SAM STAG, 7. NOVEMBER 1953
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Justizverschwörung UdSSR - Sowjetzone
Sowjets erhalten „Krätteausgleich“ für Heimkehrer / Statt Todesurteilen sibirische Zwangsarbeit
Ein Provisorium in berlin
BERLIN. In Berlin ist es nicht gelungen, eine neue Regierung zu bilden. Der geschäftsführende Senat unter der Führung von Bürgermeister Dr. Walter Schreiber wird sich vom Staatsparlament bestätigen lassen und zunächst weiter amtieren In Kürze sollen Neuwahlen ausgeschrieben werden. Sie werden wahrscheinlich Ende Januar oder Anfang Februar stattfinden
Dies teilte der Regierende Bürger meister Dr Walther Schreiber am Freitag der Berliner Presse mit. Er betonte dabei daß die drei Berliner Parteien SPD, CDU und FDP ihre bisherige Zusammenarbeit im Senat fortführen wollen. Da man sich über die Besetzung des Postens des Innensenators nicht einigen konnte, sei man übereing 'kommen, die proviso- r'sche Lösung zu wählen und bald Neuwahlen auszuschreiben. Die end gültige Entscheidung darüber hänge jedoch von den Stellungnahmen der zuständigen Parteigremien ab
LONDON. Uber 120 Londoner sind am Donnerstagabend verhaftet worden, wen sie den alljährlich von Millionen Engländern gefeierten Guy Fawkes-Tag allzu ausgelassen begangen und die Gegend zwischen Picadillv Circus und Parlament buchstäblich auf den Kopf gestellt hatten. Zahllose Freudenfeuer und Feuerwerkskörper wurden von der W'lden Menge in London beim glei"h- zeitigen Leeren ungezählter Flaschen abgebrannt. Mehrere Polizisten erlitten durch die Feuerwerkskörper und Laternen Verbrennungen.
Die wohl 10 OOOköpfige Menge stürm-
Kekkonens Nachfolger
HELSINKI. Der Präsident der finnischen Staatsbank, Sakari Tuo- m i oj a , ist am Freitag von Staatspräsident P a a s i k i v i mit der Bildung einer neuen finnischen Koalitionsregierung auf möglichst breiter Basis beauftragt worden.
Tuomioja, der mit 42 Jahren schon auf eineinhalb Jahrzehnte erfolgreicher Arbeit im öffentlichen Dienst zu- rtickbliekt, wurde von den Fraktionsführern der Parteien dem Präsidenten als allseits genehmer Regierungschef vorges.chlagen und wird nun nach der Annahme des Auftrags vermutlich eine Regierung aus Sozialisten, Finnischer Volkspartei. Finnischer Union und Schwedischer Volkspartei bilden
Die Trauen muisteo mitiahren
MÜNCHEN. Der Pfalzausschuß des bayerischen Landtags trat am Freitag in München seine diesjährige Pfalzreise an, die die Abgeordneten 3 Tage lang durch das ehemalige „Bayern links des Rheins“ führen wird. Diesmal ist auch den Ehefrauen der Abgeordneten eine wichtige Aufgabe zugedacht. Erst durch ihre Teilnahme bekommt die Reise den Charakter einer „Gesellschaftsfahrt" und verliert den politischen Akzent, den der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Peter Alt- m e i e r , befürchtet hatte. Als vor dem Maximilianeum, dem Landtagsgebäude in München, der große Reiseomnibus mit dem Namen „Condor“ vorfuhr, wurde unter den Parlamentariern scherzhaft von „Legion Condor“ gesprochen.
H. W. OSTBERLIN. Schwedische Korrespondenten in Ostberlin erfuhren vom Besuch des aus politischen Prozessen in der Sowjetzone berüchtigten Moskauer Staatsanwaltes Dr. Gregien Walenkow beim Justiz- minister der „Deutschen Demokratischen Republik“, Hilde Benjamin.
