DIENSTAG, 9. FEBRUAR 1954
Hin und her um EVG
PARIS In einer großen Zahl französischer Provinzstädte veranstalteten am vergangenen Wochenende Gegner und Befürworter der Europaarmee Großkundgebungen. In der Industriestadt St Etienne erklärte der außenpolitische Sprecher der Gaullisten und Vizepräsident der Nationalversammlung, Gaston P a 1 e w s k i. „die EVG führt zu einem Großdeutschland auf Kosten Frankreichs“ Palewski behauptete, die Besorgnis sei sehr begründet, daß Deutschland und die Sowjetunion eines Tages zu einem Einvernehmen gelangen würden. wie dies bereits einmal nach dem ersten Weltkrieg im Vertrage von Rapallo geschehen sei.
In Nizza erklärte der stellvertretende Regierungschef und MRP-Füh- rer T e i t g e n . „wenn es nicht zur Bildung Europas kommt, dann wird Deutschland in Zukunft allein handeln“ Für die Verteidigung Europas müsse heute eine gleicht gemeinsame Lösung gefunden werden, wie sie bereits gestern für Kohle und Stahl gefunden worden sei.
Aussteueranspiuch bleibt
KARLSRUHE. Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes steht der Aussteueranspruch von Töchtern mit dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau grundsätzlich nicht im Widerspruch. Der Anspruch kann aber von einer Tochter nur geltend gemacht werden, wenn er bei der Berücksichtigung der Zuwendungen, die ihr einschließlich der Kosten für die Berufsausbildung bereits gewährt worden sind, und der Zuwendungen, die ein männlicher Geschwisterteil erhalten oder zu erwarten hat, nicht zu einer Bevorzugung vor männlichen Geschwistern führt. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, muß nach Auffassung des Bundesgerichtshofes in jedem einzelnen Falle geprüft und entschieden werden.
Zuviel Kraftfahrzeuge und zu wenig Straßen?
Bund und Länder gehen an die Lösung der Verkehrssicherheitsfrage heran
H.F. BONN. Mit der ersten Bonner Verkehrssicherheitskonferenz waren der Bund und die Länder an die Lösung der Frage der Verkehrssicherheit herangegangen. Die Beschlüsse der Konferenz sind eine Willenserklärung, aber sie bedeuten noch lange keine Lösung. Es wird Aufgabe weiterer Beratungen und vor allem konkreter Maßnahmen sein, die Lösung tatsächlich in die Wege zu leiten
450 000 Unfälle im Jahre 1953, bei denen es 30 000 Verletzte und 10 000 Tote gab, dürfen nicht als eine Tatsache hingenommen werden, die sich aus der steigenden Zahl der Verkehrsmittel ergibt, sondern sie verlangen nach einer Regulierung des Straßenverkehrs.
Dem Steigen der Zahl der Verkehrsmittel kann und will niemand Einhalt gebieten. Es ist ein Zeichen der Wiedererlangung unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Auch wenn wir unterstellen, daß diese Entwicklung langsam auslaufen wird, ist sie ein Faktor, von dem wir auszugehen haben. Die vorgesehene notwendige Entlastung des Straßenfernverkehrs von schweren Gütern ändert daran wenig, denn wie die Statistik von Bund und Ländern ergibt, sind die größeren Lastzüge direkt weit weniger an Unfällen beteiligt, als es der Volkswagenfahrer glauben möchte, der sich auf der Autobahn vergeblich bemüht, einen großen Lastzug zu veranlassen, rechts statt in der Mitte zu fahren. Das Kernproblem liegt in dem Ausbau und der Verbesserung unseres Straßennetzes. Schärfere Anwendung aller Verkehrssicherheitsvorschriften, Verstärkung der Verkehrspolizeieinheiten und Aktivierung der Verkehrserziehung: Das sind alles gute Dinge, die getan werden müssen, aber an der Bedeutung des Kernproblems ändern sie nichts.
