SAMSTAG, 1. NOVEMBER 1952

Eisenhower mit oppositionellem Senat?

Partei des Präsidenten braucht nicht auch das Parlament zu beherrschen

WASHINGTON. Nicht einmal die Spannung und Erwartung angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA vermö­gen die Bedeutung der Auseinandersetzung zu mildern, die sich gleichzeitig um die Sitze im Repräsentantenhaus und im Senat abspielt. Sämtliche 435 Abgeordnete des Repräsentan­tenhauses und 35 der Senatoren sind neu zu wählen, und es ist auf Grund des amerikani­schen Wahlsystems keineswegs ausgemachte Sache, daß die Partei, die den Präsidenten stellt, auch die Mehrheit in beiden Häusern erringt.

Die in der Mehrheit befindliche Partei be­stimmt weitgehend die gesetzgeberische Ar­beit des Kongresses, da sie aus ihren Reihen die Vorsitzenden der wichtigsten Ausschüsse, den Sprecher des Hauses und den Präsidenten des Senats stellt, und deshalb kommt der Sitzverteilung allergrößte Bedeutung zu.

Die Senatoren werden jeweils auf sechs Jahre gewählt, so daß alle zwei Jahre nur je­weils ein Drittel der Sitze umkämpft und da­mit eine gewisse Kontinuität gewährleistet ist. Diese Tatsache hat besonders im Hin­blick auf die Außenpolitik, wo der Senat ein machtvolles Wort zu sprechen hat, Bedeutung.

Republikanische Senatoren haben es schwer

In diesem Jahr geht es um die Neuwahl von 35 Senatoren, da außer dem obligaten Drittel der Sitze auch noch drei weitere neu zu besetzen sind, deren Inhaber während der abgelaufenen Legislaturperiode verstarben. Die Demokratische Partei hat dabei recht gute Aussichten, ihre bisherige Mehrheit im Senat auch weiterhin zu behalten. Denn le­diglich 14 dieser Sitze gehören gegenwärtig den Demokraten, während die restlichen 21 auf Republikaner entfallen. Wenn diese also die gegenwärtige demokratische Mehrheit von zwei Sitzen beseitigen wollen, müßten sie sich am kommenden Dienstag mindestens 23 Sitze sichern.

Fünf der demokratischen Bewerber um einen gegenwärtig den Republikanern gehö­renden Sitz im Senat haben nach Ansicht po­litischer Beobachter schlechte Siegesaussich­ten, und gerade hier rechnen sich die Repu­blikaner eine Chance aus, die Mehrheit im Senat an sich zu bringen. Andererseits aber werden allgemein rund die Hälfte der 21 re-

Deutsche Reparationen

Limitierte Verzichterklärung des Westens

BONN. Bundeskanzler Dr. Adenauer hat als Ergänzung zu den Ratifikationsgeset­zen für den Deutschlandvertrag und den EVG- Vertrag dem Bundestag eine Dreimächte­erklärung zur Reparationsfrage zugeleitet. Die Regierungen der Vereinigten Staaten und Großbritannien erklären darin, daß sie ir­gendwelche Reparationsansprüche aus der laufenden Produktion nicht geltend gemacht haben und nicht geltend zu machen beabsich­tigen.Sie haben sich der Forderung solcher Reparationen durch irgendeine andere Macht beharrlich widersetzt und beabsichtigen, dies auch in Zukunft zu tun.

Die französische Regierung nimmt von die­ser tatsächlichen Lage Kenntnis und erklärt sich daher mit dem Artikel des 6. Teils des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Be­satzung entstandener Fragen einverstanden. In diesem Artikel heißt es, daß die Frage der Reparationen durch den Friedensvertrag zwi­schen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern oder vorher durch diese Frage be­treffende Abkommen geregelt wird.

Gefängnis-Revolte beendet. Chester (Illinois). Ehe der demokratische Präsidentschaftskandi­dat und Gouverneur von Illinois, Stevenson, Gelegenheit hatte einzugreifen, haben gestern die meuternden Insassen des Staatsgefängnisses von Illinois kapituliert

publikanischen Senatoren, die sich um eine Wiederwahl bewerben, zu denfraglichen Kandidaten gerechnet. Eine Veränderung des Kräfteverhältnisses im Senat wird daher von vielen Experten nicht erwartet.

