DIENSTAG, 11, MAI 1954
Integration über Kohle und Stahl hinaus
Die deutschen Wünsche zur Montanunion / Heute Eröffnung des Straßburger Parlaments
„Rechtzeitig Unabhängigkeit“
SOUTHAMPTON (Wales). DerFüh- rer des linken Flügels der britischen Labour-Partei, Aneurin B e v a n, erklärte am Sonntag, wenn Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten verhindern wollten, daß die Unabhängigkeitsbewegung in Indo- cfaina einen revolutionären und kommunistischen Charakter annehme, dann müßten sie den indochinesischen Völkern rechtzeitig die Unabhängigkeit zugestehen. Mit A111 e e s Standpunkt in der Südasienfrage habe er sich nicht einverstanden erklären können, weil er nicht wünsche, daß auch nur ein britischer Soldat in Indochina sein Leben für den französischen Imperialismus opfere. Gleichzeitig betonte Bevar jedoch, er beabsichtige nicht, aus der Labour-Partei auszutreten.
FDP/DVP liir Stuttgart
STUTTGART. Abgeordnete der FDP/DVP-Fraktion haben im Landtag einen Antrag eingebracht, wonach Stuttgart als Sitz des Verwaltungsgerichtshofes für das Land Baden-Württemberg bestimmt werden soll. Nach dem Antrag des Verwaltungsausschusses, der seit dem 16. Januar 1954 dem Plenum vorliegt, soll der Verwaltungsgerichtshof möglichst nach Bebenhausen oder Tübingen, auf jeden Fall aber in den Landesbezirk Südwürttemberg verlegt werden. Der Antrag des Verwaltungsausschusses, der sich grundsätzlich mit der Frage der Behördensitze befaßt, ist schon wiederholt von der Tagesordnung des Landtags abgesetzt worden.
Landes-Städteverband gebildet
BADEN-BADEN. Die Vertreter von 81 Städten aus allen vier Regierungsbezirken des Landes gründeten am Montag unter dem Vorsitz des Mannheimer Oberbürgermeisters Dr. Hermann Heimerich in Baden-Baden einen ganz Baden-Württemberg umfassenden Städteverband. Die Delegierten stellten während der Versammlung die Notwendigkeit einer einheitlichen, geschlossenen Repräsentation aller südwestdeutschen Städte heraus.
Da die Verfassung des Landes bereits eineinhalb Jahre in Kraft sei, könne eine weitere Aufsplitterung in die bisherigen 5 Städteorganisationen nicht länger verantwortet werden.
BONN. Sprecher der drei großen Parteien CDU, SPD und FDP forderten am Vorabend der Eröffnung des Straßburger Montanparlaments eine Integration über Kohle und Stahl hinaus und vor allem eine einheitliche Währungspolitik, möglichst in einem
Ohne Brille
Herr Bundeskanzler, brauchen Sie denn gar keine Brille?“ fragte letzthin ein Abgeordneter; „Wozu?“ meinte der Alte, „meine Leute kenn ich, und die Opposition kann ich ja hören.“
System freier Konvertierbarkeit. Das Montanparlament tritt am Dienstagmorgen zusammen, um seinen neuen Präsidenten zu wählen und den Rechenschaftsbericht der Hohen Behörde über das abgelaufene Jahr zu diskutieren.
Nichts überstürzen
Einig waren sich die Sachverständigen der Parteien auch darüber, daß die Hohe Behörde in der Übergangszeit keine überstürzten Entscheidungen treffen dürfe und bei jeder Maßnahme die wirtschaftlichen Folgen berücksichtigen müsse. Für das Montanparlament verlangten sie das Budgetrecht, das jedem echten Parlament zugestanden werden müsse.