Bundesfernstraßen, Stadt- und Gemeindestraßen müssen verbessert werden. Die 1,3 Milliarden DM, die seit 1948 für die Bundesfernstraßen ausgegeben, die 1,132 (von 1,387 zerstörten)
Weiß berichtet über Kontaktleute
Öffentlichkeit im Karlsruher Landesverratsprozeß vorübergehend hergestellt
KARLSRUHE. Im Landesverratsprozeß gegen den ehemaligen Leiter des Büros für innerdeutschen Handel in Frankfurt-Höchst, Ludwig Weiß, wurde die Öffentlichkeit am Montag, dem zehnten Verhandlungstag, für kurze Zeit wieder zugelassen.
f e 1 d und Wilhelm Bentele, genannt. Frau Bentele wird in den Briefen von Weiß an sein Ministerium als die Person bezeichnet, die mehrmals Zusammenkünfte zwischen Weiß und anderen Mitgliedern des Heidenheimer Kreises arrangierte.
Brücken, die wiederaufgebaut wurden, haben nicht zu einer ausreichenden Nor- maliserung geführt. Es verkehren nun einmal im Vergleich zur Vorkriegszeit mehr als die dreifache Zahl von Kraftfahrzeugen aller Art auf den Bundesfernstraßen, und damit und mit mehr muß gerechnet werden.
Das Bonner Verkehrsministerium erklärte, daß noch etwa 80 Prozent der Bundesstraßen für den dichten und engen Verkehr zu schmal sind und auf eine befestigte Breite von 6.50 Meter gebracht werden müssen. Das Ministerium fügte hinzu, daß dreiviertel aller Bundesstraßen keinen ausreichenden Unterbau und keine genügende Straßendeckung haben. Es sagt weiter, daß es noch über 1400 mehr oder weniger stark befahrene schienengleiche Kreuzungen mit Eisenbahnen gibt, von denen etwa 600 vordringlich durch den Bau von Unter- oder Überführungen zu beseitigen sind. Diese Zahlen mögen genügen, um deutlich zu machen, wie groß die Aufgabe ist, die der Bund in diesem Bereich vor sich hat.
Das Bauprogramm, das der Bundesverkehrsminister für die Reihenfolge des Ausbaus der Bundestraßen ausgearbeitet hat, verlangt einen Aufwand von rund 4,1 Milliarden DM, eine Summe, an deren Aufbringung nicht zu denken ist, und auch das Verkehrsministerium hat sich damit abgefunden. Um was es sich bemüht, sind 2,4 Milliarden DM für die Verwirklichung eines Dringlichkeitsprogramms in den nächsten 8—10 Jahren. Das ist wenig, zu wenig.
Für die Länder liegen die Dinge wenig anders. Zwischen dem, was als notwendig erkannt und dem, was für möglich gehalten wird, besteht eine zu große Kluft. Wir glauben daher, daß es an der Zeit ist, an die Frage nicht nur vom haushaltspolltischen Standpunkt heranzugehen, sondern auch nach Mitteln und Wegen zu suchen, mit denen wir darüber als in einem Zeitraum von 8 Jahren zu einer entscheidenden Verbesserung unseres Straßennetzes kommen.
Von der Einführung einer Autobahngebühr bis zu Selbsthilfemaßnahmen der Städte und Gemeinden muß jede Möglichkeit ausgenutzt werden, wenn wir in der Entwicklung der Unfallziffern nicht zu einer Situation kommen wollen, die gleichbedeutend mit der Verletzung der staatlichen Pflicht, zur Fürsorge für das Leben der Bürger ist und mehr Todesopfer fordert, als sie in den täglichen Verlustziffern der Kriege in Indochina und Korea enthalten sind.
Eine große Aufgabe fällt bei dem Bemühen um eine Lösung den Städten und ihren Planern zu. Bei der Frage, ob Wiederherstellung alter Straßenzüge oder Neuaufbau sollte von den Städten endlich auch in vollem Maße das Verkehrsproblem berücksichtigt werden.
Bundesregierung und Länderregie- rungen sind an die Frage der Verkehrssicherheit herangegangen, doch zusammen mit den Städte-, Kreis- und Gemeindetagen liegt die größte Arbeit noch vor ihnen.
