Die Scjcjtunbe
Die Heimkehr des Jörgen Holzer
Eine Erzählung nach einer wahren Begebenheit von Michael Dornhagen
Schnaufend verhielt die Kleinbahn auf der Station. Nur wenig» Leute stolperten mit Gepäckstücken beladen aus den Abteilen. Unter ihnen befand sich auch Claus Karsten, der Heimkehrer. Er war ein Fremder in dem Dorf, und die Einheimischen warfen ihm neugierige Blicke zu. Doch je näher sie den ein wenig kränklich aussehenden Mann betrachteten, um so mehr glaubten sie, in dem Fremden den vermißten Jürgen Holzer zu erkennen. Nun, das war eigentlich nichts Besonderes für Claus Karsten. Schon in der Kompanie verwechselte man die beiden Soldaten Holzer und Karsten wegen ihrer verblüffenden Ähnlichkeit.
Claus warf sein Bündel auf die Schulter und trottete durch das Dorf. Er hatte die Heimat verloren, und damit hatte er sich abgefunden. Nach seiner Entlassung fiel ihm die Adresse seines verschollenen Kameraden Jürgen Holzer ein, und er beschloß, wenn auch schweren Herzens, der trauenden Kathrin Holzer, einen Besuch abzustatten. Nur wieder einmal ein Dach über dem Kopf haben, nur einmal wieder Mensch unter Menschen sein, wenn es auch nur für eine kurze Zeit ist. Er stapfte tapfer weiter, bis er vor einem sauberen Ge-
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■'■chtcsdiwerer Herbst
höft stand. Umständlich nahm er sein Bündel von der Schulter und öffnete die Tür zur Küche. Kathrin Holzer war gerade dabei, das Mittagsmahl anzurichten. Und so achtete sie kaum auf den Eintretenden, der unschlüssig in der Türe stand.
Als sie den Kopf ein wenig hob, fiel ihr Bück auf Claus Karsten.
„Jürgen?! Du bist wiedergekommen?“ und einige Schritte vortretend, stand sie nun dicht vor dem fassungslosen Heimkehrer.
„Jürgen ist nicht heimgekehrt, Frau Kathrin, ich bin es, sein bester Kamerad, Claus Karsten . . .“
Kathrin begriff immer noch nicht, sie glaubte, ein Spukbild vor sich zu haben und wich entsetzt zurück. Karsten blieb wie angewurzelt auf derselben Stelle stehen. Minuten verrannen, endlich begriff Kathrin die wahren Zusammenhänge. Sie erinnerte sich plötzlich an ein Bild, das ihren Mann im Kreise seiner Kameraden an der Front zeigte, sie erinnerte
sich plötzHch jenes kleinen Kreuzes, das Jürgen neben einem Soldaten gemacht hatte, der ihm zum Verwechseln ähnlich sah, Claus Karsten ... ja, sein bester Freund . . .
„Ja“, sagte sie nur, wie im Traum, „Jürgen lebt nicht mehr, und . . .“ Eine Träne rollte über die Augenwimper. „Ja, Claus Karsten, seien sie mein Gast, willkommen im Hause Ihres Freundes, meines verschollenen Mannes“.
Wochen waren vergangen und Claus war geblieben. Und Kathrin war zufrieden, ja, sie konnte sich ein Leben ohne Claus nicht mehr vorstellen. Sie nannte Ihn oft „Jürgen“, und wußte wohl, daß er es sogar lächelnd duldete. „Kathrin“, sagte Claus eines Abends, „wie soll das nun weitergehen? Das ganze Dorf glaubt, ich wäre Jürgen. Wir müssen ihnen die Wahrheit sagen, nur dann können wir mit ruhigem Gewissen gemeinsam durchs Leben gehen.“
Kathrin schüttelte wehmütig den Kopf. „Warte noch ein wenig, die Zeit läßt über alle Dinge Gras wachsen. Genügt es dir nicht, daß ich dich liebe?" Claus zog sie liebevoll an sich: „Ja, Kathrin.“
Sie hatten schwere Tage hinter sich. Die Ernte brauchte alle Hände und Kräfte. Nach dem Abendessen ging Claus in seine Kammer, er war abgespannt und müde. Am frühen Morgen bellte plötzHch der Hofhund, und zerrte an seiner Kette. Claus sprang aus dem Bett und öffnete das Fenster. Eine fahle Blässe trat in sein Gesicht. Das — das konnte doch nicht . . . ? Immer wieder mußte er sich die Augen wischen. Natürlich — das war doch — Jürgen . . . Dann taumelte er zum Bett zurück, stützte den Kopf in die Hände und weinte.
