DIENSTAG, 13. JANUAR 1953

DIE MEINUNG DER ANDERN

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Vorsprung der Fachleute

Die europäischen Staatsmänner habenun­geheure Fortschritte auf dem Wege zur euro­päischen Einheit gemacht, schreibt die bri­tische liberale ZeitungNews Chronic- l e" am Montag in einem Leitartikel:

Die Revolution schreitet fort ein gut Teil schneller als die öffentliche Meinung erkennt. Es ist eine stumme Revelutio*. da sie durch gegen­seitige Zustimmung geschieht. Jedes Stadium wird langsam und unter Schmerzen geboren: nicht durch den scharfen Erlaß eines Diktators, nicht durch die altmodischen Überzeugungsmittel wie Maschinengewehre und Barrikaden, sondern durch Beratungen, Ausschüsse und schriftliche Berichte ... Bald, sehr bald, wenn die Pläne auf dem Papier Wirklichkeit werden, dann muß die Öffentlichkeit in Europa versuchen, den Vor­sprung der Fachleute aufzuholen. In England sind alle Parteien übereingekommen, sich vom Schlußakt dieser Union fernzuhalten. Doch haben sie sich verpflichtet. Großbritannien so eng wie möglich mit dieser Union zu assoziiere». Ein Han­deln ist hier dringend geboten."

Truman geht nicht als Millionär

Ersparnisse in ein Familiengnt gesteckt / Anfang mit 1000 Dollar

Das Verbrechen von Oradour

Warum diese Toten?

BORDEAUX. In spannungsgeladener Atmo­sphäre hat vor einem französischen Kriegsge­richt in Bordeaux am Montag der voraussicht­lich letzte große Kriegsverbrecherprozeß be­gonnen. Angeklagt sind 21 ehemalige Mitglie­der der Kompanie der Waffen-SS-Division Das Reich, die am 18 Juni 1944 die franzö­sische Ortschaft Oradour sur Glane vollstän­dig eingeäschert und fast alle Einwohner, 642 Frauen, Männer und Kinder, ermordet hat.

In seiner Eröffnungsrede in dem kleinen, bis auf den letzten Platz gefüllten Sitzungssaal erklärte der Präsident des Gerichts, Richter Marcel Mussy-Salnt Saens, der Pro­zeß gegen gegen die Mörder von Oradour sei ein Prozeß gegen alle Schrecken des Hitler­regimes:Während wir vor den Gräbern der grauenvoll verstümmelten Kinder stehen, fra­gen wir uns: Warum diese Toten? Warum die­ser Massenmord? Weil Menschen, die all ihre Menschenwürde verloren haben, durch rohe Gewalt ein Regime materialistischer Macht errichten wollten?

Ockfen-Prozeß begannt

RASTATT. Der Prozeß um den aufsehener­regenden Tod eines französischen Soldaten bei einer Wirtshausschlägerei zwischen deut­schen Zivilisten und zwei französischen Sol­daten am 30. November 1952 in Ockfen bei Saarburg begann am Montag vor dem Gericht der französischen Hohen Kommission in Ra­statt.

Hauntangeklagter ist der 43jährige Martin Bensmüller laut Anklage einstreit­süchtiger, heftiger Trunkenbold, der in Ock­fen übel beleumundet ist**. Er wird des vor­sätzlichen Totschlags, begangen an dem 22- jährigen französischen Soldaten Erneste D u- b o i s, und der vorsätzlichen schweren Kör­perverletzung, begangen an dem Soldaten Pierre L a u r e n s, beschuldigt. Mitangeklagt sind der 17iährige Sohn Bensmüllers, Martin, der 22iährige Matthias Wagner und der 25- jährige Peter Hansen. Die Anklage wirft Bensmüller senior vor, Dubois in der Nacht zum 30. November 1952 nach einer Rauferei im Wirtshaus auf der Straße durch einen Mes­serstich in die linke Halsseite tödlich verletzt zu haben. Bensmüller, der als erster vernom­men wurde, bestritt nicht, daß er Dubois ei­nen Messerstich versetzt hat, will es aber bis zum nächsten Tag nicht gewußt haben, daß er sein Opfer auch. getroffen hatte. Er gab auch zu, daß er zu Beginn des Streites Dubois am Schanktisch angerempelt habe well er mir im Weg war.

