MITTWOCH, 5. NOVEMBER 1952
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Für den Radiohörer
Staat
Wahlmänner
Republikanisch (B)f Demokratisch (S)T
Alabama 11
Arizona 4
Arkansas 8
California 32
Colorado 6
Connecticut 8
Delaware 3
Florida 10
Georgia 12
Idaho 4
Illinois 27
Indiana 13
Iowa 10
Kansas 8
Kentucky 10
Louisiana 10
Maine 5
Maryland 9
Massachusetts 16
Michigan 20
Minnesota 11
Mississippi 8
Missouri 13
Montana 4
Nebraska 6
Nevada 3
New Hampshire 4
New Jersey 16
New Mexico 4
New York 45
North Carolina 14
North Dakota 4
Ohio 25
Oklahoma 8
Oregon 6
Pennsylvania 32
Rhode Island 4
South Carolina 8
South Dakota 4
Tennessee H
Texas 24
Utah 4
Vermont 3
Virginia 12
Washington 9
West-Virgina 8
Wisconsin 12
Wyoming 3
An Hand dieser Tabelle können Sie, wenn Sie die Ergebnisse einzelner Staaten am Radio abhören, sich selbst ein Bild machen, wie die in der ganzen Welt mit Spannung erwartete Wahl in Amerika vermutlich ausgehen wird. Die Stimmenzahlen in den einzelnen Staaten sind gleichgültig, es kommt nur darauf an, ob die demokratische oder die republikanische Partei stärker ist: Dann sind sämtliche Wahlmänner des betreffenden Staates auf den demokratischen Kandidaten Stevenson — oder den republikanischen Kandidaten Eisenhower — festgelegt. 264 Wahlmännerstimmen muß der künftige Präsident erreichen. Es genügt, wenn sie in die letzte Spalte ein E (Eisenhower) oder ein S (Stevenson) eintragen.
Nochmals: Worum es seht
NEW YORK. Das amerikanische Volk wählte nicht nur seinen Präsidenten, sondern auch das Repräsentantenhaus, ein Drittel des Senats und in 29 Staaten außerdem den Gpu- verneur. Um die 34 neu zu besetzenden Sitze des Senats bewerben sich 93 Kandidaten. Der bisherige Senat bestand aus 49 Demokraten, 46 Republikanern und einem Unabhängigen. Die 432 Sitze des Repräsentantenhauses verteilten sich bisher auf 230 Demokraten und 200 Republikaner (restliche Sitze vakant oder unabhängig). In beiden Häusern des Kongresses verfügten die Demokraten demnach bisher über die Mehrheit. An der Spitze von 25 Staaten standen republikanische Gouverneure. 23 Staaten hatten demokratische Gouverneure.
Für die Wahlen am Dienstag ließen sich 75 579 785 Wahlberechtigte eintragen. Erwartete Wahlbeteiligung: Rund 55 Millionen. Insgesamt wären über 96 Millionen Amerikaner zur Wahl berechtigt gewesen Bei den Wahlen von 1948 entfielen auf Truman (Demokrat) 24 105 812 Wählerstimmen, auf Dewey (Republikaner) 21 970 065. Truman gewann damals 303 der 531 Wahlmännerstimmen, Dewey 189 und Thurmond (abtrünnige Demokraten der Südstaaten) 39.
500000 Mark in der Aktentasdie
Der Frankfurter Bankprozeß gegen Klibansky und Genossen
FRANKFURT. Im Frankfurter Prozeß gegen leitende Persönlichkeiten der „Jüdischen Industrie- und Handelsbank“ wurde die Vernehmung des angeklagten Bankkassierers Siegfried Fröhlich abgeschlossen. Fröhlich werden fortgesetzte Untreue, Beihilfe zur gesellschaftlichen Untreue und zu Devisen- und Konkursvergehen durch Duldung der Entnahme von Millionenbeträgen aus der Kasse und Verbuchung fiktiver Debitoren zur Verschleierung illegal transferierter Sperrgelder vorgeworfen.