Kraftverkehr hat eigene Pläne
Jährlich 500 Millionen DM Anleihen zum Ausbau des Straßennetzes
hf. BONN. Mit der Äußerung des Arbeitsausschusses der Kraftverkehrswirtschaft, dem 15 Organisationen angehören, hat die Auseinandersetzung um die Lösung der Verkehrsprobleme eine neue Verschärfung erfahren. Die Pläne des Arbeitsausschusses stehen im Gegensatz zu den Absichten des Bundesverkehrsministers Die Kraftverkehrswirtschaft fordert die Eröffnung des Wettbewerbs zwischen Schiene und Straße die Anpassung des Straßennetzes an die Erfordernisse des Kraftverkehrs und eine Reform der Besteuerung des Kraftverkehrs. Die Vorschläge des Kraftverkehrs sind:
1. Ein Gesetz, das in den nächsten 10 Jahren eine jährliche Verkehrswegeanleihe von 500 Millionen DM sicher
stem, die für den Straßenbau und die Verbesserung des Schienennetzes verwendet werden soll.
2. Eine Neuordnung der Besteuerung des Kraftverkehrs in der Weise, daß die Kraftfahrzeugsteuer für Personenwagen und Krafträder um 50 Prozent gesenkt und dafür die Mineralölsteuer für alle Fahrzeuge um 4 D-Pfennig je Liter Vergaser- oder Dieselkraftstoff erhöht wird. Für Lastkraftwagen, Omnibusse, Zugmaschinen und Anhänger wird das gesamte Gewicht als Besteuerungsgrundlage vorgeschlagen. Die Vertreter der Kraftverkehrswirtschaft betonen ihre Bereitschaft zu Gesprächen mit dem Bundesverkehrsminister, wandten sich aber dagegen, daß die Regierung ihre Gesetze in kurzer Zeit durchsetzt.
Der zweite Strafsenat des Bundesgerichtshofes vernahm Weiß über seine Tätigkeit als Leiter des Büros für innerdeutschen Handel. Dabei erklärte der Angeklagte, er kenne kein „Institut für wirtschaftswissenschaftliche Forschung“ in Ostberlin und habe stets nur an sein Ministerium für Außenhandel berichtet, dem er zum innerdeutschen Handel verhelfen wollte, „als ein Sternchen zur innerdeutschen Befriedung".
Das Gericht verlas dann verschiedene Briefe, die Weiß an das ostzonale Ministerium geschrieben hat, in denen er über den Kontakt mit dem sogenannten „Heidenheimer Kreis“ und mit Frau Bentele in Stuttgart berichtete.
Der Heidenheimer Kreis, dem eine Reihe von Industriellen im Bezirk der Handelskammer Heidenheim'Württemberg angehören, wird in dem einen Brief als ein Kreis von Unternehmern bezeichnet, die sich „weltanschaulich als Anthroposophen“ bestätigen.
Wiederholt wird unter anderem in diesem Zusammenhang von Weiß der Name der ehemaligen Beschuldigten im Vulkan-Verfahren, Stephan Berg-
Seehunde vor dem Bundeshaus. Mehrere Seehunde wurden am Sonntag und in der Nacht zum Montag am Rheinufer in der Nähe des Bundeshauses in Bonn gesichtet. Das Auftauchen der Seehunde wird auf die ungewöhnlichen Witterungsverhältnisse und die scharfe Kälte in den letzten Wochen zurückgeführt.
„Schwabenstein“ überrascht. Der unter dem Kennwort „Cassandra“ schreibende Leitartikler des britischen Massenblattes „Daily Mirror“ vermerkt am Montag, daß der neue deutsche 11000 Tonnen große Passagierfrachter „Schwabenstein“ in einem Viertel der Zeit gebaut wurde, die britische Schiffswerften für ein gleichartiges Schiff benötigen würden.
Spionagering bei Oslo. Dem norwegischen Spionageabwehrdienst ist es am Sonntagabend gelungen, im Gebiet von Oslo einen sowjetischen Spionagering auszuheben.
36 Arbeiterinnen gasvergiftet. Durch ausströmendes Gas wurden am Montagvormittag 36 Arbeiterinnen einer
Kleine Weltchronik
Neuköllner Gießerei vergiftet. Die Frauen, die in einem großen Fabrikationsraum arbeiteten, bemerkten das aus einem Heizofen ausströmende Gas erst, als drei Arbeiterinnen sich erbrachen und auf den Boden sanken.
Fischdampfer explodiert — 13 Tote. Der portugiesische Fischdampfer „Acor“ ist am Montag bei Caboraso 65 km westlich von Lissabon auf Grund gelaufen und explodiert. 13 Mitglieder der Besatzung wurden getötet. Drei Personen werden noch vermißt, zwei wurden gerettet.