Labiles Repräsentantenhaus

Im Repräsentantenhaus besitzen die Demo­kraten zurzeit eine Mehrheit von 30 Stim­men. Da die Südstaaten wenig republikanische Abgeordnete nach Washington entsenden, gründen sich die Hoffnungen der Republika­

ner darauf, daß sie in den übrigen Staaten eine sehr hohe Anzahl von Sitzen erringen.

Da die Abgeordneten im Gegensatz zu den Senatoren alle zwei Jahre neu gewählt wer­den, finden politische Veränderungen im Re­präsentantenhaus rasch ihren Niederschlag. Im allgemeinen läßt sich sagen, daß der sieg­reiche Präsidentschaftskandidat etwa 20 bis 30 neue Abgeordnete seiner Partei mit nach Washington bringt.

Eine Wendung zugunsten der Republikaner würde also Eisenhower im Repräsentanten­haus eine republikanische Mehrheit von viel­leicht 20 oder 30 Sitzen verschaffen. Umge­kehrt könnte ein Wahlerfolg der Demokraten die Mehrheit der Partei Stevensons auf 50 oder 60 Sitze erhöhen

Schulz der Selbstverwaltung

Beratungen des Verfassungsausschusses

STUTTGART. Der Verfassungsausschuß der Verfassunggebenden Landesversammlung von Baden-Württemberg hat mit der Bera­tung des AbschnittesDie Verwaltung be­gonnen. Die Ausschußmitglieder sprachen sich für eine Dezentralisierung aus. Sie billigten einen Artikel, in dem festgelegt wird, daß die Verwaltung durch die Regierung, die ihr un­terstellten Behörden und durch die Träger der Selbstverwaltung ausgeübt wird. Der Aufbau, die räumliche Gliederung und die Zuständigkeiten sollen in einem Gesetz gere­gelt werden.

Ausschußmitglieder betonten nach der Sit­zung vor der Presse die Bedeutung umfassen­den verfassungsmäßigen Schutzes der Selbst­verwaltung. Es wurde besonders darauf hin­gewiesen, daß sich dieser Schutz auf alle Kommunalverbände, wie zum Beispiel auf den schon bestehenden hohenzollerischen Kommunalverband oder auf noch zu bildende Verbände, erstrecke. Dieser umfassende Schutz der Selbstverwaltung gehe weit über das hin­aus, was in anderen Ländern verfassungs­rechtlich verankert sei.

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th. STUTTGART. Am Freitag wurde dann der ArtikelKommunale Selbstverwaltung

einstimmig verabschiedet. Danach sind die Gemeinden in ihrem Gebiet die Träger der öf­fentlichen Verwaltung, soweit nicht bestimmte Aufgaben durch gesetzliche Vorschriften an­deren Stellen übertragen werden. Den Ge­meinden und Gemeindeverbänden können durch Gesetz die Übernahme oder die Durchführung einzelner öffentlicher (staat­licher) Aufgaben übertragen werden. Für die Übernahme dieser Geschäfte zu einer Mehr­belastung der Gemeinden oder Gemeindever­bändeist ein entsprechender finanzieller Aus­gleich zu schaffen. Ferner ist vorgesehen, daß die Gemeinden und Gemeindeverbände bei der Ausarbeitung von Gesetzentwürfen und Verordnungen, die ihre Interessen berühren, gehört werden müssen.

Sechs Tote

Eisenbahnunglück in Niederbayern

REGENSBURG. Sechs Todesopfer forderte ein schweres Eisenbahnunglück, das sich am Donnerstagnachmittag auf dem Bahnhof Für­stenstein der Strecke KalteneckDeggendorf in Niederbayern ereignete. Ein Personentrieb­wagen prallte auf einen mit Schotter belade­nen Güterwagen und wurde zertrümmert. Aus den Trümmern des Personenwagens wurden vier Tote und dreißig Verletzte ge­borgen. Zwei der Schwerverletzten starben später.

Kleine W eitchronik

IG Metall streikt nicht. Stuttgart. Die Streik­gefahr in der Metallindustrie von Nordwürttem­berg und Nordbaden ist durch einen Kompromiß der Tarifpartner abgewendet worden. Die IG Metall zog ihre bisherige Forderung auf eine Lohnerhöhung um 8 Pfennige pro Stunde zurück und einigte sich mit den Arbeitgebern auf eine Verbesserung der Ecklöhne um 4 Pfennige und der Akkordlöhne um 2 Pfennige.