Auf die Frage des Staatsanwalts nach dem Verbleib der riesigen Barentnahmen erwiderte Fröhlich, die Herren der Bank hätten immer große Geldbeträge in ihren Schubladen gehabt und oft 500 000 Mark in der Aktentasche abtransportiert. In der Bank seien auch laufend
andere Geschäfte gemacht worden. Mit der Korrespondenz seien Muster und Warenproben eingegangen. Die Sperrmarkeinzahlungen hätten den größten Teil der Kreditoren ausgemacht. Freie Einzahlungen seien unbedeutend gewesen.
Bis zum 26. Juli 1950 seien die Barentnahmen des ins Ausland geflohenen Geschäftsführers Leopold Heitner auf 3,350 Millionen Mark angestiegen. Man habe ihm dann am 26. Juli zur Ausbuchung der in die Kasse gelegten Bons drei Quittungen über 4,2 Millionen Mark Kredit an das Lager Föhrenwald gegeben. Diese Kreditaktion zur Bevorschussung von Haftentschädigungen der jüdischen DPs im Lager Föhrenwald sei ein „großaufgelegter Schwindel“ gewesen, was damals schon der Kreditsachbearbeiter erkannt habe.
„Schmuggler und Zuchthäusler“
Die Zeugen im Burkert-Prozeß
WEIDEN. Im Mordprozeß gegen den Zollassistenten Hans Burkert vor dem Weide- ner Schwurgericht sagte der 49jährige Bergmann Gustav Zuber aus, der Burkert auffallend ähnliche sieht und bereits zweimal unter dem Verdacht verhaftet wurde, den Zollassistenten August Bolz in Mammersreuth erschossen zu haben. Burkert verbüßt eine ^jährige Zuchthausstrafe, zu der er 1947 verurteilt wurde. Das Verfahren wurde jetzt wieder aufgenommen.
Zuber kam im April 1946 auf der Flucht aus tschechischer Gefangenschaft nach Mammers
reuth und bestritt seinen Lebensunterhalt, wie er selbst zugab, mit Schmuggelgeschäften. Diese Aussage bestätigte sein ehemaliger Mietherr und Namensvetter, Johann Zuber, der wegen Brandstiftung eine Zuchthausstrafe verbüßt. Er erklärte, er würde seinen Namensvetter Gustav niemals in Schutz nehmen, da dieser ihn in seinem Brandstiftungsprozeß stark belastet habe.
Eine überraschende Aussage machte Johannes Frau, Ida Zuber. Sie erklärte, sie habe zwei Regenumhänge besessen. Den einen aus grauem Stoff habe Gustav Zuber mehrmals benutzt. Nach Aussagen der Hauptbelastungszeugen sprang der Täter mit einer dunklen Pelerine aus dem Fenster des Mordzimmers.
Kleine Weltchronik
CDU gegen „deutsch-sowjetische Freundschaft". Stuttgart. — Die südwestdeutsche CDU hat gestern die Bevölkerung des Landes Baden-Württemberg aufgerufen, im Interesse der Erhaltung der jungen deutschen Demokratie die Veranstaltungen der „Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft“ zu boykottieren. Die Gesellschaft will im November einen „Monat der deutsch-sowjetischen Freundschaft“ veranstalten.
Der Vertreter des Regierungspräsidenten. Tübingen. — Als ständiger Vertreter des Regierungspräsidenten von Südwürttemberg wurde Ministerialrat a. D. Dr. Karl Storz von der Landesregierung bestellt. Dr. Karl Storz wurde 1897 in Ochsenberg, Kreis Heidenheim, geboren und war zuletzt beim Innenministerium Tübingen tätig.
Wirth reist nochmals. Freiburg. — Der ehemalige Reichskanzler Dr. Joseph Wirth will heute wieder nach Ostberlin abreisen, um an einer „Internationalen Konferenz zur Lösung der deutschen Frage“ teilzunehmen.
Todesstrafe für zwei US-Soidaten. Augsburg. — Das Oberste Kriegsgericht der 43. amerikanischen Infanteriedivision verurteilte gestern in Augsburg zwei farbige Soldaten zum Tode. Sie wurden für schuldig befunden, in der Nacht vom 20. auf 21. Oktober 1952 in Hohenlinden, Landkreis Ebersberg, den Arzt Dr. Helmut Jäger niedergeschlagen und danach seine Frau und die Hausgehilfin vergewaltigt zu haben.
