MITTWOCH, 5. NOVEMBER 1952
Ausbeutung des Aerztestandes?
Mehr Geld ffir den Friseur als für den Arzt? / Die Jagd nach dem Krankenschein
Aus einet Analyse unseres Dr. G. W.-Mitarbeiters
Ein Arzt wird zu einem Schwerkranken in die Wohnung gerufen. Er stellt Lungenentzündung fest und macht bis zur Wiederherstellung 10 Besuche bei ihm. Von der Krankenkasse erhält er dafür den Pauschalsatz von 4,50 DM, d. h. also für den Besuch 45 Pfennige. Hat ein Arzt einen Herzkranken, der regelmäßig in der Woche zwei Einspritzungen braucht und 3 km entfernt wohnt, so besucht er den Patienten 26 mal im Vierteljahr und verfährt dabei 156 km, und auch dafür bekommt er, denn Fahrten innerhalb der Stadt werden nidht bezahlt, nur 4,50 DM. Dieser Fall mag zu den Ausnahmen gehören, der erste ist alltäglich
Zwischen Ärzten und Krankenkassen besteht »eit 1932 ein Vertrag, demzufolge dem Arzt für jeden Fall eine „Kopfpauschale" von 6 DM im Vierteljahr zusteht. Die Kassen bezahlen aber diesen Betrag nicht, sondern berechnen nach der Zahl ihrer „Stammver- «ldierten“ und deren „Grundlohn“ eine be- »timmte Summe, die der kassenärztlichen Ver- tinigung des betreffenden Ortes zugeht und von ihr anteilmäßig nach der Zahl der Krankenscheine unter die einzelnen Ärzte aufgeteilt wird. Da sieh dabei niemals 6000 DM für 1000 Fälle ergeben, sondern stets weniger, gelangt nur eine „Quote“ des an sich fälligen Honorars zur Auszahlung. Beträgt sie 75 Prozent, erhält der Arzt pro Fall 4,50 DM; ergeben sich nur 50 Prozent, sogar nur 3 DM. Es gibt aber Fälle, in denen die Quote auf 46 Prozent absinkt.
Die Unzufriedenheit unter den Ärzten über diese Regelung ist von Jahr zu Jahr gewachten. Immer häufiger ist davon die Rede, daß *ie nicht mehr weiter warten, sondern zu Kampfmaßnahmen greifen und diese, wenn es nicht anders gehe, „mit allen ihnen zu Gebote itehenden Mitteln“ durchführen würden. „Ein Stand, der sich eine unwürdige Entlohnung qualifizierter Arbeit gefallen läßt“, sagt der Arzt Dr. Gustav Sondermann in einerBro- »chüre „Arzt. Kasse, Volksgesundheit“ (J. F. Lehmann Verlag, München), „handelt gegen »eine Würde Der deutsche Arbeiter hat sich in hartem Kampfe aus dem Proletariat zum Ar- beitertum herausgehoben, sollen wir ohne Kampf Zusehen, wie wir in ein ärztliches Proletariat versinken? Honorar heißt Ehrensold — wenn aber das Honorar ein Mindestmaß unterschreitet, so wird es zur Handvoll Reis, die man dem Kuli hinwirft.“
Der Ärzteschaft droht das Proletariat, das Kulitum? Wirklich? Kennt denn nicht jeder gut verdienende Ärzte mit hohem Einkommen? Die Kassenärzte, so verwahren sich die
Ortskrankenkassen gegen jene Vorwürfe, hätten 1951 durchschnittliche je 11 000 DM Vergütungen von ihnen erhalten, monatlich also über 900 DM; dazu kämen die Einnahmen von den Ersatzkassen und den Privat-Patienten. Seit 1948 hätten sich die Bezüge der Kassenärzte um 100 Prozent erhöht, was keinem anderen Freien Berufsstand gelungen sei. Die „Kopfpauschale“ sei im übrigen notwendig, die Honorarzahlung nach Einzelleistungen nicht möglich, weil der einzelne Arzt sonst der Versuchung ausgesetzt sei, mehr als das Notwendige zu tim, statt der 10 Besuche bei jenem Fall von Lungenentzündung vielleicht 15 zu machen.