Parteitag der CDU von Nordwürttemberg. Stutt­gart. Die nordwürttembergische CDU hält am 15. und 16. November in Stuttgart ihre Landes­versammlung ab, zu der rund 500 Teilnehmer, darunter 150 stimmberechtigte Delegiert^, er­wartet werden.

Neues deutsch-amerikanisches Jagdabkommen. Frankfurt. Der Anteil an der Abschußquote für Schalenwild wird für amerikanische Jäger auf Grund einer neuen Vereinbarung ab sofort ver­ringert. Der amerikanische Anteil am Schußplan für Rotwild wird in Württemberg und Baden von 80 auf 40 Prozent herabgesetzt.

Erhard: Amerikanischer Lebensstandard als Ziel. Bielefeld.Ich habe den Ehrgeiz, den deut­schen Lebensstandard hochzuschrauben, damit er an den amerikanischen herankommt, sagte Bun­deswirtschaftsminister Prof. Erhard auf einer CDU-Kundgebung in Bielefeld.

1100 Auswanderer nach Australien. Bremer­haven Das AuswandererschiffNelly ist mit 1119 Auswanderern an Bord von Bremerhaven nach Australien ausgelaufen.

CDU stärkste Partei im Lindauer Kreisparla- mCnt. Lindau. Nach den Lindauer Kreistags­wahlen erhält die CDU als stärkste Partei mit 46,5 Prozent der Stimmen 19 Mandate im Kreis­parlament, gefolgt von einer Verbindung von FDP und Parteilosen mit 19,4 Prozent und 8 Sit­zen, der SPD mit 13,8 Prozent und 5 Sitzen, dem

BHE und der Bayernpartei mit 11,5 bzw. 9,8 Pro­zent und je 4 Sitzen.

Protest gegen Besuch Otto v. Habsburgs in Passau. Wien. Die Sozialdemokratische Partei Österreichs hat mit Nachdruck gegen den Besuch des österreichischen Thronprätendenten Otto v. Habsburg im bayerischen Passau protestiert. Otto v. Habsburg habe sich in Passau um die Wiederherstellung der Monarchie bemüht und da­mitHochverrat begangen.

ChaplinStaatsfreund Nr. 1. Paris. Nach der Premiere seines neuen FilmsRampenlicht fie­len französische Filmkritiker Charlie Chaplin scharenweise um den Hals und küßten ihn auf beide Wangen. In Reden wurde der weltbe­rühmte Filmkomiker alsFrankreichs Staats­freund Nr. 1 gefeiert.

Deutscher Botschafter in Madrid. Madrid. Prinz Adalbert von Bayern, der erste Botschaf­ter der Bundesrepublik in Spanien, ist in Ma­drid eingetroffen. Zu seiner Begrüßung fanden sich fast die gesamte deutsche Kolonie und Ver­treter des spanischen Außenministeriums ein.

Manöver über Tunesien. Tunis. Unter dem Oberbefehl des Atlantikpaktkommandos für Süd­europa finden zurzeit über Tunesien gemeinsame Luftabwehrmanöver der Luftstreitkräfte Frank­reichs, der Vereinigten Staaten, Italiens und Groß­britanniens statt,

Mau-Mau lebt noch. Nairobi. In Sabukia in Kenia wurde ein erhängter Hund, das Warnungs­zeichen der Mau-Mau-Bewegung, gefunden; sie­ben Verdächtige wurden daraufhin festgenom­men. Nördlich von Nairobi ist gleichzeitig ein neuer Mord der Mau-Mau entdeckt worden.

Wirbelsturm. Saigon Ein schwerer Wirbel­sturm, der mit 190 std/km über Indochina herein- brach, hat allein in der Stadt Hue über hundert Tote und Verletzte gefordert.

DIE MblNUNU DEK ANDERN

Konflikte an der Saar?

Auch in der Auslandspresse hat die end­gültige Festsetzung der Saar-Landtagswahlen auf den 30. November ein lebhaftes, kritisches Echo ausgelöst. DieNeue Züricher Z ei tun g stellt fest, daß damit an der Saar eine nicht zu unterschätzende Konflikts­gefahr heraufziehe:

Nach allem, was man über die politische Lage an der Saar vernimmt, rüsten die drei vom Wettbewerb ausgeschlossenen deutschfreundlichen Parteien zum erbitterten unterirdischen Krieg nicht nur gegen Hoffmann, sondern gegen die Existenz des Saarstatuts selber. Mit Flugzetteln, Drohungen, geheimen Versammlungen und an­deren Mitteln wird eine Aktion aufgezogen, um einen möglichst großen Teil der Wahlberechtigten vom Gang zu den Urnen abzuhalten Ob die Aktion als Kampfzwischen Märtyrern und Unterdrückern oderzwischen der legitimen Staatsgewalt und den Irredentisten ausgegeben wird jedenfalls besteht die Gefahr, daß die Unruhe auch auf Deutschland übergreift und die dortigen Parteien die Reserve aufgeben, die sie sich im Augenblick noch auferlegen.