Wie aus den von schwedischer Se ! te inzwischen mehrfach geprüften, einwandfreien Unterlagen hervorgc-ht. kam Staatsanwalt Walenkow nach Ostberlin, um mit Hilde Benjamin über eine gemeinsame sowjetisch-sowjetdeutsche Vollstreckungsjustiz zu verhandeln. Im Juni — unmittelbar nach dem Aufstand vom 17. Juni - hatte die Benjamin, damals noch Vorsitzende des Obersten Sowjetzonen- gerichts, an Walenkow geschrieben und ihm ihr Leid über die überfüllten Strafanstalten in der „DDR“ geklagt. Walenkow erwiderte, die Straf
te anschließend ungeachtet der Polizisten mit dem Schrei „auf zum Parlament“ nach Westminster. wobei es mehrmals zu heftigen Zusammenstößen mit der Polizei kam. Uber die Bannmeile um das Parlament hinaus drangen die Studenten und Jugendlichen bis an die Gittertore des Parlamentsgrundstückes vor. Ein Teil von ihnen bog vorher in die Downing Street ab und scheute sich nicht gegen die Fenster der Nr. 10. wo Churchill seinen Amtssitz hat Feuerwerkskörper zu werfen. Die Polizei mußte sich die Rädelsführer der wilden Menge mit Gewalt herausgreifen und in den „Schwarzen Marias“ aufs nächste Revier fahren Nur mit Mühe konnte ein Marsch zum Buckingham-Palast verhindert werden.
Es war der wildeste Guy Fawkgs- Tag der britischen Geschichte und zeitweise schien es. als nähere er sich den Absichten jenes Mannes, der mit dem Tag gefeiert wird. Guy Fawkes war einer der Hauptteilnehmer der Pulververschwörung, dem Attentatsversuch fanatischer englischer Katholiken, die am 5. November 1695 das britische Parlament mit dem König James I, in die Luft sprengen wollten. Der Plan wurde jedoch verraten und Guy Fawkes hingerichtet. Nach altem Brauch werden seither am Abend des 5. November Strohpuppen und Bilder von Guy Fawkes von Englands Jugend verbrannt, während die ältere Generation Alkohol zur inneren Verbrennung des Unholdes zu sich nimmt.
Wieder 82 Volksdeutsche aus Ungarn. 82 Volksdeutsche traten am Freitag von der ungarischen Grenze über Österreich ihre Heimreise nach Deutschland an.
Sintflut jetzt in Griechenland. Heftige Landregen, die seit zwei Tagen über ganz Griechenland niedergehen, haben zu schweren Überschwemmungen und Millionenschäden geführt. Zahlreiche Dörfer sind von der Umwelt abgeschnitten, viele Häuser zerstört und Tausende von Bäumen entwurzelt.
Reiseland Jugoslawien. Jugoslawien wurde in der letzten Reisesaison von 170 000 Ausländern besucht, darunter 38 000 Deutschen, die das Hauptkontingent stellten.
Keine Überlebenden. Die Trümmer des seit Dienstag mit 28 Personen an Bord vermißten bolivianischen Verkehrsflugzeuges sind jetzt bei Tara- buco in Bolivien gefunden worden. Alle
lager der UdSSR seien noch aufnahmefähig. Es sei beabsichtigt, verurteilte deutsche Kriegsgefangene zu begnadigen und in die Heimat zu entlassen, wodurch eine „gewisse Vakanz an Arbeitskräften“ entstünde. Er glaube, daß diese „Sorgen der Sowjetunion“ und die „Belastung der DDR“ sich in einer gemeinsamen Besprechung ausglätten ließen.
Diese im Juni/Juli angebahnte Unterredung ist nun zustande gekommen. Dr. Walenkow überraschte Justizminister Hilde Benjamin sogar mit einer offiziellen Forderung nach einem „Kräfteausgle'ch“ für die in letzter Zeit entlassenen und noch zu entlassenden deutschen Kriegsgefangenen. Er beriet, um der Sowietzonenjustiz solche rechtswidrigen Maßnahmen zu erleichtern, über eine Neufassung des fragwürdigen Gesetzes zum Schutze des Friedens und der Renublik In einer Ausführungsbestimmung, die nach den Unterlagen in diesen Tagen den Sowjetzonenrichtern und Staatsanwälten zugegangen ist, heißt es, alle Vergehen und Verbrechen, die mit Sabotage, politischen Verbrechen und aktivem Widerstand gegen das „volksdemokratische Regime“ gMch- zusetzen sind, hätten künftighin auch als Verunglimpfung, Gefährdung und Verächtlichmachung der Besatzungsmacht zu gelten. Mithin s°ien solche Angeklagte nicht nur einem sowjetischen Gericht, sondern auch einem Militär- und Zivilgericht der Besatzungsmacht zuzuführen Diese sogenannte Neuregelung, praktisch ein Komplott zwischen den Auftraggebern Walenkows und der Beniamin und ihren Hintermännern,
PARIS. Der von Finanzminister Edgar F a u r e der Französischen Nationalversammlung vorgelegte Haushaltsentwurf für 1954 sieht eine Verringerung der Militärausgaben um 123 Milliarden Francs (etwa 1,4 Milliarden DM) gegenüber 1953 vor. In dem neuen Haushaltsplan wird die Gesamtsumme der staatlichen Ausgaben zum erstenmal seit dem Kriege geringfügig verringert.
