StUe 2 Nr. 12S

Nago!der LagdtattDer Gesellschafter"

Dienstag. 7. Juni 1L27

50 Jahre Raifseisenverband

Vom 7. bis 10. Juni tagr in Köln der 45. Generalver­band der Deutschen Raiffeisenvereine, der am 26. Juni auf sein 50jähriges Bestehen zurückblicken kann. Friedrich Wil­helm Raisfeisen, geboren am 30. März 1818 in Hamm in Westfalen, dachte zunächst nur an die Linderung der Not der Landbevölkerung seiner engeren Heimat, des Wester­walds, seine Erfolge verschafften aber seinem Namen gar bald in weiten Teilen der Welt einen guten Klang, so daß wir heute Raiffeisen-Vereine in allen Ländern der Welt fin­den, in Europa, in Amerika, in Japan, in Indien und an- derorts. Kurz vor ihm hatte der Kreisrichter Schulze in Delitzsch auf die Notwendigkeit des Zusammenschlußes des erwerbstätigen städtischen Mittelstandes hingewiesen. Raiffeisens Verdienst aber ist es, daß er durchdrungen von einem wahrhaften Christentum Liebe, Hilfsbe­reitschaft und Entsagung zum Leitstern seines Handelns machte, und so nach langjährigen Studien die Form der Ge­nossenschaft fand, die sich für das Land besonders eignet und auch im Zeichen der modernen Wirtschaft durchaus Be­rechtigung besitzt. Im Laus der Jahre traten die städtischen Genossenschaften an Zahl und Bedeutung hinter den länd­lichen immer mehr zurück. Zu den Spar- und Darlehns­kassenvereinen gesellten sich neue Formen: Molkereigenossen­schaften, Absatzgenossenschaften, Elektrizitätsgenossenschaften und andere. Aus dem Gedanken, daß die Darlehnskassen­vereine in möglichst großem Umfang vereinigt wirken müssen, wenn der Erfolg für die'Gesamtbevölkerung herbei­geführt werden soll, schuf Raiffeisen im Jahr 1877 den An­waltschaftsverband, der heute die Bezeichnung Generalver­band führt. Doch mußte der uneigennützige, trotz fortdau­ernder Krankheit und zunehmender Erblindung bis zu sei­nem Lebensende (11. März 1888) unermüdlich arbeitende Mann noch sehen, daß, teilweise auch unter dem Druck der veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse, Spaltungen ein­traten, die heute noch nicht ganz überwunden sind. Der Krieg und die Nachkriegszeit haben das deutsche landwirt­schaftliche Genossenschaftswesen erheblich zurückgeworfen. Die Not der Zeit erheischt, das Versäumte beschleunigt nachzu­holen. Hoffentlich vereinigen sich die Genossenschaften und die Führer bald wieder zu einer Zentrale, einge­denk des Wahlspruchs des Gründers: Frei sein und die­nen.

Württemberg

Stuttgart. 6 . Juni

Abfindung des Hauses Württemberg. Wie dieSchwab. Tagwacht" hört, ist zwischen der Regierung und dem herzog­lichen Haufe am 1 . Juni ein Vertrag abgeschlossen worden, der die Befriedigung der vom Herzog Aibrecht an den Staat gestellten Anprüche zum Zweck hat. Ueber den Inhalt , des Abkommens ist noch nichts bekannt. Die Angelegenheit soll in nächster Woche den Landtag beschäftigen.

ep. Die Innere Mission auf der Wohlfahrksausftellung. Unter den fünf Verbänden, die die Ausstellung der freien Wohlfahrtspflege in deer Stadthalle tragen, ist die Innere Mission neben dem Caritasverband am stärksten entwickelt. Äm ganzen unterhält sie in Deutschland auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge 2148 Anstalten mit 113 800 Betten und 3990 Krankenpflegestationen mit über 6900 Schwestern, in der Erziehungs- und Jugendfürson? 187 Anstalten mit 56 000 Betten, sowie 2838 Krippen Kindergärten niit 184 500 Plätzen, in der Wirtschaftsfürsorge 600 Heime mit 26 700 Betten, sowie 343 Bahnhofsdienste. Im Dienst all dieser Arbeiten stehen 41 000 Schwestern, über 4200 Theo­logen und Diakonen, 12 000 andere Berufsarbeiter und Berufsarbeiterinnen, besonders auch aus dem Lehrerstand, und etwa 17 000 Hilfskräfte neben einem nach Hundert­tausenden zählenden Freiwilligenheer von Männern und Frauen, die sich ehrenamtlich betätigen. Von dieser um­fangreichen Wohlfahrtsarbeit entfällt auf die württ. An­stalten und Heime der Innern Mission ein hoher Anteil mit über 12 300 Betten für Pfleglinge in Kleinkinder- und Jugendheimen, Erziehungs- und Anormalen-Anstalten, Krankenhäusern und Altersheimen mit einem Pflege- und Dienstpersonal von über 1700 Menschen. Dazu kommen s noch 320 Diakonen, die als Stadtmissionare, Jugendpfleger, > Hausväter in Herbergen und Anstalten wirken, ferner 580 I Kinderschwestern und 2100 Krankenschwestern: von letz- >