Seit diesem Tag schlich Kathrin krän
kelnd im Haus herum. Diese Ereignisse waren zu viel für sie. Claus — Jürgen . . . mein Gott! wie hart ist doch das Schicksal. Die beiden Kameraden verstanden sich gut, und Jürgen hatte große Pläne im Kopf. NatürUeh blieb Claus bei ihm, er wüßte gar nicht, warum es anders sein sollte. Ein Zufall hatte ihm das Leben gerettet, ein Zufall brachte ihm auch den besten Freund ins Haus.
Eines Tages, als alles noch schlief, stand Claus leise auf, trat an den Schrank und holte seine alte Heimkehrerkluft heraus. Leise schlich er die Stiege hinab, öffnete die Tür und streichelte den winselnden Hund. Dann ging er langsam zur alten Dorfstraße, blickte sich noch einmal wie grüßend um, und war bald verschwunden . . . Immer wieder hatte er mit sich gekämpft, nein, er war nicht berechtigt, das zu fordern, was einem anderen gehörte. Für ihn blieb nur die endlose Straße . . . die Straße der Heimatlosen, der ewigen Wanderer.
Schenk ein, den Wein!
Noch immer ist Frankreich das klassische Land der Weintrinker. Vom Kind bis zum Jubelgreis trinkt man hier im Jahr 160 Liter Wein, während man es in Italien — trotz der „Lacrimae Christi“ und anderer vorzüglicher Tropfen — nur auf 95 Liter bringt. Auch Spanien mit seinem Malaga und Portugal mit seinem Portwein stehen weit hinter Frankreich zurück. Hier genügen 80 Liter pro Kopf und Jahr, um den Durst der Bevölkerung zu stillen. Die Chilenen konsumieren jährlich nur 70 Liter ihres feurigen „Roten“, die Ungarn mit ihrem Tokayer, die Griechen mit ihrem Samos, sowie Rumänen und - Argentinier folgen mit 50 Litern. Dann gibt es einen erheblichen Schwung nach abwärts, bevor der Deutsche mit 8 Litern im Jahr an Rhein, Mosel und den lieblichen süddeutschen Weingegenden seinen Humpen schwingt.
Die gestorbene Linde
Eine alte Geschichte aus vergangenen Tagen von H. E. Kromer
An einer bayrischen Landstraße, von Memmingen her, bei einem kleinen Weiler, sind vor langer Zeit fünf Linden so gepflanzt worden, daß sie ein Winkelmaß bildeten, wenn man daran eine Schnur entlanglegte. Warum sie. so geordnet sind, weiß niemand; man will aber wissen, warum schon lange der mittlere Baum fehlt, während die andern vier stolz und stark stehen und heute ein hohes Holzkreuz mit dem sterbenden Heiland dran beschatten.