WASHINGTON. Als Truman sich am 12. April 1945 auf den Präsidentenstuhl der Vereinigten Staaten setzte, hatte er höchstens 1000 Dollar in seiner Hauskasse. Gerade waren seine Schul­den bezahlt, die er als Mitinhaber einer ver­krachten Firma gemacht hatte. Sein erstes Jahresgehalt als Präsident betrug zwar 75 000 Dollar, aber 38 000 Dollar davon schluckte die Steuer. So war er bei seiner Wiederwahl so arm wie drei Jahre zuvor.

Doch dann wurde das Präsidentengehalt auf 100 000 Dollar erhöht, davon 50 000 Dollar steuerfrei. Jetzt konnte auch er ans Sparen denken. Da das Weiße Haus anschließend re­noviert wurde und die Trumans eine kleinere Residenz bezogen, konnten sie ihre Lebenshal­tungskosten beträchtlich verringern. Zudem war inzwischen Trumans Tochter Margaret zu einer hochbezahlten Konzertsängerin aufge­rückt. So wird von Kennern der Verhältnisse des scheidenden Präsidenten angenommen, daß er im Laufe seiner letzten vier Amtsjahre rund 200 000 Dollarauf die Seite legen konnte. Zum Teil hat er das Geld in eine große Fami­lienfarm in Kansas gesteckt, die einen Wert von fast 500 000 Dollar haben soll, und in die sein Bruder und seine Schwester auch Gelder investiert haben.

Auf eine Altersnension wird Truman nicht rechnen können. Präsidenten-Pensionen gibt es nicht in den USA, und als Senator reichen seine Dienstiahre nicht aus, um eine Sena- toren-Pension zu beziehen. Das einzige, was ihm bleibt, ist die Sammlung persönlicher Do­

kumente, Privatbriefe hochgestellter Persön­lichkeiten, die natürlich einen beachtlichen Veröffentlichungswert besitzen.

Zunächst will Truman diese Dokumente in einem Achtzimmerhaus auf seinem Familien­gut ordnen, daneben seine umfangreiche Bi­bliothek einrichten und dann sicherlich von diesem Standort aus für Zeitungen und Rund­funk arbeiten. Auf dieser Basis werden ihm stattliche Honorare schon sicher sein. Zudem dürfte er von vielen Vereinigungen aufgefor­dert werden, auf Vortragsreise zu gehen.

Ob er im Zuge dieser Tätigkeit nicht eines Tages doch wieder als Mitglied im Senat oder Repräsentantenhaus aufkreuzen wird, dafür wird wohl heute noch keiner garantieren kön­nen. Wenn nicht alles täuscht, ist die Demo­kratische Partei von den Republikanern und der Eisenhower-Bewegung ziemlich durchein­andergeschüttelt worden. Man wird schwer auf Trumans Mitarbeit verzichten können.

Übrigens haben die Amerikaner ausgerech­net, daß ein Privatmann etwa jährlich 3,5 Mil­lionen Dollar benötige, wollte er den Lebens­standard eines US-Präsidenten nachahmen. Von Amts wegen hat ein US-Präsident eine Privatjacht, ein Privatflugzeug, 15 Personen­wagen von der kleinsten bis zur größten Type zur Verfügung, Spesenvergütung für Dienst­reisen und außerdem 40 009 Dollar Reiseent­schädigungspauschale stehen ihm zu. Sein Hauspersonal besteht aus etwa 100 Personen, darunter Köche, Dienstmädchen, Zimmermäd­chen, Diener, Gärtner und Chauffeure.

