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Roman von HANS ROSE
Copyright by Bechthold-Pressedienst, Faßberg — durch Verlag v. Graberg & Görg, Wiesbaden
4. Fortsetzung
„Ist er zurückgekommen?“ fragte Fernando. „Er war den ganzen Abend da. Aber er geht nicht immer in die Kneipe, wenn er da ist.“ „Weiß er, daß ich hier bin?“
Sie nickte schweigend mit dem Kopf und wusch die Wundränder sauber. Dann verschmierte sie gelbe Salbe auf einen Leinwandfetzen und legte ihn behutsam auf die Wunde. Es war nur ein leichter Streifschuß; aber gerade deswegen schmerzte die Wunde besonders.
„Weiß dein Alter, was da draußen passiert ist?“
„Natürlich!“
„Wird er...?“
„Pa verpfeift dich nicht.“
Sie hatte seinen Arm verbunden. Nun nahm sie sein Hemd und wusch die durchblutete Aermelstelle mit lauwarmem Wasser und Seife. Danach besserte sie den Rockärmel aus.
„Es soll keiner was merken“, sagte sie und lachte ihm zu. „Als du umfielst, dachte ich, es hätte dich richtig erwischt.“
„Woher kamst du so plötzlich?“
„Ich traute dem anderen, der dich rausrufen ließ, nicht recht Darum lief ich rasch durch den Pferdestall auf den Hof. Da sah ich dich mit dem anderen stehen und flüstern. Und plötzlich rief euch einer aus dem Dunkeln an. Ich wußte gleich, was los war. Den ganzen Abend waren Polizisten im Ort herumgelungert. Da krachte auch schon der erste Schuß. Sie hatten wohl auf den anderen gezielt, der davonlief. Dich konnte man kaum sehen, weil du dicht an der Mauer standest.“
Sie blickte ihn aufmerksam an. Dann fragte sie plötzlich:
„Sag“ mal, bist du der aus Mexiko-City, hinter dem sie her sind?“
Fernando merkte, daß es keinen Zweck hatte, ihr etwas vorzuschwindeln, darum sagte er einfach;
„Ja!“
„Dann dürfen sie dich nicht kriegen!"
In diesem Augenblick hörten sie, wie einige Männer in die Schenke traten. Eine Stimme fragte:
„Wo ist Perrez?“
Fernando erkannte den Sprecher am Tonfall Es war Rodrigo.
„Ich weiß nicht“, hörte er Felipe antworten. „Er ist doch hier gewesen?“ fragte Rodrigo wieder.
„Bezahlt hat er noch nicht. Demnach wird er auch noch hier sein“, brummte Felipe. „Wo steckt er?“
„Quien sabe! Vielleicht bei dem Mädchen, Sennor“
Lou warf Fernando den Rock über und zog ihn mit sich „Komm!“ flüsterte sie.
Es ging eine enge Treppe hinauf. Oben war es dunkel. Lou öffnete eine Tür, zog ihn in ein Zimmer und knipste das Licht an. „Rasch!“ sagte sie hastig „Sie suchen dich!“ Sie streifte Kleid und Schuhe ab, brachte das Bett in Unordnung und warf sich hinein. Auf der Treppe knarrten Schritte. Fernando schleuderte den Rock über den Stuhl, knipste das Licht aus und legte sich zu ihr.
Schritte tappten vor der Tür. Die Tür wurde aufgestoßen Der Schein einer Taschenlampe glitt über die Wand, blieb auf dem Lichtschalter haften. Eine Hand schaltete das Licht ein. Rodrigo stand in der Tür Er stieß einen Laut der Ueberraschung aus. Fernando richtete sich im Bett auf „Gehn Sie zum Teufel!“ brummte er mürrisch
X.
Rodrigo hatte Leone den ganzen Tag beobachten lassen. Er argwöhnte, daß dies der Mann war, der mit Moravo in Verbindung stand zumal sich Leones Genossen am Morgen nach Mexiko-City aufgemacht hatten. Zu seinem Bedauern war er nicht dabei gewesen, als Leone und Moravio vor der Schenke zusammentrafen; denn der Kommissar hatte sein Augenmerk auf die Umgebung der Hazienda gelenkt. Der Lärm und die Schießerei lockten ihn in den Ort zurück. Als er vor der Schenke eintraf, war Leone schon geflohen. Den anderen Mann, mit dem Leone gesprochei. hatte, konnte keiner seiner Leute erkennen. Sie hatten aber beobachtet, daß Fernando vor dem Zwischenfall in der Kneipe gesessen hatte. Später war er verschwunden.
