I
„Guten Morgen, Hühnchen 1“
„Morgen, Mr. Delaway!“
„Was Besonderes, Hühnchen? Ihre Stimme klingt einfach nicht gerade lebenslustig, mein Schatz.“
Miss Boomei ignorierte die Anrede „Mein Scnatz“ und hatte sich seit fünf Jahren damit abgefunden, daß Mr. Delaway sie aus unerfindlichen Gründen „Hühnchen“ titulierte. Sie hob nur ein ganz klein wenig die Augenbraue und sagte:
„B. W. hat angerufen!“
Lionel Delaway sah seine Sekretärin frage. .. an.
,,.<arum brmgt Sie das so außer Fassung, H..ancnen? Ich weiß, B. W. ist augenblicklicn die große Nummer, der Regisseur, der auf der obersten Sprosse der Stufenleiter des Erfolges sitzt — aber deshalb brauchen Sie doch n....t die Fassung zu verlieren, Hühnchen.“ ....ss Boomei zuckte die Achseln. „Ich verliefe auch nicht die Fassung, Mr. Delaway — aber B. W. hat sie anscheinend verloren!“ Nachdem Miss Boomei diese Pointe abgefeuert hatte, stand sie auf und ging ins Nebenzimmer. Sie wußte, was nun kommen wurde, und sie freute sich darüber. Miss Boomei war eine Rarität in Hollywood, denn erstens war sie häßlich, und das allein bildet in der Stadt, wo vierzehn Schönheiten auf das Dutzend gehen, schon eine Sehenswürdigkeit, und zweitens hatte sie niemals in ihrem Leben den Wunsch gehabt, Filmschauspielerin zu werden! Und dies ist fast noch eine größere Kuriosität in Hollywood. Dabei war sie ein Machtfaktor, die rechte Hand von Lionel Delaway, und Lionel Delaway wiederum war der Direktor der „Stellenvermittlungsbüros für Filmstatisten“. Was das bedeutet, weiß jedes junge Mädchen, das die Sehnsucht hat, eine Filmrolle zu bekommen, und jeder junge Mann, der vom Glanz der Jupiterlampen träumt. Ohne Mr. Delaways Hilfe ist es ausgeschlossen, eine Rolle zu bekommen, denn keine der Filmgesellschaften engagiert jemanden, der nicht in Lioneis Kartothek geführt wird. Ueber 200.000 Namen hat diese Kartothek — über 200.000 Schicksale liegen gebündelt und registriert in dem großen Gebäude an der Lane-Avenue.
Lionel Delaway verlangte die Geheimnummer von B. W. — Benno Wynands —, aber er bekam keine Verbindung.
„Hühnchen, haben Sie eine Ahnung, was B. W. wollte?“
Miss Boomei nickte und deutete auf ein dickes Couvert, das sie ihrem Chef auf den Schreibtisch gelegt hatte.
„Ich hab‘ die Sache schon erledigt: B. W. verlangte nichts weiter als zehn Louetta Pris- sons!“
„Ein Double für Louetta Prissons?“
„Ja, anscheinend. Sie drehen doch den großen Abenteuerfilm ,Das Geheimnis der Oase Zibet* mit Louetta und Roger Rytlander. Ich glaube, mit den Atelieraufnahmen .sind sie schon fertig, jetzt wollen sie die Außenaufnahmen machen. Wahrscheinlich draußen, wo alle Wüstenfilme gemacht werden. Arabiens Sonne in kalifornischer Ausgabe. Kurz und gut: ich habe zehn Louettas ausgesucht aus der Kartothek. Die Bilder liegen in dem Couvert auf Ihrem Schreibtisch. Ich hätte die ganze Sache schon erledigt, wenn B. W. nicht so geheimnisvoll getan hätte. Er sagte nämlich zu mir: Miss Boomei, kein Mensch darf wissen, daß ich ein Double für Louetta anfordere.“
Lionel Delaway stieß einen kleinen Pfiff au_.
„Was meinen Sie — ein Reklametrick, Hühnchen?“
Miss Boomei zuckte die Achseln. Stillschweigend breitete sie die zehn Bilder vor Delaway au.
„Bitte: gleiche Körpergröße, Hüftweite, Gesichtsausschnitt usw. Die Haarfarbe bringt Antoine schon in Ordnung. Nr, 3 finde ich besonders gut.“
Lionel Delaway betrachtete Nr. 8, dann schüttelte er den Kopf.