Bei diesen fünf Linden kommen eines Tages gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts zwei Handwerksburschen vorbei, ein Schustergesell und ein Zimmermann, und ruhen bei den jungen Bäumen, die noch an Pfählen
Der Dichter und der Wein,
Von Dr. H. Pfeifer
In Homers Odyssee wird der Wein auch besungen, aber mit einer leisen Warnung zwischen den Zeilen, wenn es heißt „ . . . vom betörenden Weine besieget, / Welcher den Weisesten oft anreizt zu lautem Gesänge, / Ihn zum herzlichen Lachen und Gaukeltanze verleitet, / Und manch Wort ihm entlockt, das besser wäre verschwiegen“. Der Grieche Ari- stophanes war nicht so skeptisch, als er sagte: „Du wagst de® Weins erfinderische Kraft zu schmähn? Was fändest du, beflügelnd mehr die Tat, als Wein?". Sein Kollege der Weisheit, der alte Euripides, scheint auch ein guter Weinkenner gewesen zu sein: „Wo aber der Wein fehlt, stirbt der Kypris Reiz und ist der Menschen ganzer Himmel wüst und freudenleer“. Horaz muß ein trinkfreudiger Herr gewesen sein, denn sonst hätte er nicht so kategorisch gesagt: „Tilgt im Weine den Unmut!“ Der griechische Poet Plutarch geht so weit, zu sagen: „Der Wein ist unter den Getränken das nützlichste, unter den Arzneien das schmackhafteste und unter den Nahrungsmitteln das angenehmste“.
William Shakespeare läßt Casso in seinem Drama „Othello“ sagen: „ . . . o du unsichtbarer Geist des Weins, wenn du doch keinen Namen hast, an dem man dich kennt, so heiße Teufel!“ Die Dichter sind sich nicht immer einig über den Wert des Weines.
Im Jahre 1643 schrieb Moscherosch in seinen „Wunderlichen und Wahrhafftigen Geschichten Philanders von Sittewalt“ folgendes Loblied auf den Wein: „So lang ich leb, lieb ich den Wein, / Denn er vertreibet Furcht und Pein, / Verjagt Melancholey und Schmertzen“. Auch Friedrich von Logau war kein Kostverächter, sonst hätte er nicht in seinen „Deutschen
Sinn-Gedichten“ (1654) sagen können: „Wahrheit steckt in dir, o Wein! / Wie will der denn scheltbar sein, / Der die Wahrheit zu ergründen / Sich beim Bacchus viel läßt finden!“ Lessing sagte hundert Jahre später in seinen Liedern:
Wein ist stärker als das Wasser,
Das gestehn auch seine Hasser.
Wasser reißt wohl Eichen um Und hat Häuser umgerissen;
Und ihr wundert euch darum,
Daß der Wein mich umgerissen?
„Gebt uns Lieb’ und Wein, o, so sind wir Fürsten!“ fordert Christian Felix Weise in seinen „Kleinen lyrischen Gedichten“ (1766). Im gleichen Jahr schrieb Matthias Claudius die Worte: „In ganz Europa, ihr Herren Zecher, ist solch ein Wein nicht mehr!“ Ludwig Hölty sagte es ganz offen heraus: „Ich geb’ es zu, ein Kuß ist süß, doch süßer ist der Wein“. Johann Peter Hebel muß hell begeistert gewesen sein, als er im „Schatzkästlein des rheinischen Hausfreunds“ schrieb: „Jetzt schwingen wir den Hut; der Wein, der Wein war gut“. Wir haben dafür das allergrößte Verständnis und sagen gern mit Justinus Kerner: „Wohlauf noch getrunken den funkelnden Wein!“
Laßt uns diese dichterische Auslese, zu der auch Schiller und Goethe manchen Beitrag hätte geben können, beschließen mit Theodor Storms Aufforderung in seinem Gedicht und Lied:
„Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden!"