Rodrigo hatte bemerkt, daß außer FeF- nando niemand die Hazienda verlassen hatte Wenn Fernando also der Unbekannte war, mit dem Leone gesprochen hatte, so mußte er aller Wahrscheinlichkeit nach gleichfalls geflüchtet sein; denn später war er nicht mehr in die Schenke zurückgekehrt. Weil Lou, die Tochter des Wirtes, ebenfalls nicht in der Schenke war. blieb noch die Vermutung, daß Fernando gar nichts mit Leone zu tun hatte, zumal er la mit diesem am vergangenen Abend wegen des Mädchens hitzig zusammengeraten war. sondern sich irgendwo mit Lou herumtrieb. Darüber wollte sich Rodrigo Gewißheit verschaffen. Hätte er Fernando jetzt nicht mit Lou angetroffen, so wäre er in seinem Verdacht gegen den Reitlehrer bestärkt worden.
„Lassen Sie sich nicht stören“, murmelte er und schloß die Tür wieder.
Als er die Treppe hinabstieg, überlegte er, ob nicht doch ein anderer als Pedro Umona oder Carlos in Betracht kämen, der Gesuchte zu sein Hatte er seinen Verdacht nicht allzu sehr auf die Bewohner der Hazienda beschränkt? Konnte Moravio nicht auch unter den Gauchos zu suchen sein? Wie hätte er sonst unbemerkt mit Leone Zusammentreffen können? Ich bin ein Esel gewesen dachte er Meine Dummheit kann mich meinen Posten kosten
Fernando kehrte durch die Küche in den Pferdestall zurück und schickte sich an, sein Pferd auf den Hof zu führen Lou folgte ihm. Plötzlich trat aus dem Dunkel ein Mann auf ihn zu. der sich in einer Ecke des Stalles verborgen hatte
„Fernando 7 “ flüsterte er fragend.
„Ich bin Carlos Perrez“ antwortete Fernando der mit einer List des Kommissars rechntle.
„Also doch“, erwiderte der andere leise wie zuvor. „Ich bin Leone.“
Fernando riß ein Streichholz an und leuchtete dem anderen ins Gesicht Verblüfft erkannte er Leone.
„Woher kommen Sie?“ raunte er.
' „Sie haben mir den Hinterreifen zerschossen. Da kam ich nicht weit.“
„Suchen sie Sie noch?“
„Ja. Aber sie sind auf der Straße nach Mexiko an mir vorüber gefahren.“
Die beiden Männer beschlossen, daß Leone sich auf der Hazienda bis zum nächsten Morgen verbergen sollte Die Ortsausgänge wurden aber noch von den Leuten des Kommissars bewacht. Es war nicht leicht, unbemerkt an ihnen vorbeizukommen.
Lou blickte den Männern nach, als sie zu Fuß die Straße hinunter schritten Fernando führte sein Pferd am Zügel. Sie gaben sich den Anschein von Betrunkenen und gröhlten das schöne Lied von der „kleinen Hafenbar in Tampico“
Unangefochten kamen sie bis zum Ortsausgang. Dort trat ihnen aus dem Häuserschatten ein Mann in den Weg. Er leuchtete Fernando mit einer Taschenlampe ins Gesicht. Bevor er aber den Strahl auf Leone richten konnte, taumelte Fernando auf ihn zu und schloß ihn in die Arme, sodaß er die Lampe mit seiner Brust abschirmte
„Amigo“. lallte er. „Wie — wie spät — ist es? Ha-haben die Häh-hähne schon gekräht?“ „Zeit ins Bett zu gehen, du Schnapsdrossel“ brummte der andere.
Indessen suchte sich Leone gröhlend aber eilig aus dem Staub zu machen. Das fiel dem Gendarmen auf.
„He! Stehengeblieben!“ brüllte er. „Laß dich mal ansehen, Freundchen!“
Er kehrte sich von Fernando ab und richtete seine Lampe auf Leone, der zurückkam, um Aufsehen zu vermeiden Möglicherweise erkannte ihn der Beamte nicht.
