Seil« 2 - Nr. 75
NagolLer Tagblatl „Der Gesellschafter"
Donnerstag, 31 Mürz 1827
Kundgebung gegen
Am Dicnslag abend fand im Fcstsaal dei Liedcrhalle in Kkuttgurt eine gewaltige Kundgebung gegen die Kriegs- kchvldlüge statt. Der Saal war bis zum letzten Platz Wt. Unter den Anwesenden bemerkte man Finanzmini- Dr- Debiingcr und viele andere hervorragende Pcr- ktchkeiten. In seiner Eröffnungsrede wies General Bo pp aus hin, daß das deutsche Volk niemals besiegt und in Trmnenloses Unglück gekommen wäre, lvenn es einig, treu »ad vor allem deutsch geblieben wäre Niemals werde es 8n»iar>er zu Wohlstand, Macht und Ansehen gelangen, wenn '«s nicht einig werde. Eine Interessengemeinschaft, die zu obrer und treuer Volksgemeinschaft führe, sei bereits voran: Die allgemeine Wehrpflicht zum Kampf gegen die lrtegSschuldlüge. Mit lebhaften, Beifall begrüßt, sprach mn Schriftsteller Alfred Roth, der Vorsitzende der aterländischen Verbände in Württemberg, über das Heina: Weg mit der Kriegsschuldlüg c. Er Dührte aus, daß wir nie aus der Schuldknechtschaft des Ver- Haillsr Vertrages und des Dawesplanes kommen, bevor wir Ducht als Volksgemeinschaft den moralischen Mut aufbrin- n. den erpreßten Scholdparagraphen vor der gesamten eft zu widerrufen. Nichts wäre verfehlter, als zu alau-
die Kriegsfchuldlüge
den, der Völkerbundseintritt Deutschlands bedeute eine stillschweigende Anerkennung von Deutschlands Schuldlosigkeit durch die anderen. AuS Gründen der nationalen Ehre müsse sich jeder einzelne für die Sache verantwortlich fühlen. Erst wenn der Schuldparagraph von uns genommen ist, dann ist Friede in Europa. Einstimmig wurde sodann folgende Entschließung angenommen: Durch die Veröffentlichungen des Auswärtigen Amts und durch die Bekundungen namhafter Staatsmänner, Politiker und Gelehrter des Auslandes ist heute vor aller Welt dargetan, daß die Behauptung von Deutschlands Schuld am Weltkrieg in den geschichtlichen Tatsachen keine Stühe findet. Die in Stuttgart zu einer Kundgebung gegen die Kriegsschuldlüge versammelten Tausende deutscher Männer und Frauen aller Stände und Parteien richten daher an den i,errn Reichspräsidenten das dringende Ersuchen, getreu seiner Oster- bokschaft aus dem Jahre 1925 an das deutsche Volk, die Reichsregierung anzuweisen, unabläßlich und mit . llen Mitteln die Beseitigung jener Artikel aus dem Versailler Vertrag zu betreiben nd damit den deutschen Namen von dem ungerechten Makel zu befreien, der heute noch auf ihm lastet, um durch Selbstachtung zur Achtung der Welt, durch Selbstvertrauen zum Vertrauen der anderen zu gelangen."
halte einen Krieg im Fernen Osten im Frühjahr für möglich und laste durch die Konsulate die holländischen Staatsangehörigen zur Heimreise auffordern.
Verlustreiche Kämpfe der Spanier in Marokko
Madrid, 30. März. Eilte Abteilung von 500 Mann, die einem eingeschloffenen Posten bei Tabenat zu Hilfe kommen wollte, wurde von Kabylen überfallen und in einen verlustreichen Kampf verwickelt. Eine größere Abteilung wurde Mr Verstärkung abgesändt. Der französische Generalstabschef wird sich in Tetuan mit dem spanischen Oberkommissar über ein gemeinsames Vorgehen besprechen.
Zwei spanische Mieger, die eine Notlandung vornehme» mußten, wurden von den Kabylen gefangen genommen.
Großer Krieg im Fernen Osten?
Veu-Dehli, 30. März. In der gesetzgebenden Berfamm- tung Indiens (in der neuen Hauptstadt) erklärte -er Oberkommandierende des englisch-indischen Heers, Sir William Birdwood, Indien sei nicht durch den wachsenden Einfluß Sowjetrußlands auf China an -er Nordwestgrenze (Afghanistan) und an der Nordostgrenze (China) bedroht. Daher bilde die Ablehnung von vier bisherigen Divisionen durch das indische Parlament eine große Gefahr für England und Indien.
