DIENST AG, 21. APRIL 1953
Waffenstillstand und keine Koalition
Österreich bleibt vorerst auf dem Weg der Mitte / Raabs Regierungserklärung Von unserem E. B.- Österreich-Korrespondenten
Der neue österreichische Bundeskanzler Raab hat vor dem österreichischen Parlament die mit Spannung erwartete Regierungserklärung abgegeben, deren Punkte an Stelle des früheren Koalitionspaktes zwischen Volkspartei und Sozialisten treten sollten. Neben der Betonung des österreichischen Anspruches auf Freiheit und Souveränität behandelte Raab vor allem wirtschaftspolitische Fragen. An der oft allgemeinen, unverbindlichen Formulierung konnte man erkennen, daß zwischen den beiden Regierungsparteien durchaus keine Übereinstimmung in vielen Fragen besteht, sondern eigentlich eine Art Waffenstillstand an die Stelle der alten Koalition zwischen .....
Wie wär’s mit Seide, meine Herren?
kung der Lohn- und Einkommensteuer, Erhöhung des Lebensstandards der Beamtenschaft und Förderung des Mittelstandes, Verwaltungsreform durch Verminderung der Verwaltungsagenten und Übertragung bestimmter Verwaltungsaufgaben an die Länder. Kredite für die Landwirtschaft bei stabilen Agrarpreisen. Der erhöhten innenpolitischen Bedeutung des Verbandes der Unabhängigen nach dem Ende des bisherigen Koalitionspaktes zwischen den Regierungsparteien entspricht das sozialistische Einschwenken auf die Linie der Volkspartei mit der Forderung nach Aufhebung der politischen Ausnahmegesetzgebung. Diese ist bereits vom Nationalrat beschlossen worden, scheiterte aber bisher am Veto des Alliierten Rates.
Aus der Erklärung des Sprechers der Sozialisten zu dem Regierungsprogramm geht her
vor, daß die Sozialisten nur gezwungenermaßen und mit Vorbehalt der Durchführung des Kamitzplanes zugestimmt haben und bei Gelegenheit zum Ausbrechen bereit sind. Paradoxerweise machte sich der sozialistische Sprecher zum Vorkämpfer der freien Wirtschaft, indem er erklärte, der freie Wettbewerb müßte auch wirklich hergestellt werden, u. a. durch eine schärfere Bekämpfung kartellartiger Preisvereinbarungen. Als sozialistisches Nahziel wurde die Schaffung einer allgemeinen Volkspension bezeichnet, die weit über das offizielle Sozialprogramm der Regierung hinausgeht. Der Sprecher der Volkspartei stellte demgegenüber die Notwendigkeit der Begünstigung einer Kapitalsbildung heraus, ohne die Investitionen unmöglich seien. Investitionen im Wohnbau seien nicht viele zu erwarten, da die Mietengesetzgebung diese unrentabel gestalte. Allein aus diesen beiden Stellungnahmen zeigen sich verschiedene Reibungsflächen zwischen den Regierungsparteien. Erst die Praxis der kommenden Monate wird zeigen, ob die derzeitige Regierung arbeitsfähig sein wird.
Aus der Seidenstadt Krefeld kommt die Kunde, daß sich die deutsche Männerwelt nach fast hundert Jahren zum erstenmal in diesem Sommer wieder in rein seidene Gewänder hüllen kann. Der Krefelder Modering wird in Kürze im Zusammenwirken mit der deutschen Seidenindustrie die ersten Herrenanzüge aus reiner Seide im modernen Stil auf den Laufsteg bringen. Zunächst werden Seidenanzüge in den Grundfarben grau und braun herausgebracht.
...
Volkspartei und Sozialisten getreten ist. Da der Sprecher der Unabhängigen sich absolut nicht zu einem gemeinsamen parlamentarischen Programm mit der Volkspartei bekannte, sondern für seine Fraktion sich vorbehielt, jeweils die Stimmen für jene Partei abzugeben, deren Antrag dem unabhängigen Parteiprogramm entsprechen würde, ist die gesamte österreichische Innenpolitik in Fluß gekommen. Dem Verband der Unabhängigen, dessen Stimmen sowohl der Volkspartei wie den Sozialisten zu einer Mehrheit im Parlament genügen, kommt damit eine politisch weit höhere Bedeutung zu, als es der Zahl der Mandate entspricht oder als ihm eine Teilnahme an der Regierung gebracht hätte. Der stellvertretende Parteiobmann Dr. Kraus betonte dies auch im Parlament mit sichtlicher Genugtuung.