Wieder Kriegsschiff-Sabotage. Die britische Admiralität hat am Sonntagabend bekanntgegeben, daß wiederum Einrichtungen auf zwei britischen Kriegsschiffen mutwillig zerstört worden sind, so daß die Zahl der Zerstörungen sich auf fünf innerhalb von fünf Wochen erhöht hat.
22 Vergiftete in Hamburg-Altona. Mit teilweise schweren Koksgasver
giftungen sind am Montagvormittag 22 Arbeiter eines Schiffsschraubenwerks in Altona ins Krankenhaus eingeliefert worden.
Amerikanisch-türkische Manöver. In der asiatischen Türkei haben am Montag amerikanisch-türkische NATO-Ma- növer begonnen, die vornehmlich der Verteidigung des Gebietes von Isken- derun nordöstlich von Zypern gelten.
Evita sogar auf dem Gipfel. 20 Unteroffiziere der argentinischen Armee haben letzte Woche den höchsten Berg Südamerikas, den 7031 m hohen Aconcagua, bestiegen, und auf dem Gipfel Büsten ihres Staatspräsidenten Peron und seiner toten Frau Evita aufgestellt.
Churchills Enkel im Allgäu verunglückt. Der Student Julian Sandys aus London, ein Enkel Sir Winston Chur-, chills erlitt am Montag beim Skilaufen im Falkengebiet einen Knöchelbruch. Sandys wird in den nächsten Tagen vom Krankenhaus Oberstaufen nach der Schloßschule Salem, wo er zur Zeit studiert, zurtickgebracht werden.
PKESSEST1 MM EN
Unterirdisches Grollen
Die Schweizer Blätter vertreten am Montag die Auffassung, ein ergebnisloser Ausgang der Berliner Viererkonferenz infolge Molotows negativer Haltung werde nicht ohne Folgen auf die Stimmung in der Sowjetzone bleiben. Unter der Überschrift „Unterirdisches Grollen in der Sowjetzone“ schreibt die Basler „National-Zeitun g“:
„Daß das SED-Regime durch die Viererkonferenz in große Schwierigkeiten geraten ist, kann nicht mehr bezweifelt werden. Je geschickter die Außenminister des Westens operieren, desto größer werden diese Schwierigkeiten werden. Reden wie die von Dulles, wo er das Regime der Ostzone mit scharfem Verstände analysiert und dadurch auch gleich der moralischen Verurteilung preisgab, haben unabsehbare Wirkungen auf die politische Atmosphäre in der Sowjetzone. Es ist eine Tatsache, daß sich solche Worte wie ein Lauffeuer bis in die letzten Winkel des sowjetdeutschen Terrorstaates verbreiten. Angesichts einer solchen Situation erhebt sich die Frage, ob die Sowjets es sich leisten können, die Berliner Konferenz wieder zu verlassen, ohne irgendein sichtbares Resultat in der deutschen Frage erzielt zu haben.“
Nebeneinander ohne Verständigung
Zum bisherigen Ergebnis von Berlin schreibt der Pariser „Franc Ti r e ur“ (linkssozialistisch):
„Was ist das Ergebnis dieser beiden ersten Wochen der Berliner Konferenz? Zunächst über China, anschließend über Deutschland haben sich die drei .alles gesagt'. Die Welt hat von einer zugleich beunruhigenden und beruhigenden Lage Kenntnis genommen. Man kann endlos miteinander diskutieren, friedlich nebeneinander bestehen und selbst einen dauerhaften Modus vivendi schaffen, ohne sich über das Wesentliche zu verständigen und ohne den Worten den gleichen Sinn zu geben. Der eine ganze Woche dauernde Dialog über Deutschland war in dieser Hinsicht besonders aufschlußreich. Die Westmächte und die Sowjets sprachen wirklich von ganz verschiedenen Dingen.“
Verkehrsbeschränkungen bei Frostaufgang
BONN. Zur Verminderung der Frostschäden auf den Straßen in der Bundesrepublik sollen im kommenden Frühjahr zum ersten Male vorübergehend» Verkehrsbeschränkungen eingeführt werden, teilte Bundesverkehrsminister Seebohm am Montag in Beantwortung einer kleinen Anfrage der SPD- Fraktion des Bundestages mit. Seebohm fügte in seiner schriftlichen Antwort hinzu, das Bundesverkehrsministerium sei bestrebt, die Bundesstraßen im Rahmen der normalen Straßenbauprogramme schrittweise auszubauen.