Kleine Weltchronik

Heros brach Hungerweltrekord. Frankfurt. Der 52jährige Hungerkünstlei Willi Schmitz, ge­nanntHeros, hat sich in Frankfurt in einen» Glaskasten mit 78 Tagen und drei Stunden einen neuen Weltrekord erhungert. Er hat während seiner Hungertage 81 Flaschen Mineralwasser getrunken und 21)16 Zigaretten geraucht, verlor dabei 78 Pfund und will bereits am 14. April wieder in den Glaskasten steigen

Heimhehrerverband ruft Eisenhower an. Bonn. Der Verband der Heimkehrer Deutschlands hat den künftigen amerikanischen Präsidenten Eisen­hower in einem Brief gebeen, während einer möglichen Aussprache mit 3talin oder in Vier­mächtebesprechungen auch an das Schicksal der noch nicht zurückgekehrten Deutschen in der So­wjetunion zu denken.

Dehler warnt di e Gewerkschaften. Bonn. Btm- desjustizminister Dr. Dehler warnte ara Montag den DGB vor dem Versuch, das Parlament erneut unter Druck zu setzen. In einem solchen Falle werde das Strafgesetz in seiner ganzen Schwere angewendet werden. Dehler wandte sich damit gegen den DGB-Vorsitzenden Walter Freitag, der Komplikationen ankündigte, falls die Gewerk­schaftswünsche nicht mehr als bisher berücksich­tigt würden.

Bundesbahn immer komfortabler. Bonn. Bis zum Jahresende will die Bundesbahn auf ihren Hauptstrecken rund 500 Personenwagen in den Dienst stellen, die mit 26,4 m die längsten der Welt überhaupt sein werden. Die neuen Wagen sollen den Reisenden allen nur denkbaren Kom­fort bieten. Die Polster in der II. Klasse können in bequeme Couches verwandelt werden, jeder Fensterplatzinhaber kann die Heiztemperatur für seinen Sitz selbständig regulieren, Doppelgias- fenster sollen ein Beschlagen der Scheiben ver­meiden

Bundesanstalt für den Wetterdienst. Bonn. In Bonn finden zurzeit Verhandlungen über die Errichtung der Zentralstelle der Bundesanstalt für den Wetterdienst statt. Da die Bundesbahn ihren Sitz von Offenbach nach Frankfurt verlegt hat, soll die Zentralstelle in das bisherige Ver­waltungsgebäude in Offenbach einziehen.

Großes Verdienstkreuz mit Stern für Fr. Berg. Altena (Westfalen). Der nordrhein-westfäli­sche Wirtschaftsminister, Dr. Arthur Sträter, überreichte am Montag in Altena dem Vorsitzen­den des Bundesverbands der deutschen Industrie,

Fritz Berg, im Auftrag des Bundespräsidenten das Große Verdienstkreuz mit Stern des Bundes­verdienstordens.

Zweiter Breda-Flüchtling festgenommen. Em­merich. Die deutsche Polizei hat in Emmerich (Niederrhein) in der Nähe der holländischen Grenze den zweiten der sieben Flüchtlinge fest­genommen, die wegen Kriegsverbrechen verur­teilt worden waren, aus dem holländischen Zucht­haus Breda entwichen und nach Deutschland ge­flüchtet sind.

Lehr für studentische Korporationen. Kassel. Bundesinnenminister Robert Lehr setzte sich in einer Rede auf einem akademischen Kommers in Kassel für den Fortbestand der studentischen Korporationen ein. Lehr, der in Band und Mütze erschienen war, forderte aber auch die Studenten auf, sich nicht von der übrigen Bevölkerungab­zukasteln*

Wieder ein Schiffsmisammenstoß. Rotterdam. Vor der norwegischen Küste ist am Montag der 619 Tonnen große niederländische TankerStella Maris nach einem Zusammenstoß mit dem nor­wegischen DampferLyngenfjord gesunken. Alle Besatzungsmitglieder derStella Marls konnten gerettet werden.