London lobt Naguib

Zu der ägyptisch-sudanesischen Verein­barung, nach der die Sudanesen unbeeinflußt von ausländischen Mächten über den künfti­gen Status ihres Landes selbst entscheiden sollen, schreibt die LondonerTime s:

Das Übereinkommen markiert eine Änderung der ägyptischen Haltung gegenüber den natio­nalen Forderungen im Sudan. Es erkennt daj Recht des Sudans auf sofortige Selbstregierung und die Verwirklichung bis Ende 1955 an. Die Einstellung General Naguibs zum sudanesischen Problem basiert darauf, daß der Kondominiums­vertrag noch in Kraft ist (er stimmt darin mit Eden überein), daß er in Kraft bleiben wird, bis das Selbstbestimmungsrecht des Sudan ihn be­endet. und daß er Ägypten genau wie Groß­britannien berechtigt, den Sudanesen bei der Schaffung der Grundlagen für die Zukunft aktiv zu helfen. Durch diese große Geste um die suda­nesische Freundschaft hat sich Naguib eine sehr starke diplomatische Position geschaffen . .

Schiffe in Not

Herbststürme über dem Atlantik

ST. JOHNS (Neufundland). Über dem Nord­atlantik toben seit Mittwoch mit nur langsam nachlassender Wucht die schwersten Herbst­stürme des Jahres mit Stundengeschwindig­keiten, die am Freitag noch 65 km/st erreich­ten. Zahlreiche Schiffe sind in Bedrängnis auf hoher See.

Noch immer fehlt jede Nachricht von dem 2500-Tonnen-FrachterDux, der sich zu­letzt am Sonntag 400 Seemeilen östlich Bella Isle (Neufundland) gemeldet hat und am Mitt­woch in die Sturmzone geraten sein muß. Weiter auf See geriet der britische Dampfer Alendi Hill (7151 Tonnen), der nach Hamp- ton Road im Staat Virginia unterwegs ist, in die Zugbahn des Sturmes. Das Schiff funkte am Donnerstagabend, es halte sich nur mit Mühe und Not.

Einbeziehung Berlins

Reuter: Ausdehnung des Wahlgesetzes

BERLIN. Der Regierende Bürgermeister, Reuter, setzte sich am Freitag auf der Ber­liner Pressekonferenz nachdrücklich dafür ein, daß Berlin in das neue Bundeswahlgesetz ein­bezogen wird. Dies sei eine Selbstverständ­lichkeit, da heute nun einmal alle wichtigen Entscheidungen für Berlin im Bundestag und nicht mehr im Berliner Abgeordnetenhaus gefällt würden

Reuter sagte, er habe bereits Anfang Juli in einem Brief an Bundesinnenminister Lehr die einstimmige Auffassung des Senats zum Ausdrude gebracht, daß der Berliner Bevölke­rung die Beteiligung an der Bundestagswahl ermöglicht werden sollte.

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Copyright by Dr. Paul Herzog, Tübingen durch Verlag v. Graberg & Görg, Wiesbaden

ROMAN VON H. R (.ARSEN

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(32. Fortsetzung)

Assessor Hans Burgdorf betrachtet hin und wieder dieses junge, selbstsichere Mädchen, das so gesammelt und tapfer neben ihm geht, dieses zarte, etwas kecke Profil, Stirn und Haar, die sich dem Winde hingeben, und er empfindet das Glück dieser Stunde, die flüch­tig war und doch gehalten werden will wie eine Kostbarkeit. Als sie sieh vor dem Hause Doras verabschieden, ihre Hände geben sich etwas scheu einander, treffen sich ihre Augen, und Dora senkt schnell den Blick, ihre Hand liegt in der seinen, dann zieht sie sie schnell zurück und wendet sich ab.

