DONNERSTAG, 6. NO VEMBBR 1958
Oesterreich protestiert
Äußerungen Dr. Dehlers
BONN. Der Chef der österreichischen Ver- bindungsstellen in der Bundesrepublik, Gesandter Dr. Josef Schöner, hat bei Staatssekretär Prof. Walter Hallstein Protest gegen Äußerungen des Bundesjustizministers Dr. Thomas Dehler eingelegt. Von österreichischer Seite in Bonn verlautet gestern, daß der Protest vorbehaltlich der Richtigkeit der Dr. Dehler zugeschriebenen Erklärung erfolgt sei. Der Bundesjustizminister soll am vergangenen Sonntag in Göttingen während der Diskussion nach seiner Wahlrede über die Eindrücke seiner Österreichreise gesagt haben: Dort mästen sich die ÖVP und die SPÖ, die schwarz-rote Koalition in Wien, am deutschen Eigentum.“ Der österreichische Protest soll, wie ferner verlautet, auch Bundeskanzler Dr. A d e n a u er vorgetragen werden, wenn nicht in der Zwischenzeit eine zufriedenstellende Erklärung des Bundesjustizministers erfolgt.
K assenärzte-Gesetj
Entwurf jetzt beim Bundesrat
BONN. Die Bundesregierung hat dem Bundesrat den Entwurf eines Kassenarztgesetzes zugeleitet. Dieses Gesetz soll, wie es in der Begründung heißt, die Selbstverwaltung als gemeinsame Einrichtung der Kassenärzte und der Krankenkassen wieder voll wirksam werden lassen. Dabei soll der Zusammenarbeit auf örtlicher und Bezirksebene besonderes Augenmerk geschenkt werden.
Für die Versicherten wird in dem Entwurf, der im Bundestag noch nicht debattiert worden ist, vorgeschrieben, daß sie ihren Arzt nicht ohne triftigen Grund wechseln. Näheres soll ein Bundesausschuß bestimmen, in dem Kassenärzte, Krankenkassen und Unparteiische vertreten sind. Nach dem Gesetzentwurf kann der Bundesausschuß insbesondere bestimmen, daß der Versicherte seinen Arzt erst nach einem Jahr wechseln darf. Ausnahmen sollen genehmigungspflichtig sein.
Der Kassenarzt ist zu Hausbesuchen nur in dringenden Fällen verpflichtet. Wenn zu einem Hausbesuch ein entfernt wohnender Arzt gerufen wird, obwohl ein anderer Kassenarzt näher wohnt, so soll der Kranke die Mehrkosten tragen. Der Versicherte hat Anspruch auf diejenige ärztliche Versorgung, die „zweckmäßig und ausreichend“ ist.
Huppenkothen freigesprochen
MÜNCHEN. Der 44jährige SS-Standarten- führer und Regierungsdirektor im Reichssicherheitshauptamt, Walter Huppenkothen, und der 40jährige frühere SS-Sturmbannfüh- rer und Inspektionsrichter Süd der Waffen-SS, Dr. Otto Thorbeck, wurden am Mittwoch vom Schwurgericht München von der Anklage der Beihilfe zum Mord an dem deutschen Abwehrchef, Admiral Wilhelm C a n a r i s , und vier weiteren Widerstandskämpfern freigesprochen, weil ihnen nicht nachzuweisen sei, daß sie das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit ihres Handelns gehabt hätten. Die Haftbefehle wurden aufgehoben
Huppenkothen war bereits im Februar 1951 von der gleichen Anklage freigesprochen, wegen Aussageerpressung und Körperverletzung im Amt jedoch zu 3 V 2 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hatte dieses Urteil als Revisionsinstanz aufgehoben und den Fall an das Schwurgericht München zurückverwiesen.
Lediglich eine Zuchthausstrafe von 2 Jahren für einen der drei Fälle von Aussageerpressung wurde rechtskräftig. Das Schwurgericht erklärte diese Strafe auf Grund der dreijährigen Untersuchungshaft als verbüßt
Das Gericht erkannte an, daß die Handlungen der Canaris-Leute „nach damaligem Recht objektiv den Tatbestand des Hoch- und Kriegsleiteten Standgericht keine Formverletzungen Verrats erfüllten“ und dem von Thorbeck ge- •flachgewiesen werden könnten.
