HEIMATBLATT FÜR STADT UND LAND

CALWER ZEITUNG

DONNERSTAG, 20. NOVEMBER 1952

ÜBERPARTEILICHE TAGESZEITUNG

8. JAHRGANG / NR. 229

Bundestag lehnt überraschend Ratifizierung im November ab

SPD erhielt Zuzug aus der Koalition / Taktische Schlappe des Kanzlers

BONN. Zum ersten Male seit dem Bestehen des Bundestags hat die von der SPD geführte Opposition am Dienstag der Bundesregierung in einer entscheidenden politischen Frage eine völlig überraschende Niederlage beigebracht. Mit 179 gegen 166 Stimmen bei vier Stimm­enthaltungen lehnte das Plenum die Behand- lur.g der Gesetze über die deutsch-alliierten Verträge in zweiter und dritter Lesung in der kommenden letzten Novemberwoche ab.

Selbst Abgeordnete der Regierungskoalition stimmten gegen den aus ihren eigenen Rei­hen vorgebrachten Antrag einer so frühzeiti­gen Ratifizierung des Generalvertrags und des EVG-Vertrages.

Nach der Verkündung des durch Hammel­sprung erzielten Abstimmungsergebnisses brach ein Tumult im Plenarsaal aus. Während die SPD-Fraktion ihren Vorsitzenden Erich 01 - 1 e n h a u e r stürmisch feierte, machten die Abgeordneten der Regierungsparteien ihrer Empörung gegen dieAbtrünnigen aus ihren eigenen Reihen Luft und brachten ihre tiefe Enttäuschung zum Ausdruck. Die Sitzung muß­te minutenlang wegen des großen Lärms un­terbrochen werden.

In deutschen und alliierten Kreisen Bonns

hat der Sieg der SPD wie eine Bombe einge­schlagen.

Die Abstimmung wurde erforderlich, weil der Ältestenrat, der sich in zwei Sitzungen am Dienstag über den Ratifizierungstermin nicht einig werden konnte, dem Plenum die Ent­scheidung übertragen hatte. Daraufhin bean­tragte der CDU-Vertreter im Ältestenrat, Dr. Krone, vor dem Plenum, die Ratifizierungs­debatte am 26. und 27. November vorzuneh­men. Das SPD-Mitglied im Ältestenrat, der Abgeordnete Schüttle, lehnte dies namens der Opposition ahf

Jeljt ers'e Dezemberwoche?

BONN. Bundeskanzler Adenauer ist mit den Fraktionsvorsitzenden der drei Regie­rungsparteien übereingekommen, dem Bundes­tag die Abhaltung der zweiten und dritten Le­sung der deutsch-alliierten Vertragswerke in der ersten Dezemberwoche vorzuschlagen. Wie aus Kreisen der Koalitionsfraktionen verlau­tet, hat sich im Anschluß an die Bundestags­sitzung am Dienstagabend eine zum Teil leb­hafte Diskussion innerhalb der Regierungs­fraktionen über die Abstimmungsniederlage im Plenum entwickelt.

Erhöhte Sonderausgaben-Pauschale

Die Bundestagssitzung vom vergangenen Dienstag wurde durch zwei Ereignisse bestimmt: Die geschlossene Annahme einer westdeutschen Resolution gegen die Saarwahlen durch alle Frak­tionen, mit Ausnahme der Kommunisten , sowie durch die Ablehnung der von Bundeskanzler Adenauer und der Mehrzahl der Abgeordneten der Regierungsparteien gewünschten RatiM zierungstermine für die deutsch-alliier ten Verträge am 26. t 27. und 28. November. Das Tele - bild zeigt links den Kanzler bei der Verlesung seiner großen Erklärung zum Saarproblem, rechts den Führer der Opposition, Erich Ollenhauer, bei der Abgabe seiner Stellungnahme .

