' SUCHT IHREN WEG
ROMAN VON ALFONS ZECH
(14. Fortsetzung)
„Wo ist denn Nus check?“ fragte Eyrich erstaunt
„Wir haben ihn nach unten gebracht, nachdem die Vernehmung abgeschlossen war. Er verlangte zu essen“, teilte ihm der Obersekretär mit.
„Gut“, versetzte Eyrich. „Und wie steht es mit Ihnen? Sie werden auch Hunger haben . .
„Ich habe meine Brote und außerdem in der Thermosflasche Kaffee.“
„Einen Augenblick, ich komme sofort wieder“, sagte Eyrich und ging zu Melchert, der ihm unwillig entgegen sah.
„Wie lange wollen Sie mich hier eigentlich festhalten?“ empfing er Eyrich aufgebracht.
„Hören Sie, Herr Melchert“, begann Eyrich ruhig. „Ich habe den Eindrude, daß Sie Ihre Lage absolut verkennen. Sie wissen, daß in Ihrem Garten ein Mann getötet worden ist, mit dem Sie, nach Ihren eigenen Aussagen, Streit gehabt hatten. Es tut mir leid, aber vorläufig stehen Sie unter dem schweren Verdacht, den Mann in den See geworfen zu haben . . .“
„Sie beschuldigen mich also des Mordes?“ stieß Melchert empört hervor.
„Ich sagte, Sie stehen unter Verdacht.“ „Das bedeutet?“
„Daß Sie sich vorläufig zur Verfügung des Untersuchungsrichters zu halten haben!“
„Ich bin also verhaftet?“ preßte Melchert hervor.
„Das habe ich nicht behauptet“, wich Eyrich aus. „Wir wollen darüber auch jetzt nicht diskutieren. Es hätte doch keinen Zweck. Ich erwarte noch einen wichtigen Zeugen, der im Verlauf des Nachmittags ankommen soll. Bis dahin müssen Sie sich -gedulden. Ich würde Ihnen aber den Vorschlag machen, daß Sie in Begleitung eines Beamten in einem Lokal etwa? essen, wobei ich es als selbstverständlich betrachte, daß Sie diese Gelegenheit weder zur Flucht noch dazu benutzen, um sich mit jemand in Verbindung zu setzen . . . Wenn Sie mir das versprechen . . .“
„Nein, danke! Ich verzichte . . .“ erklärte Melchert kurz.
„Bitte, wie Sie wollen“, entgegnete Eyrich achselzuckend und verließ das Zimmer. - - -
*
Stefan Redmer und Sibylle Bernius waren nicht wenig überrascht, als sie dicht vor Friedrichshafen plötzlich von einer Polizeistreife angehalten und ziemlich energisch zum Aussteigen aufgefordert wurden.
„Was ist denn jetzt los?“ fragte Redmer .verblüfft, als einer der Uniformierten auf ihn zutrat und ihn blitzschnell nach Waffen abtastete.
„Das werden Sie schon noch erfahren“, brummte der Mann abweisend und nahm ihn beim Arm.
„Na, erlauben Sie mal“, protestierte Redmer. „Ich bin Kriminalsekretär Redmer vom Polizeiamt Konstanz. Hier meine Dienstmarke, und hier meine Ausweise . . .“
Als der Hauptwachmeister das hörte, rief er:
„Sie sind Kriminalanwärter Redmer?“ Er kam auf Redmer zu, warf einen Blick auf die Ausweise und fuhr fort: „Nach Ihnen wird die ganze Zeit gesucht. Wo haben Sie denn das Motorrad, und wie kommen Sie zu dem Wagen, in dem. wie es hieß, das Fräulein entführt worden sei . . .“
„Das ist ein ganzer Roman“, versetzte Redmer lächelnd. „Ich glaube, das beste wäre es, wenn Sie, Herr Hauptwachmeister, uns aufs Amt begleiten, damit ich sofort telefonieren kann. Unterwegs erzähle ich Ihnen alles ..."
„Gut, fahren wir!“
Eine Viertelstunde später hatte Redmer die Verbindung mit Konstanz und sprach m-ft Kommissar Eyrich, der ihn eiligst nach Konstanz zurückbeorderte, wobei er besonders erwähnte, auch Sibylle Bernius mitzubringen.-
Es war noch nicht ganz vier Uhr, als Redmer den Wagen vor dem Polizeigebäude in Konstanz stoppte und Sibylle ins Haus geleitete.