Für die CDU sagte Dr. Wolfgang Pohle, die deutsche Wirtschaft bejahe die politische Zielsetzung der Montanunion, nehme aber in der Be-
Heuß an Prinz Louis Ferdinand. Bundespräsident Heuß hat zum Tode von Kronprinzessin Cecilie von Preußen an Prinz Louis Ferdinand folgendes Beileidstelegramm gesandt: „Zum Hinscheiden ihrer Frau Mutter spreche ich Ihnen und Ihrem Hause aufrichtige Anteilnahme aus.“
Marsch auf Bern. Rund 25 000 Schweizer Bauern aus allen Teilen des Landes unternahmen am Sonntag einen „Marsch auf Bern“, um gegen die Senkung des Milcherzeugerpreises zu protestieren.
Stürme über Amerika. Acht Tote und zahlreiche Verletzte forderten schwere Stürme über dem Osten der Vereinigten Staaten. Die Stürme waren von schweren Regenfällen begleitet.
Auch in Japan Stürme. Über der nördlichsten japanischen Insel Hokkaido
urteilung der Wirtschaftspolitik der Hohen Behörde noch eine abwartende Haltung ein, da die Montanunion noch zu jung sei. Das Montanparlament sollte nach Ansicht Pohles nicht über das Budgetrecht hinaus noch mehr gestärkt werden, da das die Arbeit der Hohen Behörde zu schwerfällig machen würde. „Wer Europa will, muß der Hohen Behörde große Vollmachten geben, wer Europa nicht will, muß sie entmachten“. Direkte Wahlen zum Montanparlament hält Wohle für ein Parlament mit so speziellen Aufgaben, „zu denen der Staatsbürger keine unmittelbare Beziehung hat“, für nicht angebracht.
SPD fordert Ausweitung Eine Ausweitung der Befugnisse des Montanparlaments forderte dagegen der SPD - Sprecher Hans - Joachim Schöne, wenn er auch direkte Wahlen aus dem gleichen Grund wie
WÜRZBURG. Unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit begann am Montag vor dem Würzburger Schwurgericht der Mordprozeß gegen die Jugoslawen Stefan M a t o s i c, Ivan S e f u 1 j (der sich auch Elles nannte) und Mirko Bodrusic - Matosic und Stefulj werden beschuldigt, im November vorigen Jahres die Belgierin Simone de Ridders Im Wien-Ost- ende-Expreß überfallen, beraubt und bei Kitzingen am Main aus dem fahrenden Zug geworfen zu haben. Frau de Ridder erlag kurz danach ihren Verletzungen, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben. Bodrusic wird der Beihilfe zu diesem Verbrechen beschuldigt.
Matosic, der als Haupttäter gilt, wurde nach tagelangen umfassenden Ermittlungen in Klagenfurt bei einer Routinekontrolle der österreichischen Polizei verhaftet, als er sich nicht ausweisen konnte. Bodrusic, der als Rädelsführer angesehen wird; war bei dem Überfall im D-Zug selbst nicht dabei. Alle drei waren Insassen des Valka-Auslaridslagers bei Nürnberg.
Die Angeklagten wurden unter stärksten Sicherheitsvorkehrungen in
Kleine fVeltchronik
tobte in der Nacht zum Montag der stärkste Sturm seit 20 Jahren. Mehrere Menschen wurden verletzt, 50 Häuser zerstört und 500 andere beschädigt.
Düsenflugzeug stürzt auf Fabrik. Ein Düsenflugzeug der italienischen Luftstreitkräfte ist am Montag in der Nähe von Neapel brennend auf ein Gebäude der Coca-Cola-Gesellschaft gestürzt. Der Pilot kam ums Leben. 14 Arbeiter des Coca-Cola-Werkes wurden schwer, mehrere andere leicht verletzt.
