubrechen, eingeweiht hatte und er­wähnte, daß er Bankin im KZ kennengelernt habe, wo sich auch Nuscheck befand.

Der Gedanke, dort einzubrechen, stammte von Nimitsch, fuhr Wirrum fort.Jener war mit einem Flüchtlingstransport, dem er sich angeschlossen hatte, in das Kloster gekommen und hatte, wie er uns sagte, zufällig von den kostbaren Noten und Handschriften gehört, die in der Klosterbibliothek aufbewahrt wur­den. Als er Bankin davon erzählte und ihn auf den Wert dieser Schätze aufmerksam machte, faßte Bankin den Plan, dort einzu­brechen. Um ganz sicher zu gehen, besuchte er als Bildreporter das Kloster, fotografierte und studierte dabei in Ruhe die Einbruchs­möglichkeiten. Drei Tage später wurde der Einbruch durchgeführt. Ich saß am Steuer des Jeeps, den sich Bankin aus einem Lager .ent­liehen hatte. Alexiew, der in seiner früheren Heimat als Einbruchsspezialist gegolten hatte, sorgte für das Hineinkommen. Es ging alles glatt, und gegen Morgen waren wir schon wieder in Frankfurt . . .

War Nuscheck nicht dabei? fragte Eyrich interessiert.

Nein, wir waren nur zu viert. Im übrigen verließen wir Frankfurt noch am gleichen Tag mit der Beute, da Bankin immer in der Furcht vor überraschenden polizeilichen Durchsu­chungen lebte und aus diesem Grunde sich schon lange mit der Absicht trug, ins Ausland zu gehen. Nimitsch schätzte unsere Beute auf über eine halbe Million, wenn sie in den USA abgesetzt würde. Deshalb trennten wir uns. Nimitsch und Alexiew reisten nach Konstanz, um dort Verbindungen mit der Schweiz anzu­knüpfen, während ich nach Lindau fuhr, um in jener Gegend nach der Möglichkeit zu suchen, heimlich über die Grenze zu kom­men. Bankin überließ Nimitsch zunächst die Beute, allerdings ließ er ihn von Alexiew überwachen, während Nuscheck die beiden, ohne daß sie es ahnten, ständig im Auge behielt. So war Bankin überzeugt, daß er jedes Risiko ausgeschaltet hatte, zumal er selbst öfters nach Konstanz kam, da er Nu­scheck, der hier seinen Schwarzhandel trieb, mit Rauschgiften belieferte . ,

Haben Sie das nicht gewußt? Ich dachte. Nuscheck sei deswegen festgenommen wor­den?

Nein, erwiderte Eyrich.Aber erzählen Sie weiter!"

Die erste Zeit ging alles glatt, fing Wir­rum wieder an.Die Polizei ließ uns in Ruhe, ich hatte in Lindau die Stellung als Fahrer bei dem Transportunternehmen gefunden. Was Alexiew und Nimitsch taten, weiß ich nicht Es bestand Aussicht, in Kürze über die Grenze zu kommen, und darauf wartete ich. Plötzlich gab es zwischen Nimitsch und Alexiew eine Streiterei, die. wie Bankin mir erzählte, zum

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Eingreifen der Polizei führte. Dadurch waren wir alle in Gefahr. An dem Tag war Bankin in Konstanz, erfuhr davon und nahm sich Alexiew vor. Jener drohte Bankin mit Verrat. Als Bankin mich am nächsten Tag in Lindau besuchte, teilte er mir nicht nur Nimitschs Verschwinden mit, sondern erwähnte, daß er Alexiew getötet habe . . .

Wußte Nuscheck davon? unterbrach ihn Eyrich rasch.

