Am Rande der Ostasien-Konferem
Im Genfer Kabinett der Schatten
„Bavaria“ — Rendezvous der Diplomaten und Journalisten / „Alles beim alten"
Von unserem Sonderberichterstatter Wolf Schenke
als Schupo, Agent de Police und Bobby zusammenstehen unter der Überschrift: „Die Hüter des Friedens“. Fast vergessen ist Woldemaras, hier mit Pistole und blutigem Säbel, der kleine Diktator der Zwanzigerjahre über den größeren Diktatoren, die später die Welt beunruhigten.
Wo ist Pierre Laval, dem auf der Karikatur vom Friedensengel gesagt wird: „Sie sind ein Verführer, M. Laval, aber ich habe Vertrauen zu Ihnen?“ Auch von Papen in roter Husarenuniform ist mit dem Friedensengel abgebildet, doch geht dieser im Stechschritt neben ihm her. Nicht weit von ihm finden wir aus dem Jahre 1930 den ernsten Curtius als schwarzen Reichsadler mit schwarz-rot-goldener Krawatte. Wohl nicht zu Unrecht zeigt uns Derso den Chauvinisten Tardieux als „Ivan Tardieu, der Schreckliche“.
Es hat sich nichts geändert
Was waren die Probleme jener Zeit? Auch damals brannte es im Fernen Osten, wie der aufgeregt ein Telegramm aus Schanghai schwingende chinesische Außenminister Dr. Yen (1932) zeigt. Wir sehen den Hohen Völkerbundskommissar des Saargebietes, Knox, und den österreichischen Bundeskanzler Dr. Seipel zwischen Germania und Marianne. Die von Österreich und Deutschland gewünschte Zollunion wurde damals
verboten. Der lange Bürgermeister von Danzig, Dr. Sahm, sieht entsetzt zu, wie der kleine polnische Gesandte Straßburger einen Danziger Briefkasten mit rot-weißen Streifen und dem polnischen Adler bemalt. Die Abrüstung wurde schon damals zu Tode geritten, und da so oft in Genf über diese Frage verhandelt wurde, sind ihr viele Karikaturen Dersos gewidmet. Auf einem Bild sehen wir über den Staatsmännern am Ratstisch die Geister der immer wiederkehrenden Streitfragen schweben: Abrüstung, Opium, Protokoll, Saargebiet, griechische Flüchtlinge und ungarische Optanten, schließlich, nicht zu vergessen, der Diktator Woldemaras.
Nachdenklich betrachtet Dame Rachel Crowdy, einmal Vorsitzende der Opium-Kommission des Völkerbundes, eine Opiumpfeife: „Ob ich es nicht wenigstens einmal probiere?“. Fast bestürzt aber stehen wir vor zwei Karikaturen. Die eine zeigt den Grafen Coudenhove - Kalergi und trägt die Inschrift: „Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich (Paneuropa)“. Auf der anderen aus dem Jahre 1929 finden wir Briands tüchtigen Kabinettschef Leger mit einem Bündel Pläne unter dem Arm, auf denen unter anderem steht: „Vereinigte Staaten von Europa“ und „Der Krieg ist geächtet — Briand-Kellog“, während Leger vor sich hinmurmelt: „Er erfindet schon wieder etwas“.
„Saar als Reparation unmöglich“
Dr. Dehler aus USA zurück / Verständnis für Deutschland
Wiederwahl gesichert
hf. BONN. Die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesversammlung, die Mitte Juli den neuen Bundespräsidenten zu wählen hat, werden gegen den von der CDU und FDP unterstützten Vorschlag auf Wiederwahl von Professor H e u ß nicht opponieren. Wie von maßgebender sozialdemokratischer Seite erklärt wurde, liegt die Entscheidung, die von den Führungsgremien der Sozialdemokraten Anfang Juni gefällt werden soll, nur zwischen der Stimmenthaltung und der Unterstützung der Wiederwahl des gegenwärtigen Bundespräsidenten. Hierüber gebe es allerdings sehr unterschiedliche Auffassungen in den Reihen der Opposition.
