Settr 2 Nr. 1L8

NagolLer TagblattDer Geseüschafter"

Freitag, 17. 3uni 1927

Portoerhöhung abgelehnt

Deutscher Reichstag

Berlin. 15. Juni

Von den Völkischen und mehreren deutschnationaten Ab­geordneten ist ein Antrag eingegangen, der die Einstellung des Strafverfahrens gegen den völkischen Abg. Henning wegen Aufforderung zur Steuerverweigerung verlangt. Der Antrag wird gegen Sozialdemokraten und einige Demokraten dem Geschäftsordnungsausschub überwiesen. Auf der Tages­ordnung stehen dann eine demokratische Interpellation und ein kommunistischer Antrag, der sich gegen die ge. plante Porto-Erhöhung richten, außerdem ein aus dem gleichen Anlaß gegen den Reichspostminister Dr. Schäßel gerichteter kommunistischer Mißtrauensantrag.

Torgler (Kom.) begründet den kommunistischen An­trag. Dr. Rasching (Dem.) weist darauf hin, daß der Reichstag in Fragen der Portoerhöhung nicht zuständig sei. Die Frage greife aber notwendig in das Wirtschaftsleben ein, so daß an einem Einspruch des Reichstags auch der Postminister und der Verwaltungsrat nicht Vorbeigehen könn­ten. Taubadel (Soz.) erklärt, der Berwaltungsrat der Reichspost sollte sich scheuen, gegen den Willen großer Reichs­tagsparteien die neue schwere Belastung vorzunehmen.

Reichspoftminister Dr. Schätze! erklärt, daß nur durch Erhöhung der Einnahmen die schwierige Lage behoben wer­den könne. Mit der bloßen.Anleihepolitik komme man nicht weiter. Durch die Verbesserungen der Zustellung und die technischen Verbesserungen aller Art erwachsen der Post Mehrausgaben von 270 Millionen. Hinzu kom­men durch die Erhöhung der Beamtenbesoldung, deren Zeitpunkt noch offen ist, die aber voraussichtlich noch

in diesem Jahre in Aussicht genommen ist (Rufe links: Voraussichtlich!), 160 Millionen Mehrausgaben, im ganzen also 430 Millionen. Durch die Gebührenerhöhungen in der vom Berwaltungsrat gemilderten Form werden nur 200 Millionen Mehreinnahmen erzielt, so daß noch 230 Millionen durch andere Maßnahmen gedeckt werden müssen. Die Rejchspost hat ihre Ausgaben nach Möglichkeit einge­schränkt. Sie hat im Personalabbau mit 25 Prozent die Höchstleistung unter allen Verwaltungen erreicht.

Leicht (Bayer. Vp.) gibt für sämtliche Regierungs­parteien eine Erklärung ab, in der betont wird, daß nach dem Reichspostfinanzgesetz der Reichstag für Fragen der Portoerhöhung unzuständig sei. Darum würden die Regie­rungsparteien die gestellten Anträge ablehnen, obwohl sie nicht die schwere Belastung verkennen, die der Wirtschaft durch die Portoerhöhung zugefügt werde. Mollath (Wirt­schaft!. Vg.) bedauert die Form der Erklärung der Regie­rungsparteien. Weiterhin beantwortet Reichspostminister Dr. Schätze! die Frage des Abg. Dietrich-Baden: Von einem Plan, die Reichspost für Entschädigungslei st ungen Heranzuziehen, ist weder mir noch irgend einem Mitglied des Reichskabinetts etwas bekannt. Es besteht aucb von Regierungsseite keine derartige Absicht. Damit schließt die Aussprache. Im Hammelsprung wird der demokratische An­trag auf Zurückziehung der Portoerhöhungsvorlage mit 175 gegen 171 Stimmen angenommen. Der Mißtrauensantrag wird mit 327 gegen 35 Stimmen bei drei Enthaltungen abgelehnt.

Das Haus vertagt sich gegen 19.30 Uhr auf Freitag 15 Uhr. Auf der Tagesordnung stehen das Schankstättengesetz, das Kriegsgerätegesetz, die Novelle zur Bäckereiverordnung und kleinere Vorlagen.