Ich nehme es an", versetzte Wirrum,denn Bankin erklärte mir, er habe sofort Nuscheck auf Nimitschs Spur gehetzt, der wahrschein­lich in einem DP-Lager stecke, bis er heimlich über die Grenze könne. Wir verabredeten, uns montags in Konstanz zu treffen. Aber am Sonntag erschien Bankin und zeigte mir ein Telegramm von Nuscheck, in dem dieser ihm mitteilte, daß er Nimitsch entdeckt habe. Wir fuhren dann nachmittags in die Nähe von Meersburg, wo wir Nuscheck trafen. Er er­zählte uns, Nimitsch sei in dem DP-Lager, das landeinwärts an der Straße lag. Um zu ver­hindern, daß Nimitsch entkam, überwachte Nuscheck die Rückseite des Lagers, während wir auf der Straße blieben. Wir mochten ungefähr eine Stunde gewartet haben, als plötzlich Nuscheck auftauchte und uns zurief, Nimitsch habe eben das Lager in Richtung Meersburg verlassen. Von diesem Augenblick an war Nuscheck ihm dauernd auf den Fer­sen. Wir folgten in größerem Abstand. Später ging es unten am See entlang. Wir hätten Nimitsch dort stellen können. Nuscheck hatte aber erzählt, daß er ohne Gepäck sei. Bankin nahm an, daß Nimitsch doch mißtrauisch ge­worden war und sich erst vergewissern wollte, ob nicht jemand hinter ihm her war, bevor er die irgendwo versteckte Beute holte, um dann erneut zu verschwinden. Bankin aber kam es vor allem auf diese an, obgleich er entschlossen war, auch mit Nimitsch abzu­rechnen. Kurz darauf berichtete uns Nuscheck, daß sich jener auffallend um eine Villa her­umtreibe. Zunächst war das uns unverständ­lich, bis Nuscheck entdeckte, daß ein Boots­haus dabei war. Für Bankin stand es danach fest, daß Nimitsch entweder mit einem Boot den See überqueren wollte oder die Beute dort versteckt hatte. Unterdessen fing es an zu regnen. Bankin wurde ungeduldig und schlug vor, Nimitsch einfach zu überfallen und ihm so lange zuzusetzen, bis er verriet, wo die Beute war. Ich warnte ihn vor Unbe­sonnenheiten. Bankins Laune wurde aber immer schlechter, zumal auch Nuscheck sich geraume Zeit nicht mehr sehen ließ.

Als Nuscheck erschien, erzählte er, Nimitsch sei von einer Autofahrerin aus der Villa in Richtung Meersburg mitgenommen worden. Er habe die Verfolgung bereits aufgeben wollen, als Nimitsch ihm plötzlich wieder ent­gegengekommen sei und in einem Gasthof eingekehrt wäre. Jetzt befände er sich wieder drüben beim Haus. Inzwischen begann es zu dämmern. Bankin war nicht mehr zu halten. Er drängte darauf, mit Nimitsch fertig zu werden. Wir näherten uns zu dritt dem Gar­ten und sahen, wie Nimitsch eben über die Mauer, stieg. Wir waren noch nicht recht heran, als wir im Garten einen heftigen Wort­wechsel hörten. Aber wahrscheinlich hat Nuscheck Ihnen schon von dem Streit erzählt, den Nimitsch mit Herrn Melchert hatte . .

Ja, das wissen wir, sagte Eyrich und:Sie haben gesehen, wie Nimitsch stürzte?

Ja, erwiderte Wirrum.Er griff Herrn Melchert an, der stieß ihn zurück, dabei muß Nimitsch über ein Hindernis gestolpert sein. Jedenfalls fiel er zu Boden.

Und was geschah dann?"

Herr Melchert schien mächtig erschrocken zu sein. Er beugte sich über Nimitsch, der, soweit ich es beurteilen konnte, bewußtlos war, und lief dann weg . .

Woher kennen Sie übrigens Herrn Mel­chert? forschte Eyrich mißtrauisch.

Zum erstenmal erschien um Wirrums Mund die Spur von einem Lächeln, als er erwiderte:

Ich war heute mittag in seinem Haus. In der Diele hängt ein gutes Bild von ihm. Eyrich fragte weiter:Wohin lief, nun Herr Melchert?"

Da er ein Taschentuch herauszog, nehme ich an, zum Wasser. Wenigstens lag zwischen dem Bootshaus und der Ufermauer eine flache Stelle . . .

Das wollen Sie beobachtet haben? Es war doch dunkel geworden.