Während Sibylle im Vorzimmer wartete, meldete er sich bei Kommissar Eyrich. Er atmete auf, als dieser ihn, statt mit Vorwürfen zu empfangen, meinte:
„Ich bin ja froh, daß Sie zurück sind. Aber Geschichten machen Sie, Redmer, da stehen einem die Haare zu Berge. Nun erzählen Sie! Uebrigens wurden Sie verletzt?“
„Ja, aber nicht schlimm . . . nur ein Streifschuß am linken Oberschenkel.“
„Haben Sie sich verbinden lassen?“
„Ja, vom Sanitäter in Friedrichshafen." „Schön, nehmen Sie Platz, und berichten Sie!“
Zehn Minuten danach saß Sibylle vor Eyrich. Unterwegs hatte Redmer ihr so lange zugeredet, bis sie ihm versprach, alles, was Nimitsch betraf, auszusagen. So erfuhr der Kommissar, wie es zu der Heirat, Trennung und zu der erneuten Begegnung mit Nimitsch gekommen war, aber auch welche Forderung er an sie stellte.
Sibylle schilderte eben, wie sie am Mittag zu der Herausgabe des Paketes gezwungen worden war, als Eyrich sie rasch unterbrach und fragte:
„Sie wissen nicht, was in dem Paket war?“ „Mit Sicherheit nicht. Nimitsch sagte zwar, es wären Arbeiten von ihm, Kompositionen, uie er im Ausland unterzubringen hoffe.. „War es schwer?“
„Ziemlich, für Noten eigentlich zu schwer!“ Eyrich war überzeugt, daß das Paket die Beute aus dem Klostereinbruch enthielt. Nur so war das Manöver der Banditen zu erklären, sich in den Besitz des Paketes zu setzen. Deshalb auch das nächtliche Eindringen in das Melehertsche Haus . . .
Die Polizeidirektion vermutet mehrere r«ter, gefahndet hat man nach zwei, Nimitsch, Bankin, denn daß dieser der geheimnisvolle Zeitungsmann war, der die fotografischen Aufnahmen gemacht hatte, schien nach seiner Beschreibung am ehesten Wahrscheinlich. Und Alexiew? Gehörte er dazu, wie auch iener Mann, mit dem Redmer bei der Verfolgung des Wagens zu tun hatte?
War Nimitsch doch von seinen Komplicen ermordet worden?
Während Eyrich sich noch mit dieser Frage beschäftigte, wurde an der Tür geklopft, und gleich darauf trat ein Mann ein, der einen jüngeren Menschen an sich vorbei in® Zimmer ließ.
„Was gibt's?“ brummte Eyrich unwillig. „Kriminalsekretär Schilling von der Kriminalpolizei Tübingen“ stellte sich der Fremde vor. „Ich bringe den vorgeladenen von Krön.“ Sibylles Kopf flog herum.
„Ulrich . . .“ schrie sie auf, sprang von ihrem Stuhl hoch, stürzte auf ihn zu und umarmte ihn unter Tränen.
Eyrich war so überrascht, daß er zuerst nicht begriff. Als er aber hörte, wie Sibylle Ulrich fragte:
„Was will man denn von dir, Junge?“ erhob er sich rasch und rief:
„Bitte, keine Fragen, Fräulein Bernius. Sie können sich später unterhalten . . .“
Er wandte sich an den Tübinger Beamten und befahl: „Führen Sie Herrn von Krön raus!“
Ulrich, der sehr blaß und nur mühsam beherrscht war, flüsterte Sibylle zu:
„Nicht weinen, Sibylle, es wird alles wieder gut . . .“
Als sich die Tür hinter ihm schloß, verfiel Sibylle in einen Weinkrampf, den Eyrich, nachdem er sie einige Zeit gewähren hatte lassen, damit beendete, indem er ziemlich energisch erklärte:
„Zum Donnerwetter, Fräulein Bernius, entweder ist Herr von Krön unschuldig, dann besteht für Sie kein Grund, sich so aufzuregen, oder er hat Ihren Mann getötet, dann muß er für die Tat gerade stehen!“ „Er ist unschuldig . . beteuerte Sibylle erregt.