Bundestag begrenzt Fernlastzüge auf 15 m / Sicherung des Straßenverkehrs

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BONN. Der Bundestag, der in seiner Diens­tagsitzung einleitend dem israelischen Volk stehend sein Beileid zu dem Ableben des Staatspräsidenten Chaim W e i z m a n n aus­gesprochen hatte, nahm nach längerer und hef­tiger Debatte eine Novelle zum Einkommen­steuergesetz über eine höhere steuerfreie Pau­schale in zweiter und dritter Lesung an, durch die die Sonderausgabenpauschale um 13 DM monatlich auf 624 DM jährlich erhöht wird.

Der Bundestag erhöhte dann für eine Über­gangszeit von 2 .Jahren in allen 3 Lesungen

Erdrutsche in Italien

LUCCA. Die in den letzten Tagen in Ober- Italien niedergegangenen Wolkenbrüche haben im Gebiet von Lucca riesige Erdmassen ge­löst und wahrscheinlich vier Todesopfer ge­fordert. Unweit der Bäderstadt wurde ein am Berghang liegendes Haus verschüttet und völ­lig zertrümmert. Die vierköpfige Familie wur­de lebendig begraben.

Die Kälte bricht sich

HAMBURG. In weiten Teilen des Bundes­gebietes herrschte am Mittwoch wieder Tau­wetter. Die Temperaturen lagen nach Angaben des Meteorologischen Amtes in Hamburg mit Ausnahme von Süddeutschland über dem Ge­frierpunkt. Hamburg verzeichnete 4 Grad, Es­sen 1 Grad und Berlin 2 Grad Wärme, wäh­rend das Quecksilber in München noch bei minus 2 Grad lag. Aber auch für den Süden des Bundesgebiets rechnen die Wettersachver­ständigen mit einem Ansteigen der Tempera­turen.

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a kg und war nur 91 cm groß. Foto: AP

die Dienstaltersgrenze für Bundesrichter von 68 auf 72 Jahre, da die oberen Bundesgerichte sonst mit Ablauf dieses Jahres durch Verlust von 15 eingearbeiteten Richtern in ihrer Ar­beitsfähigkeit beeinträchtigt sein würden.

Quer durch alle Fraktionen ging der Mei­nungsstreit, als in der zweiten Lesung des Ge­setzes zur Sicherung des Straßenverkehrs der von dem FDP-Abgeordneten Dr. von Re­chenberg eingebrachte Antrag angenom­men wurde daß in Zukunft Fernlastzüge nicht länger als 15 Meter sein sollen, obwohl bisher 20 Meter vorgesehen waren. Dasselbe Problem hinderte das Plenum schließlich, das Gesetz in dritter Lesung schon am Dienstag endgültig zu verabschieden. In der Debatte blieb der Paragraph bestehen, daß derjenige bestraft wird, der ein Fahrzeug führt, obwohl er in­folge des ^emi^ses geistiger - -tränke nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wer Anlagen oder Beförderungsmittel beschä­digt, sich grob verkehrswidrig und rücksichts­los verhält, die Vorfahrt nicht beachtet, falsch überholt oder an unübersichtlichen Stellen zu schnell fährt.

Bemerkungen zum Tage

Eine verlorene Schlacht?

hr. Wenn in Paris alle paar Monate die Re­gierung wechselt, wenn sie sich in der Zwi­schenzeit mit ultimativen Vertrauensfragen nur mühselig über Wasser hält, so ist das in den Augen der Welt nichts Besonderes. Wenn aber das westdeutsche Parlament die Debatte über die Ratifizierung von Verträgen, die nach Lage der Dinge ohnehin frühestens im Früh­jahr 1953 Wirklichkeit werden können, vom 28. November auf die ersten Tage im Monat Dezember verschiebt, so gilt dieser Verfah­rensentscheid als Sensation ersten Ranges. Wir können das nicht so sehen wir möchten nicht eine Fahrplanänderung als Zugunglück be­zeichnen. Gewiß, der Kanzler hat zum ersten Male im Parlament eine Schlappe einstecken müssen. Das wird ihn in Zukunft zur Vor­sicht mahnen. Adenauer hat mit der Opposi­tion als Gegnerschaft gerechnet. Aber er hat übersehen, daß er durch sein unelastisches Be-