Verzeihung dämmerig, verbesserte Wir­rum,nicht dunkel. Außerdem fuhr ich lange Jahre zur See und besitze besonders gute Augen.

Eyrich runzelte nur die Stirn und meinte: Herr Melchert kam also zurück, und dann? Ob Herr Melchert zurückkehrte, weiß ich nicht. Nimitsch war nämlich zu sich gekom­men und zog es vor, schleunigst über die Mauer zu verschwinden, wobei ihn Bankin in Empfang nahm.

Das ging bestimmt nicht ohne Lärm ab. Haben Sie irgend etwas gehört, Herr Mel­chert?

Nein . .

War auch nicht möglich, denn Nimitsch war beim Anblick Bankins so erschrocken, daß er keinen Ton über die Lippen brachte, erklärte Wirrum und fügte hinzu:Ueberdies preßte Bankin ihm sofort die Kehle zu, warf ihn wie ein Bündel Lumpen über die Schulter und schleppte ihn ein Stück weit in das am Ufer wuchernde Gebüsch.

Das dürfte stimmen", ließ Melchert ver­nehmen.Als ich den Garten verließ, um nach ihm zu suchen, war mir, als sähe ich in den Büschen einen Schatten. Ich hatte aber kein Interesse, dem Mann nachzulaufen.

Bankin hatte also Nimitsch ln der Gewalt, und dann? fragte Eyrich. Wirrum antwortete zögernd:

Bankin war ein Tier. Ein paar Minuten von seiner Behandlung genügten und er wußte, daß Nimitsch dem Fräulein in der Villa die Beute zur Aufbewahrung gegeben hatte und die sie auch noch besaß.

Sie wollen damit andeuten, daß Bankin Nimitsch folterte? rief Eyrich.Der hätte doch geschrien . .

Wirrum zuckte die Schultern.

Schreien? meinte er und schüttelte den Kopf.Das war unmöglich, denn während Bankin ihm die Finger umbog, daß sie fast brachen, drückte er ihm ein Stück Tuch auf den Mund. Er war unmenschlich und gab erst nach, als er das wußte, was er wollte. Hinter­her war Nimitsch nicht mehr zum Schreien fähig, er war besinnungslos.

Für einen Augenblick war es im Zimmer still. Das Grauen vor dieser Tat ließ jeden schweigen. Nach einer Weile begann Eyrich wieder:

Sie hatten doch behauptet, Nuscheck hätte Nimitsch ins Wasser geworfen, nicht Bankin? Nein! Das war es gerade, was mich so empörte. Wenn jener es in seiner Raserei getan hätte, wäre es noch zu verstehen gewe­sen. Da tauchte plötzlich Nuscheck mit dem Ruderboot auf und erzählte Bankin, Nimitsch müßte unbedingt verschwinden, sonst hätten wir am nächsten Tag die Polizei auf dem Hals, redete so lange auf ihn ein, bis dieser ihm zurief, er solle machen, was er wolle. Das letzte, was ich sah, war, wie das Boot mit den beiden seewärts glitt. Als ich mit Bankin zu dessen Maschine zurückging, verriet er mir, daß Nuscheck Nimitsch wegen eines Mädchens tödlich gehaßt habe . . beendete Wirrum seinen Bericht.

Eyrich fragte dann noch nach dem Ueberfall auf Sibylle Bernius, ließ sich von Bankins Flucht erzählen und gab Redmer danach einen Wink, worauf jener Wirrum aus dem Zimmer brachte. Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, da überfiel Eyrich Ulrich mit den Worten:

Nun, Herr von Krön, wollen Sie uns nicht verraten, bei was Sie sich Ihre Schramme an der Schläfe holten? Oder bleiben Sie immer noch bei Ihrer Behauptung, diese stamme von Nimitsch?

Ulrich bekam einen roten Kopf und sagt« verlegen:

Nein, Herr Kommissar . .