„Das wird sich ja zeigen!“ versetzte Eyrich und gab dem hilflos dastehenden Redmer den Auftrag, ein Glas Wasser zu holen.
Um diese Zeit lag Waldemar Nuscheck auf der Pritsche in-der Polizeizelle und rauchte in genießerischen"" Zügen eine Camel. Er rechnete bestimmt, daß er gegen Abend aus der Haft entlassen würde.
Als draußen im Flur Schritte und Schlüsselklirren laut wurden, hob er zwar lauschend den Kopf, blieb aber ruhig liegen, als die Zellentür aufgeschlossen wurde und ein Wachtmeister erschien. Erst nachdem dieser ihn aufforderte, mitzukommen, bequemte er sich, aufzustehen, drückte gemächlich seinen Zigarettenrest aus und verwahrte ihn in der Rocktasche.
„Los, -ein bißchen fix . . .“ rief der Beamte ungeduldig, als Nuscheck sich so viel Zeit ließ.
„Nur keene Uffrejung, immer mit der Ruhe . . .“ brummte Nuscheck kühl, strich sich mit der Hand die Locken glatt und ging zur Tür.
Oben im ersten Stock erwartete ihn Eyrich. „Sie erinnern sich doch des Mannes, der Nimitsch niederschlug?“ empfing er ihn. „Natürlich, Herr Kommissar.“
„Sehr schön. Sehen Sie sich mal die Leute hier im Zimmer an, und verraten Sie mir, ob der Betreffende darunter ist.“
Nuscheck verzog den Mund.
„Et war schon duster“,, wandte er zögernd ein.
„Nun machen Sie jetzt bloß keine Geschichten“ fuhr Eyrich ihn an. „Entweder haben Sie ihn gesehen, oder Sie haben ihn nicht gesehen?“
„Ick hab* ihn jesehen!“
„Na, nun ist es ja gut“, brummte Eyrich und öffnete die Tür zu einem Zimmer, in dem eine Anzahl von Männern auf _ einer Wandbank saß, die ihn neugierig anblickten. Es waren einige Angestellte des Meldeamtes, unter denen sich Melchert und Ulrich von Krön, befanden.
Nuscheck tat einen Schritt nach vorn und musterte etwas befangen die Reihe der Gesichter. Plötzlich hob er die Hand, wies auf einen der Männer und rief:
„Der dort in der Ecke, det is er . . .“ „Bitte, kommen Sie her“, forderte Eyrich den von Nuscheck Bezeichneten auf, ohne den Namen zu nennen.
Jakob Melchert erhob sich und kam mit abweisender Miene heran.
„Sind Sie Ihrer Sache wirklich sicher, Nuscheck?“ fragte Eyrich ernst. „Ueberlegen Sie sich, was Ihre Aussage in diesem Fall bedeutet . . .“
„Da jibt es nichts zu überlejen. Det is er, kann ick sojar beschwören“, beteuerte Nuscheck eifrig, ohne den Blick von Melchert zu lassen. Er hatte seine Befangenheit überwunden und fühlte sich als Mittelpunkt.
„Danke, das genügt“, sagte Eyrich knapp, der darauf Nuscheck am Arm nahm und ihn abführte.
„Kommen Sie, Herr Melchert . . .“ wandte sich Eyrich an den schweigend Dabeistehenden und wollte mit ihm das Zimmer verlassen.
Da sprang Ulrich von seinem Platz auf, stellte sich Eyrich in den Weg und stieß in hochgradiger Erregung hervor:
„Herr Kommissar, ich habe eine Aussage zu machen!“
„Ulrich . . .“ entfuhr es Melchert warnend. „Bitte, schweigen Sie“, rief Eyrich streng, drehte sich Ulrich zu und meinte ironisch:
„Sie erklärten doch, von der ganzen Sache nichts zu wissen . . .“
„Das war nicht wahr . . .“
„Dann haben Sie die Beamten in Tübingen und auch mich belogen?“ fragte Eyrich unerbittlich.
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In Ulrichs Wangen stieg dunkle Röte. Er nickte beschämt.