Keine Absiandszahlungen
KARLSRUHE. Der sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat entschieden, daß die Zahlung von Abstandsgeldern für die Überlassung preisgebundener Mieträume, auf Grund der Preisstoppverordnung vom November 193# auch dann verboten ist, wenn ein» solche Zahlung zwischen dem alten und dem neuen Mieter vereinbart wurde.
Das Verbot sei auch durch die Preisfreigabe-Anordnung vom 25. Juni 1944 nicht auf das Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter beschränkt worden. Eine verbotswidrige Vereinbarung von Abstandsgeldern für die Überlassung von preisgebundenen Mieträumen sei nach Paragraph 134 des BGB nichtig.
ROMAN VON ELSE VONDERLAHN ~
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Copyright by Verlag v. Graberg & Görg, Wiesbaden (50. Fortsetzung)
Schläge und Martern schaffen unmeßbare Qualen — einen Atemzug lang riecht er frische Luft und Wasser — Lichter blinken auf, verloren, fern in der Nacht — Kettenras- sein!
Drohendes Geschrei geht unverstanden an seinem Ohr vorbei — wieder geht es treppauf, — endlos lange treppab — Kälte — Grabesstille — Moderduft — — —.
Fieberschauer durchrasen den Körper. Totenähnliche Bewußtlosigkeit wechselt mit Augenblicken dämmernden Bewußtseins, die angefüllt sind mit dem Grinsen schlitzäugiger, gelber Gesichter Und immer Kettenklirren — und Durst — Durst — Durst — abgründige Qualen an Durst! —
Ein Gesicht taucht auf, seltsam vertraut von Kindertagen her. ein Knabengesicht mit brennend blauen Augen, — nein, nein, ein Männerantlitz, tiefbraun gebrannt, von seltsam kühnem Schnitt. — Wenn nur diese Augen nicht wären, diese Augen — — — und dieses gräßliche Lachen! Und letzt diese Stimme, diese vertraute Stimme- „Sie hatten den Ehrgeiz, sich die legendäre Gestalt des Bandenchefs näher zu besehen, — benutzen Sie die kurze Gelegenheit, ehe sich die Angehörigen der beiden Bandenführer, die Sie unter das Richtschwert brachten, auf „chinesische Art bei Ihnen bedanken — — — “
„Kilian. Kilian, gib mir die Hände frei.
du Hund, du Verräter, damit ich dich erwürgen kann-—! Macht mich los, los —
ja, ja! Ich will zahlen, soviel Ihr wollt, wenn Ihr mich nur frei macht, — ach, diese Qualen — meine Augen, oh. meine Augen! Ich halt es nicht mehr aus — nehmt doch die Ratten fort, um der Barmherzigkeit willen, die Ratten! — Wo bin ich denn nur — wo habt Ihr mich hingeschleppt? Ah, das Wasser, ich hör den Fluß! Gebt mir doch Wasser — — — Wasser — — —! Mit einem wilden Schrei, weit aufgerissenen Auges fährt der Kranke empor, sieht dicht vor sich das verhaßte Gesicht. Ist es Wahn, ist es Wirklichkeit? — Da sind sie wieder diese Augen, diese verfluchten — — —!
Was stierst du mich so an? Hast du mich endlich wieder gefunden — — — ? Ja, ja, ich bin es. ich bin Christian Blohm, und du bist Ward, den ich jetzt mit diesen meinen Händen erwürge — — — Maßlos entsetzt ist Anna, die den Kranken vor kurzer Zelt, endlich wieder einmal ganz friedlich schlafend, verließ, um in der Küche nach dem Rechten zu sehen, und ihn bei ihrer Rückkehr erneut in einem schweren Fieberanfall findet Sie kann es sich nicht erklären: vorhin schlief er doch so ruhig. Und auch der Arzt meinte, daß nun alle Gefahr endgültig gebannt sei „Hätte ich ihn doch nur nicht allein gelassen“, klagt sie sich an, während sie mit zitterndem Herzen auf die Verwünschungen horcht, die der Kranke immer wieder ausstößt. Wen meint er denn nur um Gottes willen, von wem spricht er denn nur — — — ?