Zu Hause hat sich indessen etwas ereignet. Ob es eine Bedeutung für den Fortgang der Untersuchung hat, weiß weder Sabine noch Hans Burgdorf, der gleich von Sabine das neue Ereignis erfährt.

Frau Schallek hat das Arbeitszimmer Dr. Burgdorfs gründlich gesäubert. Sie hat die Gardinen abgenommen, das Fenster geputzt, die Möbel abgerieben, das Parkett gebohnert, und bei dieser Arbeit ist ihr etwas in die Hände gekommen, etwas ganz Unscheinbares.

Sie hat es vom Erdboden aufgehoben, eine kleine, runde Perlmuttscheibe. Sie hat das Ding betrachtet, und sie ist schon dabei gewe­sen, es in den Papierkorb zu werfen. Aber im letzten Augenblick hat sie es sich überlegt. Frau Schallek ist eine sparsame Frau, sie wirft nicht gern weg, was vielleicht noch zu ver­werten ist. Vielleicht, hat sie gedacht, ist der Manschettenknopf noch da, zu dem diese kleine Perlmuttscheibe gehört. Man kann sie wieder in die Fassung setzen. Und sie hat Sabine ihren Fund gebracht

Aber Sabine, die inzwischen die Sachen ihres Vaters durchgesehen hat, glaubt nicht, daß er solche Manschettenknöpfe besessen hat.

Dann hat es der Mensch verloren, der den Schreibtisch aufgebrochen hat, sagt Frau Schallek, und das ist immerhin eine alarmie­rende Feststellung.

Hans Burgdorf ruft sofort den Kriminalrat Hopfner an. Das wird der Zufall sein, auf den ich warte, denkt Hopfner, es gibt eben kein Verbrechen, das nicht eine Spur hinterläßt. Manchmal ist es ein Zigarettenrest, ein Stück­chen Stoff, ein Handschuh, ein vergessener Hut, die auf die Spur des Täters führen. Dies­mal ist es eine kleine Perlmuttscheibe. Hat nicht Dr. Aiwa Manschettenknöpfe mit Perl­mutt getragen?

Er macht sich sofort auf den Weg zur Villa Burgdorfs. Sabine und Hans Burgdorf emp­fangen ihn. Hopfner ist allein gekommen.

Er betrachtet den Fund eingehend. Nun, es ist nicht viel daran zu sehen. Wenn er nur ge­nau wüßte, ob er solche Knöpfe bei Dr. Aiwa gesehen hat. Er hat ihn gesehen, einen solchen Knopf hat er gesehen, damals, vor acht Tagen, als er zum erstenmal Dr. Aiwa'verhörte und dem Chemiker gegenübersaß.

Er nimmt das kleine Beweisstück an sich. Er wird sofort zu Dr. Aiwa hinaufgehen, und wenn die kleine Perlmuttscheibe ihm gehört, dann wird er ihn sofort verhaften. Hopfner, acht Tage mit ergebnislosen Nachforschungen beschäftigt, ist etwas versessen auf ein erlö­sendes Ereignis

Aber soviel er an der Wohnung Dr. Alwas läutet, es öffnet ihm niemand. Dr. Aiwa ist nicht zu Hause. Hopfner befällt eine merk­würdige Unruhe Hat der Chemiker die Flucht ergriffen?

Er eilt hinunter zu Sabine und Hans Burg­dorf.Ausgeflogen!" sagt er ärgerlich. Diese Perlmuttscheibe. Hans Burgdorf schüttelt den Kopf und lächelt.

Der joviale Kriminalrat war etwas in die Hitze der Jagd geraten, und nun ist er nicht sehr guter StimmungDa gibt es gar nichts zu lachen, sagt er.Diese kleine Perlmutt­scheibe kann ein sehr wichtiges Indiz werden.

Ich weiß nicht.. . Hans Burgdorf lehnt sich in den Sessel zurück und faltet die Hände über die Knie.Halten Sie wirklich Dr. Aiwa für den Schuldigen?

Es spricht vieles gegen ihn, sagt Hopfner schnell.Und er hatte es am leichtesten. Er wohnt im Hause.

Er mußte aber wissen, daß er dadurch am verdächtigsten wurde ...

Wahrscheinlich blieb ihm keine Wahl mehr, danach zu fragen. Wenn er es getan hat, hat er zweifellos in einer, wenn auch eingebildeten, unausweichlichen Zwangslage gehandelt. Dann stand ihm eben das Wasser bis zum Halse, und er mußte alles auf eine Karte setzen.