Scharfe Kritik am Bundesiat
BONN. Die Bundesregierung hat dem Bundestag jetzt die drei Gesetzentwürfe zur Finanzreform zugeleitet und dabei die Gegenvorschläge des Bundesrates scharf kritisiert. Die Stellungnahme des Bundesrats, so heißt es, werde der staatspolitischen und finanzwirtschaftlichen Bedeutung der Gesetzesvorlage nicht gerecht.
Trustbildungen begrenzt
LUXEMBURG. Der Ministerrat der Montanunion hat die Grundlagen für die ersten europäischen Antitrust-Bestimmungen gelegt. Die Minister setzten als Höchstgrenze für industrielle Zusammenschlüsse ohne vorherige Genehmigung das Äquivalent einer jährlichen Gesamtproduktion von sieben Millionen Tonnen Koks fest. Beabsichtigen Werke mit einer größeren Jahresproduktion einen Zusammenschluß, so muß zuvor die Genehmigung der Hohen Behörde der Montanunion eingeholt werden.
GENF. Außer dem Pressehaus in den Räumen des alten Warenhauses „Le Printemps“ gibt es in Genf noch ein Zentrum für die Journalisten aus aller Welt, die in der Stadt am Lac Leman zusammengekommen sind, um den Arbeiten der Ostasienkonferenz zu folgen. Man trifft eine ganze Anzahl von ihnen jeden Abend im „Bavaria“ zwischen der Rue du Rhone und dem Grand Quai, in unmittelbarer Nähe des Hotel „Metropole“, in dem die sowjetrussische Delegation wohnt.
Aber nicht die Nähe der mysteriösen Russen und auch nicht das gute Essen und Bier allein ziehen die Journalisten dorthin. Seit über 25 Jahren ist das „Bavaria“ der Treffpunkt der Presseleute, wenn in Genf politische Verhandlungen von Bedeutung geführt wurden, und seine Hauptattraktion, die in den Zeiten des Völkerbundes darin bestand, daß Stresemann, Briand, Litwinow und andere sich dort zwanglos mit den Journalisten unterhielten, sind heute die Karikaturen des bekannten ungarischen Zeichners Derso aus jener Zeit an den getäfelten Wänden des Lokals.
Stresemann als Berliner Schupo
Hier ist ein Stück Weltgeschichte im Bilde festgehalten, mit zeitlosem und treffenden Humor. Madame Genevie- ve Tabouis, die man heute im „Bavaria“ trifft, war auch damals schon hier, aber die meisten der Staatsmänner und großen Journalisten, deren Konterfeis das Lokal schmücken, deckt längst der grüne Rasen. Da sieht man Stresemann, Briand und Cushenden
DÜSSELDORF. Der Bundesvorsitzende der FDP, Dr. Thomas Dehler, sagte am Mittwoch in Düsseldorf, die Saarfrage werde in den USA als eine „Querelle Europäenne“ (Europäische Streitfrage) angesehen, die die Integration belaste und daher möglichst bald gelöst werden sollte.
Dehler, der von einer dreiwöchigen Reise durch die Vereinigten Staaten zurückkehrte, fügte hinzu, er habe in Besprechungen mit amerikanischen Politikern, darunter Staatssekretär Bedell Smith, betont, daß eine Europäisie- rung der Saar nur dann möglich sei, wenn gleichzeitig wirklich eine über
Kleine Weltchronik
Personenzug, der zwischen Puigcerda und Barcelona (Spanien) verkehrt, ist entgleist. 40 Passagiere wurden verletzt, drei davon ernsthaft. Der Unfall wurde durch einen Erdrutsch verursacht, der die Schienen blockiert hatte.
Nach 38 Jahren entdeckt. Das Wrack des am 20. September 1916 von einem deutschen Unterseeboot versenkten italienischen Transporters „Palermo“ (12 000 BRT) ist sechs Seemeilen vor dem katalanischen Hafen Palamos entdeckt worden - und soll jetzt gehoben werden, weil man in ihm eine größere Menge Gold vermutet.
40 Ämter eingespart. Seit 1951, dem Beginn der Rationalisierungsaktion bei der Deutschen Bundesbahn, wurden bis zum 1. Februar 1954 40 Ämter und 181 technische Dienststellen aufgelöst.
