FREITAG, 14. NOVEMBER 1952
Die Tempelflut von Paestum
Lohnendes Ziel für Italienreisende / Sieben Jahrhunderte vor Christus Von unseren» Korrespondenten in Italien, Carlo G. Mundt
SALERNO. Am 5. August 1952 fanden sich unter den vielen Funden antiker Stücke, die täglich aus dem Grabungsboden von Paestum ans Tageslicht gefördert werden. Teile einer Zeusfigur aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. Bereits vor langer Zeit hatte man Einzelstücke dieser fast einen Meter hohen Statue geborgen, die sich durch ihre gut erhaltenen Farben im Schwarzen und Gelbbraunen, durch die herbe Schönheit und den Stolz der Haltung der sitzenden Gottheit auszeichnete.
Heute fehlt nur noch die Gesichtsfront des Gottes, der zu den hervorragendsten Stücken des Paestum-Museums gehören wird, das jetzt im November eröffnet werden soll Der Bau
Salerno, für' diese ungeheuren Arbeiten. Der Ceres-Tempel, der des Neptuns und jener, dem man fälschlich den Namen „Basilika“ gab, sind neben dem Forum die einzigen bisher bekannten archäologischen Dinge gewesen, die der zumeist flüchtige Besucher sah. In kurzer Zeit sind nun zwischen der Südmauer und der Grenze des Forums acht Nebentempel ans Tageslicht gekommen, die alle dem Hera-Kult geweiht sind. Wie stark der Glaube an diese Göttin der Fruchtbarkeit, die zumeist sitzend, mit einem Kind im Arm und in der anderen Hand eine Frucht, dargestellt wurde, war, beweist die Tatsache, daß es heute noch eine Kirche in der Nähe gibt, in der die „Madonna del Granato“ als genaue Abbildung der Hera dargestellt ist.
Die Opfergaben aus Ton sind zumeist zerbrochen, da die Priester bei „Überfüllung“ der Tempel die Stücke zerbrachen, um zu verhin dem, daß Gläubige sie erneut der Göttin darboten. Außer den festen Tempelresten wurden Kapitelle, Reste einer Goldkrone aus dem 6. Jahrhundert v. Chr., Elfenbeintäfelchen und Bronze-Statuen aus der gleichen Epoche gefunden. Die Tonarbeiten liegen in der Zeit zwischen dem 7. und dem 3 Jahrhundert v. Chr.
Damit wurde zum erstenmal unwiderlegbar bewiesen, daß die Gründung des Ortes durch die Sibariten im 7. Jahrhundert vor sich ging. Strabone sprach nur allgemein von der Landung der Sibariten und der Stadtgründung,
die Geschichte des Ortes kommt erst jetzt nach und nach an die Oberfläche. Kleine goldverzierte, wunderschön bearbeitete griechische El- fenbeinflguren aus dem 3. und 2 Jahrhundert v. Chr. runden die reichen ersten Funde ab, die nun Platz in dem schönen, schlichten und lichtreichen Museumsbau finden werden, der sich gegenüber den Zonen der Heiligtümer an der Nationalstraße 18 befindet.
Der Besucher ist im ersten Augenblick über die Stilfülle etwas verwirrt. Die Griechen gründeten den Ort, von dem aus sie nicht nur mit der grollenden Urbevölkerung der Eno- trier, die sich in die Berge zurückgezogen hatte, sondern auch mit den Etruskern Handel trieben, die sich bis Salerno vorwagten.
Sicherlich war Paestum schon vorher durch die Enotrier bewohnt, ein klarer Beweis fehlt dafür Gegen 400 v. Chr. eroberten die Lukanier die Stadt und „verbarbarisierten“ sie auch Später gründete hier Rom eine sehr treue Kolonie, die aber infolge des Abholzens der Berge und der eintretenden Versumpfung der Paestumzone und des Aufkommens der Malaria bald verwaist war Neben den griechischen Säulenresten sieht man so in der neuen Grabungszone die römische Kanalisationsanlage, die die Wasser abhalten sollte.
Bisher hat man nur einen Teil der Heiligtümer erforscht, der nächste Forschungsab schnitt umfaßt eine Zone von der anderen Seite des Forums, dem Neptuntempel zu, der sicherlich nicht Neptun geweiht war Und dann wird man in einigen Jahren an die eigentliche Wohnzone, die sich bis zum Meer erstreckt, herangehen, auf der heute der Bauer noch seinen Pflug zieht. Ein großes archäologisches Zentrum, das gut vom Fremdenverkehr zu erfassen ist, wird so für alle frei.
