(11. Fortsetzung)
„Wo steckt eigentlich Waldemar?" fuhr der Besucher fort, wobei er Redmer immer noch ansah, als ob er sich über dessen Person nicht ganz im klaren sei. Redmer spürte das Mißtrauen. Ihm lag schon das Wort von Nuschecks Verhaftung auf der Zunge, aber irgend etwas an dem Mann in der verschossenen Lederjacke mahnte ihn zur Vorsicht. Er war stämmig, untersetzt. Das verlebte, aufgeschwemmte Gesicht mit der deformierten Nase wirkte brutal. Der Blick der unruhigen, kleinen Augen war kalt, von einer erbarmungslosen Härte. Mörderaugen, dachte Redmer fröstelnd. Redmer war gewiß nicht feig. Er hätte aber viel darum gegeben, wenn Eyrich im Zimmer gewesen wäre.
„Mensch, dir hat es wohl die Sprache verschlagen, daß du nicht die Schnauze aufmachst“, fuhr ihn der andere plötzlich an, als er noch schwieg. Ehe Redmer noch antworten konnte, stieß sein Gegenüber brüsk hervor:
„Was bist du überhaupt für ein Kerl. Wo ist Waldemar, Ich hab nicht viel Zeit. Mensch...“
„Moment mal“, unterbrach ihn Redmer, sich mit Gewalt zur Ruhe zwingend, holte seine Plakette heraus und sagte: „Kriminalpolizei! Wer sind Sie? Papiere . . .“
Er hatte die letzten Worte noch nicht über die Lippen gebracht, da war der andere mit einem Sprung an der Tür, hielt eine Pistole in der Hand und Zischte:
„Die Hände rauf, Mann, los, los . . . ich fackle nicht lang, ich schieße . . . Sie verdammter Spürhund!“
Redmer zögerte, aber das Gesicht seines Gegners verriet, daß dieser die Drohung wahrmachen würde. So hob er in ohnmächtigem Zorn die Hände.
„Stellen Sie sich mit dem Gesicht zur Wand, los . . . fix!“ folgte sofort der nächste Befehl. Und wieder mußte Redmer gehorchen. Eine unbeschreibliche Wut erfüllte ihn, als ihm der Mann dann zurief:
„Rühren Sie sich nicht, wenn ich jetzt verschwinde! Ich warne Sie! Wenn Sie mir folgen, knalle ich Ihnen ein Ding auf den Pelz, daß Ihnen Hören und Sehen vergeht.“
Redmer hätte brüllen können, als er hörte, daß hinter ihm die Tür geöffnet, zugeschlagen und von draußen mit dem Schlüssel geschlossen wurde. Er zögerte für Sekunden, dann warf er sich herum und lief zum Fenster.
Er konnte den anderen eben noch die Straße hinuntergehen sehen. Nicht einmal sehr eilig. Ob er seiner Sache so sicher war? Für Redmer aber gab es kein Halten mehr. Er riß die Fensterflügel auf und schwang sich durchs Fenster in den Vorgarten.
Er hatte nur den einen Gedanken, den Kerl nicht entkommen zu lassen.
Doch als er die Straße erreichte, sah er, wie dieser weiter unten ein neben dem Bürgersteig stehendes Motorrad bestieg, den Motor anließ und mit Vollgas davonfuhr. Eine schwere Maschine, stellte Redmer fest Am Nummernschild waren leider die Zeichen nicht zu entziffern.
Redmer rannte eine Zeitlang hinter der Maschine her, konnte sie aber nicht mehr einholen. Er beobachtete, wie sie in Richtung des Bahnhofes entschwand.
Kurz darauf berichtete er telefonisch Kommissar Eyrich atemlos das gehabte Intermezzo. Dieser rief aufgeregt:
„Redmer, den Mann müssen wir fassen. Wenn wir den haben, haben wir den Kopf der Bande. Schade, daß er entkam. Ich schicke Ihnen sofort Fiedler. Sie fahren mit ihm zur Fähre. Wenn der Mann nämlich nicht hier in der Stadt einen Unterschlupf hat, kann er nur über die Radolfzeller Chaussee entlang fliehen. Ich verständige alle Polizeiposten. Geben Sie mir nochmals das Signalement.“
Als Redmer mit der Polizeimaschine nach Staad kam, lief dort eben die Fähre von Meersburg ein. Das Gegenschiff hatte Staad bereit* vor einer halben Stunde verlassen. Mit ihm konnte der Flüchtige nicht mehr weggekommen sein. Wie Redmer durch Umfrage feststellte, hatte er sich bisher hier auch nicht gezeigt.