Die englische Regierung hat die Grenztruppen bedeutend verstärkt. Indische Blätter meinen, England wolle China von der indischen Grenze her angreifen.
In Singapur (Straits Settlements) sind durch chinesische Arbeiter Unruhen hervorgerufen worden, gegen die die englische Polizei scharf einschritt.
Württemberg
Stuttgart, 30. März. Glückwunsch der wärst. Regierung. Der Staatspräsident und Kultusminister hat an den neugewählten Bischof von Roktenburg folgendes Glückwunschtelegramm gesandt: .Euer Bischöflichen Hochwürden übers-yde ich zu Ihrer Berufung auf den Bischofsstuhl :n Rottenbarg die wärmsten Glückwünsche >>es Kulkministeri- ums und der Skaatsregierung. Bazille."
Der Landesvo'rsttzenoe der württ. A^ttrumsparlei hat an Weihbischof Dr. Sproll ',7, Äottenburg folgendes Glückwunschtelegramm gesandt: „Voll herzlichster Freude über Ihre Wahl zum Bischof von Rottenburg spreche ich namens der württ. Zentrumspartei ehrfurchtsvollen Glückwunsch aus. Gott segne Ihre Amtszeit zum Hell von Kirche und Vaterland. Beyerle."
Bausparkasse der Gemeinschaft der Freunde. Das württ. Innenministerium hat die Bausparkasse der Gemeinschaft der Freunde G. m. b. H. in Wüstenrot, im Benehmen mit der Reichsbankhauptstelle Stuttgart und im Einvernehmen mit dem Reichswirtschaftsministerium in Berlin zum geschäftsmäßigen Betrieb von Depot- und Depositengeschüste zugelassen. Diese Berechtigung. die aber nickt eine staatliche Gewähr für die tat
sächliche Weiterentwicklung eines solchen Unternehmens gedeutet, ist im vorliegenden Fall u. a. noch an folgende Bedingungen geknüpft worden: Die vom Innenministerium am 28. August 1926 in rechtlicher, mathematischer und kaufmännischer Beziehung gegebenen Richtlinien sind einzuhalten. Maßgebende Grundlage des Unternehmens ist der neue, von der geschlossenen Bauspargruppe ausgehende Geschäftsplan. Für den Fall, daß zur Abkürzung der hienach sich ergebenden Wartezeiten die Bausparkasse der Gemeinschaft der Freunde Anleihen auf Grund der ihr zur Verfügung stehenden Hypotheken aufnehmen will, ist die Bausparkasse gehalten, sowohl in der Oeffentlichkeit wie den einzelnen Bausparern gegenüber klar zum Ausdruck zu bringen, wie die Verkürzung der Wartezeiten voraussetzt, daß die Bausparkaffe die in ihrem Eigentum befindlichen Hypotheken von dritter Seite bestehen erhält.
Stuttgart, 30. März. 9 0. Geburtstag. Frau Oberlehrer Germann Witwe, hier, Vogelsangst;. deren im Jahr 1905 verstorbener Mann als tüchtiger Schulmann hier noch in gutem Andenken steht, vollendet am 31. März das 90. Lebensjahr in geistiger und körperlicher Frische.
Heber 100 Jahre Zuchthaus. Im Jahre 1925 ist in Stuttgart der Kellner Spieß verhaftet worden, der Einbruchs- diebstähle im Großen begangen hatte. In Stuttgart erhielt er ftinerzeit 11L Jahre Zuchthaus. Inzwischen ist aber Spieß noch anderen zahlreichen Gerichten im Reiche vorgeführt worden. Die Zahl seiner Einbrüche beträgt einige Hundert. Dl? Einzelstrasen, die er von den einzelnen Gerichten bis legt erhalten hat, belaufen sich auf über 100 Jahre Zuchthaus. Er wird sich noch vor weiteren Gerichten zu verantworten haben.