Widerstandsheld oder Verräter
Das Geheimnis von Zossen / Die Tagebücher / Canaris durch Oster überführt
Eine Säule des Italischen Tempels (Baubeginn 273 v. Chr.), im Hintergrund der Tempel des Neptun (450 v. Chr.) Aufn.: Stefani EPT
wurde 1947 geplant, er hat sich vor seiner Vollendung schon als zu klein herausgestellt, da seit dem Herbst vorigen Jahres auf dem Boden Poseidonias, wie es die Griechen nannten, am Südzipfel des Golfes von Salerno großzügige Grabungen durchgeführt werden, deren erste Erfolge alle Erwartungen weit iibertrafen.
Bisher hat man noch nicht einmal den zehnten Teil dieses Gemeinwesens, das über eine nicht ganz 5 km lange gut erhaltene Umfassungsmauer verfügt, die im Osten direkt der kleinen Bahnstation gegenüberliegt, erschlossen. .Und um ganz Paestum freizulegen, wird man schon bis in das 22. Jahrhundert hinein graben müssen, denn 200 Jahre veranschlagt der Leiter der Forschungen, Prof. S e s t i e r i,
MÜNCHEN. Das in München mit dem Freispruch der Angeklagten endende Verfahren gegen den Regierungsdirektor Huppenko- t h e n und den Kriegsgerichtsrat Dr. Thorbeck gehört zu jenen Prozessen, in denen weniger die Angeklagten und der Vordergrund ihrer Handlungen zur öffentlichen Debatte stehen, als vielmehr das Stück Zeitgeschichte, das sie blitzartig beleuchten. So interessierten sich die zahlreichen in- und ausländischen Prozeßteilnehmer auch weniger dafür, ob das Standgericht der damaligen Richter gegen Admiral Canaris, General Oster und die übrigen Vertreter der deutschen Abwehr sämtliche Formfragen beachtet hatte und damit im Sinne des heutigen Gerichtes als legal anzuerkennen war. Was sie sich vielmehr erhofften, war ein Blick in das geheimnisumwitterte Leben des im März 1945 hingerichteten einstigen Spionagechefs, dessen buntschillernde Persönlichkeit bis heute im Zwielicht blieb.
„Widerstandsheld oder Verräter?“ hieß die Frage, deren Klärung die deutsche Qffentlich- keit von diesem Prozeß erwartete. Obwohl durch Gerichtsbeschluß der Verteidigung die Untersuchung dieses politischen Kernstückes
Cowboy-Hemden nicht gefragt
PRAG. Höhepunkte westlicher Dekadenz sind für volksdemokratische Augen jene bunten Hemden, die in kapitalistisch verseuchten Ländern gemeinhin unter der Bezeichnung Waikiki-Hem- den in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen sind. Diese Erfahrungen machte kürzlich auch ein junger tschechischer Schiffer, der 20- jährige Stanislaw Dubsky vom CPLO-Kahn Nr. 455. Dubsky, der gerade auf dem Wenzeiplatz in Prag spazieren ging und dabei sein auf der letzten Fahrt nach dem Westen erstandenes, mit dem Bild eines farbenprächtigen und waschechten Cowboys versehenes Waikiki-Hemd zur Schau trug, wurde von einem um vieles unauffälligeren, ja geradezu verdächtig unauffällig, gekleideten Herren angesprochen. Der Unauffällige verlangte von Dubsky, er solle sofort und auf der Stelle, also auf dem Prager Wenzelplatz, sein Hemd ausziehen. Stanislaw, der diesen Wunsch ebenso ungewöhnlich wie ungebührlich fand, hörte sofort auf zu protestieren, als sich sein Gegenüber
als SNB-Beamter (tschechoslowakische Staatspolizei) auswies. Dubsky bat den „Geheimen" seine Kleider auf dem Schiff wechseln zu dürfen. Der SNB-Beamte notierte sich darauf die Personalien des jungen Matrosen und verkündigte ihm. er werde dafür sorgen, daß Stanislaw nicht mehr in den mit Waikiki-Hemden verseuchten Westen fahren dürfte. Nun, Dubsky hat seine Reise trotzdem gemacht. Sein prächtiges Hemd allerdings hat er erst jenseits des eisernen Vorhangs wieder angezogen.