Auslandsgäste in Deutschland. Rund
staatliche europäische Organisation entstünde. Dafür seien jedoch noch keine Anhaltspunkte vorhanden.
ln den Vereinigten Staaten habe man viel Verständnis für die „Rechtsposition“ der Bundesrepublik in der Saarfrage gezeigt. Man habe sich zu dieser Frage zurückhaltend geäußert, aber betont, daß doch eine Lösung gefunden werden müsse, auch wenn sie mit Opfern verbunden wäre. Dehler habe seine amerikanischen Gesprächspartner darauf hingewiesen, daß eine Lösung der Saarfrage, in der die Saar als deutsche Reparation vorgesehen ist, jedenfalls unmöglich sei.
5.4 Millionen - Auslandsgäste übernachteten im vergangenen Jahr in der Bundesrepublik und führten für 544 Millionen DM Devisen ein.
Von der Außenwelt abgeschnitten. Die rund 2000 Einwohner von Canazei und dem nahegelegenen Mazzin in den Dolomiten wurden durch einen Erdrutsch vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten. Der Erdrutsch hat die Straßen zwischen dem Tal und den Städten Trient und Bozen verschüttet. Unter den Abgeschnittenen befinden sich 50 deutsche Skisportler.
Katholischer Jugendreisedienst. Der Bund der deutschen katholischen Jugend hat unter der Bezeichnung „Jugendhaus-Reisedienst“ einen eigenen Reisedienst gegründet. Er will allen katholischen Jungen und Mädchen, Gruppen von Vereinen, die im Sommer eine Fahrt unternehmen wollen oder einen Jugendaustausch beabsichtigen, mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Billige Wohnungen - billige Mieten
Wohnungsbaugesetz beim Bundesrat / Jährlich 500 Millionen
BONN. Die Förderung des Baues von Familienheimen und von Mietwohnungen für sozial schwache Bevölkerungsgruppen ist Kernstück des Entwurfs eines Wohnungsbau- und Familienheimgesetzes, den die Bundesregierung Jetzt dem Bundesrat zugeleitet hat.
Für Personen mit einem Einkommen, das die Versicherungsgrenze für Angestellte in der Krankenversicherung nicht übersteigt, sollen soviel Wohnungen mit verbilligter Miete gebaut werden, wie ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entspricht. Für den sozialen Wohnungsbau will der Bund noch bis 1957 jährlich mindestens 500 Millionen Mark im Bundeshaushalt bereitstellen. Von 1958 an soll sich dieser Betrag jährlich um 50 Millionen Mark verringern. Darlehensrückflüsse sollen dann auf den „Pflichtbetrag“ angerechnet werden.
Arbeitslosigkeit nimmt ab
NÜRNBERG. Mit der . weiteren Zunahme der Bautätigkeit und dem wieder steigenden Bedarf an landwirtschaftlichen Kräften hat sich die Arbeitslosigkeit im Bundesgebiet im April um 158 887 Personen auf 1 268 466 veringert, teilte die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung am Mittwoch mit.
Am 1. Mai waren nach Feststellung der Bundesanstalt noch 827 481 Männer und 440 985 Frauen ohne Beschäftigung.
Für öffentlich geförderte Mietwohnungen, die nach dem 31. Dezember 1954 bezugsfertig werden, soll die Kostenmiete eingeführt werden. Als Kostenmiete gilt der Betrag, der zur Deckung der laufenden Aufwendungen erforderlich ist. Zum Bau von sozialen Mietwohnungen dürfen keine verlorenen Baukostenzuschüsse mehr verlangt werden.
„Vaterländischer Verdienstorden“ mit Ehrensold. Die Verleihung des kürzlich von der Volkskammer der Sowjetzone gestifteten Vaterländischen Verdienstordens für besondere Verdienste im Kampf um die Einheit Deutschlands wird, je nach der Stufe, mit einem jährlichen Ehrensold von 250 bis 1000 Ostmark verbunden sein.
Zustand der Kronprinzessin bedenklich. Der Zustand der Kronprinzessin Gäcilie von Preußen, die zur Zeit in Bad Kissingen weilt, ist sehr ernst und gibt zu äußersten Befürchtungen Anlaß.