Das sei eine Milchmädchenrechnung, antwortet Dr Sondermann in der erwähnten Kampfschrift Man rechne ja auch den Arbeitern vor, ihre Reallöhne lägen 80 Prozent über denen von 1938 und die Lebenshaltungskosten seien nur um 70 Prozent gestiegen. Das Leben strafe solche Aufstellungen Lügen. Er gibt im übrigen an, die Betriebsausgaben des Arztes (Auto, Apparate, Instrumente usw ), die man vor 1932 mit 25 Prozent der Gesamteinnahmen habe festsetzen können, seien heute auf mindestens 50 Prozent gestiegen. Von den 6 DM Kopfpauschale blieben dem Arzt also nur 3 DM, „d. h. weniger als der Durchschnitt der Kassenmitglieder im Quartal für den Friseur ausgibt!“ Aber auch die bekomme er ja gar nicht, sondern nur die „Quote“, also einen zwischen 75 und 46 Prozent wechselnden Teilbetrag.
Daß auch manchen Patienten die Unzufriedenheit der Ärzte bekannt ist, ergibt sich daraus, daß dem Arzt bisweilen für die Behandlung eines einzelnen Familienmitgliedes die Krankenscheine der ganzen Familie ange- boten werden. Diese Verlockung zu gemeinsamem Betrug und zur bloßen Jagd nach dem Krankenschein ist die Kehrseite der Kopfpauschale, die ja bedeutet, daß der Arzt, je intensiver er sich einem Patienten widmet, desto geringer für die einzelne Leistung bezahlt wird.
Je länger der Streit zwischen Ärzten und Krankenkassen währt, desto nachteiliger muß er sich für beide, aber auch für den Dritten, auf den es allein ankommt, den Patienten, auswirken. Nur allzu leicht kann, ja muß das Vertrauen in beide untergraben werden. Dem Arzt der das scharfe Wort von der „Ausbeutung' der Arbeitskraft eines ganzen Standes“ spricht, erscheint die Zeit, wo nur wenige Kassenpatienten neben der großen Zahl der Privatpatienten sein Wartezimmer füllten, wo er frei war von der Bürokratie, als das Ideal Er nennt die Kassen „das Musterbeispiel jener dritten Instanz, die störend zwischen Arzt und Patient tritt“ Und doch weiß er genau, daß ohne die Krankenkassen heute das Gesundheitswesen nicht mehr zu denken ist. Die Bürokratie ist unser Schicksal. Das Vertrauen zu den Kassen erschüttern, ist daher ebenso gefährlich, wie umgekehrt das Vertrauen zu den Ärzten nicht in Frage gestellt werden darf. Pflicht der Ärzte wie der Kassen wäre es, sich gegenseitig zu stützen, anstatt sich zu bekämpfen. Es ist höchste Zeit, daß beide Parteien sich auf gemeinsamer Plattform einigen — zum Wohle der Kranken, zum Wohle der Volksgesundheit. Bei beiderseitigem guten Willen dürfte das nicht allzu schwer sein.
Besuch in Breslau
Schlesien erhält eine polnische Kuiturkappe / Wieder Universitätsstadt
Es war im Herbst dieses Jahres. Am frühen Nachmittag waren wir auf dem Breslauer Hauptbahnhof angekommen und waren zunächst einmal überrascht Hier ist gearbeitet worden. Die Trümmer, die wir zu sehen glaubten, waren geräumt, der Bahnhof ausgebessert und sauber Nur die vielen Transparente störten. Sie waren aufdringlich und in knalligen Farben an möglichen und unmöglichen Stellen angebracht. Vom Frieden und von der Arbeit kündeten sie, lobten Bierut und huldigten Stalin. Dazwischen Fahnen, rotweiße und rote in jeder Menge.
„Hier wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit geflaggt!", gab uns eine junge Frau Auskunft. Sie sprach deutsch und es war nicht das einzige Mal, daß wir deutsche Worte aus deutschem Munde hörten.
Explosion bet Aether-Narkose
Volontärarzt und Staat sollen Schmerzensgeld zahlen /„Sie kann kein Abendkleid mehr tragen“
. -te. MÜNCHEN. (Eig. Ber.) Eine Zivilkammer des Landgerichtes München I muß sich gegenwärtig mit den Folgen einer schweren Explosion, die sich in der Münchner Chirurgischen Universitätsklinik während einer an sich harmlosen Operation ereignete, befassen. Es geht hierbei unter anderem um die entscheidende Frage, ob ein Chirurg ein elektrisches Messer benützen darf, wenn der Patient vorher eine Äther-Narkose erhalten hat. Nach den Angaben des Klägers widerspricht dies den ärztlichen Regeln.