Apis und Este
Prozeß gegen die „Schwarze Hand“ BELGRAD. Die Ermordung des österreichungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Serajewo, durch die der erste Weltkrieg ausgelöst wurde, wird nach fast 40 Jahren im Mittelpunkt eines Prozesses stehen, den Marschall Tito in den nächsten Wochen durchzuführen beabsichtigt. Der Prozeß gegen die „Schwarze Hand“, eine Geheimorganisation serbischer Offiziere, deren Führer 1917 in Saloniki standrechtlich erschossen wurde, soll, wie Radio Belgrad bekannt gab, noch einmal aufgerollt werden.
Mit Blut hat die „Schwarze Hand“, die kurz nach 1900 von dem Generalstabsobersten Dra- gutin Dimitrijevic — genannt Apis — gegründet wurde, die Geschichte des serbischen Nationalismus geschrieben. Ihr erstes Opfer war der serbische König Alexander aus dem Hause Obrenovic, der am 11. 6. 1903 im Konak von Belgrad von den jungen Offi
zieren ermördet wurde. Dimitrijevic setzte dann die Karageorgeyic auf den Thron. Um die großserbischen Ideale, den Anschluß von Kroatien und Slowenien, zu erreichen, wurde Erzherzog Franz Ferdinand ermordet und damit der Weltkrieg ausgelöst. Es blieb dunkel, wieviel der damalige Kronprinz und spätere König A1 e x a n d.e r , der 1934 in Marseille ermordet wurde, von der Tätigkeit der „Schwarzen Hand“ wußte, ob er ihr Vorgehen billigte. 1917 ließ er in Saloniki die Führer der „Schwarzen Hand“ wegen einer angeblichen Verschwörung gegen ihn verhaften und nach einem Standgericht erschießen.
Dieser Prozeß soll nun, wie Radio Belgrad meldet, erneut aufgerollt werden, da neues Beweismaterial — ein bisher geheim gehaltener Brief, den einer der Erschossenen kurz vor seinem Tode einem Geistlichen übergeben hat — in den Besitz der Regierung gelangt ist. Nur einer der Mitglieder der „Schwarzen Hand“ ist heute noch am Leben und wird als Kronzeuge auftreten.
Kleine Weltchronik
Aus der Regierungserklärung des Bundeskanzlers geht hervor, daß sich die Regierungsparteien etwa auf folgender Linie getroffen haben: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bei Wahrung der Stabilität der Währung, energische Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, Sicherung der Währung durch Belassung der Budgetansätze 1952 ohne Ausgabenerhöhungen und durch Begrenzung des Kreditvolumens, Förderung des Exportes, Investitionen durch Anleihen und nicht mehr durch Budgetaufblähung, Ausdehnung der Altersversorgung auf kleine Meister und Kaufleute, Sen-
Kanada als neue Heimat
Ostflüchtlinge können einwandern
GENF. Kanada wird in diesem Jahr voraussichtlich 165 000 Einwanderer aus Europa, darunter auch deutsche Ostflüchtlinge, aufnehmen, teilte der Leiter des kanadischen Einwanderungsamtes, C. E. S. Smith, am Montag auf der Sitzung des zwischenstaatlichen Komitees für die Einwanderung aus Europa in Genf mit.
Die Frage der Aufnahme der Ostflüchtlinge würde zur Zufriedenheit der deutschen und kanadischen Regierung geregelt werden. Das Problem ihrer Anerkennung als Flüchtlinge werde erschwert, so lange sie noch deutsche Staatsbürger seien. Kanada würde sie aber gerne aufnehmen, sagte Smith, wenn auch die deutsche Regierung sie als Flüchtlinge anerkenne.
Nach Rom wegen Heroldsbach. Bamberg. — Der Erzbischof vom Bamberg, Josef Otto Kolb, ist am Montag nach Rom abgereist, um mit den katholischen Würdenträgern die Frage der Ma- rien-Erscheinungen im oberfränkischen Heroldsbach zu besprechen. Wie mitgeteilt wurde, wird der Erzbischof auch bei einer für Donnerstag vorgesehenen Audienz beim Heiligen Vater dieses Problem zur Sprache bringen.