Spaltung der italienisch e n Sozialisten. Mailand.

Zur gleichen Zeit, als die italienischen Sozia­listen unter Pietro Nenni übers Wochenende ihren Landesparteitag in Mailand abhieiten, ist eine Reihe von abtrünnigen führenden Partei­mitgliedern zusammengetroffen und hat eine Unabhängige Sozialistische Allianz gebildet.

König Gustav für Ausbau der Verteidigung Schwedens. Stockholm. König Gustav VI. von Schweden hat in seiner alljährlicher Thronrede vor dem Reichstag die Erhöhung der Verteidi­gungsfähigkeit Schwedens als notwendig bezeich­net. Er kündigte für das laufende Jahr Gesetzes­vorlagen an, um die Rüstungsproduktion für Ar­mee und Marine zu erhöhen.

Kartelluntersnchung abgebrochen. Washington.

Aus Gründen der Sicherheit hat der nationale Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten empfoh­len. die Schwurgerichtsuntersuchung gegen die amerikanische Ölindustrie einzustellen. Präsident Truman hat sich damit einverstanden erklärt. Man befürchtet, daß die globalen Interessen der USA durch die Aussagen gefährdet würden, die bei einem späteren Prozeß gemacht werden müß­ten.

WIRTSLHAbi

Freie Wahl der Abschreibungen

Eine Stellungnahme des Bundes der Steuerzahler

STUTTGART. DerBund der Steuerzahler hat Sich in einem ausführlichen Gutachten gegen Ver­suche der Finanzverwaltung gewandt, den Steuer­pflichtigen durch einerechtlich unhaltbare Ver­schärfung des Einkommensteuergesetzes die freie Wahl der Abschreibungsmethode fast völlig zu nehmen. In dem Gutachten wird festgestellt, daß die degressive Abschreibung, soweit sie nicht offensichtlich zweckwidrig sei, keineswegs dem Sinn und Wortlaut des Einkommensteuergesetzes widerspreche. Ferner vertritt derBund der Steuerzahler" die Ansicht, daß es auch aus volks­wirtschaftlichen Gründen erwünscht sei, in zu­verlässigem Rahmen durch freie Wahl der Ab­schreibungsart die Erneuerung von überalterten Maschinenparks zu erleichtern.

Deutsche Butter nicht gefärbt

STUTTGART. In der deutschen Butter befin­den sich nach einer Erklärung des Präsidenten des württembergischen Landesverbandes land­wirtschaftlicher Genossenschaften. Eugen Grim- m i n g e r . Stuttgart, keinerlei chemische Farb­stoffe. Der Direktor der deutschen Forschungs­anstalt für LebensmitteUhemle. Professor Dr. S o u c i, habe dies erst vor kurzem im Einver­nehmen mit dem Bundesernährungsministerium nachdrücklich festgeetellt. Die deutsche Hausfrau, erklärte Grimminger, wisse im übrigen zwischen gefärbter und ungefärbter Butter sehr wohl zu unterscheiden. Dies werde durch das Beispiel der ln letzter Zeit aus Neuseeland eingeführten But­ter bewiesen, die wegen ihrer deutlich erkennba­ren Färbung fast keinen Absatz gefunden habe

Mehr Eigentumswohnungen

KARLSRUHE. Der Bau von Eigentumswoh­nungen ist der einzige Weg, mittellosen Flücht­lingen wieder zu wirklichen Sachwerten und Besitz zu verhelfen, erklärte der Ehrenvorsitzen­de des Bundesvereins zur Behebung von Woh­nungsnot (Bund für Wohnungseigentum), Ober­regierungsrat a. D Kari E b e 1 i n g, auf einer Pressekonferenz in Karlsruhe. Ebeling teilte mit, daß der Bundesverein bisher 2009 Eigentums­wohnungen im Bundesgebiet erstellt habe, davon etwa die Hälfte in Süddeutschland. Für 1953 seien Bauprojekte im Werte von rund 35 Millio­nen DM vorgesehen.