„Nein, Hühnchen, lassen Sie sich nicht blenden von den blonden Haaren. Blond sein ist heute keine Kunst, höchstens Geschicklichkeit des Friseurs, aber Louetta hat Augen — ja, man kann schon sagen, ganz unwahrscheinliche Augen, man weiß nie, ob sie grün oder blau sind. Sie schimmern wie das Meer an einem Frühlingsmorgen, sie sind unergründlich, lockend . . .“
Miss Boomei lachte kurz auf: „Sie werden ja ganz romantisch, Mr. Delaway . . .“
Er sah sie an und zog eine Grimasse: „Werden Sie nicht eifersüchtig auf schöne Frauen, Hühnchen, das ist Ihrer unwürdig! Außerdem kommt es gar nicht auf meinen Geschmack an, B. W. hat zu bestimmen. Seien Sie lieb und verbinden Sie mich mit ihm.“
Er stopfte die Büder wieder ins Couvert zurück. Das Telefon summte, eine Sekunde später reichte ihm Miss Boomei den Hörer. Sie hielt schützend die Hand über die Muschel und flüsterte:
„B. W. persönlich — und nach der Stimme zu urteilen, am Rande eines Nervenzusammenbruchs.“
Lionel Delaway lächelte, denn Hühnchen liebte Uebertreibungen. Das Gespräch war trar kurz. Resigniert legte Delaway den Hörer auf, griff nach dem Hut und sagte:
„Ausnahmsweise scheinen Sie diesmal recht zu haben, Hühnchen. B. W. ist außer sich, es ist etwas los mit Louetta. Ich muß zu ihm, wo sind die Bilder und die dazugehörigen Kartothekkarten? Danke Hühnchen — machen Sie ein freundliches Gesicht, mein Schatz!“
Er tippte mit zwei Findern an den Hut und verschwand.
Eine Stunde später war er schon wieder zurück. Eine kleine steile Falte stand auf seiner Stirn.
„Ich bin für niemanden zu sprechen, Hühnchen. Geben Sie diesbezüglich Bescheid und kommen Sie dann zu mir herein.“
Sie gehorchte. Die gepolsterten Doppeltüren zu Lionel Delaways Privatkontor schlossen sich, eine rote Lampe flammte auf, das Zel-
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ROMAN von HEINRICH CA R TEEL
chen, daß jede Störung stengstens verboten war.
„Hühnchen. B. W. kann keine von den zehn Louetta Prissons gebrauchen, die Sie ausgesucht haben. Die Sache ist verteufelt kompliziert. Er will jemanden, der noch nie gefilmt hat und völlig unbekannt ist in den Ateliers. Dabei muß dieser Jemand wie Louetta Prissons Doppelgängerin wirken und reiten können — perfekt reiten, Hühnchen, eine Doppelgängerin, die bei 40 Grad im Schatten so frisch ist wie eine Forelle im Gebirgsbach, die Strapazen erträgt, Gefahren, Durst und Wüstensand . . .“
„Vielleicht noch ein paar Kleinigkeiten?“ fragte Miss Boomei sarkastisch. „Was denkt sich B. W. eigentlich? Und warum das alles?“ „Später, Hühnchen -- später werde ich Ihnen alles erklären. B. W. hat sich eine Sache in den Kopf gesetzt, die meiner Meinung nach undurchführbar ist — aber das geht mich nichts an. Das eine steht nur fest: Louetta Prissons macht nicht mit — sie streikt ganz einfach, und das kann ihr kein Mensch übelnehmen! Aber auch das geht uns nichts an, Hühnchen, unsere einzige Aufgabe ist, jemanden zu beschaffen, der auf B. W.‘s irrsinnige Bedingungen eingeht. Und ich habe ihm in die Hand versprochen, daß ich ihn nicht im Stich lasse! Hühnchen, wo kriegen wir ein solches Double her?“
Miss Boomei überlegte.
„Wir haben in der Kartothek eine ganze Reihe sogenannter „hoffnungsloser Fälle“. Leute, die sich bei uns haben eintragen lassen, aber bisher noch keinerlei Chancen hatten, irgendwie berücksichtigt zu werden. Schließlich bevorzugen die Filmgesellschaften Leute, die Routine oder wenigstens eine Theaterschule hinter sich haben. Aber die vielen, die sich melden, weü sie der Ansicht sind, so schön zu sein wie Hedy Lamarr oder so intellektuell wie Kathrin Hepbum, und nichts weiter aufzuweisen haben als nur diese gute Meinung über sich selbst — ja, die enden meistens in unserer Rubrik .hoffnungslose Fälle*. Geben Sie mir zehn Minuten Zeit . . .“ Sie verschwand.