Oehringen, 30. März. MutterliebeeinerHäsin. Der Hohenloher Tageszeitung wird geschrieben: Bei einem Morgenspaziergang Mitte März ds. Is. hatte ich folgendes Erlebnis: Auf einem Luzerneacker bemerkte ich ein schwarzes Tierchen, das ich zunächst für eine Katze hielt; es lief, Sen Boden abschnuppernd, herum. Am Gang des Tieres konnte ich jedoch bald feftstellen, daß es sich um einen Marder handelte. Noch während ich, neugierig geworden, dem Gebaren des Tiers zusah, — ich glaubte, der Marder suche nach Mäusen, — sah ich von der entgegengesetzten Seite des Grundstücks einen Feldhasen heranhoppeln, gerade auf den Marder zu. Der letztere hatte sich geduckt und wollte dem Hasen ins Genick springen, als mein Dackelhund, der den Vorfall, von mir aufmerksam gemacht, aus der Ferne mitansah, Laut gab. Im Nu waren Hase und Marder verschwunden. Der Marder versteckte sich im Dorngestrüpp eines benachbarten Hohlwegs, vcn meinem Hunde heftig verfolgt, während der Hase in einem frisch gepflügten Acker
Deckung sank Als ich an die Stelle des Zusammentreffens von Hase und Marder kam, fand ich zwei etwa 14 Tage alte Junghäslein vor, auf die es der Marder zweifellos abgesehen hatte. Die Häsin wollte den Marder von ihrem „Satz" abbringen und hätte ohne mein Dazwischentreten wohl den Tod dabei gefun-en; sicher ein schönes Beispiel von Mutterliebe!
Balingen, 30. März, lleberüie Stillegung des Portlandzementwerks herrscht hier eine große Mißstimmung. Man will an die Regierung die Forderung stellen, daß sie von allen gesetzlichen Mitteln Gebrauch macht, um den Weiterbetrieb des Werks durchzusetzen. Es wird behauptet, daß das Werk lediglich stillgelegt wurde, um einen höheren Geschäftsgewinn zu erzielen.
Gmünd, 30. März. Besuch des Staatspräsidenten. Staatspräsident Bezille wird auf Einladung des Verbunds des Gmünder Cdelmetallgewerbes, die Dr. Boß ihm überbrachte, im Juni oder Juli Gmünd, wie seit längerer Zeit geplant, einen Besuch machen, um die Hauptindustrie aus eigener Anschauung kennenzulernen. Der Staatspräsi. dent wird dabei auch die Fachschule und ihre Einrichtung besichtigen.
Friedrichshasen, 30. März. Amundsens Nordpol, klugzeug nach Friedrichshafen zurückgekehrt. Amundsens Flugzeug zum Nordpol, das Dornier- Wal-Flugboot Nr. 25, ist von Kiel hierher überführt worden. Das Flugboot flog über die Nordsee und den Rhein entlang und landete nach 5 Uhr wohlbehalten vor den Dornier- Metallbauten in Manzell.
Von der Bayrischen Grenze, 30. März. Die alce Frundsbergburg. Die alte Frundsbergburg in Mindelheim hat schon wieder ihren Besitzer gewechselt. Dr. Jansen--Berlin verkaufte die Mindelburg an den Regierungsbaumeister Dr. Bergmann-Berlin, der im April das Schloß und den Oekonomlebetrieb übernehmen wird.
Aus Stadt und Land
Nagold, 3l. März 1927. Bei jedem Aufstehn stelle dir die Frage:
Was tu' ich Gutes an dem heut'gen Tages Und denke, wenn die Sonne geht, sie nimmt ein Stück des Lebens mit, das mir best mmt.
Dienftnachrichte«
Steuerassistent. S1 ö ck l e beim Finanzamt Horb wurde zum SreuersetretLr ernannt.
-X-
A« der Schwelle de» Berufslebens
In ein paar Tagen beginnt für viele Zehntausende von Knaben und Mädchen ein ebenso ernster wie entscheidungsschwerer Lebensabschnitt. Die Schule schließt sich hinter diesen jungen Menschenkindern — und auf tut sich die »Schule des Lebens" mit ihren zahllosen Kämpfen um die Existenz. Um aber überhaupt eine Existenz zu haben, heißt es, einen Beruf zu wählen, von dem man hofft, daß er das biete, was zum Lebensglück gehört. Denn »glücklich" möchten doch alle Menschen werden. Die Frage der rechten Berufswahl für ihre Kinder beschäftigt alle Eltern und Erziehungsverpflichteten in diesen Wochen und Tagen auf das ernsteste. Es wird eine Entscheidung gefordert, die beides sein kann und tatsächlich auch sehr oft ist: nämlich entweder die Quelle des Lebensglücks oder des Unglücks. Die Erfahrung lehrt in sehr vielen Fällen recht eindringlich, daß viele Menschen scheitern, weil sie nicht in den rechten Beruf geführt wurden. Einen Beruf zu finden, der eine gesicherte
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Zu Newtons 200. Todestag
Von Professor Dr. F. Köhler-Köln.