Die hübsche 28jährige Münchnerin, Frau Fran- tlska R., kam am 10. August auf Anraten ihrer Ärztin in das Ambulatorium der Klinik zur Spaltung eines Schweißdrüsenabszesses, den sie »eit einigen Wochen unter der linken Schulter hatte. Obwohl sie eine Betäubung durch Vereisung wünschte, überredete sie Dr. Georg K., damals unbezahlter Volontärarzt, zur Äther-Narkose, „da nur so eine einwandfreie Ausführung möglich ist“.
Als die Frau nach einigen Minuten wieder aufwachte, verspürte sie starke Schmerzen von Brandwunden an der linken Halsseite und auf der Brust. Eine Schwester, die selbst Brandwunden an den Händen hatte, strich ihr ihre versengten Haare aus der Stirn und Dr. K. erklärte ihr, es sei „ein kleines Unglück“ passiert.
Dieses „kleine Unglück“ hatte sich nach Dr. K’s Darstellung so zugetragen: Die assistierende Rot-Kreuz-Schwester habe auf sein Kommando „Narkose weg“ nur die Narkosehaube und nicht wie üblich auch das Narkosetuch weggezogen. Als Dr. K. das elektrische Messer ansetzte, fing das Tuch, das über dem Gesicht der Patientin lag, Feuer und explodierte. Nur Dr K’s Geistesgegenwart sei es zu verdanken gewesen, daß er das Tuch schnell wegziehen und die Patientin vor einer Entstellung ihres Gesichtes bewahren konnte. Also sei nicht er. sondern die Schwester »chuld.
„So etwas kommt eben einmal bei der Anwendung der Äther-Narkose vor“, habe später ein Oberarzt zu der Frau R. und ihrem Ehemann gesagt. Als ein Sühnevorschlag keinen Erfolg hatte, klagte schließlich der Ehemann, da sich die Frau jetzt nicht mehr im Abendkleid oder im Badeanzug sehen lassen könne. Dies müsse er
hebliche Rückwirkungen auf das seelische Befinden der Frau zeitigen.
Ein Sachverständigen-Gutaebten hat mittlerweile festgestellt, daß sich der Arzt bei der kurzen ihm für die Operation zur Verfügung stehenden Zeit voll auf seine Assistenz verlassen müsse. Die Schuldige sei also die Krankenschwester. Inwieweit auch der Staat als Eigentümer der Klinik haftpflichtig ist, hängt davon ab, ob er bei der Einstellung der Schwester die nötige Sorgfaltspflicht beachtete oder nicht.
DER PANZER IM KOCHER
Eine Ausstellung war der Grund des Fahnenmeers. „Die Blüte des Barock in Schlesien in der Zeit von 1650 bis 1750“ war sie benannt. Wir besuchten sie. Ihr Zweck lag offen, denn sie enthielt nichts, was darauf hinweisen konnte, daß deutsche Künstler die Schöpfer der weltberühmten Barockbauten in Schlesien waren. Dagegen fehlte es nicht an Hinweisen auf die „historischen“ Merkmale „polnischer“ Kultur.
Man darf das ernsthafte Bemühen, den schlesischen Landen und besonders der Stadt Breslau eine polnische Kulturkappe aufzusetzen nicht unterschätzen. Bedeutende Geldsummen aus dem Staatsfonds werden dafür verausgabt und alle verfügbaren Kräfte werden in diese Gebiete geworfen, um damit den polnischen Besitzanspruch zu rechtfertigen.
Breslau steht im Mittelpunkt dieser Bestrebungen. So standen wir vor dem im 14. Jahrhundert erbauten historischen Rathaus. Seine Fassade ist in alter Pracht wiedererstanden und unser polnischer Führer konnte sich nicht genug damit tun, auf dieses historische Denkmal „polnischer Kultur“ hinzuweisen.
Auch am „Schweidnitzer Keller“ wurde gearbeitet, doch schien es, als wären hier die Zerstörungen derart, daß eine wirkliche Restaurierung kaum und wenn, dann nur unter großen finanziellen Aufwendungen möglich sei.