Nachdem er die Hafenbeamten und den Polizeipoeten über das Signalement des Gesuchten unterrichtet hatte, rief Redmer nochmals Kommissar Eyrich an.
Dieser beauftragte ihn, nach Meersburg zu fahren, dort eich mit der Polizei in Verbindung zu setzen, um zu sorgen, daß die Fährund Schiffsangestellten sowie die Straße von Ueberlingen überwacht wurden. —
Als Eyrich nach dem zweiten Telefongespräch sein Büro wieder betrat, blieb er an der Tür stehen und hörte zu, was der Kriminalsekretär Irving Nuscheck.eben fragte.
Der Lichtschirm der Schreibtischlampe war so gedreht, daß ihr greller Schein genau auf Nuschecks Züge fiel. Der übrige Raum war im HalbdunkeL Nur drüben beim Fenster, wo der Protokollführer an der Maschine saß, brannte eine kleine Lampe. Die Beamten selbst sah man nur als Schatten. Dafür folgte messerscharf eine Frage nach der anderen, und immer wieder erklang die Mahnung:
„Reden Sie! Überlegen Sie nicht so lange.“
■ Plötzlich sprang Nuscheck auf und schrie:
„Ick kann nicht mehr. Det is ja Menschen- schinderei. Nich mal Im KZ haben se einen so zujesetzt . . .“
„Aber Nuscheck . . .* mischte sich Eyrich schnell ein. „Sie können sich doch nicht beklagen. Ihnen tut doch niemand etwas. Das einzige, was wir wissen wollen, ist, wer Nimitsch umgelegt hat. Und Sie waren doch
„Nee! Ick weeß jar nischt“, stieß Nuscheck wütend heraus.
„Setzen Sie sich wieder, los. Hier ‘ne Zigarette . . .* sagte Eyrich beruhigend. Während Nuscheck die Zigarette anbrannte, zog Eyrich sich einen Stuhl heran und meinte gutmütig:
„Warum dieses ganze Theater, Nuscheek? Sie haben doch nichts zu befürchten. Ich glaube gar nicht, daß Sie Alexiew oder Nimitsch umgelegt haben. Aber was haben Sie davon, daß Sie die Täter schützen? Sie kennen sie . . .“
„Nee! Ueberhaupt, er is mir fremd“, entfuhr es Nuscheek temperamentvoll.
„Sie haben ihn also gesehen“, hakte Eyrich sofort ein.
Doch Nuscheck ließ sich nicht fangen, Mtfl«-sprach heftig:
r SUCHT IHREN WEG
ROMAN VON ALFONS ZECH
„Nischt hab* ick jesehen! Ick bin nur durch die Fragerei janz dußlig jeworden, det is alles.“
„Sie haben aber bereits zugegeben, daß Sie Nimitsch am Sonntag in dem DP-Lager gefunden haben. Sie haben zugegeben, daß Sie warteten, bis er das Lager verließ . . .“
„Ja, ja . . . det hab ick alles“, versetzte er matt.
Auf Nuschecks Stirn stand der Schweiß. Mehrmals wischte er ihn mit der Hand weg, aber immer neue Schweißperlen zeigten sich. Sein sonst immer so farbloses Gesicht war rot und fleckig geworden. Er rauchte mit gierigem Zug die Zigarette, aber die Hand, die sie hielt, zitterte, und Eyrich bemerkte, wie schwer e® ihm fiel, sich aufrecht zu halten.
„Mir is flau . . murmelte er plötzlich. „Ick muß was zu futtern haben, sonst kippe ick um . . .“
„Bekommen Sie, Nuscheck, aber erst Ihre Aussage!“
„Und wenn ick Ihnen erzähle, wat ick weeß, bin ick dann frei?“ fragte Nuscheck schnell.