Das Ende der Spruchkammern
Nach dem 31. Dezember keine neuen Säuberungsverfahren mehr
Drahtbericht unserer S
STUTTGART. Das Stuttgarter Kabinett hat der Landesversammlung den Regierungsentwurf für ein Gesetz über die Beendigung der politischen Säuberung in Baden-Württemberg zugeleitet. Darin ist vorgesehen, daß die politische Säuberung bis zum 31. März 1953 abgeschlossen sein muß. In diesen Tagen sollen die Spruchkammern ihre Tätigkeit einstellen. Darnach werden nur noch auf Wunsch sogenannte „politische Unbedenklichkeitsbescheinigungen“ ausgegeben. Nach dem 31. 12. 1952 dürfen keine neuen Spruchkammerverfahren mehr eingeleitet werden.
In den Entwurf sind jeweils die Bestimmungen aus den alten Gesetzen der drei Länder aufgenommen worden, die sich am günstigsten für die „Betroffenen“ auswirken. Es sollen sich „Schuldige“ („Belastete“) wieder um ein öffentliches Amt bewerben können. Den „Hauptschuldigen“ dagegen wird dieses Recht nicht wieder zuerkannt. „Belastete“ („Schuldige“) sollen nach Ablauf einer bestimmten Frist auch wieder wählbar sein, „Hauptschuldige“ dagegen nicht. Die Höchstgrenze der Unterhaltsbeihilfe für „Belastete“ („Schuldige“) und „Hauptschuldige“ und ihre Familienangehörige soll den Betrag nicht überschreiten dürfen, den der „Betroffene“ am Tage seines Ausscheidens aus dem Amte als Versorgung erhalten hätte.
Einheitlicher WahHermin
th. STUTTGART. Die Landesversammlung in Stuttgart hat am Mittwoch das umstrittene Gesetz über die Gemeinde- und Kreistagswahlen in Südbaden verabschiedet, das den im November dieses Jahres fälligen Wahltermin auf den November 1953 verlegt und die Mandate der Gemeinderäte und Mitglieder der Kreisversammlungen um ein Jahr verlängirt. Grund für die Verschiebung der Neuwahl ist, daß man im neuen Bundesland zu einheitlichen kommunalen Wahlterminen kommen will.
tuttgarter Keoacctton
Eine ausführliche Diskussion ergab sich im Anschluß an eine große Anfrage der CDU über die Ansiedlung heimatvertriebener Bauern und Jungbauem. In der Begründung der Anfrage gab Dr. Werber (CDU) die Anregung, eine „nationale Bauernhilfe“ ins Leben zu rufen. Er führte an, daß von den 300 000 heimatvertriebenen Bauernfamilien etwa 23 000 angesiedelt worden seien, davon 1950 im ehemaligen Land Württemberg-Baden. Vertriebenenmini- ster Fiedler sagte in seiner Antwort, eine umfangreiche Aktion in dem vom Interpellanten gewünschten Sinn könne erst dann in Angriff genommen werden, wenn der Bundestag das Vertriebenengesetz und das Baulandbeschaffungsgesetz verabschiedet habe.
Geldstrafe im Eidiberg-Prozeß
Mißstände jedoch festgestellt
WIESBADEN. Die im sogenannten „Eichberg-Prozeß“ vor der Dritten Strafkammer des Wiesbadener Landgerichts angeklagten Journalisten Michael Heinze-Mansfeld, Rudolf Sievers und Karl Beckmeier wurden gestern zu insgesamt 1050 DM Geldstrafe verurteilt Die Angeklagten werden gegen das Urteil Revision einlegen.
Die Journalisten hatten in der illustrierten Wochenzeitschrift „Der Stern“ einen Bildbericht über Grausamkeiten, die in der Landesheilanstalt Eichberg im Rheingau verübt worden sein sollen, veröffentlicht. In der Urteilsbegründung wies der Vorsitzende darauf hin, daß die Strafkammer nicht die Verhältnisse auf dem Eichberg zu prüfen, sondern festzustellen gehabt habe, ob die Veröffentlichungen der Wahrheit entsprächen. Die Psychiatrie sei keine exakte Wissenschaft, weshalb sich auch die Behandlungsmethoden laufend geändert hätten.
Wie aus dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen hervorgehe, seien aber veraltete Methoden praktiziert worden, die heute nicht mehr angewandt würden und teilweise abzulehnen seien.
Kleine Weltchronik
Sinkende Arbeitslosenziffer. Nürnberg. — Eine neue leichte Abnahme der Arbeitslosigkeit im Bundesgebiet, nämlich um 9005 auf 1 028 091, weist die Statistik der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in der zweiten Oktoberhälfte aus.