„Und warum?“
„Ich dachte nicht, daß man jemals meinen Onkel verdächtigen würde,“ gestand Ulrich stockend.
„Aha, Sie dachten, es käme eben nicht heraus. Na schön, kommen Sie mit“, schloß Eyrich grimmig und verließ mit ihnen den Raum.
Von den Kirchturm-Uhren schlug es halb sieben. In Konstanz, wie auch in Lindau.
Und während Kommissar Eyrich in seinem Büro saß und in Gedanken versunken die Brote aß und den Kaffee trank, die ihm seine Frau selbst gebracht hatte, schritt Horst Wirrum im blauen Arbeitsanzug auf den Garagenhof zu.
Montagfrüh sollte er mit seinem 3V2-Ton- ner Material für die Besatzungstruppen nach Dornbirn fahren, und da er mit dieser Fahrt einen ganz bestimmten Zweck verfolgte, beabsichtigte er, zumal es noch hell war, den Wagen gründlich abzuschmieren und ihn fertigzumachen.
Als er in den Hof der LITRA einbog, blickte er überrascht auf den bereits beladenen Wagen, der mit laufendem Motor vor der Garage stand.
Wirrum ging verwundert näher. Da trat eben der Junior-Chef, Herr Beckdorf, aus dem Büro, sah ihn und rief unwillig:
„Mann, Wirrum, wo stecken Sie denn? Ich suchte Sie schon in Ihrer Wohnung.“
„Entschuldigen Sie, Herr Beckdorf, aber da ich Urlaub hatte, war ich außerhalb. Wenn ich gewußt hätte, daß Sie . . .“
„Schon gut“, unterbrach ihn Beckdorf. „Sie sind ja nun hier. Hören Sie: von der Groupe de Garage kam heute nachmittag die Anweisung, das Material noch heute nach Dornbirn zu bringen. Vor ‘ner Stunde hab ich den Wagen beladen lassen und wollte gerade los. Jetzt natürlich fahren Sie. Die Papiere sind hier.“
Wirrums Blick streifte die Kisten, die den ganzen Aufbau des Wagens füllten.
„Mächtig voll“, murmelte er mißmutig. Durch diese überstürzte Fahrt wurden seine und Bankins Pläne über den Haufen geworfen.
„Wenn Sie natürlich nicht wollen, Wirrum, zwingen kann ich Sie nicht . . .“ klang Beck- dorfs ungeduldige Stimme zu ihm her.
„Ich fahre, Chef!“ versetzte Wirrum entschlossen,
„Ist auch besser, Wirrum, hätte mir leid getan, wenn wir uns nach einem anderen Fahrer hätten umsehen müssen. Es ging doch bisher ganz gut“, meinte Beckdorf, holte ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche, gab sie Wirrum und sagte dabei: „Für unterwegs . . .“
„Danke, Chef! Kann man gebrauchen“, erwiderte Wirrum lächelnd, ging mit Beckdorf in das Büro und übernahm die Papiere. Zehn Minuten später rollte der schwere Lastwagen durch die Stadt.
Unterwegs sann Wirrum angestrengt darüber nach, was sie tun sollten. Eines stand fest: Noch nie war ihm ein Fahrauftrag so ungeschickt gekommen wie dieser. Bankin würde schön toben.
Dabei hatten sie alles wunderbar ausgedacht. Für Montag war nebliges Wetter angesagt. Er wollte früh starten. Und da er ja für die Besatzungstruppen fuhr, war die Grenzkontrolle meistens nur oberflächlich, höchst selten, daß man seine Ladung untersuchte. So mußte es ein leichtes sein, Bankin über die Grenze zu schaffen. Und drüben wartete bereits ihr Mann, um sie in die Schweiz zu bringen.
Damit war es Essig. Vielleicht ließ sich die Sache noch arrangieren. Das würde er ja sehen. Aber ihm paßte die Fahrt heute schon aus dem Grunde nicht, weil er fürchtete, daß man nach Bankin und ihm fahndete. Wenn es der Teufel wollte, war die Grenze mit Kriminalbeamten besetzt, und diese waren stur wie Panzer, wenn sie einen suchten. Außerdem arbeiteten sie mit der Gendarmerie zusammen, da halfen auch keine Ausweise. Dennoch, über die Grenze mußten sie. Hier war dicke Luft. Er hätte nur gern den Sonntag erwartet . . .