Ausländer sollen einkanfen

KÖLN. Möglichkeiten, ausländischen Besuchern der Bundesrepublik den Einkauf von Waren im Einzelhandel zu erleichtern und die Nachsendunq der Waren ohne devisenrechtliche Schwierigkeiten zu gestatten, wurden in Besprechungen der Ar­beitsgemeinschaft Außenhandel des Einzelhandel» mit dem Bundeswirtschaftsministerium erörtert. Danach ist in Aussicht genommen, den Auslän­dern für einen bestimmten Prozentsatz ihres ein­getauschten Devisenbetrages Bonds zu geben, di« sie berechtigen, die eingekauften Waren ohn« die üblichen Devisenformalitäten zu exportieren. Bei der Handhabung des in Aussicht genomme­nen Verfahrens soll eng mit den Banken zusam­mengearbeitet werden.

Zur Information

Zur Internationalen Kölner Frühjahrs­messe, Haushalts- und Eisenwarenmesse vom 2 Z. bis 24. Februar die Textil- und Bekleidungsmess* vom 8. bis 10. März, haben sich bisher 300 auslän­dische Einzelaussteller aus 31 europäischen und au­ßereuropäischen Ländern fest angemeldet.

Der Auftragsbestand der Werften in der Bun­desrepublik umfaßte zu Beginn dieses Jahres rund drei Millionen Ladetonnen. Davon sind etwa 1,7 Mil­lionen Tonnen für den Export bestimmt. Tanker­aufträge liegen mit 1,69 Millionen Tonnen davon Über 1,5 Millionen Tonnen für ausländische Rech­nung an der Spitze. Wie aus Werftkreisen be­kannt wird, sichert der Auftragsbestand fast allen Großwerften eine Vollbeschäftigung bis Ende 195S.

Die Spareinlagen bei den 700 Volksbanken im Bundesgebiet erhöhten sich im November um 14,1 Millionen DM auf insgesamt 51,6 Millionen DM.

Von Holland kommende und für Süddeutschland bestimmte Gemüsezüge werden vom 17. Mal bis Oktober ohne Aufenthalt bis Frankfurt gefah­ren werden. Für Süddeutschland, Italien und di* Schweiz verkürzen sich damit die bisherigen Lie­ferzeiten um 12 bis 24 Stunden. Jährlich werden etwa 200 000 Tonnen Gemüse aus Holland nach der Bundesrepublik ausgeführt, davon 70 Prozent mit der Bahn.

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ARA.LD BAMGARTEN

Copyright by Carl Dunkel-Verlag

durch Verlag v. Graberg & Görg, Wiesbaden

(17. Fortsetzung)

Er hatte ein Tuch bei sich,, wie es die Ju­weliere haben, wenn sie ihre Ware vorlegen. Und als niemand außer uns im Hinterzimmer war, schlug er es auseinander und da lagen die Münzen. Alte römische wären es, sagte er, und der Verkäufer sei ein Sammler in Geld­verlegenheit und in Holland bekäme man höhere Preise. Und dann nannte er mir einige Adressen in Amsterdam, die ich auswendig lernen mußte. Das war alles. Das Reisegeld gab er mir noch.

Sind Sie auf Ihren Paß gereist? Natürlich. Auf meinen Paß: Otto Gunkel. Wie händigten Sie dem Verkäufer nun hier den Erlös au«

Das war ziemlich verzwickt, Herr Rat. Ich mußte ne Taxe nehmen und eine Straße im Norden als Ziel angeben. Während der Fahrt steckte ich das Geld nach Abzug meiner Pro­vision in einen Umschlag auf der rechten Seite zwischen Polster und Wagenrand. Und dann stieg ich am Ziel aus und bezahlte.