CSU bedauert Gründung einer evangelischen Partei. Nürnberg — Der stellvertretende bayerische CSU-Landtagsvorsitzende Karl Sigmund Mayr bedauerte die Gründung des „Evangelischen Volksdienstes“ als politische Partei. Der „Evangelische Volksdienst“ werde eine kleine Splitterpartei bleiben und nach der 5-Prozent- Klausel — zum Schaden der evangelischen Bevölkerung — kaum einen Sitz im bayerischen Landtag bekommen.
Gesetzentwurf zur Kaffeesteuersenkung. Bonn. — Bundesfinanzminister Schäffer hat in einem Schreiben an den Präsidenten des Bundestages angekündigt, daß er noch im Laufe des November dem Bundestag einen Gesetzentwurf über die Senkung der Kaffee- und Teesteuer vorlegen werde. Auf Antrag des Bundestages soll die Kaffeesteuer von 10 auf 5 DM je kg und die Teesteuer von 15 auf 5 DM je kg gesenkt werden.
120 Verdienstorden im Oktober. Bonn. — Der Bundespräsident hat im Monat Oktober den Verdienstorden der Bundesrepublik an insgesamt 120 Männer und Frauen verliehen.
Krupp verkauft Industriegelände. Essen. — Zwischen der Firma Friedrich Krupp in Essen und der Essener Industrle-Förderungs-Gesell- schaft sowie der Stadt Essen ist ein Vertrag über den Verkauf von 432 844 Quadratmeter Industriegelände an die Gesellschaft und die Stadt Essen unterzeichnet worden. Das Gelände wurde er
worben, um neue leichtindustrielle Betriebe in Essen anzusiedeln.
„Sünderin lediglich naturalistisch.“ Lüneburg. — In einer grundsätzlichen Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg festgestellt, daß der Film „Die Sünderin“ nicht verboten werden kann, weil er lediglich eine naturalistische Darstellung gebe, sich aber nicht zu deren Inhalt bekenne oder ihn verherrliche.
„Verletzung der Menschenrechte in Osteuropa.“ London. — Großbritannien hat die Regierungen Bulgariens, Rumäniens und Ungarns der Verletzung der Menschenrechte und der grundlegenden Freiheiten in ihren Ländern beschuldigt In drei ausführlichen Dokumenten werden Einzelheiten über Angriffe gegen die Kirchen, Wahlmißbrauch, Beseitigung der Pressefreiheit und Terrorprozesse der UN unterbreitet.
„Pamir“ bleibt gepfändet. Rotterdam. — Die „Neederlandia“-Reederei in Rotterdam, die wegen Forderungen an die Hamburger Schlieven- Reederei das deutsche Segelschulschiff „Pamir“ pfänden ließ, wird das Schiff nicht eher freigeben, bis die Schlieven-Reederei ihre Schulden bezahlt hat. Die „Pamir“ beendete ihre Löschzeit
Kongreß-Redner prügeln sich. Agram. — Ein führendes Mitglied der KP Jugoslawiens, der Partisanengeneral Djuriz, mußte gestern in Gegenwart Titos gewaltsam aus dem Sitzungssaal des jugoslawischen Parteikongresses in Agram entfernt werden, nachdem er seinem Genossen Stambolic am Rednerpult vorgeworfen hatte, er habe ihm die Frau weggenommen. Die Delegierten schleppten schließlich den schreienden und um sich schlagenden Partisanengeneral aus dem Saal. Djuriz wurde anschließend für „wahnsinnig“ erklärt.
Das Echo der Welt. ..