Isaak Newton, in dem die Naturwissenschaftler oen Begründer der neueren mathematischen Physik und der physischen Astronomie verehren, beendete a m 31. März 1727 sein an Arbeit und wissenschaftlichem Ertrag so überaus reiches Leben in Kensington bei London. König Georg l. ließ den Leichnam des 84 Jahre alt gewordenen Gelehrten in der Westminster- abtci beisetzen, und seine Familie errichtete ihm dort ein würdiges Grabmal. Ein günstiges Geschick hatte es gefügt, daß der junge Newton, als er die Universität Cambridge bezog, das fördernde Intereste des englischen Theologen und Mathematikers Isaak Barrow gewann, der ihm 1669 seinen Lehrstuhl der Mathematik in Cambridge überließ. Drei Jahre vorher war es dem jungen Gelehrten geglückt, das Gesetz der Gravitation zn entdecken, doch wartete er mit seiner folgenschweren Entdeckung noch eine Reihe von Jahren, bis er sie, auf ein umfangreiches Material gestützt, der Royal society mitteilte und erst UB7 in seinem glänzenden Werke „pkilosopkiae nsturnlis pi-lucipia matbematiea", in dem er auch seine Forschungen über die Theorie der Lichtbrechung darlegte, der Welt bekannt gab. Seine Gedanken lösten nicht nur großes Aufsehen sondern auch einen Gelehrtenstreit aus. Auf mathematischem Gebiet beschäftigte sich Newton mit der Anwendung des binomischen Lehrsatzes und erwarb sich ein großes Verdienst durch die Erfindung der Differentialrechnung. Indem er im Parlament die Universität vertrat, nahm er an den politischen Vorgängen im Lande regen Anteil. Um die Jahrhundertwende wurde er zum Präsidenten der Royal society von London gewählt. Die nächsten Jahre brachten eine Reihe von bedeutungsvollen mathematischen und physikalischen Arbeiten aus seiner Feder, unter denen besonders seine Farbenlehre, welche in den 1764 erschienenen „Optics, or s treatise ok tbe rekleetions, rekrsetious, ioklections anä coiours ok Ilxkt" dargelegt ist, große Tragweite erlangte. Später wandte sich Newton auch theologischen Studien zu und beschäftigte sich in einer von den Theologen freilich wenig beachteten Schrift mit den Weissagungen des Propheten Tkmiel und mit der Offenbarung Johannes'. In den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts versuchte eigenartiger Weise plötzlich ein Mitglied der Pariser Akademie, aus Grund einer bald als gefälscht nachgewiesenen Handschrift, Newton die Erfindung des Graoitationsgesetzes zu bestreiten und sie Paseo! zuzuschreiben. Den Ruhm de» großen Gelehrien konnte diese Anfechtung jedoch nicht schwächen.
Das Sprungbrett
Bon H. Liedtke.
(Nach einer Satire der Zeitschrift „Ismächatsch" über die Leitung russischer Staatsbetriebe,)
Januar, Montag, den 9. Ein wahres Elend! Unser großer Betrieb von 1606 Werkstühlen kommt nicht in Gang!
Am Mittwoch erschien der neue Direktor. Guter Mann. War neugierig, wollte die Fabrik kennen lernen und verlor sich in ihren leeren Korridoren. Irrte wie eine Wanderniere, ohne den Ausgang zu finden. Erst am dritten Tage kam er zum Vorschein. — zu spät: im Amtszimmer lag der Regierungserlaß über seine Abberufung auf dem Schreibpult und stand der Nachfolger.
Nicht übel der Nachfolger! Spielt Harfe. Kommt von der Oper.
Dienstag, den 10. Er beginnt den Betrreb «nzurenken. Läßt die Korridore belichten, bestellt 266 Türschilder aus Emaille mit der Aufschrift von Rang und Namen der Angestellten. Damit sich niemand mehr verirrt. Unterschreibt die Bestellung — und öffnet ein Schreiben der Regierung, das ihm die Versetzung zur Naphthabetriebsverwaltung bringt.