aufwachsen, ein Stündchen aus neben ihrem Wanderzeug. In der heißen Sommerluft schiäft der Zimmermann ein. Der Schuster sieht unterweilen das wohlgefüllte Felleisen des andern an, der ihm unterwegs auch von einem dicken Wanderpfennig geplaudert hat, und es braucht für sein böses Gemüt wenig, daß er den Pfahl der einen Linde, der mittleren, aus dem Boden zu winden unternimmt und den schlafenden Wandergesellen damit erschlägt. Nimmt er ihm dann alles weg, was er bei ihm finden kann, so hat es weit und breit kein Auge gesehen. Aber sie suchten, als man den Toten fand, einen Schuldigen, und es traf der Verdacht einen Baumeister aus einem Nachbardorf, keiner wußte warum, ausgenommen die wachsenden bösen Gerüchte. Man setzte den Mann fest und peinigte ihn mit qualvollen Verhören, bis sie ihn mürb zu einem Geständnis glaubten, und wie sehr der Gefangene auch auf seiner Unschuld bestand, so verkündeten sie ihm eines Tages, sie könnten vom Glauben an seine Schuld nicht weichen und müßten ihn zu Tod bringen; einer vom Rat der Stadt Memmingen war ihm sonderlich feind, ein Schulknecht, und wieder wußte keiner, warum.
In der Zeit aber, da sie dem armen Baumeister so grausam zusetzen, treibt sich der Mordbube in Schwaben umher und kommt eines Tages in das Städtchen Isny, Dort achtet er’s in einem günstigen Augenblik für ungefährlich, in einem Laden eine Krämerswitwe zu erschlagen und gleich auch ihre hinzukommende Dienstmagd. Doch hat er am andern Stadttor schon einen langen Schweif Volks hinter sich her und braucht vor dem Richter den Mord nur zu bekennen, da man ihn hat aus dem Laden kommen sehen, wo sie die Gemordeten noch warm gefunden haben. Und well der Schuster sich schon vorstellen kann, wie er ohne Kopf aussehen mag, oder droben am Galgen, wenn der Wind mit ihm einen Dreher tanzt, meint er, es gehe in einem Aufwaschen hin, wenn er die Übeltat bei den Memminger Linden auch noch auf sich nähme: es koste ihm bloß den einen Kopf. Also gesteht er und erlöst damit auch den Baumeister, den sie aber schon halb zu Tod gepeinigt haben, und der dann auch in kurzem dahinsiecht. Aber mit diesem geht auch die junge Linde ein, die am Mordpfchl angebunden gewesen, und obschon man vielfach versucht hat, an ihrer Stelle einen neuen Baum zu ziehen, keiner gedieh ferner dort, so daß heute, anderthalb hundert Jahre nach der Mordtat, die vier alten Linden zwar in schönster Kraft um ihren Heiland stehen, ihr fünfter Kamerad aber nimmer aufzukommen vermag.
Der Advokat und der Bettler
Eine nachdenkliche Geschichte aus Rußland von A. P. Tschechow
„Hochgeehrter Herr! Haben Sie Erbarmen mit einem unglücklichen, hungernden Menschen! Seit drei Tagen habe ich keinen Bissen gegessen ... ich habe keinen Nikel fürs Nachtlager . . . schwöre bei Gott! Acht Jahre lang habe ich als Dorfschullehrer gedient, habe meine SteUung durch die Intrigen der Dorfgemeinde verloren. Ein Jahr lang laufe ich schon arbeitslos herum.“
Der Advokat Skworzoff blikte in das graue, abgerissene Gesicht des Bettlers, in seine trüben versoffenen Augen; es kam ihm so vor, als hätte er diesen Menschen schon irgendwo gesehen.
„Jetzt ist mir ein Posten im Gouvernement Kaluga angeboten“, fuhr der Bettler fort, „aber ich habe kein Geld um hinzufahren. Helfen Sie mir! Schäme mich zu betteln, aber die Umstände zwingen mich dazu.“
Skworzoff blikte auf die Galoschen des Bettlers — eine war viel größer als die andere — und plötzlich fiel es ihm ein:
„Hören Sie mal, vorgestern hab’ ich Sie, glaub’ ich, auf der Sadowaja getroffen“, sagte er, „aber da haben Sie mir gesagt, nicht daß Sie ein Dorfschullehrer seien, sondern ein davongejagter Student. Erinnern Sie sich?“
„Nein . . . nein, unmöglich!“ murmelte der Bettler verwirrt. „Ich war ein Dorfschullehrer; wenn Sie wollen, kann ich Ihnen meine Papiere zeigen.“
„Was lügen Sie denn so? Sie haben gesagt, Sie seien Student und haben mir erzählt, man hatte Sie davongejagt. Erinnern Sie sich?"