Yoshida kommt nach Bonn. Japans Ministerpräsident Yoshida wird am 4. Juni Tokio verlassen, um zunächst in den Vereinigten Staaten und England jeweils zehn Tage zu verbringen. Anschließend reist er für je drei Tage nach Westdeutschland, Frankreich, Italien, Kanada, Indien und Pakistan.
Erdrutsch verursacht Zugunglück. Ein
PRESSESTIMMEN
Frankreich ohne Außenpolitik
Die Möglichkeit einer französischen Regierungskrise veranlaßt die „Nationalzeitung“, Basel, zu folgenden Ausführungen:
„Wieder einmal zeigt es sich, daß in Frankreich nicht eine Regierung, sondern das Parlament regiert und daß dieses Parlament auch die Außenpolitik des Landes nicht nur in ihren Grundlinien mitbestimmen, sondern selbst dirigiern will, ohne freilich ein» bestimmte Konzeption zu haben- Denn nicht nur Indochinas wegen gehen die Meinungen der Messieurs les deputei weit auseinander. Jeder verficht seine eigene Außenpolitik, mit Ausnahme der geschlossenen Kommunisten sogar über die Parteigrenzen hinweg, und das läßt in entscheidenden Augenblicken immer wieder erkennen, daß Frankreich im Grunde überhaupt keine Außenpolitik hat.“
Bedenkliche Feuereinstellung
Der konservative britische „D a i- ly Telegraph“ schreibt zum Indochina-Problem:
„Eine Möglichkeit war die sofortige militärische Intervention der Alliierten Frankreichs. Außenminister Eden und die britische Regierung handelten jedoch ganz richtig, indem sie sich einer Maßnahme widersetzten, die lediglich aus der Panik heraus getroffen worden wäre. Auch die Abweisung des französischen Ersuchens um Luftunterstützung war aus militärischen Gründen gerechtfertigt. Eine andere Möglichkeit war die Teilung. Sie ist jetzt jedoch von der französischen Regierung und von Vietnam abgelehnt worden. Sogar das beste Ergebnis, das die Konferenz bringen könnte — eine Feuereinstellung — könnte Gefahren in sich bergen, die nicht übersehen werden sollten. Dieses Ergebnis würde den Kommunisten die Möglichkeit geben, auch am Tage Gebiete kontrollieren zu können, in denen sie bisher nur in der Nacht herrschen. Es kenn keine Feuereinstellung in der Schlacht um Herzen und Ansichten geben, di» die Vietminhs bereits so viel erfolgreicher als die Franzosen oder da« vietnamesische Regime führen.“
Neue Beben — Dorf zerstört
ATHEN. Zwei neue schwere Erdstöß» haben am Dienstagabend die mittel- griechische Provinz Thessalien getroffen, wo erst am Freitag ein kurzes, aber heftiges Beben große Verwüstungen angerichtet hatte. In der Nähe von Sophades soll ein Dorf durch die neuen Erdstöße, die innerhalb von zehn Sekunden auftraten, völig zerstört worden sein. Hotels in Karditsa und Trlk- kala wurden schwer beschädigt.
Die Erdstöße wurden auch in der Hafenstadt Volos sowie in Lamia und Pharsala verspürt. Der Bevölkerung hat sich nach den neuerlichen Beben eine wilde Panik bemächtigt, doch sind offenbar bei den neuen Erdstößen keine Menschen zu Schaden gekommen.
43 Tote durch Schlagwetter
GROSSETO. Die italienische Regierung hat am Mittwoch eine Untersuchung der schweren Schlagwetter-Katastrophe eingeleitet, die in der Braunkohlengrube Ribolla bei Grosseto wahrscheinlich 43 Tote gefordert hat. Die Leichen von 19 Bergleuten konnten bereits geborgen werden. 24 Berg- arbeiter sind noch eingeschlossen, doch besteht fast keine Hoffnung mehr, sie noch lebend zu retten.
ROMAN VON MARY ßVRCHELL
Copyright by Dr. Paul Herzog, Tübingen — Durch Verlag v. Graberg & Görg, Wiesbaden. Berechtigte Übertragung: H. Passow-Kernen
(13. Fortsetzung)
„Sind Sie darüber sehr böse?“ Er warf ihr einen gespielt schuldbewußten Blick zu, dann sah er wieder starr geradeaus, als ob ihn die Landstraße völlig in Anspruch nähme.