„Hühnerbrühe mit Rum“
CAPRI. Eine sogenannte „Bar delikater Getränke“ eröffnete dieser Tage auf der Insel Capri. Die Getränkekarte sieht u. a. vor: „Halb und Halb Gurkensaft mit Milch“, „Hühnerbrühe mit Rum“, „Eisschokolade mit einem Schuß Pilsner“. „Rinderblut auf Indianisch mit Mokka“ und „Mö- veneicocktail d. h. ein Mövenei in Zitronensaft. Wodka Selterwasser und schwarzem Tee verquirlt.
verboten und die Verhandlung, ausschließlich auf die juristischen Details beschränkt wurde, hat sich in seinem Urteil das Gericht schließlich Huppenkothens grundsätzlichem Argument angeschlossen- „Jedes deutsche Gericht, ganz gleichgültig ob ein Kriegsgericht der Wehrmacht oder der SS oder ein ziviler Gerichtshof, hätte angesichts der vorliegenden Geständnisse und des Beweismaterials nach den geltenden Gesetzen nur auf Todesstrafe erkennen können!“
Die Fälle waren klar
Nach den dramatischen Erklärungen der Verteidigung sind die Abwehrchefs nicht r wegen Hochverrats, sondern wegen erwiesener Zusammenarbeit mit dem Feind verurteilt worden. Huppenkothen erklärte darüber hinaus, daß er sich auch keine moralischen Vorwürfe mache, als Staatsanwalt das Standgerichtsverfahren nicht so lange hinausgezögert zu haben, bis es das Kriegsende illusorisch machte. Nur echten Hochverrätern wie Stauf- f e n b e r g habe er menschliche Achtung bezeugen können, weil sie allein das politische Regime bekämpften, nicht jedoch „Leuten wie Canaris“, die seit Beginn des Krieges alles getan hätten, um den Sieg des Reiches zu sabotieren, und die des wirklichen Kriegsverrats überführt worden seien. „Die Fälle waren so klar“, sagte der Kriegsgerichtsrat Dr. Thorbeck, „daß ich schon nach drei Stunden Aktenstudium die Verhandlung eröffnen konnte. General Oster gab ohne alle Umschweife zu, mit dem Feind Verbindung auf genommen zu haben, um den Juli-Putsch vorzubereiten. ' h kam zu dem Eindruck, daß er mit seinem Leben abgeschlossen hatte. Selbstverständlich war angesichts dieses Geständnisses das Todesurteil wegen Kriegs- und Landesverrates klar.“ Auch der Heereschefrichter Dr. Sack, sowie die Angeklagten Gehre und Bon- h ö f f e r hätten nicht gezögert, sich zu ihren Taten zu bekennen. „Lediglich Canaris wollte unbedingt den Krieg überleben und behauptete, an der Verschwörung nur teilgenommen zu haben, um die Attentäter zu überführen. ,Ich war Abwehrchef und habe dienstlich mit-
Polizist als Spitzel
Eine Verhaftung in Westberlin
BERLIN, Der Westberliner Polizeioberinspektor Johannes Nuecker ist wegen ausgedehnter Spitzeltätigkeit für den sowjetzonalen Staatssicherheitsdienst (SSD) und passiver Bestechung verhaftet worden, wie jetzt aus Polizeikreisen bekannt wurde.
Nueckers Festnahme erfolgte in der vergangenen Woche, als er versuchte, wichtiges Geheimmaterial in den Sowjetsektor zu schaffen. Kriminalbeamte stellten ihn auf dem letzten Untergrundbahnhof vor der Sektorengrenze (Kochstraße), als er gerade in einen Zug in Richtung Ostberlin einsteigen wollte. Im Verlauf seiner ersten Vernehmung gab Nuecker zu, bereits seit neun Monaten für den SSD zu arbeiten. Nach seinen Angaben will er zu dieser Zeit bei einem Verwandtenbesuch im Ostsektor in eine Ausweiskontrolle geraten und von der Volkspolizei verhaftet worden sein. Als Polizeiangehöriger sei er dem SSD übergeben worden, der ihn aufgefordert habe. Spitzeldienste zu leisten, als er dieses Ansinnen abgelehnt habe, sei sein Bruder, der in leitender Stellung in einem Ostberliner volkseigenen Betrieb beschäftigt war, entlassen und gleichfalls verhaftet worden. Erst daraufhin habe er sich dem SSD zur Verfügung gestellt.