Ein Glück, daß er nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, mit der NSU nach der Garage gefahren war. So lag sie im Gebüsch der Argen, während er mit dem Schiff nach Lindau kam. Bankin dagegen hatte Pech gehabt, hatte in Ravensburg einen Radfahrer angefahren und konnte gerade noch rechtzeitig verschwinden, ehe die Polizei aufkreuzte.
Als Bankin vor einer Stunde bei ihm eintraf, war er überzeugt, daß alles bestens klappte. Und jetzt? Es blieb ihm keine andere Wahl, als es heute zu riskieren. Erstens -wußte man nicht, ob man ihn nicht schnappte, wenn er zurückkehrte, und zweitens konnte eine Woche vergehen, bis er wieder eine Fahrt nach Dornbirn bekam. Bis dahin war allerhand möglich.
In einer schmalen Seitengasse hielt Wirrum den Wagen an, stieg aus und ging zu dem Haus hinüber, wo er sein möbliertes Zimmer hatte, das er jetzt mit Bankin teilte.
15 .
Der Raum, in dem Sibylle wartete, wirkte kalt und unpersönlich. Zwei abgeräumte Schreibtische, ein paar Stühle, ein verschlossener Aktenschrank, und an der Wand ein Inventarverzeichnis waren die ganze Einrichtung,
Trotz der sommerlichen Wärme fröstelte Sibylle. Von der Angst und Ungeduld getrieben, wanderte sie ruhelos hin und her. Manchmal blieb sie stehen und lauschte angespannt in die sie umgebende Stille. Aber kein Laut drang an ihr Ohr.
Und doch wurde irgendwo in diesem Gebäude, hinter irgendeiner Tür ein Kampf geführt, in dem sich das Schicksal eines Menschen entschied. Jakobs oder Ulrichs?
Sie hatte die beiden noch aus der Ferne gesehen und ihnen zugewinkt, als sie ln das Zimmer des Kommissars geführt wurden. Ihr selbst bedeutete man, zu warten, bis sie gerufen würde. Aber inzwischen war eine
Ewigkeit vergangen.-
„Sie bleiben also bei der Behauptung, Herr Melchert, daß Nimitsch noch lebte, als Sie ihn verließen?“ fragte Eyrich bei der weiteren Vernehmung.
„Jawohl . . .“
„Sie bestreiten auch, ihn mit dem Boot auf den See hinausgerudert und dort ertränkt zu haben?“
„Das ist doch alles Unsinn! Als ich zurückkam, war der Mann verschwunden“, sagte Melchert erregt.
„Und Sie, Herr von Krön, was haben Sie dazu zu sagen?“ wandte sich Eyrich überraschend an Ulrich. „Sie hatten doch gebeten, eine Aussage machen zu dürfen . . .“
Ulrich hob den Kopf. In seinen blassen Wangen brannten zwei hektisch rote Flecken, als er mit entschlossener Miene erklärte:
„Ich habe den Mann getötet!“
„Das ist nicht wahr, Ulrich . . .“ entfuhr es Melchert bestürzt.
„Herr Melchert, ich verwarne Sie! Ein Wort noch . . dann breche ich die Vernehmung ab“, sagte Eyrich scharf. „Gerade Sie“, fügte er hinzu, „müßten das größte Interesse daran haben, daß die Sache geklärt wird . .“ Eyrich beugte sich dann zu Ulrich: „Eigentlich komisch, daß Sie sich jetzt plötzlich zu einem Geständnis entschließen, nachdem Sie erfahren, daß man Ihren Onkel der Tat verdächtigt. Kannten Sie Nimitsch überhaupt?“
„Ja . .“ erwiderte Ulrich und erzählte, wie er, durch Sibylles Erschrecken beim ersten Anruf mißtrauisch geworden, ihr abends folgte und Zeuge wurde, wie sie sich mit Nimitsch traf.
Eyrich stellte Frage um Frage und erreichte es, daß Ulrich ihm sogar die deswegen zwischen ihnen entstandene Entfremdung verriet und zugab, daß sie in den Tagen danach kaum miteinander gesprochen hatten.