„Es kommt darauf an, was Sie mir erzählen. Wenn es Märchen sind . . .“
„Nee, nur wat ick mit meinen eijenen Oogen jesehen habe . . .“
„Schießen Sie los“, brummte Eyrich,
Nuscheck überlegte. Ein, zwei Züge tat er noch aus der Zigarette, dann fing er an:
„Sie wissen ja, daß ick den Herrn, der mir immer folgte, jlatt abjewimmelt hatte. Im „Jrünen Anker“ hörte ick von eenem Ausländerlager hinter Meersburg. Am Sonntagfrüh machte ick mir uff de Beene, aber schon uff de Fähre seh ick die beeden Krimi . . . na, etwas kann Waldemar ooch noch, Ick wußte drüben in Meershurg von eenem Cafehaus mit zwei Eingängen, da jing ick rin und uff der- anderen Seite raus, türmte, so schnell ick loofen konnte, die Jasse hoch, und da hatte ick die beeden los. Das andere hab‘ ick bereits jesacht. Nur bin ick dann nich zurück, sondern hab‘ mir uff die Lauer jelegt. Ick wußte, daß Nimitsch erfahren würde, daß nach ihm jefragt worden war. Und wenn jener det hörte, türmte er. Det war sicher. Für een paar Zigaretten verriet mir eener, daß et ‘ne Zaunlücke jeben sollte, durch die man unjesehen verschwinden konnte, wenn dicke Luft war. Ick fraß ‘nen Besen, daß Nimitsch dort zu erwarten war. Ick wartete eisern, und richtig, so jejen Nachmittag tauchte er auf. Ick ihm nach, Richtung Meersburg. In der Stadt zockelte er hin und her, kiekte sich immer um, ob ihm eener folgte. Eenmal machte er kehrt. Vor dem Ausländer- cafö entdeckte er eenen der Krimi, die mich suchten. Jetzt war er nich mehr zu halten. Wie een Verrückter lief er durch die Stadt, unten beim Strandbad det Wasser entlang, bis er an eene Villa kam, die ihn mächtig zu interessieren schien. Da es so goß, stand er geraume Zeit unter eenem Baum, dann strich er det Jemäuer hoch, kiekte sich um, wartete und trottete zur Chaussee, wo er wieder lauerte. Nach ‘ner halben Stunde vielleicht tauchte een Wagen aus der Villa auf, mit ‘nem Mädchen am Steuer . . . und wat soll ick Ihnen sagen, jene nimmt den Nimitsch mit, und ick »tand wie ‘ne doofe Nuß im Regen...“
Nuscheck machte eine Pause, drückte den Zigarettenrest in der Schale aus und befeuchtete sich die trockenen Lippen. Jetzt, da auch das Hämmern der emsig anschlagenden Schreibmaschine verstummt war, herrschte Totenstille im Zimmer.
„Und weiter . . .“, drängte Eyrich plötzlich, der befürchtete, daß Nuscheck sich wieder anders besinnen würde.
„Wat sollte Ick tun, ick lief hinter dem Wagen her. Das hatte wenig Sinn, denn gleich darauf war er verschwunden. In meiner Wut hätt‘ ick Nimitsch erwürjen können. Aber ick hatte Glück, ‘ne halbe Stunde später kam er mir entjejen. Ick sah noch, wie er in eene Kneipe zog, die bei der Chaueee lag. Ick wartete wieder. Schließlich wurde et dunkel und ick wartete immer noch, aber wenn ick mir wat in den Kopf jesetet hab‘, halte ick durch. So jejen acht oder halb neun erschien er wieder und schlug die Richtung zur Villa ein. Ick hinterher. Ick war jespannt, wat er dort vorhatte. Wieder schlich er um det Haus herum, kiekte hier hin und dort hin, und auf eenmal, haste nich jesehen, war er über der Mauer und drin im Jarten . . .“
„Na, und weiter?“ bohrte Eyrich ungeduldig, als Nuscheck erneut verstummte.
„Ick wartete erst, dachte, er käme wieder zum Vorschein. Een paar Minuten verjingen, nischt. Uff eenmal hör* ick eenen brüllen: .Wat machen Sie hier?', hörte Nimitsch antworten, konnte aber nich verstehen, wat er sachte. Ick schob mir näher, versuchte über die Mauer zu kieken, und sah jerade noch, wie die beeden . sich mächtig in die Wolle jerieten. Wat se miteinander hatten, konnte ick nich verstehen. Jedenfalls redete Nimitsch wie een Wasserfall, aber das schien den anderen erst richtig uffzurejen. Ick konnte die beeden nich jenau sehen, et war ja schon duster jeworden. Aber uff eenmal schien et dem anderen zu dumm jeworden zu sein. Er packte Nimitsch am Kragen, wollte ihn wahrscheinlich aug dem Jarten befördern. Det brachte jenen aber in Fahrt, und eh ick mir versehe, sprang er uff den Mann los. Der jab Nimitsch ‘nen Stoß jejen die Brust, daß er rückwärts kippte. Uff eenmal lag er am Boden, rührt* sich nich mehr. Mir war et direkt unheimlich je worden.