Es dauerte nicht zehn Minuten, sondern zwei Stunden, aber dann sagte Lionel Delaway:
„Hühnchen, Sie sind eine Perle!“ Er betrachtete das Bild, das vor ihm lag. Ein süßes Mädchengesicht mit großen, träumenden Augen und einem feingeschwungenen, sehnsüchtigen Mund. Das süberblonde Haar fiel in weichen Wellen bis zu den Schultern herab. Er las die Kartothekkarte durch, die noch keinerlei Anmerkung aufwies, daß die Besitzerin irgendeinmal im Film Verwendung gefunden hatte.
„Na?“ fragte Miss Boomei.
Lionel Delaway warf ihr eine Kußhand zu. „Louetta Prissons zerspringt vor Eifersucht! Sie sind ein Schatz, Hühnchen!“
Das war das dritte Mal an diesem MorgeL, daß Lionel Delaway zu Miss Boomei „Schatz“ sagte. Diesmal war es aufrichtig gemeint.. Dann griff er zum Telefon.
* *
Daniela horchte, sie hörte Schritte die Treppe heraufkommen. Jetzt blieben sie auf dem Treppenabsatz stehen, jetzt gingen sie weiter und kamen näher.
Daniela stand ganz still und wagte nicht zu atmen. Sie drückte sich an die fleckige Tapete, die einmal pastellfarbig gewesen war, aber nun verblichen und staubig in Fetzen herabhing. Ihr Blick fiel auf den Teppich mit dem großen Loch am Rand, er wanderte weiter zum Fenster. Die Scheiben waren ungeputzt, und doch konnte man ein paar grüne Baumkronen erkennen. Auf einem kleinen Tischchen stand ein Telefon; es war die Quelle ihrer Enttäuschungen. Seit drei Monaten wartete sie jeden Tag, daß man sie anrufen sollte. Und seit drei Monaten wartete sie jeden Tag vergeblich. Natürlich klingelte das Telefon ab und zu, aber stets war es nur irgend etwas Gleichgültiges und niemals der Anruf vom Vermittlungsbüro für Filmschauspieler. Sie wußte, daß man ihre Nummer dort kannte, sie hatte selbst gesehen, wie sie auf eine Kartothekkarte eingetragen worden war. „Wir rufen an, wenn etwas für Sie ist“, hatte das freundliche Fräulein, das wie Myraa Loy aussah, zu ihr gesagt. Aber niemals hatte jemand angerufen. Und, wenn sie selbst dorthin telefonierte — man konnte es übrigens nur ein oder zweimal wagen, das dritte Mal bekam man schon keine Auskunft mehr — dann bekam man die stereotype Antwort: „Es war nichts für Sie bis jetzt. Warten Sie auf unseren Anruf . . .“
Wenn nur Mrs. Mooni, die Wirtin, nicht kam! Aber es waren ihre Schritte, die Daniela auf der Treppe hörte. Mrs. Mooni hatte gesagt, daß sie die Miete bis vier Uhr nachmittags haben müßte, sonst hätte Daniela das Zimmer zu verlassen. Es waren genug Anwärter dafür da. Zimmer sind knapp in Los Angeles, täglich speien die Expreßzüge Scharen von Menschen aus, die ihr Glück machen wollen und vom Zauber der Filmmetropole angelockt werden. Aber täglich fahren auch Scharen enttäuschter Menschen wieder zurück. Und diejenigen, die zurückfahren können, sind noch die glücklichen. Viele bleiben vergeblich da — und, wo sie enden, verschweigt man besser.
Nun gingen die schweren Schritte durch den Korridor, nun waren sie an der Tür. Aber sie gingen vorbei! Gott sei Dank, noch ehe Gnadenfrist ... Daniela hatte nicht die ge
ringste Ahnung, wo sie die Miete für das Zimmer herbekommen sollte. Sie hatte gestern abend immer wieder ihre Barschaft überzählt. Sie besaß gerade so viel, daß sie eine Fahrkarte nach Chilowa (Kansas) bezahlen konnte. Dieses Geld zur Rückreise rührte sie nicht an. Das war tabu, es war das, woran man sich halten konnte, wenn alles zu versinken schien. Daniela hatte das Geld in einem kleinen, altmodischen seidenen Beutel aufbewahrt, und bis heute hatte sie noch nicht gewagt, die Schnur des Beutels aufzumachen.