Bundeskanzler Dr. Adenauer :
„Ich freue mich, daß das amerikanische Volk nach einem langen und harten Wahlkampf zu einer klaren Entscheidung gekommen ist. Die eingehende Kenntnis der europäischen Probleme, über welche der neue Präsident verfügt, ist für Europa von sehr großer Bedeutung, da die Entscheidungen, die Westeuropa in nächster Zukunft zu treffen hat, nur in enger Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten gefällt werden können.“
„Giornale d’ltalia":
„Westeuropa ist gewiß, von Eisenhower nicht verraten zu werden. Auf Grund seiner internationalen Erfahrung, die sowohl Europa als auch Asien umfaßt, kann man als sicher annehmen, daß der neue Präsident weiß, wie er der Rolle Amerikas in der Welt gerecht wird.“
Schweden: Konzentration auf Asien. Da« Stockholmer „A f t o n b l a d e t“ bemerkt:
„Die Periode der stagnierenden Politik, die dem zweiten Weltkrieg folgte, nähert sich dem Ende. Eisenhowers Wahl... bedeutet eine Intensivierung der amerikanischen Politik mit dem Ziel, die Einheit der freien Welt zu vertiefen. Die amerikanische Politik wird sich mehr denn je auf Asien konzentrieren, wo das Schicksal der westlichen Welt entschieden wird.“
Skeptische dänische Stimme: Die unabhängige Zeitung „I nf o r m at i o n“:
, Wir hoffen, das Eisenhower wieder der alt* werden wird, als der er als atlantischer Oberbefehlshaber in Europa bekannt gewesen Ist. Viele Europäer wären aber glücklicher gewesen, wenn nicht Eisenhower gesiegt hätte.“
Das konservative englische Blatt „ St an - da r d“:
„Großbritannien hat keinen besseren Freund als Eisenhower. Eisenhowers Versprechen, nach Korea zu gehen, hat in Amerika ebenso wie in Großbritannien eine große Resonanz gefunden. Auch wir sind darum besorgt, mit unseren Verpflichtungen in Korea zu einem Ende zu kommen, zumal wir in Malaya noch einen anderen Krieg zu führen haben.“
. . . auf die Wahl dieses Mannes
Der 34. Präsident der USA durchbricht die Regel, daß amerikanische Staatsoberhäupter meist aus wohlsituierten, einflußreichen Familien hervorgehen. Dwight David Eisenhower ist am 14. Oktober 1890 in Texas geboren, aber in dem Landstädtchen Abilene in Kansas aufgewachsen, wo sein Vater in einer Molkerei beschäftigt war. Die Vorfahren der Familie waren vor mehr als zweihundert Jahren aus Deutschland eingewandert. Dwinght oder „Ike“, wie er schon von seinen Spielkameraden gerufen wurde, war der dritte von sieben Brüdern.
Er selbst schlug die Berufsoffizierslaufbahn ein und heiratete 1916 als Leutnant Mammie Geneva D o u d, mit der er in glücklicher Ehe lebt und die nun als „First Lady“ und fast ebenso populär wie ihr berühmter Mann ins Weiße Haus einzieht. Beide haben einen erwachsenen Sohn, der als Major in Korea stehi,, und Enkelkinder. Eisenhower ' ist evangelisch und gehört der Pres- byterianische Kirche an.
1942 ging Eisenhower, ein General ohne'Front-' erfahrung, als kommandierender General dei europäischen Kriegsschauplatzes nach London. Im November desselben Jahres führte er di* überraschende alliierte Landung in Nordafrika durch und wurde nach diesem Erfolg im Dezember 1943 von Präsident Roosevelt als Oberster Alliierten-Befehlshaber mit der Invasion der „Festung Europa“ beauftragt. Die Landung in der Normandie und in Südfrankreich 1944, die Niederringung Deutschlands im Westen gelten als sein Werk.
Ende 1945 übernahm er, seit 1944 „General der Armee“ mit fünf Sternen, die Leitung des amerikanischen Generalstabes. 1948 ging er in Pension und nahm danach eine Berufung als Präsident der Columbia-Universität in New York an. Im Dezember 1950 berief ihn Präsident Tru- man in den Militärdienst zurück und übertrug ihm die wichtigste Aufgabe, die die freie Welt damals zu vergeben hatte: den Aufbau der Verteidigung des Westens als Oberster Befehlshaber der Atlantikpaktstreitkräfte in Europa.
Eisenhower ist in der amerikanischen Geschichte der zehnte General, der Präsident wurde. Keiner seiner neun Vorgänger hat sein Land ln einen neuen Krieg geführt.