Möglich, gibt Hans Burgdorf zu,nur ir­gendwas in mir sträubt sich dagegen, es zu glauben.

Und Wenn es sich herausstellt, daß ihm die Perlmuttscheibe gehört?

Wahrscheinlich stellt sich das heraus. Es würde einwandfrei nur beweisen, daß Dr. Ai­wa im Arbeitszimmer meines Vaters gewesen ist, aber wann? Am Mordabend? Vielleicht bevor, vielleicht nachdem der wirkliche Täter da war und das Gift in den Kaffee mischte. Er braucht auch dann noch nicht der Mörder zu sein.

Haben Sie jemand anderen im Verdacht? tragt Hopfner.

Offen gestanden .. Hans Burgdorfs Blick streift Sabine, die mit am Tisch sitzt, aber mit ihren Gedanken weit entfernt zu sein scheint, je mehr ich mir die Dinge überlege, ich neige mehr dazu, zu glauben, daß andere Motive hinter der Tat stecken. Eifersucht, Rache... ich glaube das schon deshalb, weil der Täter beide treffen wollte, meinen Vater und Sabine, von der er wahrscheinlich nicht wußte, daß sie seine Tochter ist..

Dann halten Sie eine Frau für die Täterin?

Hans Burgdorf zuckt die Achseln.

Wenn Sie da keine Anhaltspunkte haben ..

Kriminalrat Hopfner neigt sich etwas zu Hans Burgdorf und spricht leiser, so daß Sa­bine, die wirklich mit ihren Gedanken nicht bei der Sache ist, nur Bruchstücke verstehen kann;

Ich habe natürlich Anhaltspunkte. Aber sehen Sie, das ist hier so; Wir leben in einer kleinen Stadt. Jeder weiß vom anderen was zu erzählen. Ihr Vater war eine auffallende Er­scheinung in der hiesigen Gesellschaft. Durch

seinen Beruf, durch seine Art, zu leben. Man hat viel über ihn gesprochen. Zumal er in Din­gen der Liebe keine engherzige Auffassung hatte. So etwas bleibt hier nicht verhorgen. Man lebt hier eng, man sieht voneinander zu viel. Die Kriminalpolizei aber hat sich nur um das zu kümmern, was amtlich an sie herange­tragen wird. Was ich privat höre, bleibt, soweit es nicht kriminellen Charakter hat. privat. Bitte?

Bitte, fahren Sie nur fort, sagt Hans Burg­dorf.Ich weiß noch nicht, worauf Sie hinaus­wollen ...

Ich meine, der Kriminalrat lächelt viel­sagend,ich habe natürlich auch die Namen einiger Damen nennen hören, die, sagen wir, sich über das unauffällige Maß hinaus für Dr. Burgdorf interessiert haben. Diese Damen ge­hören der guten Gesellschaft unserer Stadt an. Es kann sich bei diesen Geschichten um ganz harmlose Flirts gehandelt haben, wie man so etwas wohl nennt. Soll ich jetzt in diesen Krei­sen Skandale entfesseln? Ehezerwürfnisse her- vorrufen? Habe ich einen stichhaltigen Grund dazu, habe Ich auch nur den geringsten Be­weis in der Hand? Soll ich Frau Gonterberg, bloß ein Beispiel, auf mein Amt bestellen und sie fragen: Welcher Art war Ihr Umgang mit Dr. Burgdorf? Wo waren Sie in der Nacht des Festabends von elf bis zwei Uhr? Hatten Sie Schlüssel zur Wohnung Dr. Burgdorfs? Ich nenne nur diese Frau, es gäbe noch andere. Ich kann das nicht verantworten, ohne auch nur das Zipfelchen eines Beweises in der Hand zu haben ..

Der Kriminalrat hat sich in Eifer geredet. Sein Gesicht hat sich gerötet. Er blicht sein Gegenüber fragend an.

Was würden Sie ln diesem Falle tun?

Das sind natürlich sehr delikate Dinge, sagt Hans Burgdorf,die mit viel Takt be­handelt werden wollen. Ich sehe, offen gestan­den, auch nicht, wie man da weiterkommen kann ..

Die beiden Herren schweigen. Sabine is* leise aufgestanden und stellt ein paar Wein­gläser auf den Tisch. ..

Sie trinken sicherlich ein Glas Wein m» uns, Herr Rat? (Forts, folgt)