Skworzoff bekam einen roten Kopf und entfernte sich mit einem Ausdruk des Ekels vor dem zerlumpten Menschen. „Das ist eine Gemeinheit, mein Herr!“ schrie er wütend. „Ich werde Sie der Polizei übergeben! Sie sind arm, hungrig, nun ja, aber das gibt Ihnen kein Recht, so gemein, so gewissenlos zu lügen!“
„Ich ... Ich lüge nicht Herr . . murmelte der Bettler. „Kann meine Papiere vorzeigen."
„Wer soll Ihnen denn glauben?“ wütete Skworzoff. Er machte Miene ins Haus zu gehen; er schimpfte ganz erbarmungslos auf den Bettler ein. Mit seiner frechen Lüge hatte der zerlumpte Mensch in ihm Ekel und Widerwillen erregt. Der Bettler suchte sich erst zu verteidigen und schwor, er habe nicht gelogen, aber schließlich verstummte er und beugte beschämt den Kopf.
„Gnädiger Herr!“ sagte er, die Hand aufs Herz legend. „Nun ja, ich habe ... ich habe wirklich gelogen! Ich bin weder ein Student noch ein Dorfschullehrer. Das ist alles frei erfunden! Ich habe im russischen Kirchenchor gedient und man hat mich wegen Trunkenheit davongejagt. Aber was soll ich tun? Glauben Sie mir, bei Gott, es geht nicht ohne Lügen! Wenn ich die Wahrheit sage, gibt mir kein Mensch was. Sie haben ganz recht, ich verstehe, aber . . . was soll ich tun?“
„Was Sie tun sollen?“ brüllte Skworzoff. „Arbeiten sollen Siei Arbeiten soll man!“ „Arbeiten . . . Ich verstehe schon, aber wo bekomme ich Arbeit?“
„Dummes Zeug! Sie sind jung, gesund, kräftig und können immer Arbeit finden, wenn Sie nur ernstlich wollen. Aber Sie sind eben ein Faulpelz, ein Trunkenbold! Paßt es Ihnen vielleicht nicht, körperüche Arbeit zu übernehmen?“
„Wie stellen Sie sich das vor, mein Gott..." sagte der Bettler mit einem bitteren Lächeln. „Wo soll ich körperliche Arbeit hernehmen?" „Haben Sie keine Lust Holz zu haken?“ „Aber bitte , . . sehr gern . .
„Gut, wir woüen sehen... Ausgezeichnet.. wollen sehen!“
Skworzoff ging eilig ins Haus, rieb sich, nicht ohne Schadenfreude, die Hände und rief die Köchin Olga aus der Küche herbei. Sie sollte den Mann auf die Tenne führen, damit er dort Holz hake. Der zerlumpte Mann zukte mit den Achseln, er wußte offenbar nicht, was er tun solle, und ging unschlüssig
hinter der Köchin drein. An seinem Gange war zu sehen, daß er das Holzhaken nicht deswegen übernahm, weil er hungrig war und sich etwas verdienen wollte, sondern nur aus Eigenliebe und Scham, weil man ihn beim Wort genommen hatte. Man konnte auch wohl bemerken, daß er vom Trinken geschwächt war, daß er krank war und nicht die geringste Lust zur Arbeit hatte.
Skworzoff ging eilig ins Speisezimmer. Von dort aus konnte man durch die Fenster auf den Platz zum Holzhaken sehen und alles beobachten, was im Hofe vorging. Er sah, wie die Köchin und der Bettler zur Tenne gingen. Olga blikte ihren Gefährten wütend an, die Fäuste in die Hüften gestemmt, öffnete sie die Scheune und warf zornbebend die Türe zu.