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ROMAN VON
H. P LARSEN
Copyright by Dr. Paul Herzog, Tübingen durch Verlag v. Graberg & Görg, Wiesbaden
(36. Fortsetzung)
Aber auch Frau Therese Gonterberg hat unruhige, von Zweifeln und Gewissensplagen erfüllte Tage hinter sich. Lange ist sie zu keinem Entschluß gekommen. Ihr Mann wehrt sich mit aller Macht gegen eine Berührung mit der Polizei. Da in ihrer Ehe eben wieder der Friede zurückgekehrt ist, hat sie ihm, ihrem Manne, nachgegeben. Aber ruhiger ist sie dabei nicht geworden. Frau Therese ist immer eine kluge Frau gewesen. Sie weiß, daß alles einmal ans Licht kommt, daß kein Geheimnis und schon gar kein Verbrechen un- entdeckt bleibt, auch wenn es Tage, Wochen oder sogar Monate so scheint. Immer hat in dieser kürzeren oder längeren Frist das Schicksal die Schlinge schon bereit gelegt. Und weil sie das weiß und sich auch sagt, daß alles viel schlimmer werden wird, wenn der rechte Zeitpunkt die Wahrheit zu bekennen, nutzlos vergangen ist, hat sie einen Entschluß gefaßt: sie wird ohne das Wissen ihres Mannes zur Polizei gehen und über den Giftschrankschlüssel das erzählen, was sie weiß. Wenn sie den Kriminalrat darum bittet, wird ihr Mann vielleicht davon gar nichts erfahren.
Und so erscheint Frau Gonterberg gerade, nachdem Bemdt dem Kriminalrat berichtet hat, was ihm Schellmann erzählte, im Amtszimmer Hopfners: noch unvorgeladen.
Der macht etwas erstaunte Augen, und er kann Berndt gerade noch zuflüstern: „Jetzt wird es interessant!“, da tritt auch schon Frau Gonterberg, die der Amtsschreiber gemeldet hatte, ein.
Höpfner begrüßt sie fast herzlich, gar nicht amtlich, schiebt ihr einen Polsterstuhl hin, während Bemdt sich etwas abseits, nach der Tür hin, niederläßt, und sagt mit seinem schön
sten, ruhigsten Lächeln: „Sie werden überrascht sein, gnädige Frau, wir waren gerade auf dem Wege zu Ihnen . . .“
„Da bin ich ja noh im richtigen Augenblick gekommen“, sagt Frau Gonterberg aufatmend, „ich wäre Ihnen dankbar, Herr Kriminalrat, wenn mein Mann von meinem Besuche nichts zu erfahren brauchte . . .“
„Sie können überzeugt sein“, Höpfner kann In solchen Augenblicken beschwichtigend wie ein guter Vater sprechen „daß von unserer Seite alles geschieht, um jede unnötige Aufregung zu vermeiden. Was sich da machen läßt, tun wir, seien Sie ganz unbesorgt. Und nun erzählen Sie uns am besten selbst, was Sie herführte.“
Frau Gonterberg lächelt dem Kriminalrat dankbar zu. Sie hat offensichtlich Mut gefaßt.
„Ich weiß nicht“, beginnt sie, „ob Ihnen das bekannt ist: einige Tage vor dem Mord an Doktor Burgdorf, ich weiß den Tag wirklich nicht mehr genau, verschwand in der Apotheke für eine Zeitlang der Giftschrankschlüssel. Ich wußte das gar nicht. Ich fand einen Schlüssel, von dem ich ann„hm, daß ihn mein Mann oder Herr Schellmann verloren hatte, im Zimmer auf dem Teppich, hob ihn auf und legte ihn auf den Schreibtisch meines Mannes. Nachher erfuhr ich erst, daß es der Giftschrankschlüssel war, den man schon sehr gesucht hatte . . .“ Da Frau Gonterberg aufhört und den Kriminalrat fragend ansieht, stellt dieser die erste Frage.