Die Gesamtausgaben werden auf rund 3300 Milliarden (40 Milliarden DM) und die Gesamteinnahmen auf rund 3000 Milliarden Francs beziffert.
An Zivilausgaben sind in dem Voranschlag rund 1600 Milliarden Francs
Kleine Weltchronik
Passagiere und die Besatzung sind ums Leben gekommen.
„Wälder von Fernsehantenneu“. Der sowjetische Filmproduzent Alexandrow sagte in London, in naher Zukunft werde es nur noch farbiges Fernsehen in der Sowjetunion geben. Die Zähl der Fernsehapparate könne er nicht nennen, aber es gebe „Wälder von Fernsehantennen“ auf den Dächern.
Amerikaner müssen in DM zahlen. Vom 1. Dezember an müssen alle Amerikaner ihre Taxifahrten in Deutscher Mark bezahlen, gab das amerikanische Hauptquartier in Heidelberg am Freitag bekannt.
Neue Arbeit für Hollands Windmühlen. Pläne, die „arbeitslos“ gewordenen
bedeutet nichts anderes, daß Sowjetzonenbewohner und Verhaftete, die des Widerstandes gegen die „DDR‘ beschuldigt werden, einfach über ein Sowjetgericht in russische Zwangsarbeitslager, Zuchthäuser und Gefängnisse abgeschoben werden können.
Damit hat Gregien Walenkow seinen „Kräfteausgleich“ für Heimkehrer und die Benjamin ihre Entlastung
Der Spion
Der amerikanische Justizminister Herbert B r o w n e 11 hat am Freitag erklärt, der Staatssekretär im Finanzministerium der Regierung Truman, Harry Dexter White, sei ein sowjetischer Spion gewesen, jedoch von der Regierung im Amt belassen worden, obwohl die amerikanische Kriminalpolizei dies dem Weißen Haus mitgeteilt habe. Präsident Truman habe vielmehr White trotz dieser Informationen den wichtigen Posten eines amerikanischen Direktors des internationalen Währungsfonds anvertraut. Dieser Schritt sei „einfach unglaublich“. White ist inzwischen gestorben.
der Strafvollzugsanstalten und KZ’s. Außerdem wurde in dieser Just'zver- schwörung noch beschlossen, daß Todesurteile der Sowjetzone bei Interesse der Besatzungsmacht in 25 Jahre s 1 b ! rischer Zwangsarbeit umgewandelt werden können. Die schwedischen Korrespondenten haben wohl nur zu recht, wenn sie von einer „ungeheuerlichen, unmenschlichen Rechtsbeugung“ sprechen, wie sie sich kaum zuvor im internationalen Staatsrechtsverkehr ereignet hat.
Auftrieb für die EVG
Tiefe Enttäuschung, aber gleichzeitig neue Hoffnungen auf eine beschleunigte Ratifizierung des EVG- Vertrages in den westeuropäischen Ländern werden am Freitag von den Schweizer Zeitungen als die Hauptmerkmale der Bonner Reaktion auf die letzte Sowjetnote hervorgehoben. Die Baseler „N a t i o - nalzeilung“ bemerkt dazu:
„In Bonn ist man allenthalben sehr enttäuscht. Aber es ist anzunehmen, daß Bundeskanzler Adenauer den negativen Inhalt der russischen Note eher mit Befriedigung zur Kenntnis genommen hat; denn es ist nicht ausgeschlossen, daß die russische Weigerung, an den Konferenztisch zu sitzen, nun dem EVG-Plan wieder einen neuen Auftrieb verleiht . . . Die in der russischen Note enthaltene Drohung, daß Moskau nach einem Inkrafttreten der Integrationsverträge kein Interesse mehr an einer Viererkonferenz habe, beeindruckt hier nicht sonderlich, da Moskau offensichtlich ja auch heute kein Interesse an einer solchen Konferenz hat.“
Doch Entspannung?
Der liberale „Manchester Guardian“ setzt sich am Freitag mit der neuen sowjetischen Note auseinander und spricht die Möglichkeit aus, daß die Sowjetunion trotz der Ablehnung der Konferenz in Lugano eine Entspannung in den Beziehungen wünschen könnte.