Sie ging zum Fenster. Das Haus, in dem Mrs. Mooni ihre Fremdenpension führte, lag auf einem HügeL Wie eine Schale voll Licht lag Los Angeles in den Abendstunden vor einem ausgebreitet, und dort drüben auf den Bergen war Santa Monica, wo die Glücklichen, die auf der Stufenleiter des Filmes nach oben gekommen waren, ihre Villen hatten. Und dort, auf der anderen Seite, Culver City, das Herz der Filmstadt, der Brennpunkt der Sehnsucht. Dort lagen die hohen, weißen Gebäude der Filmgesellschaften, dort glühten Tag und Nacht die Lampen, dort arbeitete man, dort pulste das Leben. In der ersten Woche war Daniela Simpson Tag für Tag dorthin gegangen, verzaubert, berauscht. Wie hypnotisiert hatte sie auf das riesige Eingangstor der Tromego-Filmgesellschaft gestarrt. Sie sah die Wagen der Stars kommen und gehen, und erhaschte den kurzen Anblick des einen oder anderen, dessen Name in meterhohen Lettern von den Anschlagsäulen der ganzen Welt leuchtet. Sie hatte dagestanden — sie, Daniela Simpson aus Chilowa, hatte die Hände geballt und gemurmelt: „Ich will auch durch dieses Tor einmal fahren, ich will auch nach oben!“
Aber wünschen allein nützt nichts. Millionen solcher Wünsche werden jeden Tag in dieser grausamen, glitzernden Stadt ausgesprochen, Wünsche allein sind nutzlos! Das Geld schmilzt zusammen. Aus dem kleinen Familienhotel zieht man in eine billige Pension. Man spart am Essen, weil man an der Kleidung nicht sparen darf. Aber auch hungern hat seine Grenzen! Die Augen bekommen einen unnatürlichen Glanz, die Hände zittern, so sehr man es auch zu verbergen sucht. Die Leute in Los Angeles haben einen nüchternen Blick dafür. Sie kennen diese Symptome. Und dann fehlt es nicht an guten Ratschlägen: „Fahr wieder nach Hause, Kind! Das Leben ist hier hart und grausam. Zu Hause ist es besser!“ Ja — so ist es, nicht anders. Und nun war die Reihe auch an Daniela gekommen. Nun würde sie das Billett kaufen. Heute nachmittag! Und dann würde sie in den Zug steigen, Los Angeles würde verschwinden, der Traum war zu Ende, und zu Hause wartete nichts anderes als ein bescheidenes, ruhiges Leben ohne Spannung, ohne Träume.
„Nein!“ unwillkürlich hatte Daniela laut gesprochen. Sie sah sich in dem Spiegel. Ihre dunkelblauen Augen waren noch größer geworden in den letzten zwei Wochen, die Linie des Mundes noch weicher, sehnsüchtiger. Die schmalen feinen Hände griffen in das silbrige Blond der Haare und teilten sie vorsichtig in einzelne Strähnen. Auf ihre Haare war sie sehr stolz, sie konnte konkurrieren mit Veronika Lake, kein Zweifel, sie konnte es. Aber es genügte ja nicht, daß sie das selbst wußte.
Was würde Benny sagen, wenn sie heim kam? Sie lächelte, denn sie wußte genau, was Benny sagen würde: „Ich hab es gewußt, du paßt nicht dorthin Komm, ich hab einen neuen Zaun um den Blumengarten gebaut, komm, das Haus wartet auf dich, wann wollen wir heiraten?“
Benny war gut, Benny war der beste Mann, den man sich denken konnte. Er liebte Blumen und Kinder, er hatte ein gesichertes Auskommen und er hatte sie lieb. Er hatte sie auch einmal geküßt, damals nach dem Fest im Gemeindehaus. Sie trug ein rosenfarbenes Tüllkleid, mit einem schwarzen Samtschleif- chen besetzt, eine rosa Camelie im Silber- Blondhaar. Er hatte sie geküßt, und sie hatte ihn geküßt. Aber heimlich hatte sie gedacht: ist das alles? Ist es das. was die Menschen Liebe nennen? Das was einen heiß und wild macht, was weh tut in süßem Schmerz? Nein — es war nichts derartiges gewesen. Und nach diesem Abend war noch die Sehnsucht stärker in ihr geworden, heißer, begehrender. Die Sehnsucht nach dem Leben, die Sehnsucht, einmal jenen Mann zu treffen, den sie wirklich lieben konnte. Sie konnte es nicht mehr aus- halten In Chilowa, wo nur einmal am Tag der Expreß hält, als Bindeglied zur großen Welt.