Copyright by Verlag v. Graberg & GBrg, Wiesbaden
Dem anderen ooch. Erst schien er Nimitsch nich zu trauen, dann, nach eenigen Minuten, stieß er ihn an, kniete neben ihm, schüttelte ihn, und als det alles nischt half, hob er ihn hoch und trug ihn weg . . .“
„In welcher Richtung?“ fragte Eyrich erregt. „Ick weeß es nich recht, wenn ick mir nich täusche, lief er an der Längsmauer weiter!“ versetzte Nuscheck zögernd.
„Was haben Sie danach gemacht?“ erkundigte sich Eyrich kurz.
„Ick verschwand. Ick sachte schon' mir war det Janze imheimlich. Ick jing nach Meersburg zurück, lauerte uff ‘nen Laster und versteckte mir uff dem Anhänger, so kam ick wieder nach Konstanz . . .“
„Wo gingen Sie in Konstanz hin?“
„In „Jrünen Anker“, ick brauchte zuerst mal ‘nen Schnaps!“
Eyrich schwieg gedankenvoll. War das die Lösung? Er war so in seine Gedanken eingesponnen, daß er den Beamten nicht beachtete, der an der Tür erschien, einen Augenblick wartete, dann, als er merkte, daß er nicht stören durfte, einen Zettel Eyrich zuschob und das Zimmer wieder verließ.
Eyrich erhob sich, zerrte die Gardinen auseinander und öffnete das Fenster.
„Kann ick jetzt etwas zu futtern bekommen?“ klang hinter ihm Nuschecks Stimme kleinlaut.
Eyrich drehte sich schnell um. „Selbstverständlich“, erklärte er. „Irving, seien Sie so freundlich und besorgen Sie Kaffee und etwas zu essen“, wandte er sich an den einen Beamten.
Während dieser sich erhob, der andere die Lampe auslöschte, meinte Eyrich ernst:
„Sie sind sich im klaren darüber, Nuscheck, daß Sie die eben gemachten Aussagen auf Ihren Eid nehmen müssen?"
„Bin ick, und ick kann det jeder Zeit . . .“, beteuerte dieser eifrig.
„Sie haben den Mann, der Nimitsch niederschlug, gesehen. Würden Sie ihn wiedererkennen?“
Nuscheck schien diese Frage nicht ganz zu behagen. Einen Augenblick druckste er herum, dann sagte er zögernd:
„Det schon, immerhin, et war ziemlich duster, und ick war ‘nen janzes Ende von den beeden ab.“
„Aber beschreiben werden Sie ihn doch können“, versetzte Eyrich überredend und ging zu seinem Platz zurück. Dabei entdeckte er den ihm hingelegten ZetteL Er nahm ihn auf und las überrascht ein paar Worte, die drauf standen:
.Herr Jakob Melchert möchte Herrn Kommissar in der Sache Nimitsch sprechen... 1
Eyrich war so verblüfft, daß er die Neuigkeit fast verraten hätte. Melchert stellte sich freiwillig? Das bewies, daß er sich sicher fühlte.
„Machen Sie das Protokoll fertig, lassen Sie es Nuscheck unterschreiben und bringen Sie es mir nach Zimmer 10“, trug er dem Beamten auf.
Er hatte bereits die Tür erreicht, als Nu- scheck rief:
„Und wat is mit mir?“
„Tja, Nuscheck, zunächst müssen wir Sie schon hierbehalten. Wenigstens so lange, bis wir Ihre Aussagen überprüft haben. Das müssen Sie verstehen.“
„Und wie lang wird det dauern?“
„Wenn wir Glück haben, bis heute abend“, sagte Eyrich und verließ das Zimmer.—
Für Jakob Melchert bedeutete das Warten ln dem kleinen Vorraum eine Qual. Und je länger es sich hinzog, desto mehr steigerte sich seine Unruhe. Seit Minuten wanderte er ungeduldig hin und her. Als Kommissar Eyrich die Tür vom Nebenzimmer öffnete, unterbrach Melchert jäh seine Wanderung und blickte ihm erwartungsvoll entgegen. „Herr Melchert?“
„Ja . . .“
Der Kommisar stellte sich vor und fügte fragend hinzu: „Sie wollten mich wegen der Sache Nimitsch sprechen?“
„Deshalb kam Ich her“, erklärte Melchert hastig.