„Wahrscheinlich haben wir das Frauenzimmer im Kaffeetrinken gestört“, dachte Skworzoff, „was für ein bösartiges Geschöpf!“
Er sah nun, wie die Köchin ihm die Axt vor die Füße warf. Der Bettler zog unschlüssig einen Klotz zu sich heran, klemmte ihn zwischen seine Beine und hieb zaghaft mit der Axt zu. Der Klotz sprang ihm aus den Händen und fiel zu Boden. Der Bettler zog ihn wieder zu sich heran und hieb abermals mit der Axt zaghaft zu. Der Klotz fiel wieder zu Boden.
Der Zorn Skworzoff’s war schon verflogen, und es war ihm etwas peinlich und beschämt zu Mute, daß er einen heruntergekommenen, versoffenen und vielleicht kranken Menschen zu einer so schweren Arbeit gezwungen hatte.
„Nun, tut nichts, soll er nur...“ dachte er und ging aus dem Speisezimmer in sein Kabinett. „Ich habe es ja zu seinem Besten getan.“
Nach einer Stunde erschien Olga und meldete, das Holz sei fertig gehakt. Skworzoff ließ ihm dafür einen halben Rubel geben und ihm sagen, daß er jeden Monat zum Holzhaken wiederkommen könne.
So erschien der Bettler häufiger auf dem Hofe und man fand jedesmal Arbeit für ihn. Eines Tages rief ihn Skworzoff zu c 'ch und sagte: „Na, ich sehe, meine Worte hr’->en Eindruck auf Sie gemacht. Wie heißen Sie?“
„Luschkoff.“
„Ja, Luschkoff, ich könnte Ihnen jetzt eine Arbeit vorschlagen, eine saubere. Können Sie schreiben?“
Luschkoff bejahte, und so wurde er zu einem Kollegen Skworzoffs geschlkt, um dort Schreibarbeiten zu verrichten. Skworzoff war zufrieden darüber, daß er einen Menschen auf die rechte Bahn gebracht hatte.
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Zwei Jahre waren vergangen. Eines Tages, stand Skworzoff an einer Theaterkasse und kaufte sich ein Billett; da sah er dicht neben sich einen kleinen Mann in einem Lammfell- kragen mit einer abgetragenen Lammfellmütze. Der Mann bat den Kassierer um einen Galerieplatz und zahlte mit Kupfermünzen. Skworzoff erkannte in ihm seinen ehemaligen Holzhaker Luschkoff. „Na, wie geht's?“
„Es geht ... ich diene jetzt bei einem Notar, bekomme 35 Rubel im Monat.“
Skworzoff freute sich, daß er den Bettler von damals auf den rechten Weg gebracht hatte und lobte ihn, daß er seine Worte nicht vergessen habe. Auch Luschkoff dankte seinem Wohltäter und noch mehr der Köchin Olga, die ihn eigentlich gerettet hätte.
„Wieso?“ fragte Skworzoff.
„Das war so . . . nun, ich kam doch auf den Hof zum Holzhaken, und sie fährt auf mich los: „Ach, du Saufbruder! Willst du denn zugrunde gehen?“ Dann setzte sie sich mir gegenüber und sagte weinend: „Bist ein un- glüklicher Mensch!“ Was für einen Kummer sie um mich batte und wieviel Tränen sie um mich vergoß, kann ich gar nicht sagen. Aber die Hauptsache , . . sie hat doch das Holz für mich gehakt! Kann Ihnen nicht erklären, warum sie mich gerettet hat, warum ich in mich gegangen bin, als ich ihr züschaute, und aufgehört habe, zu saufen. Ich weiß nur eins: ihre Worte und ihre gütige Handlung haben in mir eine Wandlung bewirkt, sie hat mich aufgerichtet, nie werde ich’s vergessen. Aber es ist Zelt, man gibt d»s Giok»n?r*i-
k»n!“
Luschkoff verbeugte sich und stieg zur Galerie hinauf. —- -