Und die Taxe fuhr weiter?

Ja, das war der Trick. Wenden konnte sie nicht, dafür war die Straße zu eng. Die Taxe gondelte weiter, dann kam eine Kurve und ich sah sie nicht mehr.

Na, der Rest ist nicht schwer zu erraten. Hinter der Kurve wartete der Unbekannte, mietete die Taxe und nahm den Briefumschlag

811 ?! solche Fahrten haben Sie dreimal nach Holland gemacht?

Ja. Und dann bekam ich den Brief, daß ich nicht mehr in die Kneipe kommen sollte Was dachten Sie dabei?

Was soll man dabei denken, Herr Doktor? Nun, daß der Mittelsmann, der Ihnen die

Münzen brachte, in der Zwischenzeit fest­genommen war. Sie werden nachher in die Kartei geführt. Dort sehen Sie nach, ob Sie auf irgend einem Bild den Mann wieder­erkennen. Oder ist Ihnen inzwischen einge­fallen. wie er heißt?

Nee, nee. Der Wirt kannte ihn auch nicht, ich habe ihn nämlich gleich gefragt.

Garrian betrachtete das spießige und doch so listige Gesicht Gunkels Er kniff die Lider zusammen und sein Blick wurde scharf.Wie war das mit dem Hebbeltheater?

Ja da wurde ich allerdings stutzig, als ich dahin bestellt wurde Aber dann dachte ich wieder, es ist doch ein einwandfreies Ge­schäft, wenn ich die Münzen verkaufe. Nur, daß ich um drei Uhr morgens dahin kommen sollte . Die Tür zum Bühneneingang sollte offen stehen.

Haben Sie den Brief nochGunkel?

Nee, den hab ich gleich verbrannt. Un­ruhig ruschte Gunkel auf seinem Sitz hin und her. Garrian merkte, daß der Mann Angst hatte. Er wartete ruhig, bis Gunkel sich ge­sammelt hatte

Herr Doktor, am liebsten möchte ich gar nicht darüber reden. Die Stimme von dem Un­bekannten als ich da so in dem stock­finsteren Raum stand die war so messer­scharf . . . direkt gefährlich. Mir ist der Schweiß nur so über den Rücken gelaufen. Na, jetzt sind Sie ja in Sicherheit. Nun erzählen Sie mal der Reihe nach.

Ich ging also um drei Uhr hin und fand auch den Eingang des Hebbeltheaters. Tat­sächlich war die Tür angelehnt. Ich also rein. Da muß ein ziemlich breiter Gang gewesen sein. Das konnte ich erkennen, als ich die Tür aufmachte. Da warte ich nun. Plötzlich wird die Tür zugemacht und ich stehe im Dunkeln. Eine Hand legt sich auf meine Schulter und eine spitze Stimme zischt ln mein Ohr, ich solle mich ganz ruhig verhalten. Am liebsten hätte kh aufgeschrien Aber da drückte mir der Unbekannte ein Päckchen mit Münzen ;n die Hand und sagt, ich soll nach meiner Rück­kehr aus Holland am darauffolgenden Sonn­abend um zwei Uhr vom Potsdamer Platz mit

einer Taxe nach der Tübinger Straße in Wil­mersdorf fahren und vor Haus drei aussteigen. Dann hielt er mir eine Taschenlampe vors Gesicht, daß ich ganz geblendet war und schob mich wieder zur Tür. Ich machte, daß ich fort­kam."

Den Mann haben Sie gar nicht gesehen? Auch nicht auf ihn draußen gewartet?

Wieder sah Garrian an dem Flirren der Augen die Angst Gunkels.Das würde wohl keiner gemacht haben, Herr Doktor. Der Mann hörte sich nicht so an, als ob mit ihm zu spaßen wäre.

Was für eine Stimme hatte er! Hoch tief?