Die Dirren in China

Schanghai, 15. Juni. Nach einer Meldung aus japani­scher Quelle nahmen Truppen Tichangkaischeks H a i t s ch a u, einen Seehafen im nördlichen Teil von Kiangso. Die Ltadt wurde von den einmarschierenden und den ausmarschieren­den Truppen geplündert. Die japanischen Frauen und Kinder hatten vorher die Stadt verlassen, die japanischen Männer ' '''teten, nachdem sie Zeugen schrecklicher Vor­gänge gewesen waren. Soldaten der Südtruppen drangen an Bord eines mit japanischen Flüchtlingen besetzten Schisses und plün^ccen e-. Der japanische Konsul in Schanghai pro- -testierte im Ministerium des Aeußern und verlangte vollen Schutz für die in Haitschau verbleibenden Japaner.

Württemberg

Ueberseeverkehr mit Zeppelinluftschiffen

Stuttgart, 16. Juni. Bestem besuchten die beide« ameri­kanischen Ozeanflieger Chamberlin und Levine von Friedrichschafen kommend Stuttgart. Ihr Begleiter Eyre äußerte sich einem Vertreter derSüddeutschen Zeitung" gegenüber sehr anerkennend über das, was sie in Fried- rich sh äsen gesehen hatten. Geradezu begeistert waren di« Meger über das neueste Flugzeug Dorniers, den bekann­tenSuperwa l". In einer längeren Aussprache mit Dr. Eckener stellte sich ihr völliges Einverständnis mit dessen Ueberseeverkehrsplänen heraus.

Levine schlug die Gründung einer internationalen GesellschaftfürdenUebersesluit verkehr vor. Für das Uebersliegen der Ozeane halten auch die Amerikaner das Zeppelinluftschiff für sicherer und bequemer. Uebrigens fei ja in Friedrichshofen alles vorhanden, was für einen Überseeluftverkehr nötig sei: Luftschiffe. Wasserflugzeuge und Kleinflugzeuge. Die Gesellschaft soll für den Ueberseeverkehr kombinierte Linien (Luftschiff, Dornier-Wale und Landstua.reuaei einricbten. Gr^on ..Suverwal" will Levine

schon in nächster Zeit bestellen. Zum Abschluß der Vorver­handlungen über die Gesellschaftsgründung soll in den näch­sten Tagen Kapitän Lehmann von den Zeppelin­werken nach Berlin reisen.

Aus der Justizverwaltung. Der Staatspräsident hat den Staatsanwalt der Ratstufe Ernst Rübling von Rottweil seinem Ansuchen gemäß auf eine Staatsanwaltstelle der Ratstufe in Ulm versetzt, den Staatsanwalt Dr. O tts ri­ll a ch e r in Stuttgart zum Staatsanwalt der Ratstufe in Stuttgart ernannt und den Amtsrichter Dr. Riecker m Heilbronn mit seinem Einverständnis auf eine Staatsan­waltstelle der Besoldungsgruppe X in Stuttgart versetzt.

Der Jubiläumsrektor, Professor Dr. Wilh. Trende­len b u r g, Vorstand des Physiologischen Instituts, hat den ehrenvollen Ruf an die Universität Berlin zum Winter­semester 1927/28 angenommen.

Todesfall. Im Alter von 77 Jahren ist in der Nacht zum Mittwoch Fräulein Sophie von Adelung gestorben. Die Verstorbene war als Schriftstellerin bekannt und hat durch ihre Mitarbeit im Unterhaltungsteil der Tageszeitungen und an Zeitschriften unzähligen Lesern durch ihre feine, hu­morvolle Feder Freude bereitet.

ep. Volkskundgebung für einen würti. Missionar. Nach soeben eingetroffenen Nachrichten ist der bisherige hochver­diente Inspektor der Evangelischen Gesellschaft in Stuttgart. Missionar Schosser, mit seiner Frau bei seiner Rückkehr auf sein früheres Arbeitsfeld in Ostindien in Mangalur, der Hauptstadt Kanaras, von einer nach vielen Tausenden zäh­lenden Volksmenge mit überwältigender Begeisterung emp­fangen und von den dortigen Vertretern der evang. und kath. Kirche, des Islam und des Bramanismus herzlich be­grüßt worden. Die begeisterte Aufnahme unseres schwäbi­schen Landsmanns zeugt von dem unerschütterlichen Ver­trauen, das sich die Basler Mission in nahezu lOOjähriger Arbeit bei der indischen Bevölkerung erworben hat und er­öffnet für den Wiederbeginn ihrer segensreichen Tätigkeit gute Aussichten.