„Das dürfte sicher nicht alles sein, gnädige Frau, was Sie zu berichten wissen?“
„Nein,“ sagt Frau Gonterberg, „das ist auch nicht alles. leb habe mir ja die ganzen Tage so den Kopf zerbrochen über diese Geschichte. Ich habe den Schlüssel nicht vom Giftschrank abgezogen, das versichere ich Ihnen.“
„Das will ich Ihnen glauben“, Höpfner sieht sie mit einem unnachahmlichen treuherzigen Blick seiner kleinen Augen an, „aber wer, wer hat ihn abgezogen . . .?“
„Ja“, sagt Frau Gonterberg zögernd, „das kann ich natürlich nicht mit Bestimmtheit
sagen. Ich hatte in der Zeit, in der der Schlüssel verschwunden sein muß, Besuch . . .“
„Ah . ..“ Höpfner kann diesen Ausruf nicht unterdrücken, obwohl er ihn gleich bereut Frau Gonterberg sieht ihn auch sofort beunruhigt an. Aber sie fährt dann doch fort: „Frau Luzie Berger war bei mir.“
„Und Sie glauben, daß diese . . .“
Frau Gonterberg schüttelt den Kopf. „Ich glaube es nicht, sondern sie muß es gewesen sein. Denn wer soll es denn sonst getan haben? Es war doch weiter niemand im Hause.“ „Verließ denn Frau Berger einmal das Zimmer auf längere Zeit?“
„Das ist es eben, was mir aufgefallen ist. Sie ging zur Toilette und blieb nach meiner Meinung auffallend lange. Nun, bei einer Frau ist da manchmal schwer zu sagen, was lange Ist. Sie benutzt jede Gelegenheit, sich aufzufrischen, das Haar zu ordnen, Sie werden das ja wissen. Die Toilette liegt, von der Wohnung aus, am Eingang des Ganges, der in die Apotheke führt. Etwa zwei Meter von ihrer Türe entfernt hängt der Giftschrank, deutlich gekennzeichnet. Nun hat Herr Schellmann sicherlich den Schlüssel steckengelassen, das scheint außer Zweifel . . .—“
„Und Sie glauben, Frau Berger hat die Gelegenheit benutzt. ..?“
„Ich kann mir‘s nicht anders vorstellen, Herr Kriminalrat.“
Höpfner sitzt nachdenklich an seinem Tisch. Dann blickt er auf und sieht einen Augenblick in das erregte Gesicht der Frau Gonterberg.
„Nähmen wir einmal an, es wäre so, wie Sie sagen. Frau Berger geht auf die Toilette, geht vielleicht durch Zufall, ohne jede böse Absicht, ein paar Schritte über die Türe hinaus und sieht mit einem Male den Giftschrank. Der Schlüssel steckt. Und schon durchzuckt sie die Idee, die günstige Gelegenheit — lassen wir einmal dahingestellt, zu welchem Zweck — auszunutzen. Sie öffnet den Giftschrank, greift ein beliebiges Gefäß, steckt es schnell ein . . . und was wird sie dann tun? Sie wird
die Tür des Schrankes wieder zumachen und — den Schlüssel steckenlassen, nicht wahr?“ Jetzt lächelt Frau Gonterberg.
„Ein Mann würde das wahrscheinlich so gemacht haben“, sie blickt den Beamten überlegen an, „aber Sie unterschätzen die Aufregung einer Frau in einem solchen Augenblick. Vor allem einer Frau wie Frau Berger, die nervös ist und die, ich nehme an, sicher in ihrem Leben noch nicht gestohlen hat. Sie hat natürlich gezittert vor Aufregung, wahrscheinlich ist sie an allen Gliedern geflogen. Sie war in der letzten Zeit stand erregt Sie mußte erwarten, in jedem Auge ublick entdeckt zu werden. Sie griff das Gift, machte zu und hatte, ehe sie selber wußte, wie, auch den Schlüssel in der Hand. Das hat sie wahrscheinlich überhaupt erst gemerkt, als sie wieder im Zimmer war. Und dann hat sie den Schlüssel einfach auf den Teppich fallen lassen.“
„Sehr unüberlegt, aber . . .“ Höpfner nickt Frau Gonterberg anerkennend zu, „Sie haben darüber wirklich sehr ernsthaft nachgedacht, gnädige Frau. Es kann alles durchaus so gewesen sein. Ihre Erklärung ist sehr gut Irgendein Malheur passiert gerade bei solchen improvisierten, aus der Eingebung eines Augenblickes entstehenden Sachen meistens, sogar Leuten, die keine überreizten Nerven haben wie Frau Berger. Aber etwas anderes . .“ Und diese plötzliche Frage schnellt
ab wie ein Pfeil:
„Sie glauben also, daß Frau Luzie Berger Doktor Burgdorf ermordet hat . . .?“
„Nein, nein, das habe ich nicht gesagt!“ fährt Frau Gonterberg auf.
„Ja, aber wozu denn der Giftdiebstahl?“ Frau Gonterberg senkt das Gesicht. Als sie es wieder zu Höpfner hebt, glaubt er, einen feuchten Schimmer in ihren Augen zu sehen.
„Das weiß ich natürlich nicht“, sagt sie leise, „ich weiß nur, daß Frau Berger sehr unglücklich in ihrer Ehe war und sich von ihrem Manne scheiden lassen wollte. Das hat sie mir selbst gesagt.“
(Fortsetzung folgt) j