gemacht, um im geeigneten Moment zuzupak- ken!‘ war seine Einlassung.“
Das Standgericht habe ihm daraufhin seinen Stellvertreter General Oster gegenübergestellt. Oster sagte, „selbstverständlich hat Canaris wissentlich an der Verschwörung mitgewirkt.“ In diesem Augenblick ging Canaris auf Oster zu und rief beschwörend: „Oster, laß Dir doch erklären, ich habe das nur zum Schein getan!“ Dieser sei jedoch hart geblieben und habe erklärt: „Das stimmt nicht! Du weißt, daß ich nicht lüge!“
Die Feststellung, daß die zwölf umfangreichen Tagebücher Canaris’ mit den übrigen Geheimakten des Sicherheitsamtes bei der Annäherung des Feindes 1945 verbrannt wurden, konnte das Urteil nicht beeinflussen; um so größer ist der Verlust für die zeitgeschichtlich interessierte Öffentlichkeit. Huppenkothen erklärte, daß die Geständnisse der Canaris- Gruppe vor allem auf Grund der darin und in anderen Akten niedergelegten Selbstbekenntnisse erfolgt seien. Das belastende Material sei nach dem Attentat gegen Hitler in einem Panzerschrank in Zossen gefunden worden.
Klärung tut not
Der Nachgeschmack dieses zweifellos sensationellsten politischen Nachkriegsprozesses ist bitter. Statt reumütiger Angeklagter erlebte man Beamte des untergegangenen Reiches, die auf der moralischen Berechtigung ihres Tuns bestanden und kaum Zweifel darüber ließen, daß sie auch heute nicht anders handeln würden. Während der Staatsanwalt Canaris und die Seinen als für ihr Vaterland gestorbene Helden pries, beschuldigte die Gegenseite eben diese gleichen Männer erneut des gemeinen Verrates. Das Gericht aber, ängstlich bemüht, an einer Klärung des verhängnisvollen Vorwurfes vorbeizukommen, klammerte sich an die formale Frage, ob das fliegende Standgericht zur Urteilsfindung befugt gewesen sei oder nicht.
Der hier angehäufte Sprengstoff ist wahrhaft ungeheuer und es erhebt sich die Frage, ob nicht eine grundsätzliche Klärung, was ehrenhafter Widerstand gegen die Tyrannis und was ehrloser Verrat des Reichs und seiner Soldaten war, das Gebot der Stunde ist. Wenn sich tatsächlich Männer in höchsten Stellungen zu Organen des Feindes machten, dann sollte man an offizieller Stelle von ihnen abrücken — selbst auf die Gefahr hin, daß es sich um bisher gefeierte Namen handelt. Wir besitzen genügend echte Helden des demokratischen und christlichen Ausharrens gegenüber der Gewalt, deren Andenken wir es schuldig sind, niemanden zum Märtyrer zu stempeln, der es nicht verdient. P.
Einer trage des anderen Last
Von Friedl Eidens
„Du hast dich gar nicht verändert“, sagte er. Sie lächelte. „Das wäre schade — oder wolltest du mir nur zum Wiedersehen nach so viel Jahren ein Kompliment machen7“
Noch immer standen sie auf dem Bahnsteig, wo sie einander begegnet waren, der Wind pfiff durch das Eisengerüst und wirbelte Staub hoch. Er sah sie an, sie hatte einen schwarzen Schleier übers Gesicht gebunden, ihre Augen schimmerten wie früher, mit dem dunklen Rand um die belle Iris.
„Mein Zug geht erst in zwei Stunden“, sagte er, „und du, hast du Zeit?“
„Weißt du das nicht mehr? Ich hatte doch immer Zeit — im Gegensatz zu dir.“
Sie gingen die Bahnhofstraße hinunter, der Föhn hatte den Himmel aufgerissen, das Licht des Mittags lag wie Märzglanz auf den Steinen, und mitten im Gewühl war eine zarte helle Leere um die beiden, als seien sie ganz allein in den vertrauten Straßen.
„Wie klein die Welt ist“, stellte er fest.
„Das sagt man so . ., mir kommt sie furchtbar groß vor.“ Aber mußte sie nicht zugeben, daß dies Treffen seltsam war: gestern war er Sia ** ern SdhRf * n Hamburg angekommen, aus Südamerika — „nur um dir zu begegnen.“
, „Bist du noch immer so viel unterwegs“, fragte Sl€.