Gmünd. 16. Juni Wiederholung des Heimat­spiels. Das hiesige Heimatspiel wird am Sonnkaq 19. Juni, wiederholt werden. Von Juli bis September folgen 8 weitere Spieltage. Entgegen dem bei der Erstauf­führung geübten Brauch wird künftig bei schlechtem Wetter als Ersah für das Naturtheaterspiel in der städt. Festhalle das fünfakkige romantische Volksschauspiel .Der Geiger von Gmünd' von Streich gespielt.

Hall, 16. Juni. Mädchenraub. Die 21jährige Berta Schäffert aus Enslmgen kam gestern vormittag mit ihrem Fahrrad von Hall her und fuhr langsam die ansteigende Skraße hinter Gelbingen hinauf. In diesem Augenblick Kam ein Auko, fuhr ganz nahe an das Mädchen heran, ein Mann sprang aus dem Auko heraus, warf ihm ein Tuch über den Kopf und zerrte das Mädchen in das Auto hinein. Darauf stieg der Mann wieder ein und fuhr in schärfstem Tempo davon. Der Vorfall war beobachtet und sofort weiter ge­meldet worden, bis jetzt hak man aber von dem frechen Räuber und seinem Opfer keine Spur entdecken können Die Aufregung über den Vorfall ist sehr groß.

Heiligenbronn OA. Gerabronn, 16. Juni. Bettler und Brandstifter. Am Montag nachmittag wurde Heiligenbronn von einem Bettler abgestreift, der in oer- Ichiedenen Häusern Eier bettelte. In einem Hause wurde ihm statt eines Eies eine kleine Geldgabe verabreicht. Darü- ^.erZürnt machte der Bettler die Aeußerung:Wartet Euch Heiligenbronnern will ich 'chon warm machen". Da- rauf verließ er den Ort in der Richtung Leuzenbronn und Mndete den nahe an der Straße stehenden, dem Landwirt Ehnes von Heiligenbronn gehörenden Strohhaufen an. Her- be-ellende Bürger löschten das Feuer und hielten den Gau­ner bis zur Ankunft des Landjägers fest, der ihn abführte.

Tübingen. 16. Juni. Bon der Universität. Pro­fessor Dr. Johannes Mewaldtin Königsberg hat den Ruf au/ den ordentlichen Lehrstuhl für Philologie angenommen.

Aus Stadt und Land

Nagold, 17. Juni 1927.

Wer seine Nerven stärken will, soll seine Lieblings­beschäftigung aus das halbe Maß reduzieren. Und wenn das zuviel verlangt ist, soll er sie ganz aufgebm. Denn das Schädlichste für die Nerven ist immer, was wir am liebsten tun. Hohenemfer.

Nachklänge zum Kriegerbundestag in Stuttgart

Es wird uns geschrieben:

Nachdem schon einige Kameraden am Samstag zum Bankett nach Stuttgart gefahren, fanden sich am Sonntag Morgen um 5ftz Uhr eine stattliche Anzahl von Kameraden ein, die unter Vorantritt derConcordia" unter Klängen eines schneidigen Marsches zum Bahnhof marschierten. In Calw, wo eine Stunde Aufenthalt war, wurde der Festtag durch einen edlen Wettstreit schön begonnen, denn die Kapellen von Nagold und Altensteig spielten unermüdlich abwechslungsweise ihre Weisen. Auch während der Fahrt nach Stuttgart war die Unterhaltung gut. In Stuttgart angekommen, wurde ein Reisemarsch in unser Verpflegungslokal unternommen zur Einnahme eines Frühstückes. Der Festzug war ein gewaltiges, erhebendes Zeichen dafür, daß es auch bei uns noch recht viele Männer gibt, die von dem Geiste der Vaterlandsliebe u. Kameradschaft durchdrungen sind. Es folgte dann der Vorbeimarsch vor den Leitern des Bundes (Ehrenpräsident und Präsident mit den Gästen usw.) Kaum waren wir aber daran vorbei, fing es schon an zu tröpfeln, in der Marienstraße an zu regnen, in der Sophienstraße an zu gießen und in der Rotebühlstraße an zu schütten. Unentwegt aber marschierten die Nagolder mit der unverwüstlichen Musik an der Spitze durch das uns entgegenkommende Hochwasser bis zur Mitte des Kasernenhoses. Dabei mit lauten Hochrufen begrüßt. Es sollen auch Rufe gefallen sein wie:hoch den Wasserratten". Der Verein löste sich dann vollständig in Wasser

Entschwundenes Land

Von Elisabeth v. Aster.

An meinem Iugendlande hängt mein Herz mit starker, fest- wurzelnder Liebe die nun zu einer schmerzlichen Liebe ward. Deutsch waren Erziehung und Schule, deutsch unsere Kirche, deutsch die Sprache, deutsch das Land, das der silberne fröh- stche Strom durchzieht... deutsch war mein Iugendland, das nun mir entschwunden, weil es in Feindeshand siel. In Feindes­hand! was das heißt, weiß und fühle ich nun erst, da ich wieder durch die engen Straßen und Gäßchen der Festung wandele, da ich wie träumend die Stätten grüße, die mir einst heb und verlaut, immer mir in der Seele lebten. Erinnerung steht mir zur Seite gleich einer Engelsgestalt, die mir ein Pa­radies weisen will, in dem ich einst lebte unbewußt.

Rauh reißen welsche Laute mich zurück zur Wirklichkeit, stampfender Schritt französischer Bataillone, Musik, die schrill mir in den Ohren klingt, die nichts in meinem Herzen weckt als Schmerz... die es nicht höher schlagen läßt wie einst, da unsere Truppen Hellen Blickes und strammen Schrittes durch dke Straßen marschierten. Der strenge, gefürchtete Kämpe ritt damals an der Spitze der alteGottlieb" (Generalfeldmar- sthall Graf v. Haeseler). Französische Firmenschilder und Stra- Annamen fallen mir ins Auge, und auf einem hohen Gebäude weht die Trikolore. Unter ihr schreite ich dahin und balle die Hände, wenn meine Augen sehen, was deutscher Fleiß und deutsche Mittel rings geschaffen. Was deutscher Unternehmungs­geist und deutsche Ordnung aus dieser Stadt gemacht. Deutscher Qconungssinn! Wohl schuf er Einrichtungen, die gut und zweck­mäßig waren, wohl hat er seine Hand über die Stadt gehalten, doch nur, bis harte Kriegszeit kam, bis der Franzose Einzug hier hielt. Da ist er gewichen...

Groß und ernst ragt der dunkle Bau der Kathedrale. Wie als Kind trete ich aus Hellem Sonnenschein in den Dämmer des Kirchenschiffes. Wie damals leuchtet der Hochaltar, schim­mern die Kerzen auf Seitenaltären, vor denen hie und da Andächtige knien. Und dann umfängt mich wieder Sonne und Wärme des großen Platzes. Immer vertrauter grüßen die Stra­ßen, die ein wenig abfallen zum Fluß hinunter. Es ist kein Traum, da ich auf der alten Brücke stehe und den Weibern zusehe, die drunten die Wäsche schlagen und spülen wie vor krngen Jahren. Es ist kein Traum, daß mein Blick das Eck­haus umfängt, in dem ich einst daheim war, behütet, umsorgt ein glückliches Kind. Wie deutlich sehe ich die Mutter droben am Fenster stehen, wenn der Vater in blitzender Uniform über hi« Brücke ritt und mit weitzbehandschuhter Hand Grüße zu ihr hinauf winkte!