„Hatten Sie keine Wut und keinen Haß auf diesen Menschen, der die Ursache des Ganzen war?“ wollte Eyrich wissen.
Ulrich schüttelte den Kopf.
„Haß und Wut?“ wiederholte er langsam. „Nein! Ich war nur traurig darüber, daß Sibylle so wenig Vertrauen zu mir hatte. Ich wußte ja bis Sonntag nicht, in welchem Verhältnis sie zu diesem Mann stand.“
„Und, wie war es nun am Sonntagabend? Erzählen Sie . . . aber bitte die Wahrheit“, ermahnte ihn Eyrich streng.
Ulrich schwieg. Er blickte scheu zu Melchert hinüber, der mit unbewegter, versteinerter Miene dasaß, und senkte den Kopf.
„Na los, reden Sie doch . . drängte Eyrich.
Schließlich begann Ulrich widerstrebend und unsicher:
„Ich weiß es nicht mehr, wie spät es war, als ich von meinem Zimmer aus hörte, daß Onkel über die Terrasse in den Garten ging. Da ich ja am nächsten Tage das Haus verließ, um nach Tübingen zu reisen, wollte ich noch mit ihm sprechen. Ich hatte kaum ein paar Schritte getan, als ich unten am Ufer Stimmen vernahm, die wie ein Wortwechsel klangen. Da man in den Zeitungen dauernd von Einbrüchen und Diebstählen las, dachte ich zuerst, daß Onkel im Garten vielleicht einen Menschen getroffen hätte, der sich herumtrieb, und lief schnell den Hang hinunter. Im Näherkommen sah ich einen Mann, der wild gestikulierend auf Onkel einredete. Plötzlich fiel Sibylles Name.
Im gleichen Augenblick erkannte ich den Menschen der vor Onkel stand. Ich blieb erschrocken stehen, beobachtete, wie der Fremde außer sich vor Zorn, Onkel etwas zurief, das ihn zu empören schien, denn er versuchte, den Mann am Rock zu fassen. Da. sprang jener blitzschnell auf ihn los, Onkel stieß ihn zurück, der andere taumelte, verlor den Halt und stürzte zu Boden . . .“ Ulrich schwieg. Man fühlte, wie schwer es ihm wurde, über diese Dinge zu sprechen. In seinem Gesicht prägte sich innere Qual und Unsicherheit.
„Und? Weiter“, rief Eyrich ungeduldig. „Bis jetzt haben Sie mir nichts Neues erzählt. Was haben Sie dann getan? Sind S ; e e.'nfach stehen geblieben oder zu Ihrem Onkel gegangen?“
Ulrich sagte stockend:
„Nein ... ich ging nicht zu Onkel hin . . ich wollte nicht, daß er mich sah. Es war alles so schrecklich, der Mann am Boden, Onkel neben ihm. Schließlich erhob sich Onkel und lief zum Wasser. Er hatte kaum ein paar Schritte getan, als sich der Mann bewegte, stöhnte, und sich aufzurichten versuchte. Ich fürchtete ein Unglück, wenn der Mann noch einmal mit Onkel zusammentraf. Besser, wenn er verschwand, bevor Onkel zurück war. Ich dachte ans Boot . . .“ „Halt!“ unterbrach Eyrich ihn brüsk. „Bitte, überlegen Sie sich jetzt jedes Wort, das Sie sprechen“, wandte er sich ernst an Ulrich. „Was Sie mir auch immer erzählen, bedenken Sie das eine: Nimitschs Tod war kein Unfall, war Mord, der seine Sühne finden muß . . .“
Eyrichs Mahnung folgte Totenstille, in die unvermittelt die metallenen Schläge einer
nahen Kirchturmuhr fielen. Acht Uhr!-
In dieser Minute hielt Wirrums vollgepackter Wagen vor der heruntergelassenen Schranke des deutschen Grenzpostens. Auch drüben auf der österreichischen Seite, standen Wagen, die abgefertigt wurden.
Eigentlich war es wie immer: Vor dem Zollhaus einige Grenzbeamte, dann der behäbige Sergeant, der ihn von seinen früheren Fahrten kannte und ein ausgezeichnetes Deutsch sprach.
„Ihre Papiere, bitte?“ klang es plötzlich neben Wirrum durchs Wagenfenster,