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teren sind nahe 700 in rund 450 Gemeinden tätig. Zusam­mengenommen würden diese Anstalten eine Stadt ergeben größer als die drei württ. Städte Metzingen, Calw und Marbach.

Bom Tage. In Berg stießen ein Stuttgarter Lastkraft­wagen und ein Personenauto aus Winnenden zusammen. Letzteres überschlug sich zweimal und wurde zertrümmert. Sein 47 I. a. Führer und eine Insassin, eine ledige Apo- thekerskochter aus Winnenden, trugen an Kopf und Schulter Schnittwunden davon, konnten jedoch nach Hause fahren.

Aus dem Lande

Mergentheim, 6 . Juni. Die Albertquelle. Don nerstag vormittag ist die Albertquelle erstmals in der neuen Trinkhalle in Betrieb gesetzt worden. Die offizielle Eröff­nung und Einweihung soll anläßlich der Beethovenfeier am 11. Juni erfolgen. Bis dahin wird sie nur jeweils morgens und abends zu den festgesetzten Trinkzeiten fließen.

Alm. 6 . Juni. Gesprengte Bersammlung. Die Nationalsozialisten Alm-Neu-Alms wollten am Freitag abend im .Greifen' eine große öffentliche Versammlung abhalten. Der Saal füllte sich sehr rasch. Nachdem die Versammlung von den Einberufern eröffnet war, bestieg der Abg. Nuggaber (Sozialist und Reichsbanner) die Tribüne und wollte zu der Versammlung sprechen. Er wurde aber sehr unsanft ym- unterbefördert. Dies führte zu einer Keilerei mit Skuhl- füßen Mw. Die Saalpolizei von 6 Mann hatte vollauf zu tun, den Radau in Grenzen -zu halten, bis Berstärk ng von der Beamtenschaft kam. Es kam dann zu einem großen Menschenauflauf in der Frauenstraße. Polizeiwehr ist in Lastwagen angerückt und räumte die Straße. Im Saal, wo inzwischen die Versammlung polizeilich aufgelöst wurde, gab es einige blutige Köpfe.

Heidenheim, 6 . Juni. Wirbel sturm im unteren Brenztal. Am Donnerstag nachmittag entlud sich über Hürden und Umgebung ein schweres Gewitter mit einem starken Sturm, das in den Gärten und Obstbaum-Anlagen großen Schaden anrichtete, lieber 30 Obstbäume fielen auf der Markung dem schweren Sturm zum Opfer. Am Fried­hof riß es einen Kastanienbaum um. Bei der neuen Ziegelei Roll in Giengen nördlich des Lagerhauses riß der Sturm das Gerüst ein, wodurch ein Teil der Umfassungsmauern zum Einsturz kam. Bei Herbrechtingen wurden einige Ma­sten umgelcgt.

hükkisherm OA. Laupheim, 6 . Juni. Sturmschäden. Ein furchtbarer Orkan, von Hagel begleitet, ging Donners­tag nachmittag über den Ort hinweg. Dächer wurden beschä­digt, Obstbäume geknickt und entwurzelt, Leitungsmasten umgeworfen. Die beiden riesigen Linden beim neuen Schul­haus sind nur noch traurige Ruinen.

Hechingcn, 6 . Juni. Ein nobler B l u m e n d i e b. Ein Gartenbesitzer hatte sich noch am Abend an seinen herr­lich blühenden Pfingstrosen ergötzt. Als er am Morgen dar­auf den Garten betrat, waren die Rosen von fremder Hand abgefchnitten. daneben aber lag ein Fünfmarkschein als Schmerzensgeld.

Aus Stadt und Land

Nagold, 7. Juni 1927.

Wenn jemand bescheiden bleibt, nicht beim Lobe, sondern beim Tadel, dann ist er's.

