SAMSTAG, 15. MAI 1954

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Wer aber vermöchte den liebend auf­gewandten Idealismus jenes nimmer­müden, vorsorgenden Reisemarschalls heute für die eigene Reise aufzubrin­gen? Seit wir selbst an jene verant­wortliche Stelle aufgerückt sind, er­stirbt der Schauder der Erinnerung in Wehmut, gehen wir ans eigene Pläne­schmieden. Keineswegs sind wir heute der Schreck unserer Kinder. Denn sie, die Kinder, verzichten dankend auf unsere Vorsorge. Sie sind selber längst in ihrem eigenen Kreis versorgt und aufgehoben. Mit Altersgenossen auf Fahrt, ist das einzige, das für sie in Frage kommt. Trampen und Campen sind ihre Formen. Da kann man nur klein beigeben, fürs erste.

Das Reisebüro hilft

Die Erwachsenen aber, derErwerbs­mühle auf eine Atempause entflie­hend, was an Vorbereitung könnten sie aufbringen für ein Ferienprogramm? Bleiben wir einmal bei der klassischen Antike. So mitnehmen, en passant, ge­wiß, sehr schön. Aber wochenlang vor­her hinsetzen und die grand tour nach Bildungswünschen entwerfen? Selbst wer seit humanistischen Jahrendas Land der Griechen mit der Seele suchend die große, die klassische Reise erträumte, woher will er die Zeit neh­men, sie so gründlich aufzubauen, wie es ihr zukäme? Also verzichten? Warum nicht gar! Man geht ins nächste Reise­büro und kauft sich seine Reise von der Stange. In gängigen Dessins, auf Durch­schnittswünsche zugeschnitten, ist die genormte Reise erhältlich, eine Mar­kenware des Fremdenverkehrs. Für jeden Konfektionswunsch ist etwas Passendes am Lager. Wirft man bei­spielsweise einen Blick in das Ferien­reiseprogramm, eines der drei großen deutschen Gesellschaftsreiseunterneh­men, so findet man ein wohlassortier­tes Angebot, das jeden Reisewunsch vorwegnimmt.

Dieklassische Italienreise? Bitte schön, jeden Donnerstag. Florenz, Rom, Neapel, Venedig, neun Tage für zwei Jahrtausende an Domen und Palästen. Der Mann aus Hamburg legt dafür 359 DM auf den Tisch, der Kölner 345, der Mannheimer 327 DM. Reisesehnsucht, ein Leben lang angestaut, fast schon hoffnungslos geworden und schon ein wenig als unerfüllbar gehätschelt, hier wird sie realisierbar.

Noch höhere Ansprüche, eine rich­tige Studienreise, eine Kulturreise? Aber selbstverständlich, auch das ist vorgesehen. Oberitalienische Städte in sechzehn Tagen, Wunder des Mittel­alters und der Renaissance, ein Ab­schnitt abendländischer Kultur, vier­mal in dieser Saison, für rund zwei Hundertmarkscheine mehr. Selbst das klassische Hellas ist für einen Tausen­der erhältlich, achtzehn Tage per Bahn, Schiff und Autobus über die Kultstät­ten des Abendlandes hinweg. Spanien versagt nicht das Filigran seiner mau­rischen Bauwerke, Jugoslawien nicht den romantischen Reiz der dalmatini-

Ferienreise von der Stange

Moderne Touristik schont Kasse, Zeit und Nerven / Soziales Reisen mit Komfort

Vergißt man jemals die riihrend-bis-despotische Umständlichkeit, mit der früher Papa die Ferienreise vorbereitete? Eine Bildungsreise hatte sie zu sein, das war obligatorisch. Ging es an den Vierwaldstätter See, so mußteWilhelm Teil aufgefrischt werden, des Abends am Familientisch mit verteilten Rollen. Und alle die Stationen der mählich fortschreiten­den Vorbereitungen vom ersten Planen der Strecke über Zeit und Dauer der Aufenthalte an diesem und an jenem bedeutsamen Ort über das Be­rechnen von Entfernungen und Preisen, das Auswahlen der Hotels bis zum endlichen Kauf und festlichen Ausbreiten der Fahrkarten vor den Aspi­ranten der Reise wurde weidlich ausgekostet, von allen Trabanten in allen Phasen mitgelitten und mitgenossen.

sehen Küste. Wer ohne Bildungsan­spruch nur seineTraumreise sucht, südliche Ufer mit mondänen Orten, er wird mit Riviera, mit Schweizer, öster­reichischen, italienischen Seen, mit Olivenhainen und Palmengärten be­stens bedient.