Die Hoffnung aufgegeben. Wattenscheid. — Die Leitung der Zeche „Centrum“ hat am Montag die Hoffnung auf Rettung der seit Samstag in 1000 m Tiefe verschütteten sieben Bergleute aufgegeben. Die Bergungsarbeiten gehen unvermindert weiter.
Gespräch zwischen SPD und Kirche. Bonn. — Vertreter der SPD und der Kirche versuchen zur Zeit, wie der SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Fritz Menzel in einer am Montag in Bonn veröffentlichten Verlautbarung erklärt, „in offenen Aussprachen Mißverständnisse hüben wie drüben zu beseitigen“ und „Klagen und Anklagen der einen wie der anderen Seite, die in der Vergangenheit liegen“ endgültig zu bereinigen.
Adenauer zum zwölften Male Großvater. Hamburg. — Gleich am ersten Tage nach der Ankunft des Bundeskanzlers von seiner Amerikareise auf deutschem Boden erreichte ihn auf dem Bundesparteitag der CDU am Montag in Hamburg die Nachricht, daß er zum zwölften Male Großvater geworden ist. Schon auf seiner USA- Reise hatte ihn in San Franzisko die Nachricht von der Geburt seines elften Enkels überrascht, der von den Eltern u. a. den Namen Franziskus erhielt.
Britisches Flugzeug nach Moskau unterwegs. London. — Ein Transportflugzeug der britischen Luftstreitkräfte startete am Montag nach Moskau. Es soll die sieben ehemaligen Zivilinter
nierten nach England bringen, die kürzlich In Nordkorea entlassen wurden. Unter ihnen befindet sich der frühere britische Gesandte in Seoul, Holt.
Liberale Internationale und FDP. London. — Die „Liberale Internationale“ will auf ihrer gegenwärtigen Jahrestagung in Manchester auch die Lage der Freien Demokratischen Partei Deutschlands besprechen. Es wird angenommen, daß Dr. Middelhauve als Vertreter der FDP Nordrhein-Westfalens Erklärungen zu den Vorwürfen abgeben wird, daß die FDP von Neonazis infiltriert sei.
Dänischer Luxusdampfer ausgebrannt. Har- wich. — Sieben Stunden nach seiner Ankunft in dem britischen Hafen Harwich brannte in der Nacht zum Montag der 4000 t große dänische Luxusdampfer „Kronprinz Frederick“ aus. Zehn Stunden wütete das Feuer in dem blendend weißen Schiff, ehe es sich plötzlich auf die Seite legte und dann völlig kenterte.
Argentinisch - sowjetisches Handelsabkommen. Moskau. — Der argentinische Botschafter in Moskau, Bravo, kündigte an, daß in Kürze ein „wichtiges Handelsabkommen“ zwischen der Sowjetunion und Argentinien vermutlich in Buenos Aires unterzeichnet werde.
Neue Erdbeben in Iran. Teheran. — Weitere heftige Erdstöße erschütterten auch am Sonntagabend die nordostiranische Stadt Borgan, die am Samstag durch ein Erdbeben fast völlig zerstört worden ist. Obwohl eine ganze Anzahl weiterer Gebäude einstürzte, sind noch keine Verletzte oder Tote zu beklagen.
Stürme über Südteil der USA. Atlanta. — Heftige Stürme, die in einigen Gebieten Orkanstärke erreichten, haben am Wochenende den Südteil der Vereinigten Staaten heimgesucht. Tausende von Häusern wurden abgedeckt oder zerstört, sieben Personen getötet und über 200 verletzt.
WIRTSCHAFT
Gutes Importgeschäft
Deutsche Handwerksmesse beendet
MÜNCHEN. Die 5. Deutsche Handwerksmesst in München ging am Sonntag nach elftägigei Dauer zu Ende. Wie die Messeleitung mitteilte, wurden rund 225 000 Besucher gezählt, darunter Einkäufer aus 48 Ländern. Das Exportgeschäft war gut, der Inlandsabsatz erheblich höher als im Vorjahr. Vor allem die Hauptgruppen Maschinen und Werkzeuge, Textil. Möbel. Inneneinrichtungen, Baustoffe. Hauswirtschaft und Kunsthandwerk berichteten über zufriedenstellende Abschlüsse.