Tigris führt Hochwasser. 10 000 Menschen mußten im Gebiet von Ahwaz (Südirak) evakuiert werden, da der Tigris erneut Hochwasser führt. Weite Strecken bewohnten Landes wurden
Pohle als unzweckmäßig ablehnte. Das Montanparlament müsse aber in die Lage versetzt werden, eine echte, verantwortliche Kontrolle und Mitarbeit zu leisten. „Nicht die Sachverständigenausschüsse, sondern nur das Parlament kann und muß die Zukunft der Montanunion und die Politik der Hohen Behörde bestimmen "
FDP: Gemeinsamer Markt Der FDP-Sachverständige Walter Scheel erklärte, daß die aufgetretenen Schwierigkeiten auf dem Montanmarkt nicht auf die Montanunion, sondern im Gegenteil darauf zurück- züführen seien, daß die nationalen Märkte für die verarbeitende Industrie noch nicht zu einem gemeinsamen Markt zusammengeschlossen seien. Überwunden werden könne dieser Mangel nur durch eine großzügige wirtschaftliche Auslegung des Vertrages.
den Gerichtssaal geführt. Der Weg vom Gefängnis zum Gerichtssaal war hermetisch abgesperrt. Vor dem Richtertisch war das Modell eines D-Zug- wagens des Tatabteils aufgestellt.
Wie nach Bombenangriff
KÖLN. Die schwere Gasexplosion, die am Sonntagnachmittag gegen 17.16 Uhr einen dreistöckigen Wohnhausneubau in der Kölner Innenstadt völlig vernichtete, vier Menschen tötete und acht Personen — zwei davon lebensgefährlich — verletzte, ist wahrscheinlich im Keller des Hauses ausgelöst worden, teilte die Kölner Feuerwehr am Montagmittag mit.
Die Aufräumungsarbeiten an der Unglücksstelle, die nach der Bergung aller zwölf Opfer durch die Feuerwehr und zahlreiche freiwillige Helfer auch die ganze Nacht über bei Scheinwerferbeleuchtung unter Einsatz von Baggern fortgesetzt wurden, waren am Montagmittag noch im Gange. Die Unglücksstelle bietet ein Bild wie nach einem schweren Bombenangriff.
überflutet. Die Gesamtschäden der Überschwemmungen seit Ende März im Irak belaufen sich bisher auf etwa 60 Millionen Dinar (rund 700 Millionen DM).
Kaffeepreis soll gehalten werden. Ein Sprecher des '■ Bundeswirtschaftsministeriums erklärte, daß trotz der gestiegenen Weltmarktpreise für Kaffee keine wesentlichen neuen Erhöhungen der inländischen Kleinverkaufspreise zu erwarten seien.
US-Zerstörer für Japan. Die Vereinigten Staaten wollen Japan vier Zerstörer für zunächst fünf Jahre leihweise zur Verfügung stellen.
Neuer kanadischer Botschafter. Der neue kanadische Botschafter in Bonn, Charles S. Rltchie, ist am Sonntag in Bonn eingetroffen.
PK ESSEST I MM EN
Erste große Kraftprobe
Die „T a t“, Zürich, erwartet nach dem Verlust von Dien Bien Phu eine Versteifung der kommunistischen Haltung bei den Genfer Ost- asien-Gesprächen. Das Blatt schreibt:
„Die Reaktion der Gegenseite war charakteristisch: Sie ging auf eine Diskussion des Bidault-Planes vorläuiig überhaupt nicht ein, sondern brachte zugleich die Frage der Vertretung der kommunistischen Regierungen von Laos und Kambodscha an der Genfer Konferenz aufs Tapet. In dieser Frage scheint es zur ersten großen Kraftprobe zwischen West und Ost zu kommen.“
Im Falle der Krise...
Zu den Schwierigkeiten für die Regierung Laniels bemerkt die unabhängige Pariser Zeitung„Combat“:
„Im Falle der Krise sieht man jetzt bereits nur zwei mögliche Lösungen: Eine Regierungsmehrheit, die den Krieg in Indochina internationalisieren will oder eine dem Frieden zugeneigte Mehrheit. Auf jeden Fall werden die Anwärter für die Nachfolge Laniels sich zahlreichen Schwierigkeiten gegenübersehen. Man kann daher annehmen, daß man sich nach der Ausschaltung der „Verantwortlichen“ für Dien Bien Phu bemühen wird, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden“.