„Solange noch kein Abkommen erzielt ist, könnte eine Entspannung der Beziehungen in der Form erfolgen, daß die bestehende Feindschaft zwischen Ost und West bestätigt, aber nichts zu ihrer Verschärfung unternommen wird. Es ist begreiflich, daß die sowjetische Regierung zu der Anschauung gelangt ist, daß ihre Streitkräfte Ostdeutschland nicht verlassen können, weil das zu einer peinlichen Niederlage der ostdeutschen Regierung führen würde. Ebenso hat sie aber auch erkannt, daß kein Abkommen mit dem Westen möglich ist, solange ihre Streitkräfte in Ostdeutschland bleiben und sie darauf besteht, eine unpopuläre Regierung im Amt zu halten. Wenn sie dies erkannt hat, und außerdem noch mit den Problemen des inneren Wohlstandes der Sowjetunion beschäftigt ist, könnte sie damit sehr zufrieden sein, die jetzige Teilung Europas ohne bedeutende Änderung fortdauern zu lassen.“
Einheitliche Wasserwirtschaft
th. STUTTGART. Der Wasser- und Energieausschuß der Stuttgarter Landesversammlung hat am Freitag den Stand der Wasserwirtschaft und die sich daraus für das ganze Land ergebenden Probleme befaßt. Der allgemeinen Aussprache lag eine Denkschrift der Regierung zugrunde, die über die gegenwärtigen und künftigen wasserwirtschaftlichen und wasserbaulichen Maßnahmen Aufschluß gibt.
Die Bildung des Südweststaates hat auch auf diesem Gebiet die Möglichkeit geschaffen, in größerem Rahmen zu planen. Der parlamentarische Ausschuß will sich daher aus der übergeordneten Sicht einer landeseinheitlichen Wasserwirtschaft in den nächsten Wochen zunächst mit dem „Abwasser- Problem“ und danach mit den Projekten zur Behebung der bedrohlichen Wassernot befassen. Die Bedeutung der wasserwirtschaftlichen Aufgaben geht aus dem zu ihrer Bewältigung erforderlichen finanziellen Aufwand hervor: er wurde für die nächsten zwölf Jahre mit 900 Millionen DM veranschlagt.
Frankreich kürzt Militärausgaben
Verringerung um 1,4 Milliarden DM / Dennoch großes Haushaltsdefizit
»ca
vorgesehen (78 Milliarden mehr als 1953) und an Militärausgaben 100 Milliarden Francs. Dazu kommen die Entschädigungen für Kriegsschäden in Höhe von 340 Milliarden und sonstige Ausgaben von insgesamt 270 Milliarden Francs.
An ordentlichen Einnahmen sind bei gleichbleibender Steuerlast und einer erwarteten Zunahme des Volkseinkommens um drei Prozent 2900 Milliarden Francs vorgesehen. Finanzminister Faure rechnet unter Berücksichtigung einiger Sondereinnahmen mit einem Haushaltsdefizit von 230 Milliarden Francs Irrend 2.8 Milliarden DM). Das Defizit d-ärfte aber eher höher werden.
Windmühlen in Holland umzubauen und auf die Erzeugung von Elektrizität umzustellen., stehen kurz vor der Fertigstellung. Die holländis-he Regierung glaubt, dadurch beträchtliche Devisenmengen für die Einfuhr von Kohlen einsparen zu können.
Sie wollten den Schah ermorden. Der Militärgouverneur von Teheran hat am Freitag bekanntgegeben, daß drei Mitglieder der Kommunistischen Tudeh- Partei verhaftet worden sind, die geplant hätten, den Schrh von Iran während einer Sportveranstaltung mit einer Handgranate zu ermorden.
Schüsse am Potsdamer Platz. Volkspolizisten schossen am Freitag am Potsdamer Platz auf zwei Personenautos, die vom Brandenburger Tor kamen und in Richtung Westberlin fuhren. Die Wagen wurden mehrmals getroffen, die vier Insassen entkamen jedoch unverletzt.