„Diabolo!“ schrie dieser aber. „Gehörst du nicht zu den anderen Burschen? Habe ich dich nicht gestern in ihrer Gesellschaft gesehen?“
Fernando griff blitzschnell in die Tasche, holte seine Pistole am Lauf hervor und schlug dem Mann mit dem Kolben auf den Hinterkopf Der Stürzende würgte einen gurgelnden Laut hervor und blieb bewußtlos liegen.
„Hätten ihn umlegen sollen“, brummte Leone. „Wenn der zu sich kommt, hetzt er uns die ganze Bande auf den Hals “
„Das macht zuviel Lärm“, gab Fernando gedämpft zurück „Rasch! Wir wickeln ihn ein und nehmen ihn mit.“
Leone stopfte dem Bewußtlosen ein Tuch als Knebel in den Mund. Fernando band ihm Hände und Füße. Sie packten ihn auf das Pferd. Unbehelligt setzten sie ihren Weg zur Hazienda fort.
Die Bewohner des Hauses schliefen, als sie eintraten. Ohne viel Geräusch zu machen, schleppten sie den Gefangenen in den Keller und schlossen ihn ein.
Als sie die Treppe zum Obergeschoß hinaufgehen wollten, hörten sie, wie eine Tür geöffnet wurde. Um das Mitkommen Leones unauffällig zu machen, hatten sie zuvor verabredet, daß sich Fernando betrunken stellen sollte, wenn ihnen der Diener in die Quere käme, damit es schiene, als müßte Leone ihn ins Bett bringen.
Fernando ließ sich sofort in Leones Arme fallen, und der zerrte ihn mühsam von Stufe zu Stufe.
Das Licht im Treppenhaus wurde eingeschaltet. In einem buntbestickten Schlafmantel gehüllt stand Carmen auf dem obersten Treppenabsatz.
„Was soll das heißen?“ fauchte sie. als sie das sonderbare Paar die Treppe heraufkommen sah.
„Ach, Sennorita“. schimpfte Leone, „packen Sie ihn doch mal bei den Beinen. Er will durchaus nicht ins Bett.“
„Ist er betrunken?" fragte Carmen „Betrunken?“ lachte Leone. „Voll wie ein Faß!“
Fernando mußte sich beherrschen, um nicht laut zu lachen, als er sah, wie Carmen bestürzt und abwehrend die Hände von sich streckte.
„Ins Zimmer kommt er nicht!“ entschied sie scharf.
„Nur keine Angst, Sennorita!" meinte Leone wohlwollend „Jetzt ist nichts mehr zu befürchten Er hat schon auf der Straße alles ausgespien.“
„Pfui!“ entfuhr es Carmen.
Die beiden Männer hatten den obersten Treppenabsatz erreicht. Es schien Fernando geraten, die junge Dame nicht noch mehr in Harnisch zu bringen; denn sie war drauf und dran, Leone zum Umkehren zu zwingen.
„Buena sera. Sennorita!“ grüßte er lachend und löste sich aus Leones Armen Dabei zog er höflich den Sombrero der ihm bei den Eskapaden auf der Treppe ins Gesicht gerutscht war. „Ganz so schlimm ist's nicht wie Sie denken.“ Dann wandte er sich an Leone: „Kommen Sie! Ein Platz auf meiner Couch wird sich bis morgen für Sie finden “
Carmen starrte ihn verblüfft an Hatte er sich nur lustig über sie gemacht 7 Aber mit einem Male dämmerte ihr die Erkenntnis, dies könnte der Mann sein nach dem Kommissar Rodrigo und seine Leute fahndeten: Fernando Moravio. Aber noch ehe sie fragen konnte, hatte Fernando Leone in sein Zimmer geschoben und schloß die Tür nicht sehr höflich mit den Worten:
„Lassen Sie sich nicht weiter stören Sen- norita!“
Es kam Carmen erst zum Bewußtsein als sie schon im Bett lag, daß er sich wieder ein
mal recht ungezogen betragen hatte. Oh, er hatte sich an ihrem Entsetzen über seine vermeintliche Betrunkenheit geweidet. Aber ihr Aerger darüber war ^icht so groß,