DieAstnachrichten

Der Herr Staatspräsident hat je ^ eine Leyr,recte an der evangelischen Volksschule in Ebersbach OA. Göppingen dem Oberlehrer Weimer in Weltenschwann OA. Calw unter gleich­zeitiger Ernennung zum Rektor, Neuheng stell OA. Calw dem Unterlehrer Reinhard Mößmer in Stuttgart, Reichen­bach OA. Göppingen dem Oberlehrer Wohlbold in Rodt OA. Freudenstadt, Tros fingen OA. Tuttlingen dem Ober­lehrer Böhlerin Bitz OA. Balingen, Wildbad OA. Neuen­bürg dem Oberlehrer Kern in Tumlingen OA. Freudenstadt übertragen.

Dom Pfingstfest

, Nun gi auch wieder das liebliche Pfingstfest oorüber, doch > gehen wir mit demlieblich" in Bezug auf die äußeren Ge- j pflogenheiten unseres heurigen^Pfingftfestes nicht einig,Udenn

das Weiter war alles andere wie das. Wohl prangte hin und wieder und für Augenblicke die Welt in vielversprechendem Sonnenschein, dafür aber setzte auch nachher ein um so längerer kräftiger Regen mit der dazu notwendigen Frische ein. Und trotz allem erfreute uns das Pfingstfest durch die in voller Pracht stehende Natur, und sie wird uns noch weiter- und späterhin mit den leuchtenden und duftenden Gaben ihres Frohsinns und ihrer Lebensfreude erfüllen.

Obwohl der Samstag durch seinen einmaligen Regen ein guter Mahner hätte sein können, ließ sich die optimistische und naturfreudige Menschheit zu Fuß, per Rad, mit Auto Motorrad oder sogar mir Paddelboot, mit einem Wort zu Wasser und zu Lande nicht bange machen, und richtete sich zu frisch-fröhlicher Fahrt. Die Züge waren, trotzdem auf manchen Strecken eine ganze Reihe von Vor- und Nachzügen fuhren alle bis zum letzten Platz gefüllt. Auch hier in Nagold har sich ein recht lebhafter Fremden- und Durchgangsverkehr fühl­bar gemacht, und zwar am Montag in noch höherem Maße wie am Sonntag. Im Mittelpunkt der hiesigen Veranstaltun­gen stand das Werbespiel des Turnvereins mit seinem verschie­denen Drum und Dran. Am Sonntag Morgen konzertierte der Musikverein etwa 1 Stunde vor dem Krankenhaus zur Freude der Menschen, die Freude am notwendigsten haben, der Kranken. Der SV N. hat gestern seine A-Jugend und seine Hl. Mannschaft zur Verfügung gestellt. Die A-Jugend ge­wann gegen A-Jugend Sruttgarl-Gaisburg 2:0 und die Ist Mannschaft komb. mit der II. gegen Rohrdorfs I. Mannschaft 10 : 0 . Der Radfahrerverein brachte es natürlich auch wieder einmal nicht fertig, ohne Preis nach Hause zu kommen und erfolgge- gewohnt wie immer, brachte er einen la-Preis im Corsofahren und im Reigenfahren einen Ehrenpokal vom Oberjettinger Radfahrerfest mit. Der C.V.j.M. hatte eine schöne Fahrt nach Beuron und überhaupt ins Donautal gemacht und fröhlich, wenn auch müde kamen die jungen Gesellen wieder an.

So hat doch das Pfingstfest mit seinen freien Tagen da­für gesorgt, daß des Alltags Lasten wenigstens zum Teil ab­gestreift und neue Kräfte, die wir zum Kampf um das tägliche Brot notwendig brauchen, gesammelt wurden.

Wie und was amerikanische Zeitungen schreibe«!

In der deutschenNew-Porker Staatszeitung" war am 7. Mai zu lesen: Große Hochwasserkatastrophe im Schwarz- waldkreis."Gebiet der Nagold von Zerstörung bedroht!" Im Gebiet der Nagold haben Wolkenbrüche eine Katastrophe bervorgerufen."Am größten ist die Gefahr in der Stadt Nagold. So schnell traten die Fluten ein, daß den Bewohnern nur die Flucht auf die Dächer offen blieb. Eng aneinander gedrängt, harren unzählige dort der Rettung!" Der Fluß (Nagold) entspringt im Oberamt Horb, in der Nähe der großen Enzquellen, die nun auch von der Zerstörung bedroht sind" usw.Die Stadt Nagold hat verschiedene Anstalten und eine große Anzahl Fabriken. Auch wird Nagold mit seinen Heil­quellen als Bad von vielen besucht!" Wahrhaftig der Bericht­erstatter hat ein blühende Phantasie. Geographie aber schwach!