Erholung gefällig?

Wie aber, das alles wünschen Sie gar nicht? Sie suchen einfach Ruhe und Entspannung, Sie wollen sich nicht durch ein Programm hetzen lassen und Ihretwegen kann es ruhig in Deutsch­land sein? Aber gewiß doch, nichts leich­ter als das. Wünschen Sie Bayern, Allgäu oder Schwarzwald, soll es der Bodensee sein oder die Nordsee, ha­ben Sie an Rhein oder Mosel gedacht? Mehr als hundert Kurorte, Erholungs­plätze und Seebäder allein in Deutsch­land werden jede Woche angefahren. Das geht so vom Mai bis in den Ok­tober hinein.

Nehmen wir einmal Ruhpolding. Es ist ein Modellfall. Jeden Sonnabend fährt der Touropa-Fernexpreß nach Ruhpolding. Für die Neun-Tage-Reise legt der Hamburger hin 138 Mark, der Kölner 126, der Heidelberger 108 Mark, und da istalles drin! Fahrt, volle Verpflegung (die im Zug beginnt und im Zug endet). Unterkunft in der ge­buchten Gruppe (in diesem Fall die billigste, im Privatquartier), Bedie­nung, Kurtaxe, Reiseleitung, Führun­gen, Eintritte. Für jeden Einwand ist Vorkehrung getroffen. Fühlen Sie sich etwa dabei zu stark an die Krippe ge- gebunden? Sie wollen mehr Freiheit für Wanderungen, überhaupt für Im­provisation? Nun, sie können auch buchen ohne Gutscheine für Mittag- und Abendessen, das macht je Woche 25 DM weniger. Bessere Unterkünfte, Halbpension, Verlängerung des Aufent­halts, ja Kombination mit anderen Reisen deuten den Spielraum an.

Vergleiche

Richtig interessant werden die ge­nannten Ruhpoldinger Daten aber erst, wenn man einen Vergleich mit einerfrei berechneten Reise an­stellt. Der Preis der Eisenbahnfahrt in der Polsterklasse, mit der Rückfahr­kartenermäßigung, wäre für unseren

Hamburger 149 Mark, für unseren Kölner 131, für unseren Heidelberger 92 Mark. Die Fahrt allein würde also für den Reisenden von der Mainlinie an mehr als die ganze Gesellschafts­reise kosten. Und er hätte kein Lie-

So bequem reist man in den Zügen der großen deutschen Feriengesell­schaften

gebett für sieh wie im Fernexpreß. Für ein Schlafwagenbett aber würde er noch 2030 Mark extra hinlegen müs­sen. Die vollen acht Tage Verpflegung und Unterkunft am Zielort sind also umsonst? Wer rechnen muß, sieht sei­nen Vorteil.

Positiva touristischer Politik sind ganz offenbar die Lenkung des Reise­stroms in Notstandsgebiete, wie ihn beispielsweise dieTouropa mit ihrer Erschließung des Bayerischen Waldes und der Fränkischen Schweiz ver­sucht, die Entlastung der Saisonspit­zen durch Preisnachlässe in der Vor- und Nachsaison, und Bindung der gro­ßen Reisewelle an die Schiene, deren schicksalsbedingter Verfall so oft prophezeit worden ist.

Für den Reisenden jedenfalls liegt es auf der Hand, daß seine Ersparnis an Zeit Vorbereitungen entfallen weitgehend und an Geld beträcht­lich ist. Für den Betrag, den er bei einer ;,frei kalkulierten Reise für eine Person aufzuwenden hätte, wird er in den meisten Fällen eine Gesellschafts­reise für zwei Personen kaufen kön­nen. Vielleicht stört ihn derBetrieb des Reisens in der Gesellschaft nicht. Kann es ihm nicht weitgehend gleich­gültig sein, ob er mit derselben Be­setzung im Zug wieder zurückreist, mit der er hergereist, falls er überhaupt seine Konfektionsreise ohne Änderung abnimmt? Wenn er nicht will, braucht er von der Ankunft im Zielort bis zum Besteigen des heimwärtsführenden Zu­ges keinen seiner Mitreisenden zu se­hen. Die Gesellschaftsreise kommt da nah an die Einzelreise heran.