„Darf ich bitten?“ erwiderte Eyrich. Er ließ den Besucher an sich vorbei ine Zimmer und wies hier auf eine Wandbank.
Eyrich trat an den in der Ecke stehenden Rundtisch und griff wahllos nach einer der dort liegenden Akten. Bevor er sich niederließ, streifte er Melchert mit einem eb- schätzenden prüfenden Blick und sagte dann:
„Nun, Herr Melchert, was haben Sie mir zu berichten?“
„Ja, Herr Kommissar, eigentlich 'ne verrückte Geschichte. Fräulein Bemius schrieb mir von Ihrem Besuch in meinem Haus und teilte mir mit, Sie hätten festgestellt, in meinem Garten sei ein Mord begangen worden . . .“
„Erscheint Ihnen dies so unwahrscheinlich?“ fragte Eyrich ernst.
„Aber ichbitt* Sie, Herr Kommissar. Das ist doch nicht gut möglich. Wann denn und von wem denn?“
„Wann, das wissen wir ziemlich genau, nämlich am vergangenen Sonntag abend, vermutlich zwischen 20 und 22 Uhr. Vielleicht erinnern Sie sich, daß es ein regnerischer Abend war. Und von wem, darüber werden wir noch sprechen, Herr Melchert ,,versetzt# Eyrich bedeutungsvoll.
Melchert fuhr bei seinen Worten ruckartig hoch. Eine rote Welle schoß in seine Wangen.
„Ich verstehe Sie nicht. Herr Kommissar“, entgegnete er scharf. „Was wollen Sie damit sagen? Sie glauben doch nicht, daß ich . . .“ „mit der Sache zu tun habe? Jawohl, Herr Melchert, das glaube ich nicht nur. sondern das weiß ich sogar bestimmt . . enriärte Eyrich ruhig auf den von Melchert nicht zu Ende geführten Satz.
Dieser sprang auf.
„Wie kommen Sie zu einer solchen Verdächtigung?“
Statt auf Melcherts Vorwurf einzugehen, fragte Eyrich:
„Haben Sie schon mit Fräulein Bernius gesprochen?“
„Nein“, erwiderte Melchert kurz, fügte aber dann hinzu: „Ich kam ja erst vor zwei Stunden an, allerdings verständigte ich sie vom Zeitpunkt meiner Ankunft und erwartete sie am Bahnhof. Sie war aber nicht da . . . wahrscheinlich hat sie mein Telegramm zu spät erhalten. Da ich es für richtig hielt, vor allen Dingen erst mit Ihnen zu sprechen, ging ich direkt von der Bahn hierher. Wenn ich also ein schlechtes Gewissen gehabt oder etwas zu verbergen hätte, wäre Ich erstens mal bestimmt nicht zuxückgekommen und zweitens hätte ich Sie nicht sofort aufgesucht“, schloß er mit erhobener Stimme.
„Ich gebe zu, daß diese Argumentation etwas für sich hat. Abei bei Mord liefert auch die Schweiz aus“, versetzte Eyrich kühl.
Melchert starrte ihn mit offenem Mund an. Dann stieß er hervor:
„Was sagten Sie eben? Mord? Sind Si# denn wahnsinnig?“
„Bitte, Herr Melchert . . .“, wies Eyrich ihn zurecht.
„Entschuldigen Sie, Herr Kommissar . . .“ murmelte Melchert verwirrt. „Aber ich verstehe das Ganze nicht . . .“
„Kennen Sie diesen Menschen?“, überfiel Eyrich ihn plötzlich und hielt ihm die Fotos von Nimitschs, Leiche hin.