In der Nacht hatte sie einen sonderbaren Traum. Sie wurde von einem Reiter verfolgt; aber so oft sie sich auch nach ihm umwandte, konnte sie sein Gesicht doch nicht erkennen. Sie wartete darauf, daß er sie einholte, obgleich sie sich über alle Maßen anstrengte, ihm zu entkommen Sie spürte, wie er näher und näher kam, und sie hörte den schnaubenden Atem seines Pferdes neben sich. Eine gräßliche Angst vor etwas Unbekanntem befiel sie, aber zugleich war ihr Herz von einer süßen, erwartungsvollen Bangigkeit durch- bebt. Möchte diese Jagd doch immer weitergehen, wünschte sie. Da war er neben ihr. Sie sah ihm ins Gesicht und erkannte ihn, doch konnte sie sich nicht auf seinen Namen besinnen. Er streckte die Arme nach ihr aus. Da wurden sie beide in jähem Sturz nach vom gerissen. Sie fühlte den Wirbel des Stürzens; Stürzen, das nicht enden wollte. Als sie wieder zur Besinnung kam, lag sie im Gras. Sie hatte die Augen geschlossen und hörte eine weiche, männliche Stimme flüstern: „Wie süß sie ist! An diesen Augenblick werde ich mein ganzes Leben denken!“
Da erwachte sie. Noch im Traum befangen, griff sie nach der Reitgerte, die in ihrem Stiefel zu stecken pflegte. Als sie ihre nackten Beine berührte, wußte sie, daß sie geträumt hatte. Das Schattenkreuz des Fensters fiel auf die dunkelrote Seide ihrer Steppdecke. Draußen war der helle Tag erwacht.
„Ob er Moravio ist?“ fragte sie sich. Aber dieser Gedanke, der sie gestern abend noch mit Ueberraschung und Freude erfüllt hatte, rief plötzlich ein schmerzliches Gefühl in ihr wach. Wenn er Moravio war, dann — dann dann liebte er doch Mercedes.
XI.
Bevor Carmen und Mercedes noch erwacht waren, hatte Fernando Leone hinausbegleitet. In der Frühe des Tages ritt Leone nach Meriko-City zurück. Man erwartete ihn. Um die Aufmerksamkeit der Polizeiorgane von den Vorbereitungen in der Hauptstadt abzulenken, waren sie übereingekommen, daß Fernando den Kommissar so lange als möglich hinhalten und beschäftigen sollte; denn es war anzunehmen, daß er seinen Vorgesetzten in Mexiko über die Verfolgung Mora- vios ständig Nachrichten schickte. Solange man dort Moravio noch in Santa Margareta wußte, würde man sich keiner Besorgnis wegen der Unruhe in der Hauptstadt hingeben. In Regierungskreisen sah man in Fernando das Haupt der Opposition, ohne dessen Anwesenheit in Mexiko mit einer größeren Unternehmung nicht zu rechnen war.
Leone hatte in der Nacht den Plan des Aufstandes mit Fernando durchgesprochen. In den ersten Morgenstunden des nächsten Tages sollte das Vorhaben begonnen werden. Zunächst war 'die Besetzung der Großfunkstation in Chapultepec sowie die Einnahme des Präsidentenpalais durchzuführen. Von seiten der Militärschule in Chapultepec erwartete man keine Schwierigkeiten, da der weitaus größte Teil der fortschrittlich gesinnten Offiziere die Ziele der Opposition billigte. Nach Einnahme der Residenz mußte es ohne Schwierigkeit gelingen, sich von dort aus der naheliegenden Hauptstadt zu bemächtigen.
Sie drückten sich die Hände und Fernando sah dem Davonreitenden nach, bis er außer Sicht war.
Carmen suchte — noch bevor sie sich ankleidete — Mercedes auf. Die Haziendera hatten eben ihre Toilette beendet und wollte sich zum Frühstück begeben.