FDP zwischen rechts und links

harren auf dem Termin Ende November selbst das moralische Gewicht des höchsten Gerichts in die gegnerische Waagschale fallen ließ. Wenn die SPD jetzt jubelt, so jubelt sie zu früh. Nicht die Ausführungen Ollenhauers ha­ben den Ausbruch einzelner Koalitionsabge­ordneter bewirkt, sondern Höpker-Aschoffs zu­rückhaltend formulierte, aber deshalb nicht minder nachhaltige Bitte um einwöchige Ver­schiebung. Der Bundestag hat am gleichen Tage in der Saarfrage ein Beispiel seltener Einmütigkeit gegeben. Er hat auch in der Ab­stimmung über den Ratifizierungstermin unse­res Erachtens ausgezeichnet abgeschnitten. Dia Männer, die sich nicht treiben lassen, die sich gegen jede Politik dervollendeten Tatsachen sträuben, ehe das höchste Gericht in Karls­ruhe verhandelt hat, scheinen nicht die ver­antwortungslosesten zu sein. Wenn der Diens­tag eine Schlappe für Dr. Adenauer war, so weit er gleichzeitig ein Sieg des Parlaments, das klarmachte, daß es sich sein Recht zur Prüfung in keiner Richtung und von keiner Instanz beschneiden läßt. Die Ratifizierung im Dezember halten wir nach wie vor für sicher.

Entscheidender Parteitag in Bad Ems / Maier contra Middelhauve

BAD EMS. Der für die politische Zukunft der FDP entscheidende vierte Bundesparteitag der Freien Demokraten beginnt heute in Bad Ems mit einem Grundsatzreferat des ersten Parteivorsitzenden, Vizekanzler Blücher. Man erwartet von der Tagung eine Entschei­dung, ob die FDP weiterhin eine Partei des modernen Liberalismus bleibt oder ob sie zn einer nationalen Sammlungsbewegung ausge­weitet wird.

Trotz des in Essen beim außerordentlichen Parteitag im Sommer abgelegten Bekenntnisses zur Einheit der Partei hat es inzwischen er­hebliche Meinungsverschiedenheiten über den politischen Kurs innerhalb der FDP gegeben.

Zwei Strömungen stehen sich in der Partei gegenüber. Der Exponent der einen, der Mi­nisterpräsident von Baden-Württemberg, Rein­hold Maier, hat erst kürzlich vor einem drohenden Rechtsgalopp" gewarnt und damit auf die vor allem in Nordrhein-Westfalen ver­

tretene These derNationalen Sammlung an­gespielt, die nach übereinstimmender Ansicht politischer Beobachter auf einenRechtsdrall der FDP hinauslaufen würde.

Die hauptsächlichen Gegenspieler Maiers sind der Landes Vorsitzende von Nordrhein- Westfalen, Middelhauve, und der Landes­vorsitzende von Hessen, Euler, der vor einem Stuttgarter Linksrutsch warnt. Aber auch im eigenen Lande hat Maier seine Gegner. Der württ.-hohenzoll. FDP-Vorsitzende, Eduard L e u z e, hat sich von der Politik Maiers distanziert und an diePflicht nach rechts ge­mahnt.

Die Gefahr steht rechts sagt Maier, die Gefahr steht links erklärt Middel­hauve. Die Chancen, diese grundverschiedenen Auffassungen zu überbrücken und über die Gegensätzlichkeiten hinweg erneut eine kon- solidierung der Partei herbeizuführen, werden von den meisten politischen Beobachtern mit 50:50 angegeben.