Guy Fawkes-Tag zu „stilecht“ gefeiert
Traditioneller englischer Feiertag endet mit Polizeizusammenstößen
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ROMAN VON HEIN.Z LORENZ - LAMBRECHT
Copyright by DuncXer Presss-Agentur, Berlin durch Verlag v. Graberg & Görg, Wiesbaden
(24 Fortsetzung)
Renate konnte trotz ihrer Müdigkeit nicht so rasch Schlummer finden. Und in dieser stillen, dunklen Nachtstunde wagte sie es, sich selbst die Wahrheit zu bekennen. In dem Augenblick, als Maximilian von Schönfeld im Hof von Wachenheim ihre Hand so fest in der seinen gehalten, als beider Blicke ineinander versunken waren, hatte Renate rückhaltslos die Wahrheit in sich erkannt: Sie liebte Maximilian von Schönfeld, sie liebte ihn mit einer Kraft, deren sie sich bisher selbst nicht für fähig gehalten hatte.
Eine Weile überließ sie sich ihrem beseligenden, stillen Taumel. Nach und nach erst, wie es in solchen Nachtstunden zu geschehen pflegt, erhoben sich andere Stimmen, die nicht vom Blut, sondern vom Verstand dirigiert wurden
Und da kam ihr als erstes die klare Erkenntnis, daß ihre Liebe zu nichts Gutem führen könne. Daß sie einen Verrat darstelle, den sie an fünf Menschen beging: Maximilian von Schönfeld, dessen freundschaftliches Vertrauen sie mißbrauchte, an Kurt, dem sie sich so gut wie versprochen hatte, an Lisa von Schönfeld, der rechtmäßigen Gattin, mochte sie nun diese Würde in Ehren oder in Unehren tragen; auch an Heino beging sie ein Unrecht, da sie ihr Gefühl zu ihm durch ihre Liebe zu seinem Vater trübte. Zuletzt aber verriet sie auch sich selbst und ihren Beruf.
Wenn es doch eine Möglichkeit gäbe, zu ihm zu gelangen? Wenn er . . . Hatte sie nicht heute bei der Begrüßung auch in seinen Augen sekundenlang etwas wahrgenommen, 'hrem Gefühl verwandt war . . .? Wenn den Weg finden würde. Wenn er rücksichts
los beiseiteschleuderte, was sich an Hindernissen auftürmte? Seine Frau ... Es gab doch offenbar Gründe. Wenn er beispielsweise erfuhr, daß sich seine Frau statt am Meer in Berlin bei Johannes Almbach aufhielt?
Renate hatte ein unbehagliches Gefühl bei dem Gedanken, der sie jetzt überfallen wollte. Nie, nie würde sie vor ihm auch nur eine Silbe darüber laut werden lassen! Das war ganz und gar ausgeschlossen. Aber er mußte es doch erfahren. Wenn man in der kleinen Welt, in der er lebte, dahinterkam, so war das Fundament untergraben, auf dem seine Unantastbarkeit und seine Autorität ruhten. Er mußte es erfahren, damit er, der keine Kompromisse kannte, handeln konnte. Dann war der Weg frei .!
Das hartnäckige Denken, aus dem sie keinen Ausweg fand, erregte ihre Nerven immer mehr. Ihr Körper war in Schweiß gebadet, obwohl sie auch die leichte Leinendecke zurückgeworfen hatte. Schließlich erhob sie sich und trat an das offene Fenster.
Wie überaus köstlich, wie traumhaft schön doch solche Nächte auf dem freien Lande waren! Da hielt auch der prächtigste Sternenhimmel aus dunkelblau bemalter Leinwand, von den raffiniertesten Beleuchtungseffekten auf Romantik geschraubt, nicht stand. Ueber dem Bergwald mußte der Mond im Aufgehen begriffen sein. Sein silbernes Licht lag über dem Nebelmeer wie phosphoreszierender Reif, Links, etwas unterhalb, im Dorf St. Martin brannte ein einzelnes Licht, das trüb gegen die silberne Himmelspracht ankämpfte. Sonst lag das Dorf im Schlaf, obwohl es noch lange nicht Mitternacht war.
Beim Anblick dieser Unendlichkeit wurde Renate ruhig. Ihre Gedanken wurden mächtig und stark: Maximilian von Schönfeld, ich liebe dich. Ich werde hier mit deinem Jungen wunderbare Tage verleben. Wir werden uns sehen, und wir werden vertraute Gespräche miteinander führen. Jeder Blick, jedes Wort, jede Geste von dir wird mich glücklich machen — aber du wirst es nie erfahren.
Die Augustsonne hielt an. Die Winzer schmunzelten über das himmlische Garfeuer
der Reben. Renate und Heino konnten sich den ganzen Tag im Freien aufhalten. Aber Renate half auch im Haushalt mit. Sie sorgte für Heino, und es war nicht anders, als vertrete sie Mutterstelle bei ihm. Sie lernte seine Leibspeisen kennen: Dampfnudeln mit Vanillesoße. Eierkuchen mit Aepfeln und derartiges.