„Bitte, Mercedes“, sagte Carmen, „sag 1 mir doch endlich, welche Bewandtnis es mit Perrez hat. Er ist Fernando Moravio, nicht wahr?“
„Woher willst, du das wissen?" fragte Mercedes erschrocken
„Ich vermute es. Er benimmt sich so sonderbar Heute nacht brachte er einen fremden Mann mit ins Haus. Von den Gauchos hörte ich, daß gestern abend eine Schießerei im Ort war. Seitdem er hier ist, geschehen so sonderbare Dinge.“
„Wenn du es schon erraten hast, so nützt es nichts, wollte ich dir die Wahrheit verschweigen“, gab Mercedes nach. „Ja. er ist Fernando Moravio “
Obwohl Carmen diese Antwort erwartet hatte, erblaßte sie. Mercedes bemerkte es, und die Veränderung des jungen Mädchens beunruhigte sie
„Ich bitte dich, Carmen, laß dir nichts anmerken, wenn Rodrigo kommt. Wenn man Fernando festnimmt, so ist unsere einzige Rettung zu behaupten wir hätten nicht gewußt, wer er ist. Obwohl“, sie lächelte schmerzlich, „mir das niemand glauben wird.“
Sie wandte sich zur Tür und fügte hinzu:
„Zieh dich an! Ich erwarte dich am Frühstück stisch.“
Das Frühstück war auf der Terrasse serviert Sie fand Pedro Umona zeitunglesend am Tisch
„Die ganze Gegend scheint hier ja von Verschwörern und ähnlichen Elementen zu wimmeln“, meinte er, die Zeitung beiseite legend „Ein langer Artikel beschäftigt sich, mit den letzten Vorbereitungen in Santa Margareta.“
„Wird Ihnen der Boden hier zu heiß?“ fragte Mercedes.
„Oh nein keineswegs!“ entgegnete Pedro rasch „Ich dachte überhaupt nicht an eine Abreise. Aber da Sie gerade davon sprechen, fällt mir ein, daß ich wieder einmal nach meiner Hazienda sehen müßte. Doch kann
ich denn fort?“ Großsprecherisch beantwortete er gleich selbst seine Frage. „Nein, nein! Ich darf Sie nicht ohne männlichen Schutz lassen.“
„Das ist nett von Ihnen“, lobte Mercedes belustigt. „Aber wir haben ja noch Fernando.“
„Fernando? Fernando?“ wiederholt Pedro ärgerlich. „Ich glaube, er hat genug mit sich selbst zu tun, Mercedes. Verlassen Sie sich nicht auf ihn. Günstigenfalls, wenn ihn die Polizei nicht erwischt, muß er früher oder später doch ins Ausland gehen. Und dann sind Sie ganz allein und verlassen.“
„Aber Carmen ist doch noch hier", warf sie ein.
„Carmen wird auch nicht mehr lange bei Ihnen bleiben“, entgegnete er nachdenklich. „Ich denke mir, daß sie auch ins Ausland geht.“
„Ins Ausland?“ fragte Mercedes verwundert. „Darüber hat sie sich nie zu mir geäußert. Hat sie Ihnen etwas gesagt?"
„Mercedes, ich dachte, Sie würden mich verstehen. Natürlich ist es nicht das Ausland, was sie lockt. Haben Sie nie bemerkt, wie sie Moravio ansieht? Ich saß gestern abend hier auf der Terrasse, und sie stand dort am Geländer und blickte Moravio nach, als er davonritt. Einen Augenblick lang spiegelten sich alle Empfindungen auf ihrem Antlitz wieder. Gewiß hat sie von den Mädchen gehört, was er in Santa Margareta treibt. Dann änderten sich plötzlich ihre Züge und nahmen jenen hochmütigen Ausdruck an. den man oft bei ihr beobachten kann; die Maske, hinter der sie ihr Herz verbirgt. Einige Herzschläge lang hatte ich hinter diese Maske blicken können.“
„Und Moravio?“ Mercedes war erstaunt, wie, scharf Pedro beobachten konnte. Hatte er vielleicht noch mehr entdeckt?
„Ich möchte Ihnen nicht wehtun. Mercedes“ erwiderte er und blickte betreten auf seinen Teller.
Er weiß mehr als ich, dachte Mercedes betroffen; vielleicht habe ich ihm unrecht getan. Bevor sie noch etwas erwidern konnte, hörte sie Motorengeräusch. Der Wagen des Kommissars fuhr vor. Einige Augenblicke später erschien Rodrigo auf der Terrasse.
„Guten Morgen!" grüßte er und nahm auf Mercedes Aufforderung Platz.