O ja, er war mehr auf Reisen als zu Hause.
Sie ging rasch und federnd, die Hände hatte * n die Taschen des Mantels vergraben. Dort [vchts bog der Weg zur Universität ab, sie schau- «n beide nicht hin; damals hatte sie noch die “tappe unterm Arm, dachte er.
■ frühlingshafte Wind, der mit jäher Wärme rtcc 6 hereinfegte, trug ihnen Fetzen einer ’? I J en Musik zu, ein Leierkasten orgelte — 'Jr i • .pbdte sie, „der Weihnachtsmarkt —“ und u™° n öffnete sich der Platz vor ihnen, mit dem „ Gew irr der Buden, die sich um das Mün- - bockten W ie frierende Vögel, hirio^ blieben stehen und schauten zum Turm Feim ’ n er rote Sandstein glühte in sanftem m-. Rundum duftete es nach Tannen, die Bäuschen sau her geschichtet zu Haufen, und zwirn!,?:;* “ en Buden schob sich ein lärmendes Getue!. Sie ließen sich mittreiben. Rauschgold
engel prunkten in starren gefältelten Gewändern, Christbaumschmuck gleißte, in silbernen und goldenen Kugeln spiegelte sich der blaue Himmel; Puppen, Holzpferde, Wägelchen, Wiegen, Hampelmänner, die an Stangen turnten, Lebkuchen, die glänzten wie dunkelbrauner Lack — der Markt war ein einziges Rascheln und Rauschen, ein Knistern und Orgeln. Ein Mann blies aus einem Ring Wolken von Seifenblasen, schillernd stiegen sie hoch, die ganze Luft schien von ihnen erfüllt, bis sie lautlos zerplatzten.
„So einen Weihnachtsmarkt stellt man sich immer in Schnee und Eis vor. sagte sie, „dieser ist wie ein Frühlingsfest.“ Sie kamen zum Südportal des Münsters; der Madonna, die darüber thronte, hatte ein Bombensplitter das Haupt abgeschlagen, aber noch preßte sie mit der zärtlichen Gebärde, die ihren ganzen Leib beseelte, das Kind an sich.
Sie traten in den leeren Raum, das Gestein strahlte violette Dämmerung aus, die Kälte umfing sie so plötzlich, daß sie fröstelnd die Mäntel schlossen.
Im Seitenschiff bauten zwei Nonnen die Krippe auf, Mit anmutiger Geschäftigkeit breiteten sie Moos zwischen künstlichen Felsgebirgen, der Stall stand schon da. er hatte ein tiefgezogenes Schindeldach. Noch drängten sich die Figuren im Hintergrund zusammen, eine schweigende Gesellschaft, indes die eine der Schwestern an dünnem Draht den Engel über dem ärmlichen Dach aufhängte; er pendelte leise hin und her mit weit gebreiteten Flügeln, die aussahen wie Tulpenblätter.
„Ich möchte gern etwas für deinen Jungen kaufen“, sagte sie, als sie wieder ins Freie traten. Er blieb stehen und schaute sie an.
„ .. daß du an meinen Jungen denkst?“ „Schließlich hätte es unser Junge sein können". sagte sie ruhig.
Sie kamen zu einem Stand, einer Oase mit unzähligen Kamelen, mit Mohrenfürsten schwarz wie die Nacht, mit Hirten und Beduinen.
„Meinst du. so etwas würde ihm Freude machen? Für die Krippe —“
„Er hat keine; er ist mehr für Eisenbahnen und Autos, fürs unbedingt Reale.“
Sie nickte „Vielleicht müßte man ihm ein bißchen erzählen — von anderen Wirklichkeiten?“ Er schwieg. „Ich hätte dich heiraten sollen", sagte er plötzlich.
Ein jähes wildes Entzücken durchfuhr sie — wenn er mich nur nicht ansieht, dachte sie. Dröhnend schlug die Uhr von der Höhe des Turms. „Mein Zug“, sagte er, „wir müssen uns eilen.“
Sie überquerten den Platz, der rasch in der Dämmerung versank; in den Buden schaukelten die Lampen mit rötlichem Schein.
„Erinnerst du dich? Sie berührte seinen Arm und wies auf die honigbraunen Kerzen, die farbenprangenden Wachsstöcke.