»Ja — was soll ich sagen?“ meinte sie zögernd. Einen Moment studierte sie besorgt sein Profil, dann, als ließe sich daran nichts ablesen, was ihr über sein Verhalten hätte Aufschluß geben können, fragte sie beinahe schüchtern: „Nun — warum? Ich verstehe nicht, warum Sie das tun!“
„Mein liebes Kind, es blieb mir buchstäblich nichts anderes übrig.“
„Oh!“ Sie biß sich auf die Lippen und errötete.
„Verzeihung“, fügte er schnell hinzu. „Das tönt viel schroffer, als ich es wünschte. Ich möchte Ihnen nur sagen, daß weiter nichts dabei ist, gar keine tiefere Bedeutung — wie Sie meinen. Ich bin vermögend und kann es mir leisten, Ihnen diese kleine Gefälligkeit zu erweisen und —“
„Es ist aber keine kleine Gefälligkeit“, widersprach Thea mit bekümmerter Stimme.
„Nun, wenn Sie wollen, kann ich Ihnen das auch so erklären, daß ich deswegen nichts entbehren muß, wenn ich etwas für Sie auslege“, suchte er sie zu beruhigen. „Ich meine es wahrhaftig ehrlich mit Ihnen, Thea. Sie sind ein tapferes Kind, das sich ohne eigene Schuld in einer mißlichen Lage befindet. Natürlich könnte und sollte Geraldine sich um die Sache kümmern. Da sie sich aber kategorisch weigert — und ich muß leider sagen, daß sie das tut — gibt es keinen anderen Ausweg."
„Vielleicht gäbe es eine Tätigkeit für mich, die ich ohne Vorbildung tun könnte?“ schlug Thea zögernd vor.
„Was denn?“ fragte er ziemlich schroff.
„Wer arm ist, darf nicht wählerisch sein.“
„Man muß den Mut haben, etwas aus seinen Gaben zu machen. Aufs Geld allein kommt es nicht immer an. Ich sehe nicht ein, weshalb Sie sich durchaus selbst erniedrigen sollten, wenn Sie die Möglichkeit haben, etwas Rechtes zu erlernen.“
„Gerade jetzt komme ich mir erniedrigt vor“, murmelte sie mit jämmerlich trauriger Miene.
„Also Thea —“, er lenkte den Wagen gegen den Straßenrand und hielt an. Und, obwohl er sich ihr voll zuwendete, machte er nicht den leisesten Versuch, sie zu berühren — „jetzt seien Sie kein Kindskopf, und fangen Sie um Himmelswillen nicht an zu weinen.“
„Ich weine doch gar nicht.“
„Jedenfalls sind Sie nahe daran. Und heulende Weiber kann ich nicht ausstehen — die machen mich nervös — merken Sie sich das!“
Daraufhin riß sie sich zusammen; bei der Vorstellung, sie könnte ihn nervös machen, versuchte sie sogar ein wenig zu lächeln.
• „So, brav“, lobte er. „Hören Sie jetzt zu. Wenn irgendeine wohltätige Einrichtung einen würdigen Sekretär mit Ihrem Fall zu mir geschickt hätte — ich hätte mich genau so verhalten, ihm das Geld gegeben und es überhaupt nicht für nötig gefunden. Sie persönlich kennenzulernen.“
„Das ist fast unglaublich“, wagte sie einzuwenden; immerhin kam ihr die Lage allmählich weniger bedrückend vor.
„Ob Sie es glauben oder nicht glauben — jedenfalls haben Sie keinen Grund zum Unglücklichsein.“
„Ich bin nicht direkt unglücklich. Und Sie sollen auch wissen —“ damit legte sie schnell die Hand auf seinen Arm — „daß ich Ihnen sehr, sehr dankbar bin. Nur der Gedanke, daß ein Mensch, den ich gar nicht kenne —“
„So, Sie kennen mich also immer noch nicht?“ unterbrach er sie, jetzt fast befreit auTachend.