Vergebliche Hoffnung
Vorerst keine Kinderbeihilfe
w-t. BONN. Die kinderreichen Familien mu^ sen für dieses Jahr ihre Hoffnung, eine staatliche Kinderbeihilfe zu erhalten, endgültig begraben. Die parlamentarischen Beratungen über die Einrichtung von Familienausgleichskassen, aus denen die Beihilfen gezahlt werden sollten, dauern zwar noch an. Aber da bisher weder unter den Regierungsparteien noch zwischen der CDU und der SPD eine Einigung über die Form der Kinderbeihilfen erzielt werden konnte und sich auch keine Einigung abzeichnet, erscheint es ausgeschlossen, daß das Gesetz noch vom jetzigen Bundestag verabschiedet werden kann.
Die SPD denkt an eine zentrale staatliche Auszahlung von Kinderbeihilfen, die CDU wünscht dagegen eine weitgehende Dezentralisierung in der Form, daß die Ausgleichskassen von den einzelnen Berufssparten eingerichtet werden. Dabei wäre es aber beinahe unmöglich, freiberuflich Tätigen gleichfalls die Kinderbeihilfe zugute kommen zu lassen. Die weiter rechts stehenden Parteien sehen die neue Ausweitung der Sozialgesetzgebung überhaupt mit Unbehagen.
Auf dem Stand von 1936
Außenhandelsvolumen der Sowjetzone
BERLIN. Zum Außenhandel der Sowjetzone stellt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin in seinem neuesten Lagebericht fest, daß langfristige Handelsverträge gegenwärtig nur mit den Staaten des Ostblocks bestehen. Der Außenhandelsumsatz (Import und Export) im Rahmen dieser Abkommen wird für 1952 auf über fünf Milliarden Rubel veranschlagt.
Seit der Währungsreform und mit Beginn der sowjetzonalen Volkswirtschaftspläne hätten sich Umfang und Richtung des Außenhandels stark verändert. Das Außenhandelsvolumen habe sich von Jahr zu Jahr erhöht und inzwischen ebenso wie die Industrieproduktion wahrscheinlich den Stand von 1936 erreicht. Es sei jedoch unzureichend, wenn man berücksichtigte, daß die Außenhandelsabhängigkeit der Zone zugenommen habe. Etwa vier Fünftel des Außenhandels der Sowjetzone seien 1951 auf den Austausch mit den Ostblockstaaten entfallen.
Höhere Einzelhandelsumsätze
BONN. Der Einzelhandel setzte im März im Durchschnitt 18 Prozent mehr um als im Februar, teilt das Statistische Bundesamt mit. Gegenüber März des Vorjahres waren die Umsatz- werte um 9 Prozent und die Umsatzmengen um 14 Prozent höher. Hierbei sei jedoch zu beachten, daß diese beträchtliche Umsatzsteigerung in erster Linie auf die gesteigerte Einkaufstätigkeit in den in diesem Jahr früher liegenden Oster-, Konfirmations- und Kommunionstagen zurückzuführen sei und insofern eine Vorverlagerung von April auf den März bedeute. Das zeitige Einsetzen dös Frühlingswetters dürfte ebenfalls zu einer Umsatzsteigerung geführt haben.
Firmen und Unternehmungen
STUTTGART. 19 Millionen DM Einlagenzuwachs bei den württembergischen Volksbanken. Die Einlagen bei den württembergischen Volksbanken haben sich in den ersten drei Monaten dieses Jahres um 19 Millionen DM auf 295 Millionen DM erhöht. Davon entfallen 11 Millionen DM auf die Spareinlagen. Im ersten Quartal 1952 hatte die Zunahme 7,5 Millionen DM betragen.
Zur Information
Sämtliche bisher in Nord- und Südbaden bestehenden Einzelhandelsverbände haben sich zu einem einzigen „Einzelhandelsverband Baden e. V.“ zusammengeschlossen. Zum vorläufigen Präsidenten wurde Gustav Adler, Freiburg, zu seinem Stellvertreter Dr. Altschüler Heidelberg, gewählt.
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durch Verlag v Graberg & Görg, Wiesbaden
(39. Fortsetzung)
Doktor Mylander sah ihn scharf an.