„Kaufen Sie, Madamei“ rief der dicke Wachszieher. Auf einem Bord, zwischen Kerzen, standen lauter Eselchen aus rotem Wachs, sie standen auf dünnen Beinen und hielten den Kopf gesenkt.
„Genau die gleichen hatte er vor acht Jahren“, sagte sie.
„Gefallen sie dir?“ In seiner Stimme schwang leise Ungeduld. Er legte das Geld auf den Tisch und drückte ihr das winzige Päckchen in die Hand; „komm, komm!“ sagte er.
Die Straße zum Bahnhof schien ihr endlos, sie gingen rasch und schweigend. „Macht dir das noch so viel Freude“, fragte sie, ich meine dies Hetzen und all der Betrieb mit dem Geschäft?“
„Das ist mein Element“, sagte er. Er sah nicht aus, als ob er sich in den letzten Jahren viel gefreut hätte.
Sein Zug stand schon bereit, es blieben ihnen noch sechs Minuten. Er neigte sich aus dem Fenster.
„Ich danke dir, sagte sie, „es waren zwei zauberhafte Stunden — vielleicht hätte ich sie nie erlebt, wenn du mich geheiratet hättest. Das ist wie mit Weihnachten, nicht wahr: die unerfüllten Wünschen bewahren ihren Glanz. Und das hier“, sie hob die Hand zum Fenster und hielt ihm sein Päckchen hin — „das bringst du dem Jungen mit. Ein Ese] ist entschieden realer als ein Auto Denk nicht ich machte mir nichts aus deinem Geschenk, doch du mußt wissen: ich hab schon ein rotes Eselchen daheim, das gleicht diesem hier aufs Haar, und wir sind einander sehr zugetan, weil — verzeih, du hast es mir nämlich geschenkt, damals zum Abschied. So etwas kann man leicht vergessen, man vergißt ganz andere Dinge, und du hast wenig Zeit, dich zu erinnern."
Ihr Gesicht unter dem schwarzen Schleier war ihm voll zärtlicher Heiterkeit zugewandt es war
das Gesicht der lächelnde Mund eines ganz jungen Mädchens.
Er beugte sich über ihre Hand und küßte sie.
Als der Zug aus dem Bahnhof rollte, entfaltete er das Päckchen. Bei dem wächsernen Eselchen lag ein flüchtig beschriebenener Zettel- .Einer trage des anderen Last.“
Kulturelle Nachrichten
Die Akademie für Erziehung und Unterricht in Calw ist dem Kultusministerium Baden-Württemberg unterstellt und von diesem offiziell übernommen worden. Das neue Bundesland besitzt somit zwei Akademien für Erziehung und Unterricht, die auf der Comburg bei Schwäbisch Hall und die in Calw
Das Pforzheimer Reuchlin-Museum soll bis zum Jahre 1955, dem 450. Todesjahr des deutschen Humanisten Johann Reuchlin. großzügig ausgebaut werden. Der Oberbürgermeister von Pforzheim Dr. Johannes Peter Brandenburg, hat die Bevölkerung aufgefordert, dem Museum aus Familienbesitz Stücke zur Vervollständigung des durch den Krieg stark reduzierten Bestandes des Museums zu überlassen. Es ist beabsichtigt, auch das Schmuckmuseum deT Stadt Pforzheim im Reuchlin-Museum unterzubringen.
Der Emir von Koweit hat zwei Millionen Pfund Sterling für die Gründung einer „Akademie" der Wissenschaften und Künste“ in Koweit zur Verfügung gestellt Die Akademie soll 750 einheimische und 250 ausländische Wissenschaftler aufnehmen und zu einem Zentral-Technikum des ganzen Naben Ostens werden.
Der in diesem Jahr zum erstenmal von der Stadt Braunschweig für das beste Jugendbuch verliehene Friedrich-Gerstäcker-Preis in Höhe von 1000 DM wurde unserem Mitarbeiter Kurt Lütgens für sein Buch „Der große Kapitän“ zuerkannt. In dem Buch schildert Kurt Lütgens das Leben und die Entdeckungsfahrten des Seemannes James Cook. „Der große Kaoitän“ Ist tm Verlag Westermann. Braunschweig, erschienen. Der Verlag bringt in diesem Jahr noch ein zweites Buch von Lütgens unter dem Titel „Der weiße Kondor“ heraus, welches das Schicksal eines der Konquistadoren Südamerikas behandelt.
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