Schwere Rückschläge in Indochina

Hiobsbotschaften trotz Zensur / Französischer Vorstoß abgebrochen

PARIS. Eine Hiobsbotschaft nach der ande­ren trifft trotz der strengen Militärzensur in Paris zurzeit aus Indochina ein. Obwohl sie im einzelnen verworren sind, ergibt sich aus ihnen das eine deutlich: Frankreich erlebt zur­zeit schwere militärische Rückschläge in Ton­king, dem nördlichsten der drei Teilstaaten Vietnams.

Der Blitzvorstoß aus dem inneren E .a des Roten Flusses nach Nordwesten, der die Spitze des französischen Stoßkeils 80 km tief ins Viet- minh-Gebiet gebracht hatte, mußte Hals über Kopf zurückgenommen werden. Die vorge­prellten französisch - vietnamesischen Kräfte; die die Versorgungslinien der am Schwarzen

Fluß kämpfenden Vietminh - Divisionen ab­schneiden sollten, drohten selbst abgeschni'.ten zu werden und in einen großen Vernichtungs­kessel zu geraten. Die amtlichen Berichte über den Verlust an Menschen und Material bei die­sem überstürzten Rückzug lauten beruhigend, doch dürften zumindest die Materialverluste nicht gering gewesen sein.

Die am Schwarzen Fluß stehenden Vietminh- Divisionen haben nicht nur ihre Versorgungs­linien nach Norden und nach China wieder ge­öffnet, ihnen ist es gleichzeitig gelungen, in breiter Front im Land der Thai-Stämme zwi­schen Quin-hai und Muong-sai den Schwar­zen Fluß zu überschreiten.

Männer am Mount Everest

mr. In der Flut weltpolitischer Ereignisse der letzten Tage fanden die Meldungen über den Kampf Schweizer Bergsteiger am Mount Eve­rest jene Beachtung, mehr noch: jene aufrich­tige Anteilnahme, die dieses kühne Unterneh­men einer friedlichen Eroberung des höchsten Berges der Welt verdient. Noch sechshundert Meter ... noch fünfzig Meter, meldete der Draht dann kam die fast tragische, noch unbestätigte Nachricht, daß die Expedition ge­scheitert sei, dreißig Meter unter dem Gipfel. Hat die Tschomolungma, dieMutter der Berge, wie der Mount Everest in der tibetani­schen Landessprache heißt, einmal mehr den Ansturm auf ihr eisstarrendes, windegepeitsch­tes Haupt abgeschlagen? Ist es der Natur in letzter Stunde gelungen, dieses unberührte Bollwerk, an dem sich Generationen mit fana­tischer Zähigkeit versuchten, vor der Bezwin­gung durch Menschenkraft zu beschützen? Wir wissen es noch nicht. Bestehen bleiben wird in jedem Fall eine heroische alpine Leistung, die eine Handvoll mutiger Männer in Höhen führte, die noch kein Mensch vor ihnen be­treten hat. Unvergessen bleibt das Zeugnis echter menschlicher Größe, wenn die Schwei­zer sich in greifbarer Nähe des Zieles der Ver­nunft beugten und die Umkehr dem Angriff auf die letzten dreißig Meter unter sinnlosen Opfern vorzogen Gleichgültig, ob Dr. Gabriel Chevalley, Raymond Lambert und ihren Ge­treuen die Bezwingung des höchsten Berges der Erde gelungen ist. sie werden in der Welt mit jener Achtung empfangen werden, die ihrer außergewöhnlichen Leistung gebührt.

Blauer Expreß verunglückt

VALENCE. Der alsBlauer Expreß be­kannte Schnellzug ParisRiviera ist am Mitt­woch unwert Valence mit mehr als 100 km Stundengeschwindigkeit auf einen Güterzug aufgefahren Ein Schaffner wurde getötet, 13 Fahrgäste und Bahnbeamte verletzt.