CALWER ZEITUNG
HEIMATBLATT FÜR
STADT UND LAND
SAMSTAG,l.NOVEMBER 1952 ÜBERPARTEILICHE TAGESZEITUNG
8. JAHRGANG / NR. 214
Sensation im US-Wahlkampf: Muß General van Fleet gehen?
Korea-Oberbefehlshaber lieferte Eisenhower „politische Munition"
WASHINGTON. Die von dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten General Eisenhower ausgegebene Parole „Abzug aus Korea“ hat sich gestern mit lawinenartiger Schnelligkeit zum dramatischen Hauptthema des amerikanischen Wahlkampfes entwickelt und vier Tage vor der Wahl die Spitzen der demokratischen Regierung — das Weiße Haus und das Pentagon — in den Strudel gerissen.
Die Zeitung „New York Daily News" brachte gestern mit einer sensationellen Meldung den Stein ins Rollen. Sie behauptete, der seinerzeit von Präsident Truman eingesetzte Oberkommandierende in Korea, General van Fleet, sei abgelöst worden, weil der General mit einem am Mittwoch von Eisenhowers Wahlhauptquartier veröffentlichten Privatbrief den Republikanern politische Munition geliefert habe, indem er erklärte, die amerikanischen Truppen könnten tatsäch
lich durch neuausgebildete südkoreanische Divisionen ersetzt werden, er sei aber mit seinen Vorschlägen in Washington auf kein Verständnis gestoßen.
Das Verteidigungsministerium und das Weiße Haus dementierten sofort. Ein Sprecher des Pentagon erklärte, man habe bisher von Präsident Truman keine Anweisung erhalten, daß General van Fleet abberufen werden solle. Das Weiße Haus ließ nach Befragen des in Detroit weilenden Präsidenten mittei- len, die Zeitungsmeldung treffe in keiner Weise zu.
Unmittelbar danach kam aber das Verteidigungsministerium mit der überraschenden Erklärung heraus, daß es selbst schon lange plane, die Verteidigung Koreas den Süd- koreanem zu überlassen, das heißt, die amerikanischen Truppen allmählich herauszuziehen, wie es General Eisenhower im republikanischen Wahlkampf gefordert hat.
Die Industrie bejaht Europa
500 Industrielle der Schumanplanländer in Trier / Etzel: Dynamisch zur Einigung
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Die Insignien des Pout le merile für Kunst und Wissenschaft überreichte der Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter der Bildhauerin Rente Sintenis (links) und dem Direktor der Hochschule für bildende Künste in Berlin. Prof. Dr. Karl Hofer frechts), Foto' ap
TRIER. „Die Ratifizierung der europäischen Vertragswerke wird dynamisch über eine gemeinsame Außenpolitik, eine gemeinsame Verteidigung und eine gemeinsame Wirtschafts-, Finanz- und Verkehrspolitik zu einem geeinten Europa führen“, sagte der Vizepräsident der Hohen Behörde der Montan-Union, Franz Etzel (MdB), gestern auf dem Europatag des Bundesverbandes der deutschen Industrie in Trier.
Etzel betonte die Notwendigkeit einer engen Verbindung der Schumanplan-Länder mit England. Die übrigen europäischen Staaten könnten sich durch Assoziation oder durch Abtreten von Souveränitätsrechten dem werdenden Europa einfügen.
Vor Etzel hatte der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Fritz Berg, die Industriellen der Schumanplanländer aufgefordert, die letzten Hemmungen gegenüber der Montan-Union zu überwinden
und der hohen Behörde Vertrauen entgegenzubringen.
Der Präsident des Direktoriums der europäischen Zahlungs-Union (EZU), Dr. Hans- Karl von Mangold t, hatte am Donnerstagabend darauf hingewiesen, daß die EZU bereits den Keim eines europäischen Zentralbanksystems in sich trage, da ihre Kredite mit den Rediskont-Krediten einer Zentralbank an die Geschäftsbanken vergleichbar seien und ihr Direktorium bereits die Wirtschaftspolitik der Mitglieder beeinflusse.
An der Tagung nehmen außer rund 500 Vertretern der Industrie der Schumanplan-Länder für die Bundesregierung Staatssekretär Walter Hallstein, der Präsident des Montanparlaments, Paul Henry S p a a k, der Vorsitzende der Britischen Mission bei der Hohen Behörde, Sir Cecil W e i r, und der Vorsitzende der Amerikanischen Mission, Tomlinson, teil.
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Gedanken zur Reformationszeit
Von Ernst Müller
Nach Adieson auch Lloyd
Wyschinski-Plan in New York abgelehnt / Nicht mit „gefälltem Bajonett“
NEW YORK. Der Plan des sowjetischen Außenministers Wyschinski zur Befriedung und Wiedervereinigung Koreas durch eine gemischte Kommission der Vereinten Nationen ist bei den Westmächten auf Ablehnung gestoßen. Nach dem amerikanischen Außenminister A c h e s o n hat sich jetzt auch der britische Staatsminister Lloyd gegen den Plan ausgesprochen.