„Ich meine, daß jemand, den ich eben erst kennengelernt habe und der absolut nicht verpflichtet wäre, für mich zu sorgen, das alles für mich tut — das ist mir irgendwie unfaßlich. Außerdem — “ sie schluckte und redete so lange nicht weiter, bis er sie freundlich ermunterte:
„Außerdem?“
Verlegen drückte sie das Schloß ihrer Handtasche auf und zu. „Geraldine hat schon am ersten Abend gesagt — Sie — Sie gehörten nicht zu den Männern, von denen man etwas annehmen dürfte.“
„Schau her!“ Seine Augenbrauen zuckten erstaunt in die Höhe. „Dieser Meinung war sie nie, wenn es sie selbst betraf.“
„Bei ihr ist es eben anders. Sie beide — Sie sind doch befreundet. Sie wollte wohl sagen, man dürfe Ihnen nicht finanziell verpflichtet sein. Weil dies bedeutet daß — ach, es ist so schrecklich schwer auszudrücken“, rief sie. „Sie werden mich hoffentlich nicht mißverstehen.“
„Ich verstehe Sie ausgezeichnet“, versicherte er in demselben trockenen Tone wie vorhin. „Geraldine meinte folgendes: mein Ruf sei nicht so erhaben, als daß ich es mir leisten könnte, einem Mädchen Geld zu schenken. Man könnte auf falsche Folgerungen kommen — ist es nicht so?“
„Doch — ich glaube — es könnte so sein.“ Nachdem sie eine Zeitlang schweigend dahingefahren waren, sagte er starrköpfig: „Ich lasse mich nicht abhalten, Ihnen zu helfen. Sie bekommen das Geld durch Geraldine, also braucht es kein Gerede zu geben.“ „Glauben Sie, daß sie nichts ausplaudern wird?“ fragte Thea schüchtern.
„Nein. Das Vergnügen, auf Kosten anderer die Wohltäterin zu spielen, wird ihr mehr wert sein als die Befriedigung ihrer Klatschsucht“, sagte er so gehässig, daß Thea unwillkürlich dachte, wenn ihn seine Anbeterinnen so hörten, bekämen sie wohl über sein romantisches Verhältnis zu Geraldine eine andere Meinung.
Kurz bevor sie am Ziel Ihrer Fahrt waren, fing Thea von neuem an. „Mr. Varlon“, sagte sie, „ich habe mich eigentlich sehr undankbar benommen. Sie hätten das nicht verdient für Ihre große Güte.“
Sein nicht eben freundlicher Gesichtsausdruck erheiterte sich sofort. „Schon recht, Kind. Sie tun am besten, wenn Sie sich in die Verhältnisse schicken und keine unnötigen Komplikationen verursachen.“
„Das will ich“, verpraeh sie. „Nur noch etwas, Mr. Varlon —“
„Ja.“
„Ich darf I inen doch alles zurückzahlen, sobald ich selbst verdiene?“
„Sie schreckliches Kind! Müssen wir denn das so genau nehmen?“
„Ja, damit ich beruhigt bin.“
„Stellen Sie sich vor, was ich von roh selber denken müßte, wenn ich mir ratenweise eine Schuld zurückzahlen ließe, ohne Rücksicht auf jemanden, der im Anfang rot* seiner Existenz zu kämpfen haben wird. Später werden wir ja sehen — das hat noen Zeit “ .
„ Wirklich? Glauben Sie, daß ich das so ni nehmen darf?“
„M-hm. Wenigstens in diesem Punkte so - ten Sie mir vertrauen. Nun, jedenfalls wiss Sie nun die volle Wahrheit — und da si wir auch schon.“ Er hielt vor dem Miethau an. das Thea bereits ganz vertraut vorkam.
Lächelnd nahm er ihre Hand, die sie: 'h™ entgegenstreckte. „Nichts zu danken '
Also machen Sie sich keine weiteren Sorg und —“ er machte eine kleine Paus® un .. fügte dann mit gespielter Gleichgültigkei hinzu — „von unserer Abmachung braue, dann niemand zu erfahren. Niemand, ve stehen Sie.“
„Das heißt — Geraldine soll nicht wissen, daß ich es weiß?“ .
Er verzog spitzbübisch das Gesicht. zu allerletzt!“
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(Fortsetzung folgt)