Der Arzt kommt, schüttelt den Kopf: Unverständlich, dieser Rückfall! Hatte er eine Aufregung?
Anna kann nur bedrückt die Achseln zucken Sie steht ebenfalls vor einem Rätsel.
Der Arzt verspricht beim Fortgehen, eine Nachtschwester zu schicken, da der Kranke
unter keinen Umständen mehr ohne Aufsicht gelassen werden kann.
Als Anna später, nach Eintreffen der Schwester, noch in das Büro hinübergeht, um dort ein wenig aufzuräumen, stößt sie auf den erbrochenen Rollverschluß von Christians Schreibtisch. Papiere sind achtlos verstreut, als habe jemand hastig und in großer Eile etwas gesucht.
Wie sonderbar! denkt sie. Wer ist denn hier eingedrungen? Es war doch vorhin noch alles verschlossen? Und die Haustüre ist doch ebenfalls verriegelt. Sie untersucht die Fenster und findet wirklich in einer Kammer die auf einen dunklen Hofwinkel hinausgeht, das Fenster eingedrückt und geöffnet. Nun wird es Anna unheimlich Aber die herbeigerufene Schwester beruhigt sie:
„Das waren sicher die Zigeuner, Frau Blohm, die da oben am Lindenwald lagern. In Bellershausen haben sie gestern auch eingebrochen. Die Polizei ist schon dahinterher. Am besten gehen Sie gleich zum Wachtmeister und melden es ihm “
Anna wirft noch einen besorgten Blick auf den Kranken, der jetzt völlig apathisch, mit geschlossenen Augen in den Kissen liegt, dann geht sie zur Polizei, in dem unklaren Gefühl, daß hinter dem geheimnisvollen Einbruch mehr stecken muß, als nur diebische Zigeuner.
„Was!?" flucht Inspektor Kramer bei ihrer Meldung, „haben unsere aufgestellten Posten denn geschlafen?"
Nun kommt Leben in das Polizeibüro. Ein Kriegsrat wird abgehalten unter Vorsitz des Berliner Kommissars. Anna wird nochmals vernommen Die Suche des Einbrechers, der alle Wertsachen unberührt gelassen hat, zielt offenbar auf das Material ab, das er in Kilian Blohms zweiter Wohnung bereits vergeblich aufzustöbem versuchte
Christians Blohms Rückfall, über den Anna
berichtet bat, erhält in diesem Zusammenhang sein besonderes Gesicht:
„Klar“, meint der Berliner Beamte, „der Kranke hat den Einbrecher bemerkt und wurde durch seinen Anblick erschreckt. Und wenn es der ist, den wir vermuten, dann muß er ihn auch erkannt haben, denn sein Anblick hat ihn nicht zum ersten Mal in Schrecken versetzt “
Der Polizeihund wird sofort auf die Spur gesetzt. Doch trotz aller Bemühungen und Nachforschungen, Motorradstreifen und Bahnhofskontrollen. die dem Verfolgten den Weg abschneiden sollen, bleibt er unauffindbar
Der Hund verfolgt eine Spur, die geradenwegs in das nahe Waldgebirge hineinführt, die aber in einem Bachbett endgültig endet, als habe der Geheimnisvolle sich in Nebel aufgelöst — —•
XXVIII
Was führte den Doppelgänger nach Lindenmarkt?
Diese Frage ist noch immer ungelöst und beschäftigt nach wie vor viele Gemüter.
Auch Kilian, Anna und'Onkel Christian rätseln noch an vielen ungelösten Problemen herum, während sie zusammen im Garten hinter dem Haus am Markt in der letzten warmen Herbstsonne sitzen, und das Glück ihrer Wiedervereinigung genießen.
Kilian hat nach seiner Freilassung und Rehabilitierung von seiner Firma einen Sondererholungsurlaub bewilligt erhalten, und tst ebenfalls nach Lindenmarkt gefahren, wo er seinen Onkel endgültig auf dem Weg der Besserung antraf
Immer wieder tauchen in ihren Gesprächen die alten, umstrittenen Fragen auf: Wie kam der Geheimnisvolle dazu, sich K. Bloom aus Berlin zu nennen. Hieß er wirklich so, oder mißbrauchte er bewußt Kilians Namen?
(Fortsetzung folgt)