Lloyd erklärte vor dem politischen Ausschuß der Vereinten Nationen, solange die Kommunisten auf ihrer Ablehnung des Standpunktes des UN-Oberkommandos in der Frage der Rückführung der Kriegsgefangenen be- harrten. werde jede neue Koreakommission
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unnütz sein. Falls die Kommunisten aber von ihrer Forderung der zwangsweisen Rückführung aller Gefangenen abgingen, sei eine Kommission ohnehin überflüssig.
Einem Heimtransport der Gefangenen gegen ihren Willen zuzustimmen — wie dies auch Wyschinski wiederholt gefordert hatte —, würde „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und eine Schmach für alle daran Beteiligten“ sein, erklärte Lloyd. Er fragte Wyschinski, ob die Sowjetregierung tatsächlich wolle, daß man die Gefangenen „mit gefälltem Bajonett über die Grenze“ treibe, wenn sie sich anders nicht dazu bringen ließen. An Wyschinskis Vorschlägen könne er nichts Brauchbares finden.
Der französische Delegierte Hoppenot unterstützte die von den Vereinigten Staaten und zahlreichen anderen UN-Mitgliedem ein- gebrachte Resolution und billigte die Unterbrechung der Waffenstillstandsverhandlungen in Panmunjon durch die Alliierten angesichts der negativen Haltung der Kommunisten.
Wo dich fassen, gewaltiger Glaubensmann, wo dich erkennen und doch nicht von dir verworfen werden? Nüchtern und nach Lehrbuchmanier zu schreiben, ist mir nicht gestattet. Die Begriffe und Vorstellungen von dir entwinden sich der Zusage eines gültigen Urteils. Du bist wie einer, den keine Zeit ganz ausschöpft und jede wieder anders sieht. Die gelehrtesten Bände wurden über deine Reformation geschrieben und die erlauchtesten Gelehrten haben deine Stellung in der Geistesgeschichte fixiert. Heute, wo die evangelische Christenheit deiner gedenkt, nützt uns das alles gar nicht viel. Es verwirrt höchstens.
„Du bist mir zu stark geworden“ (Jer. 20,7), sagte der Mönch von Gott, das sage ich jetzt auch von dir. Mit dem biederen Konsistorial- rat unserer Urgroßväter fangen wir nichts mehr an, aber auch der tapfere Deuter auf das evangelische Gewissen, der Gründer der unsichtbaren Kirche, ist uns verdächtig geworden. Dann haben uns die Theologen den Ausleger des Wortes Gottes, den herrischen Bibli- zisten, den Wiederentdecker der paulinischen Rechtfertigung allein-aus Glauben vorgeführt, Das war wohl protestantisch massiv geredet, aber doch nicht lutherisch allein und ausschließlich. Stehen wir etwa vor der Pforte zum sakramentalen Luther, der Christus im Sakrament — ganz mittelalterlich, ganz katholisch — lobt und genießt, ihn als das Leben alles Lebens preist, von ihm Barmherzigkeit empfängt aus Gnaden. Ich weiß es nicht.
Aber eines sehen wir genau: Seit dem Thesenanschlag am 31. Oktober 1517 haben sich die Menschen immer schärfer in zwei Lager gespalten. Diejenigen, die meinten, die Reformation bedeute Befreiung von Gott und seiner Schrift, haben das, was Luther unüberwindlich, einzig machte, für tot und historisch erklärt. Der Hallenser Professor in Thomas Manns „Faustus“ macht sich vor seinen Studenten lächerlich, wenn er die Exi-
„Unter allen Umständen verhindern“
Araber-Staaten gegen Israel-Abkommen / Naguib überreicht Protest
trÜ le Ji^ aniscfleT Wahlkampf in New York: Beide ui n ^aten. Eisenhower und Stevenson, ur den stürmisch begrüßt. Ein riesiger Konfetti- H yn ging auf sie nieder und eine Fülle von y T °stblumen wurden auf die Straßen gestreut. gJ! ser ..ß^ d 9ibt einen Eindruck von dem men- yuenuberfluteten Boulevard, durch den Steven- °n seinen Weg nimmt Foto' dpa
KAIRO. Die arabischen Staaten sind nunmehr entschlossen, die Durchführung des deutsch - israelischen Wiedergutmachungsabkommens unter allen Umständen zu verhindern. Zu diesem Zweck hat die ägyptische Regierung beschlossen, den politischen Ausschuß der Araberliga zu einer Sondersitzung einzuberufen. Dies war das Ergebnis einer dreistündigen außerordentlichen Sitzung des Kabinetts unter Vorsitz Ministerpräsident General Naguibs.
Staatsminister R a d w a n teilte nach der Sitzung mit, es seien „wichtige Beschlüsse“ zur deutschen Wiedergutmachung an Israel gefaßt worden Berichte, nach denen die arabischen Staaten in ihrem Widerstand gegen das Abkommen weich geworden seien, stellten irreführende Zweckmeldungen dar.