Der dritte Direktor stellt sich ein. Nichts zu sagen! Sehr energischer Mann. Aus Grobmannshausen.
„Ihr wollt das Geschäft ruinieren." poltert er, „Geld für Türschilder aus dem Fenster werfen! Weg damit!"
Und er befiehlt, sparsamer zu wirtschaften, vor allem auch mit dem Papier. Anfragen werden auf der Rückseite des Schreibens beantwortet. Siehst du — ein Viertelbogen erspart! Aeuhe- rungen in verschiedenen Angelegenheiten kommen aus einen gemeinsamen Bogen, — mag sie der Empfänger auseinanderklauben!
So wird bis zum Abend noch viel geregelt; dann zieht man den dritten Direktor zurück und schickt einen anderen.
Mittwoch, den 11. Der andere ist gut. forschbegierig. Ein Doktor scheint es. Fühlt die Pulse. „Aha," rust er aus, „ick weiß sckon, warum es bei Euch stockt. Ihr habt keine Ahnung von wissenschaftlichen Methoden. Ich werde Euch lehren." Und er stürzt sich auf einen Kontoristen: „Kann man so sitzen, junger Mann? Wer hält so die Feder? In drei Absätzen atmen: eins, zwei, drei!" „Und Sie"—zu einer Maschinenschreiberin —, „was krümmen Sie sich wie ein Igel! 15 Prozent Kraftoerlust! Brust heraus!"
Donnerstag, den 12. Der Doktor ist weg. In den Zeitungsdienst geholt. Wir haben den fünften Direktor. Nicht schlecht. Ein Ausländer — Amerikaner. Scheint aus der Han- delsabteiluna zu stammen.
„Time !s mnris)'." spricht er „und Ihr stehlt die Zeit."
„Wie," fragt der Betriebsausschutz erschreckt, „woraus entnehmen Sie das? Bei uns ist »och nie gestohlen worden."
„So meine ich es nicht. Aber was leistet Ihr an Arbeit? Nun, ich werde Ordnung schassen."
Er befiehlt, datz ein jeder ein Heftchen bekommt, in dem er die verrichtete Arbeit stündlich zn verzeichnen hat. Als Ausweis und zur Verantwortung. Feine Sache! Man läuft zur Uhr, stellt die Zeit sest, schreibt an: ist man damit fertig, läuft man wieder zur Uhr — sie steht im sechsten Stock. Und du kennst unsere Leute: kommen sie erst in Flutz, so bleiben sie in Bewegung. Was dabei herauskam, sah nach Afrika aus, nicht nach Amerika.
Freitag, den 13. Ein Unglückstag. Den Amerikaner hat man in die Landwirtschaft übernommen: uns schickten st« mittags den sechsten Direktor. Nichts auszusetzen. Gymnastiker. Aus dem Staatszirkus, glaube ich.
Versprach, alles zu bessern. Lietz in den Werkräumen Trapeze anbringen. Zur Erholung von der Denkarbeit. Lietz die Lustfenster öffnen. Befahl den Maschinenschreiberinnen, sich Bewegung zu machen. Offen gestanden, wir freuten uns. Leider hörte» wir abends, daß er abberufen war. In ein Kinderheim.
Sonnabend, den 14. Der siebente Direktor ist sehr sonderbar. So geschäftig. Woher er stammt, weitz ich nicht.
Morgens 16 Uhr kam er an, mittags stellte er sich Anweisungen auf zwei riesige Vorschüsse aus, um 3 Uhr verabschiedete er sich, um 4 Uhr setzte er sich in den Zug, und heidi! in die Welt. Er fuhr, um irgendwo eine Frage an Ort und Stelle zu studieren. —
Juli, den 1. Der sonderbare Direktor war von alle» d«r klügste. Im Januar fuhr er los und ist noch immer auf der Reise. So kann man ihn nicht fasten, um ihn abzuhalstern.
Wir sind uns selbst überlasten. Und der Betrieb? Ach. der Betrieb geht ausgezeichnet. _
Sollen die Waffen des Geistes rosten» weil die Träger fehlen?
Gaben werden eutgegengenommen: von unserer Zeitung, von den Postämtern und Danken, ferner von der.Tübinger Jubiläumsjpende" Postscheckkonto Stuttgart 6969.
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