Lange stehe ich vor dem Tor in stillem Wundern, wie eng doch die Straße ist, wie verrußt die Häuser, die in meiner Er­innerung die schönsten der Welt waren. Immer weiter zieht es wich: ich muß die Kirche, die Helle mit dem schlanken Turm sehen, in der ich eingesegnet wurde... Das Portal ist ver­schlossen, so weiß ich nicht, ob fremde Religion in fremder Sprache nun in ihrem schönen lichten Raum gelehrt wird. Bor meinem innern Auge weicht die schwere Tür, und ich sehe wieder die vollbesetzten Bänke mit den vielen Soldaten aller Waffen­gattungen. die Offiziere in ihren farbigen Röcken, die weiße Kanzel, den schlichten Altar. Und ich höre die vollen Stimmen,

die schöne alte Kirchenlieder singen, lausche dem prächtigen Soldatenchor... Vorbei ist es-dahin...

Fröstelnd gehe ich an den grünen Wällen entlang zur Toten­brücke, die trotz des düsteren Namens frohe Erinnerungen weckt an Plantschen und Fische fangen und an die Glacis, in denen wir spielten. Auch an die Trambahn, die mit ihren zwei Pfer­den für unsere Begriffe sehr schnell über die Brücke fuhr. Jetzt hasten Autos und die Elektrische darüber, und die Brücke wim­melt von französischem Arbeitervolk in flachen Mützen, das re­dend und gestikulierend von außerhalb liegenden Arbeitsstätten in die Stadt heimkehrt.

Noch will ich hinauf zur Esplanade, von der man über das schöne fruchtbare Tal hinsieyt und auf die Höhen mit ihren Forts und Befestigungen. Wieder möchte Trauer meine Seele beschatten, doch ringt ein anderes Gefühl sich durch, das der Gewißheit, die mir in diesen Tagen wurde: deutsche Kultur und deutscher Sinn sind tief in dieses Land eingedrungen, zu tief, um ganz unterdrückt, ganz ausgerottet zu werden!

Wie ein leuchtendes Band windet der Fluß sich tief unter mir dahin. Er zieht zur Stadt und dann weiter nach Nordosten in deutsches Land hinein. Mir ist, als müßte ich ihm folgen,

so schnell es geht, dorthin, wohin es ihn zieht-zum Rhein,

zum deutschen Rhein, der deutsch ist und bleibt und den der Feind uns nicht rauben soll, so wie er das schöne, blühende Land meiner Jugend nahm...!

Der kostenlose IMenban.

Im Hinblick auf die verheerenden Unwetterkatastrophen und Ueberschweminungen der letzten Zeit dürste ein merk­würdiges Geschichtchen, das in einem längst vergessenen Alma- nach des Jahres 1818 ausgezeichnet ist, von einigem Interesse sein.

In der Schweiz, südlich von Basel, sollte einst bei Grellin- aen über die Birs eine Brücke gebaut werden, deren Aus­führung die Gemeinde einem italienischen Maurer übertrug. Das Werk gedieh auch zur allgemeinen Zufriedenheit. In der vereinbarten Zeit würbe es vollendet. Me Gemeinde über­zeugte sich von der einwandfreien Beschaffenheit des Baues. Der Meister entlohnte seine Gesellen und erhielt vom Gemeinde- Oberhaupt die Weisung, sich am folgenden Tage zur Entgegen­nahme des Lohnes im Amtszimmer einzufinden. Dazu kam es aber nicht.

In der Nacht, die dem zur Auszahlung bestimmten Tage vor­aufging, entlud sich ein fürchterliches Unwetter über dem Orte. Gewaltige Regenmassen stürzten vom Himmel herab. Der Fluß schäumte über seine Ufer und richtete arge Verwüstungen an. Der Brückenbauer, der noch soeben von dem klingenden Lohn seiner Arbeit geträumt haben mochte, erlebte ein schreck­liches Erwachen: Durch die Straßen gellte der RufDie Birs hat die Brücke fortgeschwemmt." Entsetzt fuhr der Meister vom Lager empor. Sein einziger Gedanke war, dem Zorn der Obrigkeit zu entrinnen. In derselben Nacht floh er auf be­schwerlichem Pfade nach Süden, der Heimat zu. Er ist niemals wieder aufgetaucht. Manche Leute behaupteten damals, er habe sich erhängt: andere wieder, er sei in das Kloster ge­gangen. Die Brücke jedoch war unversehrt geblieben. Der Fluß hatte sie nicht zerstören können. Aber niemand ist seit­dem vor Lee Gemeinde erschienen, um den Baulohn einzu- tvrdern.