Blank Mitarbeiter angeklasit
bg. KARLSRUHE. Gestern begann vor dem Sechsten Strafsenat des Bundesgerichtshofes der Landesverratsprozeß gegen den 35jährigen ehemaligen Gutachter in der Dienststelle Blank, Woldemar Kost aus Bierth bei Ukrath. Die Anklage wirft Kost vor, Staatsgeheimnisse an den sowjetzonalen Staatssicherheitsdienst verraten zu haben. In den Monaten Juli und August 1952 war Kost als Gutachter bei der Dienststelle Blank angestellt Im September wurde er bei einer Razzia der Volkspolizei in Ostberlin verhaftet und nachdem man seinen Dienstausweis gefunden hatte — dem SSD übergeben. Kost gibt an, er habe dort betont, daß er freiwillig in den Ostsektor gekommen sei, um dem SSD vorzuschlagen, ihn als Agenten anzunehmen. Er habe bei den Vernehmungen Angaben über die personelle Besetzung des Amtes Blank gemacht und eine Lageplanskizze der Dienstgebäude angefertigt. Man habe ihn dann gehen lassen, aber seine Papiere einbehalten und ihn für den kommenden Tag erneut bestellt.
Erik Reger gestorben
BERLIN. Der Herausgeber und Chefredakteur der Westberliner Zeitung „Der Tagesspiegel“, Erik Reger, ist in der Nacht zum Montag im Alter von 60 Jahren überraschend in Wien verstorben. Erik Reger war zum Besuch des internationalen Presseinstituts nach Wien gefahren.
Der Verstorbene war Gründungsmitglied des Instituts und gehörte dem Exekutivausschuß seit dessen Bestehen an.
Königin Elizabeth in Gibraltar
Alle Spanier gut bewacht / Die ganze Kolonie auf den Beinen
GIBRALTAR. Königin Elizabeth II. ist am Montagmorgen in Begleitung des Herzogs von Edinburgh und ihrer beiden Kinder an Bord der königlichen Jacht „Britannia“ zu einem zweitägigen Besuch im Hafen von Gibraltar eingetroffen. Zu ihren Ehren wurden 21 Schuß Salut gefeuert, und die Glocken der Kathedrale begrüßten die Königin, als das Schiff im Hafen festmachte. In den engen Gassen Gibraltars drängten sich die Menschen, die seit den frühen Morgenstunden zum Hafen geströmt waren, um die Königsfamilie zu begrü
ßen. Es schien so, als ob alle 28 000 Einwohner der kleinen Kolonie auf den Beinen waren. InGibraltar sind umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen getroffen worden. Jede Gemüse-, Fisch- und Blumensendung, die ein Spanier brachte, wurde genauestens durchsucht. 500 Polizisten sind eingesezt. Die spanischen Behörden haben den spanischen Staatsbürgern untersagt, Gibraltar während der Dauer des Besuches der Königin zu betreten.
D-Zug-Mörder vor dem Richter
Sühne für den Tod Simone de Ridders / Mit vielen Zuschauern
tt/rM
ROMAN VON MARYBURCHELL
Copyright by Dr. Paul Herzog, Tübingen — Durch Verlag v. Graberg & Görg, Wiesbaden. Berechtigte Übertragung: H. Passow-Kemen
(17. Fortsetzung)
Lindsay Varlon war noch nicht da, ttod ein paar Minuten wartete sie in erneuter ängstlicher Spannung, denn sie stellte sich vor, daß Geraldine am Ende schon fertig zum Ausgehen angezogen aus ihrem Zimmer gekommen sei und nun jeder Weile aus der Lifttüre treten und sie doch noch überraschen könnte.