Melchert warf nur einen Blick darauf, verfärbte sich und rief stockend:
„Sie wollen doch nicht sagen, daß dieser Mann . . .“
„Ganz richtig, daß dieser Mann am vergangenen Sonntag abend zwischen zwanzig und zweiundzwanzig Uhr in Ihrem Garten nach einer erregten, in Streit ausartenden Unterhaltung von Ihnen niedergeschlagen und später, vermutlich in besinnungslosem Zustand in den See gesenkt wurde, da Sie an- nahmen, er sei tot . . .“
Erstaunlicherweise reagierte Melchert auf Eyrichs Anschuldigung ganz anders als dieser erwartete. Statt aufzufahren und seine Schuldlosigkeit zu beteuern, blieb er verhältnismäßig ruhig, schüttelte nur mehrmals den Kopf und fragte dann leise:
„Haben Sie das von meinem Neffen oder von Sibylle, ich meine Fräulein Bemius?“, verbesserte er schnell „Von einem Zeugen, der Sie beobachtet hat.. Uebrigens wurde Ihr Neffe, Ulrich von Krön, festgehalten und befindet sich auf dem Wege von Tübingen hierher. Ganz unbeteiligt scheint er an der Sache auch nicht zu sein!“ „Von Tübingen? Ich dachte, er wäre noch im Haus..entfuhr es Melchert überrascht „Er verließ das Haus noch am gleichen Tag wie Sie!“
„Ein guter Junge“, murmelte Melchert, ohne auf Eyrichs Bemerkung einzugehen. Er tat ein paar Schritte, preßte die Fingerspitzen gegen die Stirn, als müßte er sich auf irgend etwas besinnen. Da er aber schwieg, drängte Eyrich:
„Nim, Herr Melchert, wollen Sie nicht als Mann zu Ihrer Tat stehen und die Wahrheit sagen?“
„Wenn Sie erwarten, daß ich mich eines Mordes bezichtigen soll, dann muß ich Sie leider enttäuschen . . .“
„Mord oder Totschlag, darüber habe ich nicht zu entscheiden, das ist Sache des Gerichts . .
„Und wenn es weder das eine noch das andere wäre? Wenn ich Ihnen versichere, daß dieser Mann, den ich am Sonntag im Garten antraf, noch lebte als ich ihn verließ?“
„So würde ich das Ihnen nicht glauben. Bela Nimitsch wurde als Leiche aus dem See gebörgen!“
„Nimitsch . . . ganz richtig, so war der Name“, versetzte Melchert rasch.
„Bitte, nehmen Sie wieder Platz und erzählen Sie, wie es zu diesem Zusammentreffen kam", forderte Melchert auf.
„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, lassen Sie mich lieber stehen. Ich muß mich bewegen können, ich kann dann besser sprechen“, bat Melchert
„Bitte . . .“, sagte Eyrich kurz.
Wieder machte Melchert ein paar Schritte, wandte sich Eyrich zu und fing an:
„Ich weiß nicht, Herr Kommissar, wie Sie sich verhielten, wenn Sie plötzlich in Ihrem Garten auf einen Menschen stießen, der behauptet, mit der Frau verabredet zu sein, mit der Sie über ein Jahr unter einem Dach leben, die Si« schätzen, lieben, die Sie m ehelichen wünschen. Ich weiß auch nicht, was Si« tun würden, wenn Ihnen dieser Mar® zynisch erklärt, er sei der Ehemann dieser Frau, si« gehöre zu ihm. Mit einem Male erfahren Sie, daß man Sie belogen, betrogen hat und daß alle Versicherungen der Liebe, der Treue nicht wahr sein sollen und ein ungeheuerlicher Betrug an Ihnen imd Ihren Gefühlen verübt wurde. Sie sind nicht mehr jung . . . sind nicht mehr zwanzig. Das eigentliche Leben liegt hinter Ihnen. Sie hofften auf ein Glück, das Ihnen den Lebensabend verschöne. Nun ist alles zerstört, genommen, das, was Ihnen heilig schien, in den Schmutz gezerrt! So ging es mir an diesem Sonntag abend, als ich diesen Nimitsch in meinem Garten traf ..." .
MeUhert verstummte. Obwohl Melcnen sich bemühte, äußerlich ruhig zu erscheinen, bemerkte Eyrich, wie aufgewühlt und erreg* der Mann war. Die Hand, die nach dem Kragen faßte, daran zerrte, als ob er zu wenig Luft bekäme, .zitterte. Nur sein Ge* sicht war unbewegt, der Ton seiner Stimm« ruhig, fest