Sektsteuerermäßigung in Kraft. Bonn. — Das Schaumweinsteuergesetz ist im Bundesgesetzblatt vom 3. November verkündet worden und bereits in Kraft getreten. Danach wird die Sektsteuer für die 0,75-Liter-Flasche von 3 DM auf 1 DM herabgesetzt und für kleinere und größere Flaschen nach dem Inhalt berechnet.
Mittel für Lehrlingsausbildung gefordert. Bonn. — Rund fünf Millionen DM für die Lehrlingsausbildung im Handwerk forderte gestern der Präsident des Zentralverbandes des deutschen Handwerks, Richard Uhlemeyer. Insgesamt bildet das Handwerk im Bundesgebiet etwa 425 000 Lehrlinge aus.
König von Schweden soll vermitteln. Bonn. — Die Arbeitsgemeinschaft deutscher Friedensverbände hat König Gustaf VI. Adolf von Schwe
den um Vermittlung im Ost-West-Konflikt gebeten, teilte Prof. Siegmund-Schultze gestern in Bonn mit.
Lastenausgleich auch für Sowjetzonenflüchtlinge? Bonn. — Der Bernd der vertriebenen Deutschen hat über seine Bundestagsabgeordneten einen Initiativ-Gesetzentwurf über Ausgleichsleistungen an Sowjetzonenflüchtlinge eingebracht Der Entwurf sieht vor, daß Sowjetzonenflüchtlinge bei Vermögens Verlusten die gleichen Leistungen erhalten sollen wie die Vertriebenen auf Grund des Lastenausgleichsgesetzes (ausgenommen Hauptentschädigung und Entschädigungsrente).
15 Jahre Zuchthaus für Klagges. Braunschweig.
— Das Braunschweiger Schwurgericht verurteilte gestern den ehemaligen NS-Ministerpräsidenten von Braunschweig, Dietrich Klagges, zu 15 Jahren Zuchthaus. Das Schwurgericht setzte mit diesem Urteil das Strafmaß für Klagges neu fest, nachdem es ihn am 5. April 1950 nach dem Kon- trollratsgesetz Nr. 10 wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt hatte.
Blutiger Zusammenstoß in Südafrika. Johannesburg. — Gegen Beamte, die Mieten erheben wollten, gingen in Johannesburg Neger mit Steinen und Wurfgeschossen vor. Die Polizei mußte von der Schußwaffe Gebrauch machen und tötete drei Personen.
Pawelke stiftet ägyptischen Kriegsopfern. Kairo. — Der deutsche Botschafter in Ägypten, Dr. Günther Pawelke, will seine Pension, die er als ehemaliger Luftwaffenofflzier bezieht, einem ägyptischen Fonds für Soldaten stiften, die im Palästinakrieg schwer verwundet wurden.
Dänischer Admirals-Sohn in Korea gefallen. Washington. — Niels Iver Qvistgaard, der einzige Sohn des Befehlshabers der dänischen Verteidigungsstreitkräfte, Admiral Qvistgaard, ist als Obergefreiter beim amerikanischen Marine-Korps in Korea gefallen.
Säuberung im jugoslawischen Politbüro. Agram.
— Der frühere Vorsitzende der jugoslawischen Volksfront und Mitglied des Politbüros der KP Jugoslawiens, Blagoje Neskovic, ist von seiner Partei fallen gelassen und aller Parteiämter enthoben worden. Als Grund werden ideologische Abweichungen Neskovics angesehen.