„Agneta?“ fragte er und seine Stimme klang kalt. „Was gilt Ihnen Agneta Angelius, Lagerström?“
Sven Lagerström setzte sich langsam wieder hin, er sah plötzlich müde und beinahe alt aus
„Sie haben recht, mich danach zu fragen, und ich weiß nicht, was ich antworten soll. Es würde keiner verstehen, was mir Agneta bedeutet Alles, Doktor Mylander, alles! In diesen letzten zwei Nächten, als ich hier allein lag, als ich wußte, daß sie von mir gegangen war, da wußte ich auf einmal, daß ich bisher in einer Traurmve.lt gelebt habe. Britta gehörte in diese i raum weit. Ich habe sie nie gekannt, ich habe mir von ihr ein Bild gemacht, wie sie in Wirklichkeit gar nicht ist. Sehen Sie, Doktor, ich wußte so wenig von Frauen, ich bin immer ein einsamer Mensch gewesen Und daun kam Britta, sie war so schön, so strahlend, so ganz anders als alles, was ich bis dahin erlebte. Ich sah in ihr was sich jeder Mann erträumt, und ich merkte nicht, daß ich einem Traumbild nachlief. Und dann kam das Erwachen. Brutal und plötzlich, ich fühlte mich betrogen — auch von Agnetal
Ich glaubte keinem mehr, ich vergaß, daß ich ja selbst schuld daran war. wenn alles so kam Ich blieb hier — ich ließ sie allein, und Agneta hat recht, wenn sie sagte, daß Britta ein unruhiges Herz hat. Die wirkliche Britta hat mir nie gehört, ich wollte ein Traumbild festhalten, und es ist mir zwischen den Fingern zerronnen.“
„Und nun denken Sie, daß Agneta Ersatz •ein soll?“
Sven Lagerström schüttelte den Kopt
„Nein, Doktor, wie kann ein Mensch wie Agneta Ersatz sein? Sie ist die Frau, die für mich geschaffen wurde, die Frau, die ich brauche, die ich ersehne. Sie ist kein lockendes, verführendes Traumbild, kein Irrlicht — Agneta ist für mich das Leben. Ich bin glücklich, wenn sie bei mir ist, sie könnte mir Frau, Geliebte, Kameradin sein . . .“
Er schwieg und stützte den Kopf in die Hand.
„Sie haben viel wieder gutzumachen, Sven Lagerström!“ Doktor Mylander zündete sich eine Zigarette an, ohne Lagerström anzublicken
„Ich würde für sie sterben — heute, gleich, wenn es nötig wäre.“
„Nein, Sie sollen für sie und mit ihr leben! Und — ich beneide Sie, Lagerström. Sehen Sie, ich bin ein alter Junggeselle, verknöchert, ein Rauhbein — aber die einzige Frau, von der ich mir vorstellen könnte, sie zu lieben, das wäre Agneta Angelius. Nur leider —er lachte ein bißchen wehmütig, „ja, leider habe ich nicht die allergeringsten Chancen . . .“
Doch das letzte hörte Sven Lagerström nicht mehr. Er horchte wieder gespannt in die Nacht.
„Doktor, ich fühle es, Agneta ist in Gefahr. Doktor, wissen Sie nicht, daß die Herzen zweier Menschen, die einander lieben, einander rufen können, über weite Räume hinweg?“
Er sprang auf, und ehe Doktor Mylander es hindern konnte, war er zur Tür hinaus. Er lief über den Platz Im Mondschein streckten sich ihm die eisernen Arme der Brücke entgegen. Wie gebannt lief er auf sie zu, er spürte keine Müdigkeit, eine innere Stimme trieb ihn.
„Ich komme. Agneta!“
Am Fuße des großen Mittelpfeilers, dort wo der schmale Pfad aus dem Dschungel mündete, lag eine kleine, schlanke Gestalt
„Sahib!“
Sven Lagerström beugte sich nieder.
„Gepar? Wo ist die Miß? — Was ist geschehen?“
Der junge Inder versuchte zu sprechen, aber seine von Durst zerrissene Kehle gab keinen Laut von sich.
Sven Lagerström setzte die Signalflöte an die Lippen. Wenige Sekunden später flammte der Platz im grellen Licht der Scheinwerfer.