Messerscharf ist der beste Ausdruck, Herr Doktor. Er zischelte so.

Abführen! befahl Garrian, nachdem auf sein Klingelzeichen ein Beamter eingetreten war. Gunkel verbeugte sich in seiner krieche­rischen Art und schlurrte hinaus.

Garrian überlegte. Die Geschichte Gunkels stimmte. Holländische Sammler hatten tele­grafisch bestätigt, daß sie römische Gold­münzen gekauft hätten Von der Fälschung wäre ihnen nichts bekannt. Einer von ihnen bestritt sogar die Unechtheit, in seinem Tele­gramm mit entrüsteten Worten Den Mann, der wie ein Bulle aussah. würde Gunkel nie­mals wiedererkennen Selbst, wenn er vor ihm stand! Das war klar. Man konnte ihn nicht zwingen. Blieb also nur ein einziger Hinweis. Das Hebbeltheater!

Unruhig erhob er sich und begann auf und ab zu gehen. Manchmal blieb er beim Fenster stehen. Hellbrunn hatte geäußert, daß Niko­laus Komay der Finanzmann des Hebbel­theaters, seine Münzensammlung dem Dr. Naumann angeboten habe.

Garrian versuchte, gleichgültig zu bleiben, seine Antipathie gegen Komay sollte iha nicht auf Irrwege führen. Aber immerhin hatte Gunkel im Hebbeltheater den Unbe­kannten getroffen. Der Mann mußte einen Schlüssel zum Bühneneingang besitzen und sich dort auskennen. Er mußte ferner genau wissen, wann der Wachmann auf seinem Rundgang dorthin kam.

Mit einem Ruck warf Garrian alle Bedenken von sich. Hier war eine Spur und der hatte er zu folgen.

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Der Patentanwalt Dr. Naumann war recht erstaunt, als ihm Garrian seinen Besuch in einer halben Stunde versprach, und beendete das Telefongespräch mit einem Ausdruck der Neugierde.

Garrian verließ das Polizeipräsidium um die gleiche Zeit, da Michaela sich von Komay vor ihrem Hause verabschiedete.

Doktor Naumann wohnte in einer der gro­ßen, eleganten Etagen am Kurfürstendamm. Die Gesellschaftsräume der Wohnung lagen nach vorn. Ein langer, dunkler Flur führte nach hinten zu einigen Räumen, die schlecht geschnitten waren, dafür aber die Aussicht auf einen Garten boten, den niemand in die­sem Häusermeer vermutete.

Es surrte leise, als Garrian auf die Klingel neben der Haustür drückte. Die Tür sprang auf.

Nachdem er das marmoi geschmückte Trep­penhaus mit vielen geschliffenen Spiegeln durchquert hatte, stieg er die mit dicken Läufern bedeckte Treppe hinauf. Man brauchte nicht Kriminalist zu sein, um zu erkennen, daß Doktor Naumann ein unge­wöhnlich hohes Einkommen haben mußte. Während der Lift zum vierten Stockwerk hinaufbeordert wurde und klickte, wenn er die einzelnen Etagen durchfuhr, öffnete im ersten Stock ein Diener bereits die Flurtür.

Es schien ein außergewöhnlich tüchtiger Diener zu sein. Seine Verbeugung war musterhaft, fast kavaliermäßig. Dafür hatte er ein wahrhaftiges Galgenvogelgesicht. Eine schmale, schiefstehende Nase und flinke, dunkle Wieselaugen. Er trug eine einwand­frei gebügelte Frackhose und ein gestreiftes Dienerjackett. Zuvorkommend griff er nach dem Hut Garrians und half beim Ablegen des Regenmantels, den er über einen Bügel hing. Dann lächelte er diskret, daß man zwei Goldzähne im Oberkiefer sah und flüsterte mit einer Verbeugung:Der Herr Anwalt ist im Gartenzimmer.

(Fortsetzung folgt)