Der ägyptische Ministerpräsident General Naguib empfing am Donnerstag noch den Botschafter der Bundesrepublik in Ägypten, Dr. Günther P a w e 1 k e Er überreichte dem Botschafter einen Protest der ägyptischen Regierung gegen das deutsch-israelische Wie
dergutmachungsabkommen, über dessen Inhalt jedoch bis jetzt in Bonn nichts verlautete.
Noch ein Volkskammerbrief
BONN. Zwei Vertreter der ostzonalen Volkskammer haben gestern dem Bundestagspräsidenten ein neues Schreiben der Volkskammer über die Wiedervereinigung Deutschlands übermittelt.
Die beiden Delegierten überreichten den Brief dem persönlichen Referenten des Bundestagspräsidenten. da sich Dr. Ehlers zurzeit auf einer Wahlkampfreise durch den Kreis Oldenburg befindet.
Auf das erste Schreiben der Volkskammer, das Mitte September von einer Delegation prominenter Sowjetzonenpolitiker überbracht worden war, ist vom Bundestag bisher noch keine Antwort erteilt worden. In parlamentarischen Kreisen Bonns nimmt man an, daß es sich bei dem neuen Schreiben um eine Anfrage über den Stand der Erörterung des ersten Briefes im Bundestag handelt
stenz des Teufels grammatisch-philologisch wegdisputiert. Nietzsche und Sartre haben alle Christen mit schlechtem Gewissen erschreckt, als sie rundweg erklärten: „Gott existiert nicht, Hallelujah! Eitel Freude und Tränen der Freude! Du Narr! Schlage mich doch nicht. Ich befreie uns ja. Wenn es keinen Himmel gibt, gibt es auch keine Hölle mehr. Nichts außer der Erde bleibt da“ (Sartre in „Der Teufel und der liebe Gott“). Für sie alle bedeutet die Vollendung von Luthers Werk die Wiederentdeckung des Menschen und außer ihm nichts. Hier sind die wichtigsten Entscheidungen gefallen, neben denen der Streit der Konfessionen ins Wesenlose verblaßt.
Und auf der anderen Seite, im anderen Lager steht er, Luther, und wir in seinem Schatten, er der gewagt hat, „auf Gott zu pochen, zu stolzieren und fröhlich zu sein.“ Die Gegner und Feinde, die nicht mehr glauben und darüber auch fröhlich zu sein vorgeben, haben es uns gezeigt, was dieser von Luther entdeckte Gott ist. Wahrlich kein theologisches Abstraktum, kein überflüssiges Metaphysicum des Gedankens — sonst hätten Nietzsche und Sartre recht —. kein tyrannischer Orientale, sondern die Übermacht zum Menschen, Feind und Freund unsrer selbst.
O Mann des Glaubens, du hast es immerdar und tausendmal verzweifelt und begnadet, trotzig und demütig gesagt, daß wir Gott nur haben und fassen in unserer Sünde, unserer Not, unserem Leid, in dem, was allmenschlich ist, was uns von ihm trennt. Der Beweis für seine Existenz ist seine unbeweisbare Barmherzigkeit, daß er selbst in unserer Sünde und Not ein freundlicher Gott ist. „Ich glaube nichtsdestoweniger, ob ich ein Sünder bin. Denn dieser mein Glaube soll und muß schweben über alles, was da ist und nicht ist, über Sünde und Tugend, und über alles, auf daß er in Gott lauterlich und rein sich erhalte, wie mich das erste Gebot dringet“ (Luther 1520).
Dies ist es, was mich und vielleicht noch viele andere Menschen, mögen sie sein und hingehören, wo sie wollen, an Luther fesselt, was keine Geistesgeschichte mir erklären kann, was mich auch gleichgültig macht dem gegenüber, ob das ein Katholik oder ein Protestant gesprochen hat, was ganz allein mich angeht, meine eigene Bedürftigkeit, meine Person, die verschieden ist von allen anderen Personen, dieser Glaube an den rettenden und barmherzigen Gott. Fast komisch will es mir dünken, daß solcher tausendmal bezeugter Glaube eine Reformation hervorgerufen hat. Als ob hier nicht alle Christen dasselbe erfahren müßten vor dem einen, was allein not tut und entscheidet. Doch über den Gang der Kirchenspaltung zu rechten und darüber sich zu besinnen, was seit Luther evangelische, was katholische Kirche heißt, mögen die Theologen sich ans Werk machen. Der Christ hat es, wie Luther, immer nur mit Gott und seiner Offenbarung in Jesus Christus zu tun. Wenn du aber wissen willst, was Glauben heißt, dann schaue auf Luther — freilich auch auf alle, die mit ihm dasselbe bezeugten. Auf das menschliche Vermögen, das einmal schwach und klein, das andere Mal gewaltig und weltüberwindend ist. einmal trotzig, dann wieder verzweifelt und verzagt, einmal einer gestörten Welt rebellisch sieh widersetzt und dann wieder kindlich-demütig sich dem unterwirft, was Gott in seinem Worte gesagt hat.