Sie hatte von ihrer Großmutter ein paar Hundert Dollar geerbt. Großmutter hatte ausdrücklich bestimmt, daß Daniela ‘mit dem Geld machen sollte, was sie wollte, denn sie war die einzige gewesen, die Daniela richtig verstanden hatte. Großmutter hatte sich selbst nie wohl gefühlt in Chilowa.
„Laß dich hier nicht begraben, Danny“, hatte sie gesagt. „Ich habe es einmal getan, damals, als ich jung war. Ich gab nach, weil alle drängten — aber ich habe es mein Leben lang bereut. Gewiß, ich habe es gut gehabt bei deinem Großvater, und das Leben ist gut zu mir gewesen Aber das große, berauschende Glück, das habe ich nicht kennengelernt, das ist vorbeigegangen. Laß dich doch nicht narren. Danny — hol dir das Glück . . “
Keiner konnte sie zurückhalten, als sie sagte, daß sie nach Hollywood wollte. Man lächelte über sie, und Tante Lo, bei der sie nach dem Tode der Eltern wohnte, hatte über ihr Haar gestrichen und gesagt: „Alle jungen Mädchen haben solche Träume. Es ist das Beste, selbst einmal zu sehen, was es für Seifenblasen sind
die einem Hollywood vorgaukelt. Reise nach dem sogenannten „Filmparadies“ — du wirst doch wiederkommen. Du hast ein Zuhause, vergiß das nicht . . .“
Und nun sollte sie zurückfahren? Ohne Erfüllung — nur mit einer noch viel größeren Sehnsucht im Herzen? Es war so grausam . . .
Sie begann ganz mechanisch ihr Haar zu bürsten. Sechsmal nach rechts, sechmal nach links, und dann wieder von vorne. Sie dachte nach, ein singendes, saugendes Schwindelgefühl stieg dabei in ihr auf. Sie hatte seit drei Tagen nichts Warmes mehr gegessen . . .
Das Telefon läutete. Daniela erstarrte, polternd fiel die Bürste zu Boden. Das Telefon...
Aber nein, es konnte ja nicht der ersehnte Anruf sein, dazu war es zu spät. Man hatte ihr gesagt, daß man immer zwischen 10 und 14 Uhr anrufen würde, wenn eine der Filmgesellschaften für sie Verwendung haben werde, jetzt war es schon 15 Uhr. Sie wollte nicht den Hörer nehmen, sie wollte nicht wieder enttäuscht werden, sie war körperlich einfach nicht mehr stark genug dazu.
Es läutete wieder. Sie drehte sich langsam um, sie wollte sich keine Hoffnungen machen, sie wollte nicht, wollte nicht . .
Dann sagte sie ihren Namen. Eine sonore Männerstimme antwortete. Es brauste in ihren Ohren, sie konnte nicht richtig verstehen. Sie hörte nur ein Wort,' und alles Blut strömte ihr zum Herzen.
„Ja“, schrie sie aufgeregt — sie dachte wenigstens, daß sie schrie, in Wirklichkeit WBr ihre Stimme nicht viel lauter als ein Flüstern. „Ja, ich kann nicht verstehen . . . Mr. Delaway? Ist das ein Scherz?“ Sie versuchte ihr Zittern zu beherrschen. Delaway — den Namen kannte jeder, jeder wußte, wer das war. Und irgend jemand erlaubte sich, mit ihr einen Scherz zu machen. Einen häßlichen Scherz. Als ob man einem Verdurstenden ein Glas Wasser hinhielt, um es im letzten Moment vor seinen Augen lachend auszugießen.
„Können Sie mir nicht sagen, wer dort spricht? Also an Mr. Delaway glaube ich nicht, nennen sie einen anderen Namen..."