DIE MEINUNG DER ANDERN
Jugoslawien und der Westen
Die Rede Titos vor dem kommunistischen Parteikongreß in Agram ist in London mit gedämpftem Optimismus aufgenommen worden. Trotzdem ist in der Presse Jugoslawien neben den U SA-Wahlen das wichtigste außenpolitische Thema. Der liberale „M auch e st e r Guardian“ schreibt:
„In ihrer gegenwärtigen Gefahr und Isolierung erkennen einige jugoslawische Kommunisten di» Notwendigkeit für größere Solidarität mit den Sozialisten im Westen, aber das kann, wie Tito vorsichtig sagte, nicht ganz durchgeführt werden. Es gibt noch zu viele Meinungsverschiedenheiten über „wesentliche Probleme“ ... Jugoslawien ist noch immer ein Polizeistaat, der in seinen Gefängnissen Menschen gefangen hält, die verfrühter Sympathien mit dem Westen schuldig sind. Es ist noch immer ein Land, aus dem Menschen illegal flüchten müssen. Niemand kann sagen, wie es sich entwickeln wird.“
„Ernste Folgen“
Das deutsch-israelische Wiedergutmachungs- abkommen beschäftigt noch immer die Presse der Araberstaaten. Besonders kritisch sind nach wie vor die ägyptischen Zeitungen. So schreibt das bedeutende Kairoer Blatt „A l Balag h“:
„Nachdem Deutschland die Freundeshand der Araber ausgeschlagen hat und im Begriff steht, mit Israel eine .Ehe auf Gedeih und Verderb, aber mit zweifelhaftem Ausgang* einzugehen, wird es an den Folgen dieses für die Araber unverständlichen Verhaltens schwer zu tragen haben. Das Paradoxe an dieser .Mischehe* ist. daß die umworbene Braut Israel von dem aufdringlichen Freier nur das Brautgeld einheimsen will, auf ihn selber aber dankend verzichtet.“
Eine Urabstimmung?
FDP-Zentrale zur Krise im Südwesten
hf. BONN. Wie gestern in Vorstandskreisen der FDP erklärt wurde, wird sich der Bundesvorstand am 9. November mit der Frage de* Zusammenschlusses der FDP-Verbände in Baden-Württemberg befassen Das gegenwärtige Nebeneinanderbestehen zweier Landesverbände sei politisch unvertretbar und stehe im Gegensatz zu den Satzungen der Partei.
Um auch hinsichtlich des Delegationsrechts klare Verhältnisse zu schaffen, wird in Vorstandskreisen der FDP auch von der Möglichkeit einer Art „Urabstimmung“ in den südwürttembergischen Kreisverbänden gesprochen. Die Bundestagsabgeordneten der FDP/ DVP nehmen gegenüber den Beschlüssen des Stuttgarter Landesvertretertags und des Sigmaringer Landesvertretertags keinen einheitlichen Standpunkt ein
Lausen zur Schulfrage
STUTTGART. Der SPD-Abgeordnete in der Verfassunggebenden Landesversammlung, Willi Lausen, bezeichnete in einer Delegiertenversammlung der SPD des Kreises Stuttgart, die christliche Gemeinschaftsschule als die einzig mögliche Schulform in Baden-Württemberg. Lausen sagte, die SPD, der es mit der christlichen Gemeinschaftsschule sehr ernst sei, werde sich nachdrücklich für diese Schulform einsetzen.
Lausen berichtete, daß er in der letzten Unterredung über die Regierungsbildung an den CDU-Abgeordneten Dr. Gebhard Müller die Frage gerichtet habe, wie denn verfahren werden solle, wenn in einer Gemeinde beispielsweise 40 Kinder katholisch und zehn evangelisch seien. Dr. Müller habe erklärt, daß die protestantischen Kinder entweder in die benachbarte evangelische Schule oder, was sich auch bewährt habe, in die katholische Schule ihres Ortes gehen sollten. Als er daraufhin geäußert habe, daß dies mit dem Elternrecht nichts mehr zu tun habe, habe Dr. Müller erwidert, man könne auf kleine Gruppen keine Rücksicht nehmen.
ROMAN VON H. P LARSEN
Copyright by Dr. Paul Herzog. Tübingen durch Verlag v. Gräber» & Görg, Wiesbaden
(35. Fortsetzung)
„Eine sehr interessante Theorie“, sagt Hopfner anerkennend, „nur schade, daß alles noch Theorie ist. Es schwebt alles noch in der Luft. Was wirklich vorhanden ist, ist eine Perlmuttscheibe, die Dr Aiwa gehört, zwei Tote, der Beweis, daß für den ersten Mord Zyankali, für den zweiten eine Pistole verwendet wurde ...“ „Und wie erklären Sie sich die ausgeplünderte Brieftasche des toten Dr. Aiwa?“ fragt Hans Burgdorf
„Ja“, Berndt zuckt die Acnsem.vielleicht
hat der Mörder gehofft, darin etwas von dem erpreßten Gelde wiederzufinden . “
„Eine Möglichkeit. “ gibt Hopfner zu, „aber ehe wir nicht eine greifbare Spur haben, die zu dem Mörder führt, können wir noch lange auf solche Weise Rätsel raten. Irgendwie müssen sie immer aufgehen, ohne daß wir damit den Fall lösen können “
Und dann schließt er ab: „Ich werde jetzt alle Rücksichten, die ich bisher geübt habe, fallen lassen und ohne jedes Ansehen der Person die Leute vernehmen, auch die Damen, die mit Burgdorf Berührungspunkte gehabt haben. Die Oeffentlichkeit verlangt mit Recht schleunigst die Aufklärung dieser Untaten Da fällt eben jede Rücksicht “
Damit ist die Besprechung zu Ende. Hans Burgdorf ist mit diesem Ergebnis sehr zufrieden. Es ist auf alle Fälle ein Schritt vorwärts. Er verabschiedet sich und geht nach Hause, in der Hoffnung, Dora noch anzutreffen, die er heute überhaupt noch nicht gesehen hat.