Doch nicht nur in der Wiederherstellung des Historischen, auch für den Neuaufbau und für die Erweiterung der Stadt setzt die polnische Regierung umfangreiche Mittel ein. Die In-
Wie bereits gemeldet, fuhr dieser Tage ein schwerer amerikanischer Panzer durch das Geländer einer Behelfsbrücke über den Kocher in Gaildorf und stürzte in den sieben Meter tiefer gelegenen Fluß. Drei Soldaten wurden auf der Stelle getötet und vier schwer verletzt. Unser Bild zeigt die Bergungsarbeiten. Ein anderer amerikanischer Panzer ist in das Kocherbett gefahren, um das verunglückte Fahrzeug wieder flottzumachen. Foto: dpa
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Erholt von der Korea-Dusche
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SPAROUTHABEN ins - 1952
Westdeutschlands Sparer füllen ihre Sparkonten wieder auf, nachdem sie im Jahre 1951 etwas zögernder in den Einzahlungen geworden waren. Wie schon nach der Inflation von 1923 setzt sich auch heute wieder der Sparwille, zugleich Ausdruck des Vertrauens, in eindruckscoller Weise durch.
dustrie ist restlos wieder auf gebaut. Eine Wasseruhrenfabrik und ein landwirtschaftliches Maschinenwerk wurden neu errichtet.
Wir sahen „mfangreiche Wohnbauten und im Stadtzentrum wurden Plätze und Parks angelegt. Besonders intensiv wurde am Umbau der schwer zerstörten Südbezirke gearbeitet. Hier sind großzügige Wohnblocks geplant. Ganzen sechs Häusern begegneten wir vorerst auf unserem Gang vom Postscheckamt zur Ohlebrücke und zwischen dem ehemaligen Königplatz und dem ,.Letzten Heller" breitete sich eine einzige Wüste. Und doch lebt die Stadt, ja, sie hat in den unter sowjetischem Einfluß stehenden Ländern als Universitätsstadt bereits wieder einen Namen.
Seit dem 25. April dieses Jahres ist die jetzt 250 Jahre alte Breslauer Universität in B i e - rut-Universität umbenannt Aus einer Statistik in der Mensa konnten wir entnehmen. daß heute in Breslau bereits wieder über 20 000 Akademiker studieren. Sie wohnen zum größten Teil in Akademiker- und Studentenheimen, von denen es in der Stadt 56 gibt.
Es war spät, als wir zum Bahnhof gingen und in den Zug stiegen, der uns wieder aus Breslau führte. Nacht breitete sich über das Land. Dunkel, wie es sich über alles, was hier von deutscher Kultur und deutschem Fleiß zeugen kann, breiten soll. J. G.
Das politische Buch
Totengräber des Kommunismus
G. F. Achmlnow. Die Macht im Hintergrund — Totengräber des Kommunismus Spatenverlag Ulm a. D.. 307 S.. 7 DM.
Es ist eic Unterschied, ob ein Kritiker des heutigen Rußland von außen kommt oder von innen und ob er schon vor 20 Jahren imigriert ist oder erst ln den Wirren des zweiten Weltkriegs. Achminow gehört zu jenen Kritikern des Bolschewismus, die einmal genügend marxistisch geschult sind, um Theorie und Praxis scharf genug gegeneinander abheben zu können, und andererseits als ehemalige Sowjetbürger das System aus eigener Anschauung kennen.
Seine wichtigsten Thesen: Die Macht in der Sowjetunion ruht heute auf zwei Säulen: der kommunistischen Partei und der technischen Intelligenz. Der Kommunismus ist die Wirtschaftsform von Agrarländern, die sich aus eigener Kraft und in kürzester Zeit industrialisieren wollen Die von der Staatspartei erzwungene Überführung des Privateigentums in Staatseigentum hat zur Bildung einer neuen Klasse geführt, bestehend aus eben jenen Menschen, die imstande sind, die Produktionsmittel zu leiten und weiterzuentwickeln. Im ewigen Kampf zwischen der als Parteiapparat organisierten Schicht der Berufsrevolutionäre und den Fachleuten können letztere nach Achmlnow für Ihre persönliche Sicherung nichts anderes erstreben, als die Wiedereinführung des Privateigentums. Insofern sind die „Spezialisten“ die Macht im Hintergrund, die dazu berufen ist, den Kommunismus abzulösen.
Dem Westen rät der Verfasser, in seiner nach Rußland hineinspielenden Propaganda vor allem diese Schicht anzusprechen und ihr Argumente an die Hand zu geben, die sie in der Sowjetunion als Träger der Volksinteressen erscheinen lassen. Interessant die Kritik an Bumham, dem bekannten Verfasser von „Regime der Manager“. In der Reihe der bereits zahlreichen Publikationen von sachverständigen Emigranten über das heutige Rußland stellt es eine besonders exakte Analyse dar.
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