Die Stimme am anderen Ende der Leitung sprach lange und eindringlich. Daniela hörte nur, wie sie selbst ab und zu „ja“ sagte, sie merkte, daß sie nickte, ohne zu bedenken, daß der andere dies doch nicht sehen konnte. Schließlich legte sie den Hörer auf — sie hatte zum letzten Mal „ja“ gesagt.
Einen Moment lang saß sie wie betäubt. Sie starrte auf das Telefon, sie hatte das Gefühl, nicht das geringste zu begreifen. Es war so unerwartet gekommen und erschien so unwahrscheinlich . .
Draußen schlug eine Uhr. Das weckte sie. Sie sprang auf, riß die Tür auf.
„Mrs. Mooni, Mrs. Mooni!“
Was sollte sie zuerst tun? Sie konnte ja gar nicht fertig werden, irgend jemand mußte ihr helfen. „Mrs. Mooni!“
Die dicke Pension s wirtin erschien.
„Warum schreien Sie so? Sie haben nicht den geringsten Grund, so viel Lärm zu machen. Jemand, der seine Miete . . .“ Daniela starrte auf die Frau. Sie sah daa verbitterte, mißgünstige Gesicht. Auch Mra. Mooni war einmal schön gewesen, jetzt waren die Züge verwaschen und auseinandergeflossen.
Daniela riß den kleinen Seidenbeutel auf und nahm ein paar Geldscheine. „Hier, dl« Miete!“
Die Frau schluckte, sie stotterte: „Ich meinte es nicht so, Miss Simpson, ich erschrak nur, weil sie so laut nach mir riefen. Es ist in Ordnung — Sie können hier wohnen bleiben . . .“
Daniela schüttelte den Kopf: „Nein, ich...’ Aber sie fuhr nicht fort. Es fiel ihr ein, dal die Stimme am Telefon gesagt hatte, daß sk mit keinem über die Angelegenheit Sprecher dürfe.
„Nein, Mrs. Mooni — ich werde wohl heim fahren!“
„Wann? Heute?“
„Ja, wahrscheinlich schon heute. Ich geh« jetzt fort. Mein Koffer wird abgeholt . .
Mrs. Mooni verschwand. Daniela hatte nun alles Interesse für sie verloren. Eine Mieterin, die bezahlt hatte und auszog war ihr vollkommen gleichgültig.
„Adieu, Mrs. Mooni“, rief Daniela.
Sie erhielt keine Antwort * * *
„Haben Sie mich verstanden?“ fragte B. W. Er rauchte eine dicke schwarze Zigarre und saß in einem der schweren Ledersessel in seinem Privatkontor.
„Ja“, nickte Daniela, „ich glaube, ich hab« alles verstanden Ich soll das Double von Louetta Prissons sein . . .“
Der Regisseur sprang auf, es war erstaunlich, wie elastisch der korpulente kleine Herr war.
„Nein, nein, nein! Ist denn das so schwer zu begreifen? Sie sollen nicht das Doubl« sein, Sie sollen Louetta selbst sein! Sie sind von heute — von dieser Minute an Louetta Prissons! Die wirkliche Louetta ist verschwunden, existiert nicht mehr, ist ausgelöscht, bis zu dem Augenblick, in dem der letzte Meter Film gedreht worden ist Dann verschwinden Sie, kleine Miss Simpson ■— und die richtige Louetta taucht wieder auf! Sehen Sie, die Hauptsache ist doch, daß das Publikum nicht wissen darf, daß Louetta Prissons nicht im Irak war, als wir die Außenaufnahmen des Filmes drehten. Das Publikum soll denken, daß all die Dinge, die dort geschehen, von Louetta selbst erlebt worden sind. Aber Louetta will nicht mitmachen, sie hat keine Lust, die wirkliche Wüste kennenzulernen! Sie hat Angst vor Hitze und Staub, vor Strapazen und wahrscheinlich auch vor den Beduinenstämmen. Denn, darin besteht ja der große Wert dieses neuen Filmes: ich drehe ihn nicht mit Statisten, sondern mit echten Eingeborenen. Ich will keine aufgebaute Oase mit Palmen aus Pappe und Felsen aus gemaltem Holz uno Arabern, die im Privatberuf vielleicht Mechaniker oder Bäckergesellen sind — ich will dort filmen, wo noch keiner war. W ^ starten in Bagdad... Uebrigens, wie alt sin - Sie?“
(Fortsetzung folg!)