Und endlich, als die gesprungene Glocke des nahen Kirchturms mit zirpendem Laut den Halbstundenschlag angegeben hatte, fuhr sein Auo vor. Sie eilte hinaus und rief ihm „Guten Morgen!“ entgegen, als er gerade aussteigen wollte. Er grüßte ein wenig verwundert zurück, hielt im Aussteigen inne und fragte: „Ich habe Sie doch hoffentlich nicht warten lassen?“
„Keine Spur! Ich war einfach schon fertig und dachte, wir sparen Zeit, wenn ich schon unten bin“, redete sie mit der größten Selbstverständlichkeit heraus, froh, einer Begegnung mit Geraldine entronnen zu sein.
„Aha.“ Er lud sie mit einem so verschmitzten Lächeln zum Einsteigen ein, daß sie sofort wußte, er sei vollkommen im Bilde. Doch einerlei! Jetzt konnten sie losfahren, das Wetter war strahlend, der Wagen wunderbar, und er sah ungemein rassig aus — und sie war glücklich.
Als sie so dahinsausten, fing sie auf einmal an vor Wohlbehagen zu summen. Er blickte lächelnd nach ihr hin und fragte: „Zufrieden?“
„Ja, wunschlos glücklich. Einen herrlichen Tag haben wir. wahrhaftig.“
„Mir kommt es auch herrlich vor. Wenn Sie so neben mir summen, werde ich wieder ganz jung und sorglos.“
„Brauchen Sie das erst zu werden? Wie ein Großvater wirken Sie eigentlich noch nicht“, erwiderte sie schelmisch, beinahe keck, weil sie sich heute in seiner Gegenwart viel freier fühlte als sonst.
Er lachte und meinte trocken: „Und doch habe ich schon graue Haare.“
„Wo?“ Sie betrachtete eingehend sein dichtes, dunkles Haar, das ihm sonst glatt und gepflegt am Kopfe anlag, heute aber, wo es der Wind durchs Fenster aufblies, etwas zerzaust wirkte. „Ich finde kaum eins. Und wenn Sie viele hätten, so würde Sie das nur noch distinguierter machen. Schon jetzt sieht jeder, daß Sie eine wichtige und berühmte Persönlichkeit sein müssen."
„Danke. Und trotzdem singe ich: „Kehre wieder, kehre wieder, du blitzender Morgen, mich lockt nicht des Abends dämmernder Schein. .“ Dieses Zitat aus einem bekannten Lied tönte von ihm aus so urkomisch, daß Thea laut herauslachte.
Dann meinte sie: „Als wenn Sie es nötig hätten, über Ihren ,Abend' zu reden! Ich habe direkt Lust, Sie zu fragen, wie alt Sie sind, aber ich will lieber brav und wohlerzogen sein und Sie bloß fragen, woher das Zitat stammt.“
„Weil Sie so brav waren, sage ich's Ihnen trotzdem: fünfunddreißig. Und das Lied ist eines von den schönsten irischen Liedern und fängt an: ,Am Strande, da schaute ich . ..' “
„Ach, fünfunddreißig? Das ist doch noch kein Alter!“ erklärte Thea. „Wenigstens nicht bei einem Mann“, fügte sie hinzu.
„Sie Goldkind, warum habe ich Sie nicht früher schon mitgenommen? Sie tun einem wirklich wohl und heben das Selbstgefühl“.
„Ich nehme an“, sagte Thea ernsthaft, „Sie fahren mit vielen Mädchen — oder wahrscheinlicher Frauen — aus und hören so manches, was Ihrem Selbstgefühl wohltut.“
„Da irren Sie sich“, widersprach er. „Ich bin derjenige, der stets Dinge sagen muß, die andern wohltun.“
Thea lachte. „Aber heute dürfen Sie sich davon ausruhen. Sie brauchen mir nichts zu sagen, was meiner Eitelkeit schmeichelt. Ich begnüge mich mit dem, was Sie mir sonst bieten.“
„Ja, wollen Sie wirklich nicht hören, daß Sie wunderschönes Haar haben, daß Ihr Frohsinn mich ganz ansteckt und daß ich mich für einen Glückspilz halte, weil ich mit Ihnen ausfahren darf?“
„Sagen Sie das zu jeder Frau?“ fragte säe.