Das Herumhasten nach einem Hotel, erfahrungsgemäß eine Quelle von Spannungen, entfällt bei der Pau­schalreise. Aufregungen, ja, Pannen reduzieren sich, Nerven werden ge­schont, unbelastet kann man sich den neuen Eindrücken hingeben, das Erho­lungspotential wächst. Notorische Que­rulanten werden immer dabei sein. Man kann sie ignorieren. Und man kann sich absentieren. Es ist auf der ganzen Welt nicht viel anders als an den Drehscheiben im Schwarzwald. Wenn an einem Sonntag amSand oder amRuhestein die Menschen einander auf die Füße treten, so wie sie aus Autobussen ausgespien wer­den, wie sie aus Personenwagen her­ausquellen, braucht man nur fünf Mi­nuten weit von der Verkehrsader hin­wegzuspazieren und ist schon allein in der Stille, am Busen der Natur.

Mit allem Komfort

Selbst der geborene Alleingänger wird einen Vorzug der qualifizierten Gesellschaftsreise anerkennen, denje­nigen nämlich, der in dem für den spe­zifischen Erholungsurlaub herausge­arbeiteten Verkehrsmittel liegt, mit dem er sein Ziel erreicht. Bei den Om­nibusreiseunternehmen sind es die Touring-Busse, zu höchstem Reise­komfort entwickelte Luxus-Autobusse, in denen man über die Straßen gleitet. Bei den drei deutschen Gesellschafts­reiseunternehmen ist es der neue Fern­expreß, ein blauer Traum in Leicht­metall, der das Luxuriöseste bietet, das man bis jetzt in der Touristen­klasse erlebte, und das für den hal­ben Fahrpreis dritter Klasse! Sechs Polstersitze im Abteil, die des Abends von blaubetreßten Pagen in ebensoviele Liegebetten verwandelt werden. Ein frisch bezogenes Kopfkissen, eine Woll­decke für jeden Schläfer. Ein Tisch für die Mahlzeiten, Spiele, Musik, die ab­

stellbar ist, Waschabteile, Speisewa­gen, ein Friseursalon. Je nach Bega' bung für Schlaf über rollenden Rä­dern und in Gemeinschaft, Männlein und Weiblein, kommt der Reisende mehr oder weniger taufrisch an sei­nem Zielort an. Übermüdet vom Auf­rechtsitzen ist er jedenfalls nicht mehr Die Erholung begann schon mit der Fahrt. Jeder Reisetag kann voll ge­nossen und ausgeschöpft werden.

Übers Wochenende

Diese für jeden Reisenden bereitge­haltene Liegestatt ist schließlich die Voraussetzung für das allerjüngste Kind der Pauschalreise: die Wochen­end-Touristik, mit der die großen Or­ganisatoren des Fremdenverkehrs die verkehrsarme Winterzeit beleben wol­len. Man wird sich nach Ablauf des sommerlichen Reisebooms dann am Freitagabend im Fernexpreß schlafen legen können, um von Samstagfrüh bis Sonntagabend zwei volle Tage in Paris oder in Wien, vielleicht sogar in Berlin zu verbringen. Montagfrüh ent­steigt man daheim wieder ausgeruht und tagewerkbereit dem blauen Zug, Der kostbare Jahresurlaub mußte nicht angerissen werden.

Noch immer besteht ja ein großer im Krieg angewachsener Nachholbe­darf im Reisen. Das Bestreben der großen gemischt-wirtschaftlichen Pri­vatunternehmer des Fremdenverkehrs für alle Bevölkerungsschichten preis­werte Erholungen auf breitester Ba­sis zu schaffen, findet Sympathie und Unterstützung von der Deutschen Bun­desbahn und den Fremdenverkehrs­vereinen der Zielorte, die die sicher« Garantie einem Zufallsgeschäft vor­ziehen, ganz in der von James Cook, dem Stammvater der modernen Reise- marschälle, Anno 1841 angebahnten Li­nie. Die in über einem Jahrhundert herausgearbeitete Pauschalreise, ein« Markenware des Fremdenverkehrs, fängt den Massenbedarf auf. Gesün­

dere, entspannte und aufgeschlossen« Menschen, das Abfallen der Scheu­klappen durch d4nBlick ln die Welt, die völkerverbindende Kraft der grenz­überschreitenden Reisen fallen auf der ideellen Seite in die Waagschale die­ser wirtschaftlichen Größe Touristik. Irgendwo hat es auch der Einzelgänger zu danken. c,oni skuliraa

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