Look zu verschenken!

Als das ohnehin schwach bevölkerte Ostpreußen zu Anfang des 18. Jahrhunderts durch die Pest streckenweise ganz menschen­leer geworden war, suchte die Regierung neue Ansiedler ins Land zu ziehen und schenkte ihnen nicht nur so viel herrenlos gewordene Grundstücke, wie sie haben wollten, sondern belohnte sie auch noch mit Geld, wenn sie recht viel Land übernahmen. Als Gnadengeschenk von der Regierungeine Hube Land" zu erhalten, war nichts Ungewöhnliches. Es kam aber oft genug vor, daß die auf diese Weise Beschenkten über die Gabe in Angst und Schrecken gerieten und sich weiteren Gnadenbeweisen durch die Flucht entzogen. Als im Jahre 1736 in Gumbinnen der Ter­min zur Verteilung der wüsten Gärten und Ländereien fest­gesetzt worden war, erschien vor diesem Tage bei dem Kriegs­und Domänenrat, der über die Verteilung zu bestimmen hatte, ein Schneidermeister, der dem Herrn Rat einen Staatsrock zum Geschenk brachte, sich dafür aber als Gegengabe die Gnade aus­bat, bei der Zuteilung von Garten und Land übergangen zu werden!

Eis teurer Rausch.

Siebenundvierzig Jahre und zehn Monate schweren Ker­kers, das ist die Strafe, die das Militärgericht in Peterwardem dieser Tage über den Albaner Muftar Iusuvooic vom 7. Infan­terie-Regiment verhängt hat. Iusuvooic, ein strenggläubiger Muselmann, wurde an einem Festtage von seinen Kameraden verleitet, zum ersten Mal in seinem Leben dem Alkohol zuzu­sprechen. Zwei Glas starken slawonischen Weines genügten, um die Urteilskraft des Mohammedaners lahmzulegen. Er suhlte sich krank, mußte aber trotzdem auf Wache ziehen, und stand nun, ergrimmt über sein Schicksal und die Uebertretung der Gesetze des Propheten bereuend, auf Posten vor der Kaserne. Kinder gingen vorüber und Soldaten und lachten den grimmig dreinblickenden, etwas unsicher dastehenden Posten aus. Iusu- vovic kochte vor innerer Wut, und sein Herz schrie nach Rache. Und da geschah das Unglück. Die Leutnants Duschan Kokotooic und Milan Papic kamen in Begleitung ihrer Damen an dem Posten vorbei und warfen einen fragenden Blick aus die frag­würdige Gestalt. Damit war ihr Schicksal besiegelt. Iusuvooic ließ sie an sich vorbei und als sie hundert Schritte entfernt waren, sandte er ihnen als sicherer Schütze zwei Kugeln nach, die beide Offiziere tot zu Boden streckten. Auf das Jammer­geschrei der Frauen stürzte der russische Oberstleutnant Leonid Uspenski aus einer Nebengasse herbei, aber ein dritter Schuß aus dem Gewehr des seiner selbst nicht mächtigen Muselmanns streckte auch ihn schwerverwundet zu Boden. Ta wich der Wein­dunst von Iusuvooics benebeltem Hirn, er warf sein Gewehr, fort und ergriff die Flucht. Zehn Tage später wurde er aufge-' griffen und vor Gericht gebracht. Das Urteil lautete auf sieben­undvierzig Jahre und zehn Monate schweren Kerkers, und diese Strafe wurde in die gesetzliche Höchststrafe von zwanzig Jahren schweren Kerkers umgewandelt.

Vergeht i>ie durßenft» Line Mt!