Also, dannraus mit der Wahrheit, be­drängte ihn Eyrich.Oder haben Sie etwas zu gestehen, was Ihr Onkel nicht hören soll? Das nicht, nur . . Er stockte. Man sah es ihm an, wie er mit sich rang, bis er ent­schlossen eingestand:Ich habe vorher die Unwahrheit gesagt. Ich beobachtete, wie der Mann, mit dem Sibylle sich traf, auf Onkel lossprang, und dieser ihn abwehrte, wobei der andere zu Boden stürzte. Als er sich nicht mehr rührte, glaubte ich, daß es ein Unglück gegeben habe. Um nicht gegen Onkel aus- sagen zu müssen, lief ich weg. Dabei geriet ich gegen einen Ast, der mich an der Schläfe verletzte.

Also haben Sie mich beschwindelt . . rief Eyrich streng, sah aber Ulrich keineswegs so böse an.

Jakob Melchert bemerkte es und meinte: Darf ich in diesem Fall bitten, Gnade vor Recht ergehen zu lassen, Herr Kommissar? Es stimmt, er belog Sie, aber doch nur, um mir zu helfen.

Na, schön, brummte Eyrich mit einem Augenzwinkern, erhob sich und reichte Mel­chert die Hand.-

Es ging schon gegen Morgen. Am samtnen Blau des Himmels begannen d : e Sterne un­merklich zu verblassen, und im Osten zeigte sich bereits das erste Grau des anbrechencten Tages, als Melcherts Wagen mit leise singen­dem Motor über das breite Band der Straße von Ueberlingen nach Meersburg glitt. Sibylle saß am Steuer, Jakob Melchert neben ihr und Ulrich auf dem Rücksitz.

Sie schwiegen. Sie waren müde und den­noch waren sie wach, hellwach sogar. Das Erlebte, die erregenden Szenen der letzten Phase menschlicher Verirrungen, die zu Haß, Verbrechen, Mord geführt hatten, schwangen noch in ihnen nach.

Erst als der Wagen sich den steilen Hang zur Stadt hinaufwand und der See, je höher sie kamen, sich immer weiter vor ihren Augen dehnte, atmeten sie, wie von einem Alpdruck befreit, tief 'auf und versuchten zu vergessen.

Einmal, als eben das Haus zwischen den Bäumen sichtbar wurde, legte Jakob Melchert behutsam seine Hand auf Sibylles Arm. B® 1 dieser Berührung durchlief sie ein Zittern. Sie wandte den Kopf. Ihre Blicke trafen sich und jedes sah in den Augen des andern ein stummes Bitten, ein scheues Fragen. Der Druck von Melcherts Hand verstärkte sich. Da nickte Sibylle. Zugleich blühte ein zartes Lächeln um ihren Mund. In Melcherts Augen kam ein Leuchten.

Nur zwei, drei Herzschläge lang dauerte dieses Zwischenspiel, und dennoch fühlten beide, sie hatten sich entschieden, wußten, sie gehörten zusammen, für immer, fürs ganze Leben!

Ulrich sah die sich zugewandten Gesichter, sah das um Sibylles Mund aufblühende Lä­cheln. Er verspürte plötzlich in der Herzgrube einen stechenden Schmerz. Er blickte schnell weg und preßte die Zähne aufeinander. Wie Bitterkeit quoll es in ihm hoch. Aber dann hatte er sich überwunden, und als sie aus- stiegen und aufs Haus zutraten, sagte er: Ich möchte euch Glück wünschen . .

Sie machten überraschte Gesichter. Sibylle errötete. Melchert dagegen fragte erstaunt spielend:

Zu was denn, Junge? Daß alles ein gutes Ende nahm?

Dazu auch, vor allem aber, daß ihr wieder einig seid. Es ist das Schönste. Und wenn du erlaubst, Onkel, fahre ich heute nach Tübin­gen zurück.

Hast dus so eilig, Junge?

Für den Bruchteil einer Sekunde inte Ulrichs Blick zu Sibylle hin, dann versetzte er:

Das nicht, Onkel. Aber ich habe dort etwas gefunden, was wertvoll ist, nämlich Kame­raden!

Und was sind wir für d ; ch?

Die Heimat, Onkel . . . sagte Ulrich rasch, worauf Melchert ihn in die Arme schloß und Sibylle ihn küßte.

End»