Hopfner, mit Energie geladen für den kommenden Tag, macht sich einen Plan für sgin Vorgehen zurecht. Er notiert sich die Namen zweier Damen, die er jetzt verhören wird: Frau Therese Gonterberg und Frau Luzie Berger. Vielleicht, dgrikt er, habe ich damit schon
zu lange gewartet. Aber als er diesen Entschluß gefaßt hat, ist das Schicksal plötzlich bereit, ihm entgegenzukommen.
Der junge Provisor Herbert Schellmann hat eine Woche lang in einem heftigen Gewissenskonflikt gelebt. Seine Zusammenkünfte und Spaziergänge mit seiner Braut Susanne haben darunter ziemlich gelitten, denn Schellmann war manchmal wie geistesabwesend und hat Susanne vernachlässigt. Sie hat es wohl gemerkt, und da sie nicht glaubt, daß seine Liebe zu ihr nachgelassen hat, dazu ist sie viel zu jung und aufrichtig gewesen, muß seine Unruhe und Unaufmerksamkeit natürlich andere Gründe haben.
Als sie sich heute treffen, hat sich das Mädchen vorgenommen, ihn zur Rede zu stellen. Und sie tut es auch gleich, nachdem sie sich auf dem so wohlvertrauten Wege begrüßt haben und sie mit Erschrecken feststellt, wie blaß er aussieht
„Herbert“, fragt sie sehr liebevoll, „du bist in den letzten Tagen ganz verändert gewesen. Bist du krank oder was ist eigentlich los? Liebst du mich nicht mehr? Dann sag es!“ „Aber Susanne!“ Er sieht sie ganz erschrok- ken an. „Wie kannst du überhaupt so etwas denken . Aber es ist gut, daß du fragst. Ich muß mit jemandem sprechen, du bist vielleicht der einzige Mensch, der mir raten kann.“
Er spricht so eindringlich, daß sie aufhorcht. Sie fühlt, daß er sich lange mit etwas herumgequält hat. Also ist es ihre Sache, ihm zu Hilfe zu kommen. Das ist selbstverständlich.
Und nun erzählt er ihr noch einmal von dem Giftschrankschlüssel, von seinem Gespräch mit Frau Gonterberg, das so unentschieden und bedrückt verlaufen ist, von dem verschwundenen Zyankali und von seiner Schuld daran: denn er hat ja den Schlüssel steckenlassen. Aber darf er denn, nur um seine eigene Unachtsamkeit zu verbergen, womöglich die Aufklärung eines Mordes verhindern?
Susanne ist nun doch etwas bedrückt davon, daß Herbert selbst auf so unangenehme Weise in die Sache verwickelt ist „Du“, sagt sie zuerst noch ein bißchen fassungslos, „ich glaube, der Dr. Burgdorf ist wirklich mit Zyankali vergiftet worden. Ich
dächte, Vater hätte so etwas gesagt, aber ich will es nicht beschwören.“
„Da habe ich mir ja was Schönes eingebrockt ...“ Herbert geht unruhig und aufgeregt neben dem Mädchen. Aber Mädchen wissen in solchen Dingen oft schneller einen Rat als Männer.