Doktor Mylander zwang dem völlig erschöpften Knaben ein paar Tropfen Whisky ein. Gepar erhob sich taumelte und konnte schließlich stehen. Und plötzlich kam auch die Sprache wieder, sie stürzte wie ein Strom, den keiner dämmen kann, über seine Lippen . . .
*
Fackeln lohten in der Nacht und warfen ihren glühenden Schein auf das riesige Götzenbild der Durga. Die sieben Arme der Göttin standen wie ein Strahlenkranz um ihr Haupt. Ringsherum lagen zertretene Blumen, und zerbrochene Schalen, aus denen der Reiswein in trägen Strömen floß, bedeckten den Felsboden. Zu Tode erschöpft saßen die Männer auf den Felsblöcken, die überall verstreut lagen, und rauchten schweigend. Ihre harten, schwieligen Arbeiterfäuste hatten gute Arbeit geleistet In einer Ecke zusammengedrängt kauerten die Inder, die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Wie eine wächserne Maske sah das Gesicht des Anführers aus, er regte sich nicht, seine ausdruckslosen Augen starrten das riesige Götzenbild an. Durga hatte das Opfer nicht angenommen, sie hatten Durga nicht dienen können, nun war ihr Leben nichts mehr wert. Nun würden sie durch hundert Leben wandern müssen, ehe sie Vergebung erhalten und ins Nirwana eingehen konnten. Sie wußten, daß ihnen Gefängnis drohte, daß man sie nun einsperren würde, weil sie Durga das Menschenopfer bringen wollten. Kalt, höhnisch — unendlich fern lächelte das Götzenbild auf sie herab
„Agneta — Geliebte!“
Sie schlug ihre dunklen Augen auf zu dem Mann, der sich über sie beugte. Noch zitterte ln ihr die Spannung der letzten Stunde nach, aber ein unendliches Glücksgefühl löschte die Bilder der Vergangenheit.
„Ja, Sven?“
„Mir ist, als begänne mein Leben erst heute, erst jetzt, in dieser Stunde, in der ich dich in meinen Armen halten darf. Agneta, das Leben, das uns beiden gehören soll . . .“
Sie zog seine Hand über ihre Augen.
„Sag es noch einmal zu mir, Sven“, flüsterte sie.
„Was soll ich sagen?“
„Sag — Geliebte!“ —
Er beugte sich ganz dicht zu ihr herab, seine Augen hielten die ihren gefangen. „Geliebte — du meine Geliebte! Jetzt weiß ich, daß du mir meine grausamen Worte verziehen hast“.
Eine Hand legte sich auf seine Lippen. „Laß unser Leben jetzt beginnen, Sven, nichts von der Vergangenheit hat darin Platz. Du hast mir das Leben heute zurückgegeben. Ich dachte, ich sollte sterben, ohne ein einziges Mal deinen Mund geküßt zu haben “
Er riß sie an sich, seine Lippen gruben sich In ihren vollerblühten Mund. Sie trank seinen Kuß, und sie fühlte, daß Brittas Herz ihm nun nichts mehr bedeutete
Die Fackeln lohten, das Standbild der Göttin Durga glühte, als wäre es nicht aus kaltem Metall, sondern aus lebendem blühendem Fleisch. Die Göttin wuchs zu etwas Unfaßbarem, sie wurde die Urmutter die Riesin, in deren Schatten sich die Menschen wie hilflose, kleine Geschöpfe bewegten
Nie würde Agneta dieses Büd versessen
XV K a pit e
Leutnant Allan Meanwhile wart einen prüfenden Blick in den Spiegel, ehe er an die Tür seines Vorgesetzten pochte, der ihn zu einer kurzen Besprechung bestellt hatte. Er hatte keine Ahnung, worum es sich handelte, aber ein bestimmtes Vorgefühl sagte ihm, daß die nächsten zehn Minuten nicht sehr angenehm für ihn sein würden Er konnte sich nicht erinnern, eine Nachlässigkeit im Dienst begangen zu haben, aber er gestand sich doch innerlich ein, daß er in der letzten Zeit wenig Interesse für seinen Beruf gezeigt hatte
Seine Gedanken waren so intensiv mit etwas anderem beschäftigt, daß er sich nicht genügend auf den nüchternen Garnisondienst konzentrieren konnte. Was war mit Prinzessin Gobay geschehen?
(Fortsetzung folgt)