„Ich habe Sie zu Unrecht verdächtigt“ wandte er sich an Pedro. „Auf meine Nachfrage ist mir bestätigt worden, daß Thre persönlichen Angaben stimmen. Ich möchte nur wissen, unter welchen Namen sich dieser Moravio hier verbirgt. Gestern abend dachte ich schon an Sennor Perrez. Ja. ich war drauf und dran, ihn festzunehmen. Aber dann traf ich ihn im Bett mit Lou, dem Mädchen aus Felipes Schenke. Mein Verdacht wurde wieder entkräftet.“
Er beobachtete Mercedes scharf, als er Lou erwähnte, und gewahrte die Unruhe, die sich bei seinen Worten auf ihren Zügen ausdrückte. Irgendetwas stimmt mit Perrez nicht, sagte er sich, sonst würde sich Mercedes nicht verfärben, wenn sie hört, daß er mit einer anderen liebäugelt. Sie hat Moravio geliebt, dachte er weiter. Noch in ihren letzten Brie- i fen hat sie ihn dessen versichert. Ob Perrez ihr neuer Freund ist?
Da er nichts weiter erreichen konnte, verabschiedete er sich bald und fuhr nach Santa Margareta zurück.
Die Jagd nach dem flüchtigen Leone war ebenfalls ergebnislos verlaufen. Wenn er nicht in Kürze mit einigen Erfolgen bei seinen Vorgesetzten aufwarten konnte, mußte er mit seiner Abberufung und der Versetzung in ein entlegenes Gebirgsnest rechnen. Dort durfte er Hühnerdieben nachlaufen. Die interessanten Fälle, die ihm in der Hauptstadt übertragen wurden, erledigten dann andere.
Carmen hatte an diesem Morgen keine Lust auszureiten und setzte sich mit Pedro in den Garten, um Schach zu spielen. Mercedes konferierte mit einem ihrer Gauchos über die letzten Rinderverkäufe
Fernando saß auf der Terrasse und blickte den Rauchringeln seiner Zigarre nach Plötzlich vernahm er das Geklirr zersplitternden Glases. Er ließ sich nicht in seiner Ruhe beeinträchtigen; denn er mutmaßte, daß eins der Mädchen in der Küche Geschirr zerbrochen hätte. Seine Aufmerksamkeit wurde aber wach, als er draußen über die Felder der Hazienda einen Mann in Richtung nach Santa Margareta laufen sah. Der Mann war ungefähr schon fünfhundert Meter entfernt, so daß er ihn nicht erkennen konnte. Fernando sprang auf, rannte durch das Haus, eilte in den Keller, wo er in der Nacht den Gefangenen eingesperrt hatte, und stieß die Tür auf Der Keller war leer Zwei Stricke lagen am Boden Drei Kisten waren aufeinander getürmt. Diese und die eingeschlagene Fensterscheibe zeigten deutlich den Fluchtweg, den der Gefangene genommen hatte. Fernando lief auf den Hof Einem Gaucho, der eben mit Pferden in die Ställe gehen wollte, riß er das erste beste Pferd aus der Hand, warf sich auf den bloßen Rücken des Tieres und jagte querfeldein auf die Stelle zu. an der er noch vor wenigen Minuten den Mann gesehen hatte. Er hatte den Punkt bald erreicht, ritt weiter ohne ledoch weit und breit einen Menschen zu erblicken. Spähend setzte er den Weg bis Santa Margareta fort, kehrte um und kämmte aufmerksam alle Feldwege durch.
„Wenn ich den Burschen nicht wieder bekomme. bin ich verloren“ sagte er sich. Dann suchte er mit verbissener Wut weiter.
Es war undenkbar, daß der Entwichene Santa Margareta in der kurzen Zeit erreicht haben konnte, die von dem Augenblick an, da Fernando ihn beobachtet hatte, bis zur Aufnahme der Verfolgung verstrichen war. Trotzdem blieb er unauffindbar
Der Polizeibeamte war nach jenem Augenblick da ihn Fernando zuerst wahrgenommen hatte, zur Straße hin abgebnuen. weil er eine Karette in der Ferne auftauchen sah die nach Santa Margareta fuhr Während Fernando ihn noch auf den Feldern suchte, hatte er längst die Ortschaft erreicht Schleunigst eilte er zu Rodrigo, um ihm das nächtliche Ereignis zu berichten Der Kommissar besetzte sofort seine Limousine mit ein paar handfesten Leuten und brach zur Hazienda auf.
(Fortsetzung folgt)