„Ich werde dir einmal etwas sagen“, Susanne kann recht entschieden sprechen, „du kommst heute mit herauf zu uns und sprichst mit Vater über die ganze Geschichte. Das. ist die beste Lösung, wenn du dich ihm anvertraust. Darauf hättest du längst selbst kommen können. Vater ist ja kein Unmensch, und vielleicht ist er dir sogar dankbar für den Hinweis. Denn mir ist es die ganzen Tage so vorgekommen, als wenn sie bei der Polizei auch ihre Sorge mit der Sache haben und nicht vorwärtskommen. Also komm, wir gehen gleich nach Haus.“
Da gibt es keinen Widerspruch. Herr Berndt ist eben auch erst vom Büro heimgekommen und ist noch etwas durcheinander von dem aufregenden Tag. Er ist ein stiller, ruhiger Mann, etwas verschlossen, aber in seiner Art gutmütig und vor allem ehrlich in allen Dingen, die es wert sind, ernsthaft betrachtet zu werden.
Susanne spricht ihn gleich an:
„Vater, ich habe Herbert mitgebracht. Er hat mit dir über eine wichtige Sache zu reden.“
Sie verläßt sofort das Zimmer, und die beiden Männer bleiben allein.
Berndt sieht seinen künftigen Schwiegersohn aufmerksam an: „Siehst nicht besonders gut aus, mein Junge. Also, was ist los?“
Und nun kommt der stille, arbeitsame Kriminalassistent Berndt doch noch zu einem kriminalistischen Erfolg. Was der Junge ihm erzählt, das ist ja der erste Fingerzeig in dieser dunklen Geschichte, das ist ja die lang gesuchte Spur, der greifbare Faden, der zu dem Täter führen muß.
„Ich muß dir einen großen Vorwurf machen, Herbert“, sagt er, nachdem der junge Provisor seinen Bericht beendet hat, „den Vorwurf, daß du mir das alles nicht längst erzählt hast. Wir zermartern uns die Köpfe über die Geschichte — und du hast mit dem verschwundenen Gift
schrankschlüssel schon von Anfang an den Schlüssel in der Tasche. Unverantwortlich, dein Schweigen! Wenn du eher gesprochen hättest, mein Junge, dann wäre vielleicht dieser Dr. Aiwa am Leben geblieben. Das muß ich dir schon sagen.“ Und er berichtet dem bestürzten Schellmann von dem Mord an Dr. Aiwa.
„Du hast dich sehr spät“, schließt er das Gespräch, „zu der einzig vernünftigen Handlung entschlossen, die du tun konntest, aber hoffentlich noch nicht zu spät, um den Täter zur Verantwortung zu ziehen “
Sie sitzen eine Weile schweigend. So, denkt Berndt, ich war doch in der Apotheke und habe den Gonterberg gefragt, ob Gift fehlt. Und er hat gesagt: kein Milligramm. Warum hat er mir das Verschwinden des Zyankali verschwiegen? Ist denn der Mann verrückt? Oder stimmt da schon was nicht? Das kann ich mir gar nicht denken. Das ist wahrscheinlich bloß diese lächerliche Angst vor dem Skandal oder was sie sonst in ihrer Ehrbarkeit fürchten. Sie überlegen sich gar nicht, welche Folgen solche Feigheit haben kann. Bloß, um sich einigen lästigen Fragen zu entziehen, lügen sie und machen sich außerdem noch selbst verdächtig. Es ist unglaublich ...
„Die Sache ist für dich erledigt“, sagt Berndt laut zu seinem Schwiegersohn, „ich glaube nicht, daß dir einer aus deiner Unachtsamkeit einen Strick drehen wird. Vorkommen soll so was ja eigentlich nicht, und du siehst, was daraus entstehen kann. Aber wenn jetzt der Mörder gefaßt wird, wird man dich wohl ungeschoren lassen .. “
Bei diesem Trost beruhigt sich Herbert Schellmann schnell etwas, und da nun auch Susanne wieder erscheint und heiter den Tisch zum Abendbrot deckt, bessert sich die Stimmung zusehends Es ist ihm, als ob er eine schwere, drückende Last losgeworden sei
Berndt überlegt, ob er nicht sofort noch den Kriminalrat von dem neuen, bedeutsamen Geschehnis in Kenntnis setzen soll. Aber Hopfner hat ja sowieso für den nächsten Morgen die Vernehmung der Frau Gonterberg in Aussicht genommen. Er wird ihn vorher unterrichten.
(Forts, folgt)