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Anmeldung von Anleihe-Neubesih. Der Württ. Sparer­bund E. B. Stuttgart, Kajernenstr. 8 , schreibt uns: Neu­besitzer von Reichsanleihestücken, die diese nach dem 1. Juli 1920 erwarben, werden durch eine min. Verfügung vom 14. 2. 1927 aufgefordert, ihre Anleihestücke bis 30. Juni 1927 zwecks Umtausch in Anleiheablösungsschuld anzumelden. Die Anmeldung ist. wie beim Altbesitz, bei den staatlichen Vermittlungsstellen, Banken oder Sparkassen, vorzunehmen. Für 1000 Mark Nennbetrag Reichsanleihe werden 25 Mark Anleiheablösungsschuld gegeben, ohne daß ein Auslosungs­recht zuerkannt wird. Wir raten dringend, die Anmeldung nur unter Vorbehalt aller Rechte für den Fall späterer Ge­setzesänderung vorzunehmen.

Eignungsprüfungen für Schneiderinnen. Bor kurzem hat das Landesamt für Arbeitsvermittlung in Heilbronn und' in Geislingen a. St. mit den Anwärterinnen für den Beruf der Schneiderin, der neben dem der Verkäuferin zurzeit der begehrteste weibliche Beruf ist, Eignungsprüfungen vor­genommen. Geprüft wurden 5 Mädchen im Alter von 13 bis 18 Jahren; 11 davon wiesen gute Eignung auf, 15 konnten als mittel bezeichnet werden, 7 als noch in Betracht kommend bezeichnet werden; 5 wurden für Weißnüh-, 2 für Verkäuferinnenlehrstellen, 14 für angelernte Arbeit (Wäsche- nahen, Schuhsteppen usw.) und Haushalt (Zimmerdienst, Küche) vorgemerkt.

Der SchrmmekeiLer

Novelle von Theodor Skorm. jZ 2

Wenn Sie das sehen will." entgegnete Hauke,so muß Sie sich oben unter den Eschenbaum setzen, da sieht Sie das ganze Haf!"

Ja." fsgte die Alte;ja, wenn ich deine jungen Beine hätte, Deich graf!"

Dergleichen blieb lange der Dank für die Hilfe, die ihr die Deichgrafsleute angedeihen ließen; dann aber wurde es auf einmal anders. Der kleine Kindskopf Wienkes guckte eines Morgens durch die halbgeöffnete Tür zu ihr herein.Na." rief die Alte, welche mit den Händen ineinander auf ihrem Hohfftuhl saß,was hast du denn zu bestellen?"

Aber das Kind kam schweigend näher und sah sie mit ihren gleichgültigen Augen unablässig an.

Bist du das Deichgrafskmd?" frug sie Trin Jans, und da das Kind wie nickend das Köpfchen senkte, fuhr sie fort:So setz dich hier aus meinen Schemel! Ein Angorakater ist's ge wesen so groß! Aber dein Vater har ihn totgeschlazer,. Wenn er noch ledig wäre, so könntst du auf ihm reiten."

Wienke richtete stumm ihre Augen auf das weiße Fell; dann kniete sie nieder und begann es mit ihren kleinen Hän­den zu streicheln, wie Kinder es bei einer lebenden Katze oder einem Hunde zu machen pflegen.Armer Kater!" sagte sie dann und fuhr wieder in ihren Liebkosungen fort.

So!" rief nach einer Weile die Alte,jetzt ist es genug; mrd sitzen kannst du auch noch heut auf ihm; vielleicht hat dein Bater ihn auch nur um deshalb totgeschlagen!" Dann hob sie das Kind an beiden Armen in die Hohe und fetzte es derb auf den Schemel nieder. Da es aber stumm und un- beweglich fitzen blieb und sie nur immer ansah, begann sie mit dem Kopfe zu schütteln:Du strafft ihn, Gott i>er Herr! Jo, ja, du strafst ihn!" murmelte sie; aber ein Erbarmen mit dem Kinde schien sie doch zu überkommen; ihre knöcherne Hand strich über das dürftige Haar desselben, und aus den Augen der Kleinen kam es, als ob ihr damit wohl geschehe.