Manchmal las sie ihm yor und staunte über seine rasche Auffassungsgabe. Gleich am ersten Morgen las sie ihm oben bei der verwitterten Steinbank mit dem listigen Kupido dahinter Wittichs Fahrt zu Dietrich von Bern vor. Wittich war sein Liebling: weshalb, wußte er selbst nicht recht. Denn Wittich war ja eigentlich ein Verräter. Sicher war es das tragische Schicksal des jungen Helden, das ihn ergriff. Er lag bäuchlings im Gras, das Gesicht in die Hände gestützt. Renate saß auf der Bank.
Als sie nach einem Kapitel eine Pause machte, sagte er: „Du hast eine so schöne Stimme. Ich könnte dir immer zuhören. Aber das hast du sicher beim Theater gelernt?“
„Natürlich, Heino. Beim Theater muß man ja seine Stimme besonders schulen.“
Plötzlich glitt das Buch von ihrem Schoß und fiel neben ihm ins Gras. Dabei flatterte eine Ansichtspostkarte heraus. Heino reichte ihr das Buch zurück und zeigte ihr die Karte: „Guck mal, Ostende. Die hat mir Mama geschrieben.“
Renate nahm die Karte, ihre leichten Gedanken verflogen. „Sammelst du Marken?“ fragte er.
Sie schüttelte abwesend den Kopf. Die Begegnung mit Frau von Schönfeld in dem Berliner Theater tauchte in ihrer Erinnerung auf.
„Nun ja, das ist ja auch mehr für Jungens“, sagte er. „Sonst würde ich dir die Marke abmachen. Ich sammle auch nicht. Es ist mir zu langweilig.“
Bei seinen Worten betrachtete Renate die Marke. Und von einer schlimmen Neugier getrieben, versuchte sie den Stempel zu entziffern. Der zweite August war es. Der zweite August? Wann war das? Am fünften hatte sie Berlin verlassen, darauf besann sie sich genau. Zwei Tage vorher, am dritten August, war sie
in jenem theater gewesen. Und am zweiten August war die Karte abgeschickt worden. Abgestempelt in Ostende!
„Magst du nicht mehr lesen, Tante Renate?“
Sie schrak leicht zusammen. „Doch, natürlich, Heino.“ Fast überstürzt las sie weiter. Aber ihre Stimme hatte nicht mehr die schöne Ausgeglichenheit von vorhin. Jetzt bohrten wieder Gedanken in ihr. kleine, scheußliche Teufelchen
„Wittich aber sagte: „Ich bin zu dir gefahren, König Dietrich, um mit dir zu kämpfen . .
Die Teufelchen bohrten und bohrten. Konnte eine Frau so durchtrieben sein, konnte sie sich herabwürdigen, einem solchen Mann, einem solchen Kind gegenüber, daß sie, um sie beide ii* Sicherheit zu wiegen, durch eine fremde Person eine von ihr geschriebene Karte an einem Ort aufgeben ließ, an dem man sie vermuten sollte?
Das war doch unmöglich. Dieses zarte Geschöpf mit dem süßen Madonnengesicht sollte so raffiniert sein können? Es wäre einfach — einfach widernatürlich wäre es gewesen. Nein, nein, man durfte diesen Gedanken keinen Raum geben. Es war ja doch durchaus möglich, von Ostende aus Berlin in einem Tag zu erreichen — mit dem Flugzeug etwa.
Oder Renate hatte, sich damals getäuscht. Ja, das war doch schließlich auch noch möglich. Sie hatte doch kaum eine'Sekunde in jene Loge gesehen. Und das Vorausgegangene^ die Bemerkung Kurts über einen Flirt, das Bildnis Frau von Schön felds auf Johannes Almbachs Schreibtisch, das Wissen um die Kluft zwischen den beiden Gatten — das alles hatte sie so beeinflußt, daß sie in einer zufälligen Aehnlichkeit Frau von Schönfeld hatte erkennen wollen. Eine Verwechslung — nichts anderes als ein sehr heimtückischer und gefährlicher Irrtum ihrerseits. Hätte sie doch nur noch einmal nach jener Loge gesehen, und sie hätte wahrscheinlich ihren Irrtum festgestellt.
Und doch, wenn sie noch einmal hingesenen hätte, Renate glaubte, daß sie Frau von Schönfeld dann nur um so bestimmter erkannt hätte. , „
(Fortsetzung folgt)
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