„Sie haben von mir eine komische Vorstellung. Sehe ich so aus, als ob ich mir damit die Zeit vertriebe, solches Zeug an den Mann zu bringen?“
„Nein, aber an die Frau!“ sagte Thea und lachte dazu diebisch.
„Sie kleine Hexe!“ drohte er munter. „Aber hören Sie und seien Sie nicht zu sehr enttäuscht: Ich pflege derlei überhaupt niemandem zu sagen. Ich stelle mich ganz anders an “
„Ach, dann war es Ihnen wohl auch nicht ernst, als Sie es zu mir sagten?“
„Doch, es war mir ernst.“
„Dann sagen Sie es bitte noch einmal; denn weil ich schon vorher angenommen habe, Sie trieben Scherz mit mir. habe ich gar nicht recht zugehört.“
„Nein, ich sage es nicht noch einmal“, erklärte er. „Sie verdienen es nicht.“
„Gut“, sagte Thea gleichmütig und lehnte sich wieder bequem auf ihren Sitz zurück. Er schaute sie wieder höchst belustigt an, und dann fuhren sie schweigsam weiter. Es war aber ein vertrautes und angenehmes Schweigen.
„Ich hoffe fest, Sie sind schon ein bißchen hungrig. Wir sind nämlich gleich bei dem Wirtshaus, wo wir essen wollen.“
Thea richtete sich auf und wollte sagen, sie fange wirklich an, Hunger zu kriegen, brach aber statt dessen in den begeisterten Ruf aus: „Oh, wie schön!" Denn das Auto war soeben über eine Hügelkuppe gefahren, und die Straße wand sich sachte hinunter bis zum Fluß, der am Fuße des Hügels in einem
weiten Bogen aufblitzte; üppige Bäume säumten sein Ufer, und manche Zweige hingen bis tief zum Wasserspiegel herunter.
Ihre Begeisterung für die Schönheit der Natur stimmte auch ihn heiter. In wenigen Minuten hatte er den Wagen über die zahlreichen Kurven gesteuert und hielt nun vor dem weißgetünchten Wirtshaus am Flusse, das schon von oben her einladend gewirkt hatte. Nach dem Empfang, den die Wirtsleute ihm bereiteten, schien er hier ein häufiger Gast zu sein. Auch der Hüter des Autopark* begrüßte ihn wie einen guten Bekannten, und der Oberkellner führte sie sogleich zu einem Tisch auf der offenen Terrasse nach dem Fluß hin.
„Ist das nicht himmlisch!“ Thea stützte die Ellbogen auf dem Tischchen auf und schaute hinüber auf das Wasser, das grünlich und still vorbeifloß, während ihr Begleiter sich mit der Auswahl des Menus befaßte. Er stellte schließlich etwas zusammen, was nach seiner Ansicht für einen gesunden und unverdorbenen Jungmädchenappetit höchst bekömmlich sein mußte.
„Mir gefällt es einfach großartig hier“, sagte sie mit leuchtenden Augen, als der Kellner mit der Bestellung verschwunden war.
„Das freut mich, Thea. Habe ich nicht schon gleich am Anfang gesagt, daß Sie eine besondere Gabe haben, das Schöne zu genießen?“
„So, haben Sie das gesagt?“ lächelte sie. „Ja, ich kann mich nun erinnern. Das ist aber doch weiter nichts Auffallendes. Wozu lebt man denn, wenn man sich nicht über die schönsten Dinge freuen könnte, die einem begegnen?"
„Ja, wozu?“ stimmte er nachdenklich hei.
„Aber Sie selbst können sich doch auch noch an allem freuen, nicht wahr?" fragte sie dann ein wenig besorgt.
„Jedenfalls ist es mir hier mit Ihnen unbeschreiblich wohl“, beruhigte er sie, er sah ihr dabei direkt in die Augen hinein — etwas, was sie noch nie erlebt' hatte.
(Fortsetzung folgt)
ONKO
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