Bon nun an kam Wienke täglich zu der Alten in dies

! Kammer; sie setzte sich bald von selbst auf den Angoraschemel, und Trin Jans gab ihr kleine Fleisch- und Brotstückchen in ihre Händchen, welche sie allezeit in Vorrat hatte, und ließ sie diese auf den Fußboden werfen; dann kam mit Gekreisch und ausgespreizten Flügeln die Möwe -us irgendeinem Winkel hervorgefchosien und machte sich darüber her. Erst erschrak das Kind und schrie aus vor dem großen stürmen­den Vogel; bad aber war es wie ein eingelerntes Spiel, und wenn sie nur ihr Köpfchen durch den Türspalt steckte, schoß schon der Vogel auf sie zu und setzte sich ihr auf Kopf oder Schulter, bis die Alte ihr zu Hilfe kam und die Fütterung beginnen konnte. Trin Jans, die es sonst nicht hatte leiden können, daß einer auch nur die Hand nach ihremClaus" ausstreckte, sah jetzt geduldig zu. wie das Kind allmählich ihr den Vogel völlig abgewann. Er ließ sich willig von ihr Haschen; sie trug ihn umher und wickelte ihn in ihre Schürze, und wenn dann auf der Werfte etwa das gelbe Hündlein um sie herum und eifersüchtig gegen den Vogel aussprang, dann rief sie wohl:Nicht du, nicht du. Perle!" und hob mit ihren Aermchen die Möwe so hoch, daß diese, sich selbst befreiend, schreiend über die Werfte hin­flog und statt ihrer nun der Hund durch Schmeicheln und Springen den Platz auf ihren Armen zu erobern suchte.

Fielen zufällig Haukes oder Elkes Augen auf dies wun­derliche Bierblatt, das nur durch einen gleichen Mangel am selben Stengel festgehalten wurde, dann flog wohl ein zärt­licher Blick auf ihr Kind; hatten sie sich gewandt, so blieb nur noch ein Schmerz auf ihrem Antlitz, den iedes eirttam mit sich von dannen trug, denn das erlösende Wort war zwischen ihnen noch nicht gesprochen worden. Da eines Sommervormittags, als Wienke mit der Alien und den bei­den Tieren auf den großen Steinen vor der Scheuntür saß, gingen ihre beiden Eltern, der Deichgraf seine» Schimmel hinter sich, die Zügel über dem Arm, hier vorüber; er wollte auf den Deich hinaus und hatte das Pferd sich selber von der Fenne heraufgeholt; sein Weib hatte auf der Werfte sich an seinen Arm gehängt. Di« Sonne schien warm her- j nieder; es war fast schwül, und mitunter kam ein Windstoß

aus Südsüdost. Dem Kinde mochte es auf dem Platze un­behaglich werden:Wienke will mit!" ries sie, schüttelte die Möwe von ihrem Schoß und griff nach der Hand ihres Vaters.

So komm!" sagte dieser.

Frau Elke aber rief:In dem Wind? Sie fliegt dir weg!"

Ich halt' sie schon; und heut haben wir warme Lust und lustig Wasser, da kann sie's tanzen 'ehen."

Und Elke lief ins Haus und holte noch ein Tüchleir und ein Käppchen für ihr Kind.Aber es gibt ein Wetter", sagte sie;mackst, daß ihr fortksmmt, und seid bald wie­der hier!"

Hauke lachte:Das soll uns nicht zu fasse» kriegen!" und hob das Kind zu sich auf den Sattel. Frau Elke blieb noch eine Weile auf der Werft und sah, mit der Hand ihre Augen beschattend, die beiden auf den Weg und nach dem Deich hinübertraben; Trin Jans faß auf dem Stern und murmelte Unverständliches mit ihren welken Lippen.

Das Kind lag regungslos im Arm des Vaters; es war, als atme es beklommen unter dem Druck der Gewitter­luft; er neigte den Kopf z« ihr:Nun, Wienke?" frug er.

Das Kind sah ihn eine Weile cm:Vater," sagte es, du kannst das doch! Kannst du nicht alles?"

Was soll ich können, Wienke?"

Aber sie schwieg; sie schien die eigene Frage nicht ver­standen zu haben.

Es war Hochflut: als sie auf den Deich hinaufkame«. schlug der Widerschein der Sonne von dem weiten Wasser ihr in die Augen, ein Wirbelwind rrieb die Wellen strudelnd in die Höhe, und neue kamen heran und schlugen klatschend gegen den Strand; da klammerte sie ihre Händchen angstvoll um die Faust ihres Vaters, die den Zügel führte, daß der Schimmel mit einem Satz zur Seite ftchr. Die blaßblauen Augen sahen in wirrem Schreck zu Hauke muf:Das Wasser, Vater! das Wasser!" rief sie.

(Fortsetzung folgst.

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